Ein Tierarzt muss die Besitzer eines kranken Tieres über alle geeigneten Behandlungsmöglichkeiten aufklären
Ein Ehepaar hatte der Tochter für 300.000 Euro ein Dressurpferd gekauft. Sie nahm mit dem Tier regelmäßig an Turnieren teil. Bei einem Grand Prix in den Niederlanden bemerkte die Reiterin, dass dem Pferd Schwung und Elastizität fehlten. Seine Bewegungen wirkten unkoordiniert. Sofort wandte sich die Reiterin an eine Tierklinik. Eine Röntgenuntersuchung ergab, dass das Pferd an spinaler Ataxie litt.
Ataxie bedeutet Bewegungsstörung. Die Pferde können die Bewegungen ihrer Beine nicht koordinieren. Im konkreten Fall wurde dieses Problem durch die Verengung eines Wirbelkanals an der Halswirbelsäule ausgelöst (spinal). Der Chefarzt der Klinik empfahl eine chiropraktische Behandlung und erläuterte diese kurz.
Nach einem Telefongespräch mit den Eltern willigte die Reiterin ein. Für die Behandlung war eine Narkose notwendig, die dem Pferd zum Verhängnis wurde: Es konnte anschließend nicht mehr aufstehen und starb einen Tag später. Daraufhin forderten die Pferdebesitzer vom Chefarzt ca. 400.000 Euro Schadenersatz, weil Behandlung und Risikoaufklärung unzureichend gewesen seien.
Fehler bei Diagnose und Behandlung konnten die Sachverständigen nicht feststellen, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (26 U 95/14). Aber der Klinikarzt habe Tierbesitzer und Reiterin schlecht beraten und schulde ihnen deshalb Schadenersatz. Vor allem dann, wenn eine Behandlung riskant sei und für die Eigentümer finanziell viel auf dem Spiel stehe, sei ein Tierarzt verpflichtet, diese umfassend über alle Alternativen aufzuklären.
Diese Pflicht habe der Veterinärmediziner verletzt. Denn die Behandlung sei keineswegs so "alternativlos" gewesen, wie er behaupte. Andere Möglichkeiten gebe es durchaus: eine Operation oder medikamentöse Behandlung oder Chiropraktik, bei der das Tier stehend behandelt werde und nur sediert werden müsse.
Schon bei einem gesunden Pferd sei eine Narkose nicht ganz ungefährlich, weil das Aufstehen danach schwer falle. Aber für ein Pferd mit Ataxie sei eine Vollnarkose äußerst riskant, weil es beim Aufstehen besonders große Koordinierungsprobleme habe. Daher hätte der Tierarzt die Eigentümer über Therapien ohne Vollnarkose aufklären müssen.
Vergeblich berief sich der Tierarzt darauf, er habe das Dressurpferd nicht medikamentös behandeln können, weil er es doch für die Europameisterschaft der Jungen Reiter fit machen sollte. Selbst wenn das Pferd dann länger ausgefallen wäre, so das OLG, hätte der Mediziner diese Alternative nicht ausschließen dürfen. Zumindest hätte er die Pferdebesitzer und die Reiterin über die Spritzentherapie informieren müssen.
Bei so einem wertvollen Pferd müssten die Besitzer die Möglichkeit bekommen, gut informiert die Risiken selbst abzuwägen und eine Entscheidung zu treffen. In Kenntnis des hohen Risikos bei einer Chiropraktik mit Narkose hätte es das Ehepaar sicher vorgezogen, erst einmal risikoärmere Maßnahmen auszuprobieren und das nächste Turnier abzusagen. Dann würde das Pferd noch leben.