Betriebsbedingte Kündigungen nach der Firmenpleite

Was für eine Rolle spielt das Lebensalter bei der Sozialauswahl?

onlineurteile.de - Seit 1972 arbeitete eine 65-jährige Angestellte für ein Unternehmen, das Anfang 2020 Insolvenz anmelden musste. Der Insolvenzverwalter traf mit dem Betriebsrat eine soziale Auswahl unter den 396 Arbeitnehmern: Wer kommt am ehesten für eine betriebsbedingte Kündigung in Frage? 61 Namen standen auf der Liste, darunter der Name der 65-Jährigen. Der Insolvenzverwalter kündigte ihr zum 30. Juni 2020.

Begründung: Sie sei in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig. Denn die Arbeitnehmerin habe aufgrund ihres Alters als einzige die Möglichkeit, schon bald nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses (ab 1. Dezember 2020) eine Altersrente zu beziehen — nämlich die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die mindestens 63 Jahre alt sind und 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben (Sozialgesetzbuch VI, § 236b).

Nach weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat kündigte der Insolvenzverwalter der Frau vorsorglich erneut zum 30. September 2020. Die Arbeitnehmerin erhob gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage.

Das Bundesarbeitsgericht erklärte die erste für unwirksam, die zweite Kündigung jedoch für wirksam (6 AZR 31/22). Sinn der sozialen Auswahl sei es, den Arbeitnehmern zu kündigen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig seien. Zu berücksichtigen seien dabei das Lebensalter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers.

Das Lebensalter sei ein zwiespältiges Auswahlkriterium: Einerseits steige die Schutzbedürftigkeit mit dem Alter, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen hätten. Andererseits sinke sie kurz vor der Rente, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine abschlagsfreie Rente wegen Alters beziehen könne. Diesen Umstand habe der Insolvenzverwalter zum Nachteil der Arbeitnehmerin berücksichtigen dürfen.

Dennoch sei die erste Kündigung unwirksam, weil der Insolvenzverwalter die 65-Jährige nur wegen ihrer "Rentennähe" ausgewählt und die anderen Auswahlkriterien "Betriebszugehörigkeit" und "Unterhaltspflichten" ignoriert habe. Das sei grob fehlerhaft gewesen. Die zweite Kündigung dagegen habe das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2020 wirksam aufgelöst.