Anspruch auf nicht zugelassenes Medikament?

Auch und gerade bei todkranken Versicherten geht die Sicherheit der Arzneimittel vor

onlineurteile.de - Ein 19-jähriger Patient leidet an Duchenne-Muskeldystrophie, einer seltenen, genetisch bedingten Erkrankung, an der die Betroffenen meist schon im frühen Erwachsenenalter sterben. Der Patient ist seit 2015 gehunfähig. Bei seiner Krankenkasse hatte er die Kostenübernahme für das Medikament "Translarna" beantragt. Doch dieses Arzneimittel ist nur für gehfähige Patienten zugelassen.

Mit dieser Begründung lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme ab: Zwei Anträge des Herstellers, die Zulassung für das Medikament auf "nicht mehr gehfähige Dystrophie-Patienten" zu erweitern, seien aufgrund negativer Bewertungen von der Europäischen Arzneimittel-Agentur 2019 abgewiesen worden. Daher habe der Versicherte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für dieses Arzneimittel.

Das Bundessozialgericht gab der Krankenkasse Recht (B 1 KR 35/21 R). Wenn sich Versicherte wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in einer Notlage befänden, werde in der Regel großzügig entschieden. Häufig bekämen sie sogar Medikamente, deren Wirksamkeit medizinisch noch nicht 100-prozentig belegt sei — sofern wenigstens eine geringe Aussicht auf Heilung oder positiven Einfluss auf die Krankheit bestehe.

Davon könne man aber nicht ausgehen, wenn die Arzneimittelbehörde die Unterlagen eines Pharmaunternehmens im Zulassungsverfahren geprüft und negativ bewertet habe. Dabei spiele es keine Rolle, ob die negative Beurteilung auf einer aussagekräftigen medizinischen Studienlage beruhe oder ob der medizinische Nutzen des Medikaments wegen methodischer Probleme bei der Auswahl der Herstellerdaten nicht bestätigt worden sei.

Auch und gerade bei so schweren Erkrankungen müsse die Arzneimittelbehörde die Patienten vor unkalkulierbaren Risiken schützen. Aufgrund ihrer fachlichen Expertise gewährleiste das Zulassungsverfahren eine wissenschaftlich einwandfreie und unabhängige Prüfung, inklusive Ausnahmeregeln für Härtefälle. Auf Arzneimittel ohne Zulassung hätten gesetzlich Krankenversicherte daher grundsätzlich keinen Anspruch.