Stiefmutter überlebt ihren Erben
onlineurteile.de - Die Witwe hatte nicht nur ihren Mann überlebt, sondern auch dessen Sohn, der laut Erbvertrag von 1965 das Vermögen hätte erben sollen. Im Erbvertrag hatten sich die Ehepartner gegenseitig als Alleinerben eingesetzt. Erbe des länger lebenden Partners sollte der Sohn des Ehemannes sein. Nacherben bzw. Ersatzerben wurden nicht benannt: "Sonst wollen wir nicht bestimmen", hieß es im Erbvertrag.
2012 verfasste die Witwe ein Testament, in dem sie diesen Umstand erläuterte: Der 1996 verstorbene Stiefsohn habe zwei Kinder hinterlassen, einen Jungen und ein Mädchen. Für diesen Fall, dass der Erbe vor ihnen sterben sollte, hätten sie und ihr Mann "keine bindende Ersatzerbeneinsetzung gewollt". Denn zu diesem Zeitpunkt habe sich "die Entwicklung der beiden Enkel noch nicht absehen" lassen. 2015 verfasste die Witwe ein weiteres, notarielles Testament, in dem sie die geschiedene Frau des Enkels als ihre Alleinerbin einsetzte.
Als die Witwe 2018 starb, beanspruchten Enkel und Enkelin je eine Hälfte des Vermögens, gestützt auf den Erbvertrag von 1965: Sie seien die Erben ihres Vaters, der das Vermögen des Großvaters hätte erben sollen.
Doch das Nachlassgericht war der Ansicht, die Erbfolge richte sich nach dem Testament der Witwe von 2015. Es erteilte der Ex-Frau des Enkels einen Alleinerbschein: Der Erbvertrag von 1965 enthalte keine Regelung, die die Erblasserin an dieser Erbeinsetzung hindern würde.
So sah es auch das Oberlandesgericht München (31 Wx 110/19, 31 Wx 272/20). Offenbar habe das Ehepaar 1965 bewusst davon abgesehen, die Ersatzerbfolge zu regeln. Das lege auch der Satz "Sonst wollen wir nicht bestimmen" nahe. Damals seien die Enkel ein und zwei Jahre alt gewesen.
Vor diesem Hintergrund sei es plausibel und nachvollziehbar, wenn die Witwe schreibe, sie hätten 1965 keinen Ersatzerben verbindlich festlegen wollen, weil nicht vorhersehbar war, wie sich die Enkel entwickeln würden. So sei es offenbar zwischen den Ehepartnern abgesprochen und mit dem Notar besprochen worden, der seinerzeit den Erbvertrag aufgesetzt habe. Daher habe die Witwe die weitere Erbfolge frei bestimmen können.