Soziale Sicherung

Wirbelsäulenschaden als Berufskrankheit

Landessozialgericht bejaht dies in einem Streitfall wegen "Kombinationsbelastung" des Arbeitnehmers

Die Lendenwirbelsäule des 1952 geborenen Rentners ist schwer ramponiert. Von 1975 bis 1991 fuhr der Mann als Berufskraftfahrer Lastwagen über unebene Landstraßen in Kasachstan. Nach der Einreise in Deutschland arbeitete der anerkannte Heimatvertriebene in einer Gießerei, als Lagerarbeiter und Betonfertigteilbauer. Seit 2008 bezieht er Erwerbsminderungsrente. Bei der Berufsgenossenschaft beantragte er die Anerkennung der LWS-Erkrankung als Berufskrankheit, um weitere Leistungen zu bekommen.

Die Berufsgenossenschaft, Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, ist auch für Berufskrankheiten zuständig. Sie lehnte es allerdings ab, den Wirbelsäulenschaden des ehemaligen Arbeiters als Berufskrankheit anzuerkennen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Belastung und der Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) sei nicht hinreichend wahrscheinlich, behauptete sie.

Das Landessozialgericht Hessen wies diesen Einwand zurück (L 3 U 70/19). Die von der Berufsgenossenschaft erstellte Liste der Berufskrankheiten enthalte zwei Varianten von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule: Zum einen Schäden, die durch das Tragen schwerer Lasten verursacht wurden (Nr. 2108).

Zum anderen Schäden, die dadurch entstanden, dass die LWS eines Arbeitnehmers durch Ganzkörperschwingungen überdurchschnittlich belastet wurde (Nr. 2110). Insbesondere beim Fahren älterer Laster oder Traktoren wirkten starke Vibrationen auf den gesamten Körper ein.

Die Unterscheidung sei sinnvoll, weil der LWS-Erkrankung unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen könnten. Im konkreten Fall sei die Kombination von zwei sehr intensiven Arten der Belastung für den erheblichen Wirbelsäulenschaden ausschlaggebend gewesen. Sie seien daher nebeneinander anzuerkennen. Die Berufsgenossenschaft müsse nun bewerten, in welchem Ausmaß der Wirbelsäulenschaden die Erwerbsfähigkeit des Ex-Arbeitnehmers beeinträchtige.

Rentenversicherung bewilligt Reha-Maßnahme

Versicherte können unter Umständen während der Reha Anspruch auf eine Haushaltshilfe haben

Die Rentenversicherung bezahlt Arbeitnehmern nicht nur Rente im Alter oder bei Erwerbsunfähigkeit. Sie unterhält auch Kliniken und Reha-Zentren, in denen die Erwerbsfähigkeit erkrankter Sozialversicherter wiederhergestellt werden soll. Einem Arbeitnehmer bewilligte die Rentenversicherung 2017 eine fünfwöchige, stationäre Reha-Maßnahme. Zusätzlich beantragte er eine Haushaltshilfe für diesen Zeitraum.

Begründung: Seine teilzeitbeschäftigte Ehefrau erwarte das dritte Kind, es sei eine Risikoschwangerschaft. Deshalb kümmere er sich schon seit geraumer Zeit um den Haushalt, wenn er zuhause arbeite. Während er in der Reha sei, könne er seine Frau nicht unterstützen. Alleine werde sie den Haushalt nicht bewältigen.

Der Antrag wurde abgelehnt. Warum die Ehefrau sich nicht um die Kinder kümmern könne, sei unklar, so die Rentenversicherung. Daher sei es nicht nachvollziehbar, warum wegen der Reha-Maßnahme des Arbeitnehmers eine Haushaltshilfe notwendig sein sollte. Das Landessozialgericht Hessen wies diese Einwände zurück und sprach dem Versicherten den verlangten Betrag von 2.058 Euro zu (L 2 R 360/18).

Zusätzlich zum Klinikaufenthalt stehe den Versicherten Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe zu, wenn es ihnen nicht möglich sei (und keiner anderen Person im Haushalt), den selbst geführten Haushalt während des Klinik- oder Reha-Aufenthalts weiterzuführen. Weitere Bedingung: mindestens ein Kind unter zwölf Jahren, das im Haushalt lebe. Im konkreten Fall seien alle Voraussetzungen erfüllt.

Selbst geführt werde der Haushalt auch dann, wenn sich ein Versicherter — wie hier - die Arbeit mit dem Ehepartner teile. Der Arbeitnehmer habe wegen der Schwangerschaft der Frau vermehrt Haushaltsarbeiten übernommen. Der Verweis des Rentenversicherers, die Frau könne sich weiter um die Kinder kümmern, gehe fehl. Denn hier gehe es nicht um die Kinderbetreuung, sondern um Kostenerstattung für eine Haushaltshilfe: um Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen …

Während seines Aufenthalts in der Reha-Klinik könne der Arbeitnehmer diese Tätigkeiten nicht erledigen. Also gebe es durchaus einen kausalen Zusammenhang zwischen Reha und Haushaltshilfe: Es gehe darum, den Ausfall der Haushaltsarbeiten auszugleichen, die der Arbeitnehmer ausführe. Seine Frau könne nicht zwei kleine Kinder betreuen, gleichzeitig in Teilzeit arbeiten und trotz einer (per Attest belegten) Risikoschwangerschaft teilweise schwere Aufgaben im Haushalt erfüllen.

Ingenieur soll Arbeitslosengeld zurückzahlen

Die Sanktion ist unzulässig, wenn der Arbeitslose nicht über den Beginn der Sperrzeit informiert wurde

Ein 42 Jahre alter Wirtschaftsingenieur im Bereich Maschinenbau verlor im Herbst 2016 seinen Job und bezog anschließend Arbeitslosengeld I. Im Juni 2017 erhielt er vom Sachbearbeiter des Jobcenters einen Vermittlungsvorschlag: Der Arbeitslose sollte sich bei einer J-GmbH als Projektleiter bewerben. Da er sich dort jedoch nicht vorstellte, verhängte das Jobcenter eine dreiwöchige Sperrzeit und forderte rund 1.400 Euro Arbeitslosengeld zurück.

Das Stellenangebot habe seinen Fachkenntnissen nicht entsprochen, rechtfertigte sich der Mann: Im Bereich Energie und Wasserzähler fehle ihm das Fachwissen, er sei Logistikplaner für Materialfluss. Prinzipiell habe er sich intensiv um Arbeit bemüht und sich öfter beworben als vorgeschrieben. Auch bei der J-GmbH hätte er sich vorgestellt, wenn man ihn über die Sperrzeit informiert hätte. Das sei aber nicht geschehen.

Die Sanktion sei unwirksam, weil der Ingenieur nicht über den Beginn einer eventuellen Sperrzeit unterrichtet wurde, entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 11 AL 95/19). Arbeitslose müssten vollständig darüber informiert sein, wie es sich auf ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld auswirke, wenn sie ein Arbeitsangebot ablehnten oder nicht zu einem Vorstellungsgespräch kämen. Ohne gründliche "Rechtsfolgenbelehrung" dürfe keine Sperrzeit verhängt werden.

Damit die Belehrung ihre Warnfunktion für den Arbeitslosen erfüllen könne, müsse klar und verständlich erläutert werden, welche Folgen eine Ablehnung habe und wann sie eintreten könnten. Im konkreten Rechtsstreit habe das Jobcenter behauptet, diese Pflicht erfüllt zu haben. Auf der Rückseite des Vermittlungsangebots, das man dem Ingenieur übergeben habe, stehe die vorgeschriebene Rechtsfolgenbelehrung.

Da heiße es aber nur: "Hinweise dazu, unter welchen Voraussetzungen … eine Sperrzeit eintritt, enthält das ‚Merkblatt für Arbeitslose. Ihre Rechte — Ihre Pflichten‘. Dieser Verweis gehe komplett ins Leere. Denn das zitierte Merkblatt, das von der Bundesagentur für Arbeit und von den Jobcentern an alle Arbeitsuchenden verteilt werde, enthalte keinen Hinweis auf den Beginn einer Sperrzeit bei Arbeitsablehnung.

Auf dem Weg ins Homeoffice gestürzt

Ein Unfall im Eigenheim ist kein Fall für die gesetzliche Unfallversicherung

Wer in seinem eigenen Haus auf dem Weg in den Büroraum verunglückt, steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, urteilte das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (L 17 U 487/19).

Geklagt hatte ein gesetzlich versicherter Verkaufsleiter, der seit Jahren abwechselnd im Außendienst und im Homeoffice arbeitet — also schon zu Zeiten, als das häusliche Arbeitszimmer noch nicht Homeoffice hieß.

Im September 2018 war er in seinem Wohnhaus auf dem Weg ins Arbeitszimmer eine Wendeltreppe hinuntergefallen und hatte sich Brustwirbel gebrochen. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft (Handel und Warenlogistik) beantragte der Angestellte Entschädigungsleistungen für einen Arbeitsunfall.

Grundsätzlich seien Arbeitnehmer auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz versichert, erklärte die Berufsgenossenschaft, die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Verkaufsleiter sei aber zuhause gestürzt und damit nicht auf einem versicherten Arbeitsweg. Das LSG gab der Berufsgenossenschaft Recht.

Keine der Bedingungen für einen Arbeitsunfall sei hier erfüllt. Verunglücke ein Arbeitnehmer, während er im Betrieb — in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit — unterwegs sei, sei er geschützt: So etwas nenne man einen versicherten Betriebsweg.

Doch der Treppensturz des Verkaufsleiters habe sich nicht während der Arbeit ereignet. Er sei die Treppe hinuntergegangen, um danach im Arbeitszimmer mit der versicherungspflichtigen Tätigkeit zu beginnen.

Auch um einen so genannten Wegeunfall — einen Unfall auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz — handle es sich hier nicht. Dabei beginne laut Gesetz der Versicherungsschutz, wenn der Arbeitnehmer durch die Haustür seines Eigenheims trete oder aus der Haustür des Miethauses, in dem er wohne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein Wegeunfall innerhalb des Hauses ausgeschlossen.

Ob das Bundessozialgericht als nächste Instanz im konkreten Fall diese Linie beibehält, wird sich zeigen: Der Verkaufsleiter hat gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt (Az.: B 2 U 4/21 R).

Maskenpflicht führt nicht zu höheren Hartz-IV-Leistungen

Hilfeempfänger müssen die FFP2-Masken vom Regelbetrag kaufen

Seit Monaten sind die Bundesbürger dazu verpflichtet, im öffentlichen Nahverkehr, beim Einkaufen etc. FFP2-Masken zu tragen, um sich vor einer Corona-Infektion zu schützen. Zwei Empfänger von Grundsicherung (Hartz-IV-Leistungen) beantragten beim Jobcenter Extra-Leistungen für diesen staatlich verordneten, zusätzlichen Bedarf: Wöchentlich 20 Masken sollte ihnen die Sozialbehörde zur Verfügung stellen oder 129 Euro pro Monat und Person.

Das Jobcenter winkte ab. Auch beim Sozialgericht Düsseldorf und beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hatten die Hilfeempfänger keinen Erfolg (L 21 AS 525/21 B ER). Es handle sich nicht um einen Mehrbedarf, den die Sozialbehörde übernehmen müsse, erklärte das LSG. Wenn die Antragsteller ihre Einsparmöglichkeiten nutzten, könnten sie diesen Bedarf aus dem Regelbetrag decken.

Ihrem Anliegen könne schon deshalb nicht entsprochen werden, weil sie einen überhöhten Bedarf an Masken und einen viel zu hohen Maskenpreis veranschlagten. Den monatlichen Bedarf von zehn Masken pro Person könne man mit höchstens zehn Euro decken. Zehn Masken pro Monat reichten aus, denn bei sachgerechter Handhabung, Lagerung und Trocknung könnten sie mehrmals eingesetzt werden. Das sei Hilfeempfängern ebenso zuzumuten wie dem Rest der Bevölkerung.

Anders als zu Beginn der Corona-Pandemie könne man FFP2-Masken mittlerweile für 1 Euro pro Stück oder noch weniger Geld bekommen. Den nötigen Betrag könnten Hilfeempfänger durchaus aufbringen, weil während des Lockdowns und durch die Kontaktbeschränkungen andere (im Regelbedarf enthaltene) Positionen ganz oder teilweise wegfielen, so z.B. die Kosten für Verkehr (39 Euro) oder der Posten "Freizeit, Unterhaltung und Kultur" (42,44 Euro). Was sie dadurch sparten, reiche unschwer für zehn Masken im Monat.

Vermieter will auf Hartz-IV-Leistungen zugreifen

Das Jobcenter darf mit der Grundsicherung keine Altschulden der ehemaligen Mieterin abzahlen

Ein Vermieter meldete sich beim Jobcenter und legte Vereinbarungen vor, die er mit seiner ehemaligen Mieterin getroffen hatte. Von deren Hartz-IV-Leistungen müsse ihm die Sozialbehörde pro Monat 50 Euro auszahlen. Diesen Betrag habe ihm die Mieterin abgetreten, um so ratenweise Schulden zu tilgen. In den letzten Jahren sei ihm die Frau nämlich fast 2.000 Euro Nebenkosten schuldig geblieben.

Das Jobcenter lehnte es ab, von der Grundsicherungsleistung Geld für den Vermieter abzuzweigen. Was die Altschulden betreffe, habe er seine Ansprüche bereits vom Amtsgericht sichern lassen ("Vollstreckungstitel"). Hartz-IV-Leistungen sollten die Existenz des Hilfeempfängers sichern und nicht der Tilgung von Schulden dienen.

Gegen den Behördenbescheid wehrte sich der Vermieter vergeblich: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gab dem Jobcenter Recht (L 11 AS 234/18). Laut Gesetz sei so eine Abtretung von Schulden nur "im wohlverstandenen Interesse" des Hilfeempfängers zulässig. Das wäre etwa der Fall, wenn es um aktuelle Mietschulden ginge und die Betroffene durch das Abstottern dieser Schulden vor einer Kündigung geschützt würde.

Darum gehe es hier aber nicht, denn die Frau sei sowieso schon ausgezogen. Die Grundsicherung solle den laufenden Lebensunterhalt des Hilfeempfängers sicherstellen. Mit diesem Zweck sei es nicht vereinbar, aus der Regelleistung Altschulden abzutragen. Auch das Jobcenter selbst dürfe von einem Hartz-IV-Empfänger, dem ein Darlehen gewährt worden sei, maximal zehn Prozent des Regelsatzes einbehalten, um das Darlehen zu tilgen.

Beim Sport in der Reha-Klinik verletzt

Sind Arbeitnehmer während einer Rehabilitationsmaßnahme der Rentenversicherung unfallversichert?

Die Deutsche Rentenversicherung ist nicht nur für die Renten gesetzlich versicherter Arbeitnehmer zuständig. Sie kooperiert auch mit Reha-Kliniken und unterhält selbst einige. Hier wird versucht, die Erwerbsfähigkeit "angeschlagener" Arbeitnehmer wieder herzustellen. Während des Aufenthalts in so einer Reha-Klinik sind die Patienten im Prinzip gesetzlich unfallversichert.

Das gilt allerdings nicht für jeden Unfall, wie folgender Fall zeigt. Die Rentenversicherung hatte einem 53 Jahre alten Arbeitnehmer einen mehrwöchigen Aufenthalt in einer Reha-Klinik finanziert. Dort hatte er in einer Bewegungstherapiestunde mit anderen Patienten Völkerball gespielt und sich beim Ausweichen vor einem Ball die Achillessehne gerissen.

Die Berufsgenossenschaft, Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, lehnte den Antrag des Versicherten auf Leistungen (wie z.B. Verletztengeld) ab: Die Reha-Maßnahme — konkret: das Ballspiel — habe den Sehnenriss nicht verursacht, erklärte sie: Die Achillessehne des Versicherten sei erheblich vorgeschädigt gewesen, sie hätte genauso gut bei irgendeiner Aktion im Alltag reißen können.

So sah es auch das Landessozialgericht Hessen: Es wies die Zahlungsklage des Versicherten ab (L 3 U 205/17). Die Berufsgenossenschaft müsste für den Unfall in der Reha-Klinik nur einspringen, wenn er auf die Reha-Maßnahme ("versicherte Tätigkeit") zurückzuführen wäre. Nach aktuellem wissenschaftlichem Erkenntnisstand könne aber eine seitliche Ausweichbewegung bei einer gesunden Achillessehne unmöglich zu einem Riss führen.

Ein Schritt oder Sprung zur Seite beim Sport sei eine absichtlich ausgeführte Bewegung, bei der der Spieler die Beine abwechselnd belaste — das überlaste die Achillessehne nicht. Die stärkste Sehne des Körpers reiße nur, wenn sie einer außergewöhnlichen Belastung ausgesetzt sei, die ihrer anatomischen Bestimmung nicht entspreche: wenn plötzlich das gesamte Körpergewicht auf einem Vorfuß und damit auf der angespannten Sehne laste.

Nur aufgrund von Vorschäden könne eine harmlose Seitwärtsbewegung beim Ballspiel einen Achillessehnenriss bewirken. Die zum Unfallzeitpunkt schon sehr ausgeprägten Vorschäden am Fuß des Patienten seien die eigentliche Ursache für den Riss, während die Seitwärtsbewegung allenfalls der Auslöser dafür gewesen sei.

Busfahrer prügelt sich mit Radfahrer

Kopfverletzung war Folge eines privat motivierten Streits und damit kein Arbeitsunfall

Kommunale Verkehrsbetriebe meldeten der Berufsgenossenschaft — Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung — einen Arbeitsunfall: Ihr Busfahrer T liege nach einem Konflikt bei einer Busfahrt mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus. Nachdem sich die Berufsgenossenschaft bei der Polizei über die Ermittlungsergebnisse informiert hatte, lehnte sie Leistungen für den Busfahrer ab.

Demnach hatte sich der Konflikt so abgespielt: Weil es regnete, stieg Herr R mit seinem Rad in einen Bus. T bat ihn, kurz auszusteigen, um einer Frau mit Kinderwagen Platz zu machen. R stieg aus — doch dann fuhr der Busfahrer ohne ihn los und ließ ihn im Regen stehen. R beschimpfte ihn lautstark und stieg aufs Rad. Einige Minuten später begegneten sich Bus und Radfahrer an einer Kreuzung wieder. T brüllte, der Radfahrer solle stehen bleiben, man habe noch was zu klären.

Als R weiterfuhr, schnitt T ihm mit dem Bus den Weg ab und brachte ihn zu Fall. Dann stieg T aus und trat nach dem Radfahrer. Der schlug ihm seinen Helm ins Gesicht. Das stachelte T nur weiter an: Er nahm einen Pflasterstein und warf ihn in Richtung R, verfehlte ihn und griff dann nach dem weggeschleuderten Rad. R glaubte, T wollte ihm das Rad wegnehmen und sprang ihm mit Anlauf in den Rücken. Als T bewusstlos zu Boden ging, alarmierte R Polizei und Notarzt. Die schockierten Fahrgäste gaben zu Protokoll, es habe eine "wilde Schlägerei" gegeben.

Als T nach acht Wochen aus der Klinik entlassen wurde, verklagte er die Berufsgenossenschaft auf Zahlung von Verletztengeld. Doch das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen entschied, für einen privat motivierten Streit bestehe in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Versicherungsschutz (L 17 U 626/16). Dieser Konflikt habe nichts mit der beruflichen Tätigkeit des Fahrers zu tun gehabt. T habe nicht im betrieblichen Interesse gehandelt, im Gegenteil.

Anstatt seine Fahrgäste sicher an ihr Ziel zu bringen, habe er sie durch einen rein persönlichen Streit in Gefahr gebracht, indem er seinen Bus gegen R als Waffe einsetzte. Die Zeugin mit dem Kinderwagen habe ausgesagt, sie habe um ihr Kind gebangt: Denn der Fahrer sei bei Rot über die Kreuzung gebraust, um den Radfahrer zu attackieren, der bei "grün" schon weitergefahren war. Durch den Verkehrsverstoß und das abrupte Bremsmanöver habe T die Fahrgäste gefährdet, so das LSG, um einen privaten Rachefeldzug gegen R zu führen.

Arbeitsloser ohne Genehmigung verreist

Der Mann wollte bei der Geburt seines Kindes dabei sein: Jobcenter kürzte deshalb Arbeitslosengeld II

Ein Empfänger von Arbeitslosengeld II kam Mitte Mai 2018 ins Jobcenter (Kreis Reutlingen) und teilte seinem Sachbearbeiter mit, er werde am 26.5. nach Schleswig-Holstein zu seiner Freundin fahren. Sie sei hochschwanger, der Geburtstermin per Kaiserschnitt für den 28.5. vorgesehen.

Der Sachbearbeiter antwortete, zehn Tage vorher könne er eine "Ortsabwesenheit" nicht genehmigen. Der Hilfeempfänger müsse vor der Reise noch einmal vorbeikommen. Und er solle daran denken, dass er nur 21 Tage "Urlaub" habe. Wenn er länger wegbleibe, bekomme er für die weiteren Tage kein Geld.

Doch der Mann fuhr zu seiner Freundin, ohne sich erneut im Jobcenter blicken zu lassen. Er blieb bis Ende Juni bei ihr, unterstützte sie im Haushalt, ging mit ihr zum Jugendamt und anerkannte die Vaterschaft. Weil sich der Arbeitslosengeld-II-Empfänger die Reise nicht im Voraus hatte genehmigen lassen, sollte er dem Jobcenter 958 Euro zurückzahlen.

Dagegen zog der frischgebackene Vater vor das Sozialgericht Reutlingen und bekam Recht. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigte die Entscheidung (L 12 AS 1677/19): Nur die Leistungen für die letzten zwei Juniwochen müsse der Mann zurückzahlen. Er habe sein verfassungsrechtlich garantiertes Elternrecht wahrgenommen. Der besondere Schutz der Familie im Grundgesetz umfasse auch das Recht des Vaters, die Geburt des Kindes zu begleiten und der Mutter beizustehen.

Deshalb hätte das Jobcenter seinen Antrag auf Ortsabwesenheit genehmigen müssen. Jedenfalls für die drei Wochen vom 26.5. bis zum 15.6. stehe dem Hilfeempfänger das Arbeitslosengeld II zu — obwohl er die Reiseerlaubnis nicht ein weiteres Mal beantragt habe.

Dass die Sozialbehörde hier auf einem zweiten Antrag bestand, sei nämlich nicht zu rechtfertigen. Der Mann habe schon bei seinem Besuch Mitte Mai alle erforderlichen Angaben gemacht: Er habe das Ziel und den Grund der Reise benannt sowie das feststehende und unaufschiebbare Datum der Geburt. Das Jobcenter hätte die Reise sofort genehmigen können bzw. müssen.

Wohngeld für Musikstudentin

Ist bei der Mutter kein Platz zum Üben, benötigt die Studentin dauerhaft eine eigene Wohnung

Eine Musikstudentin, die am Studienort in einem Einzimmer-Appartement wohnt, beantragte Wohngeld. Zunächst ohne Erfolg. Begründung des ablehnenden Bescheids: Als Studentin sei sie vom elterlichen Haushalt nur "vorübergehend abwesend" und habe deshalb keinen Anspruch auf den Zuschuss.

Für die Musikstudentin war es aber gar nicht möglich, in die Wohnung der Mutter zurückzukehren. Denn dort gab es keinen Raum, in dem sie hätte musizieren können. Auf ihrem Instrument täglich zu üben, war für die Musikstudentin aber unbedingt notwendig. Das Verwaltungsgericht Berlin stellte sich auf die Seite der Studentin (VG 21 A 11.92).

Während des Studiums müsse die junge Frau üben und das könne sie in der Wohnung der Mutter nicht. Auch nach Abschluss des Studiums sei nach Lage der Dinge "vernünftigerweise nicht mehr mit der Rückkehr in den Familienhaushalt" zu rechnen - schon deshalb, weil die Wohnung der Mutter sehr klein sei. Dass die Tochter von der elterlichen Wohnung nur "vorübergehend abwesend" sei, treffe also nicht zu. Deshalb habe sie Anspruch auf Wohngeld.

Bei der Freundin übernachtet

Auf dem Arbeitsweg sind Arbeitnehmer auch gesetzlich unfallversichert, wenn Startpunkt nicht die eigene Wohnung ist

Ein junger Auslieferungsfahrer wohnte noch bei seinen Eltern. Deren Wohnung liegt nur zwei Kilometer entfernt von der Firma, für die er arbeitete. Meistens übernachtete der Mann allerdings bei seiner Freundin, die im Nachbarort lebte (ca. 40 km entfernt). Eines Morgens verunglückte der Arbeitnehmer auf der Fahrt von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte und wurde bei dem Verkehrsunfall schwer verletzt.

Die zuständige Berufsgenossenschaft, Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, lehnte es ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und zahlte dem Mann kein Verletztengeld. Versichert sei nur der direkte Weg von der Wohnung des Arbeitnehmers zur Arbeitsstätte und zurück.

Nach langem Rechtsstreit setzte sich der Versicherte beim Bundessozialgericht (BSG) durch: Das BSG änderte mit diesem Grundsatzurteil die Rechtsprechung zu Wegeunfällen (B 2 U 2/18 R). Das Sozialgesetzbuch lasse den Startpunkt des Arbeitswegs offen, stellte das BSG fest. Statt der Wohnung des Versicherten könne daher im Prinzip auch ein anderer ("dritter") Ort Ausgangspunkt des Arbeitswegs sein.

Im konkreten Fall habe der Versicherte am Unfalltag die Wohnung seiner Freundin kurz nach 7 Uhr früh verlassen, um von da aus zur Arbeitsstätte zu fahren und dort seine versicherte Tätigkeit als Auslieferungsfahrer anzutreten. Der Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit stehe damit fest.

Für den Versicherungsschutz komme es nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer einen weiteren Arbeitsweg in Kauf genommen habe. Der Versicherungsschutz hänge auch nicht vom Zweck des Aufenthalts am "dritten" Ort ab oder davon, welches Verkehrsmittel der Versicherte benutzt habe. Keines dieser Kriterien werde im Sozialgesetzbuch als Voraussetzung für Versicherungsschutz genannt. Wende man sie weiterhin an, führe das letztlich zu ungerechten Resultaten.

PS: Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gewinnt dieses Urteil weiter an Bedeutung. Auf seiner Basis haben Berufsgenossenschaften schon einige Male Vergleiche mit Versicherten geschlossen, meldet das Landessozialgericht Bayern: Immer ging es dabei um Wegeunfälle im Jahr 2020, bei denen die Arbeitnehmer — coronabedingt, z.B. wegen der Erkrankung eines Familienmitglieds — bei Freunden oder Verwandten übernachtet hatten.

Ortsbürgermeister abgestürzt

Amtsträger sind beim Dekorieren eines Wohnzimmers für die Weiberfastnacht nicht gesetzlich unfallversichert

In anderen Teilen Deutschlands wäre vielleicht die Frage, ob es sich hier um einen Arbeitsunfall handeln könnte, gar nicht erst aufgekommen. Aber im Rheinland wird der Karneval bzw. die Fastnacht eben ernster genommen als anderswo.

Der ehrenamtliche Bürgermeister einer kleinen Gemeinde hatte sein Wohnzimmer für den "Weibersturm" am "Weiberdonnerstag" geschmückt, dem Auftakt der letzten Karnevalstage. In der Gemeinde ist es Brauch, dass Frauen — Möhnen genannt — an diesem Tag durch die Straßen ziehen und ins Haus des Bürgermeisters kommen, um ihm die Krawatte abzuschneiden. Über ein Dienstzimmer für ihren Bürgermeister verfügt die Kommune nicht.

Beim Dekorieren des Wohnzimmers war der Mann 80 Zentimeter tief von der Leiter gestürzt und hatte sich verletzt. Der Unfall sei in Ausübung seines Dienstes passiert, erklärte der Ortsbürgermeister, also ständen ihm Leistungen von der Unfallkasse Rheinland-Pfalz zu. Die Unfallkasse lehnte es jedoch ab, den Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zu Recht, entschied das Sozialgericht Trier (S 1 U 95/19).

Grundsätzlich seien ehrenamtliche Bürgermeister zwar bei ihrer Tätigkeit gesetzlich unfallversichert. Der "Weibersturm" der Möhnen und das Krawatten-Abschneiden bei Amtspersonen gehörten zum Brauchtum der Eifelgemeinde. Daher könne man die Teilnahme des Ortsbürgermeisters an der Brauchtumspflege durchaus seinen Repräsentationspflichten zuordnen.

Der Unfall habe sich aber nicht beim "Weibersturm", sondern zuvor ereignet, beim Aufhängen von Fastnachts-Dekoration. Das sei als Vorbereitungshandlung einzustufen, d.h. als Handeln, das einer versicherten Tätigkeit vorhergehe. Versicherungsschutz bestehe für Vorbereitungshandlungen nur dann, wenn sie mit der versicherten Tätigkeit sachlich, zeitlich und örtlich eng zusammenhängen und für sie zwingend erforderlich seien. Das treffe hier jedoch nicht zu.

Für die "Amtshandlung" habe der Ortsbürgermeister sein Wohnzimmer keineswegs unbedingt schmücken müssen. "Weibersturm" und Krawatten-Abschneiden seien durchaus auch ohne Dekoration möglich, wie in schmucklosen Amtszimmern Jahr für Jahr bewiesen werde.

Auto auf dem Firmenparkplatz abgestellt

Kehrt eine Arbeitnehmerin kurz zu ihrem Auto zurück, ist sie bei einem Sturz gesetzlich unfallversichert

Arbeitnehmer sind nicht nur während ihrer beruflichen Tätigkeit, sondern auch auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz gesetzlich unfallversichert — es sei denn, sie unterbrechen den Arbeitsweg aus privaten Gründen. An diesem Rechtsgrundsatz wäre beinahe der Versicherungsschutz für eine Arbeitnehmerin gescheitert, die auf dem Firmenparkplatz der Arbeitgeberin gestürzt war.

Sie hatte dort frühmorgens ihr Auto abgestellt und sich auf den Weg in den Betrieb gemacht. Nach wenigen Metern war die Frau stehengeblieben, weil sie nicht sicher war, ob sie den Wagen abgesperrt hatte. Sie wollte kurz umkehren und am Türgriff ziehen, um das zu überprüfen. Auf dem Rückweg stolperte die Arbeitnehmerin aus ungeklärten Gründen, stürzte und verletzte sich am Knie.

Die Verletzte hielt ihr Malheur für einen Arbeitsunfall und verlangte Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung. Doch die zuständige Berufsgenossenschaft — Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung — winkte ab: So wie die Arbeitnehmerin den Unfall dargestellt habe, sei sie auf dem Parkplatz aus privaten Motiven zu ihrem Auto zurückgekehrt. Damit habe sie den direkten Weg zur Arbeitsstelle unterbrochen.

So sah es auch das Sozialgericht Landshut. Doch die Frau legte gegen das Urteil Berufung ein und hatte beim Bayerischen Landessozialgericht Erfolg (L 3 U 54/20). Direkt, nachdem sie aus dem Wagen ausgestiegen war, sei die Versicherte ca. zwei Meter zurückgegangen, um zu prüfen, ob er verschlossen war, erklärte das Gericht. Durch eine so geringfügige Unterbrechung des Arbeitswegs entfalle der Unfallversicherungsschutz nicht.

Anders sei die Sachlage zu beurteilen, wenn ein Arbeitnehmer während des Arbeitswegs kurz anhalte, z.B. um beim Bäcker Brot zu besorgen oder an einem Geldautomaten Bargeld zu holen. Wer sich bei privaten Besorgungen verletze, die nicht "ganz nebenher erledigt werden können", sei nicht gesetzlich unfallversichert.

Krankengeld wird auf Elterngeld angerechnet

Bezieht eine erkrankte teilzeitbeschäftigte Mutter Krankengeld, reduziert das ihr "ElterngeldPlus"

Im Juli 2015 hatte eine Arbeitnehmerin einen Sohn zur Welt gebracht. Nach dem Mutterschutz setzte sie ihre Berufstätigkeit in Teilzeit fort und beantragte ElterngeldPlus.

Hintergrund: ElterngeldPlus fördert Eltern, die ihr Kind gemeinsam erziehen, aber in der Elternzeit beruflich nicht komplett pausieren wollen. Das Basiselterngeld wird bis zu 14 Monate gezahlt (65% des Nettoeinkommens vor der Geburt, maximal 1.800 Euro). Teilzeitbeschäftigte Eltern erhalten mit ElterngeldPlus nur die Hälfte des ihnen zustehenden Basiselterngelds, das aber doppelt so lange, also maximal 28 Monate.

Neun Monate nach der Geburt des Kindes erkrankte die Arbeitnehmerin und bezog statt Gehalt drei Monate lang Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung. Die für das Elterngeld zuständige Behörde des Bundeslandes rechnete das Krankengeld in vollem Umfang auf das ElterngeldPlus an: Die junge Mutter erhielt in dieser Zeit nur den gesetzlichen Mindestbetrag von 150 Euro im Monat.

Gegen die Kürzung wehrte sich die Arbeitnehmerin, ihre Klage blieb jedoch in allen Instanzen bis hin zum Bundessozialgericht erfolglos (B 10 EG 3/20 R). Wenn Eltern andere Leistungen des Staates oder der Sozialversicherung beziehen, würden diese vollständig auf das Elterngeld angerechnet.

Das gelte auch für Krankengeld, gleichgültig, ob die Eltern während der Elternzeit Basiselterngeld oder ElterngeldPlus bekämen. Der Verzicht auf eine Anrechnung von Krankengeld wäre eine zusätzliche Förderung, die das Bundeselterngeldgesetz nicht vorsehe.

Silvester 2016: Reisewarnung wegen Terrorgefahr ignoriert

Kurzartikel

Bei einem Anschlag der Terrorgruppe Islamischer Staat auf einen Istanbuler Nachtclub war eine deutsche Urlauberin an Silvester 2016 verletzt worden. Aus Bundesmitteln für Terroropfer erhielt sie pauschal 5.000 Euro. Auf zusätzliche Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz hat die Frau keinen Anspruch, entschied das Landessozialgericht Stuttgart, weil sie entgegen einer Reisewarnung des Auswärtigen Amtes (AA) nach Istanbul gereist sei. Vor allem in großen Städten der Türkei müssten Touristen Menschenansammlungen und bei Ausländern beliebte Orte meiden, hatte das AA gewarnt, es bestehe derzeit akute Terrorgefahr. Da die Frau diese Hinweise ignorierte und sich selbst in Gefahr brachte, müsse sie die Konsequenzen tragen.

Arbeitslose müssen unbezahlte Probearbeit melden

Kurzartikel

Arbeitslose müssen es dem Jobcenter mitteilen, wenn sie probeweise einen Job annehmen, denn damit entfällt ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das gilt auch für eine unbezahlte Probearbeit von nur 15 Wochenstunden, weil der/die Betroffene in dieser Zeit für die Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht. Alle Arbeitslosen werden über die Meldepflicht informiert, wenn sie Arbeitslosengeld beantragen. Niemand kann sich daher auf Unkenntnis berufen, wenn die Meldung versäumt wird: Das Jobcenter kann unter diesen Umständen Geld zurückfordern.

Auf Heiratsschwindler reingefallen

Jobcenter verlangt von einer Frau Geld zurück, weil sie durch Zahlungen an einen Betrüger mittellos wurde

Eine arbeitslose Bürokauffrau hatte in der Hoffnung auf versprochenes Eheglück einem Heiratsschwindler innerhalb weniger Monate insgesamt 24.000 Euro auf Auslandskonten überwiesen. Danach waren ihre Ersparnisse weg, mit denen sie bis dahin schon einige Monate ohne Einkommen überbrückt hatte. Nun beantragte die 62-Jährige Arbeitslosenhilfe.

Das Jobcenter bewilligte ihr vorläufig 770 Euro im Monat. Zugleich stellte die Behörde aber klar, dass die Frau die Leistungen zurückzahlen müsse: Sie habe gewusst, dass sie Hartz-IV-Leistungen würde beantragen müssen, wenn sie ihr Erspartes auf diese Weise verschleuderte. Sie habe ihre Hilfsbedürftigkeit bewusst herbeigeführt, das sei sozialwidriges Verhalten.

Das Sozialgericht Heilbronn hatte für die Liebesnöte der Frau genauso wenig Verständnis wie das Jobcenter. Doch beim Landessozialgericht (LSG) Stuttgart hatte ihre Klage gegen den Bescheid der Behörde Erfolg (L 9 AS 98/18). Der Ausschluss von Soziallleistungen sei hier nicht gerechtfertigt, so das LSG: Zahlungen an einen Heiratsschwindler seien vielleicht dumm, aber nicht sozialwidrig.

Es sei nicht Aufgabe der staatlichen Stellen, das Verhalten der Antragsteller moralisch zu beurteilen — also zu prüfen, ob ihre Mittellosigkeit das Ergebnis von vernünftigem, verständlichem, naivem, törichtem oder verwerflichem Handeln sei. Nicht jede Handlung müsse nachvollziehbar sein. Einem mittellosen Menschen die Hilfeleistung zu verweigern, komme nur in Frage, wenn jemand gezielt Vermögen verschwende, um die Hilfsbedürftigkeit herbeizuführen.

Dafür gebe es hier keine Anhaltspunkte. Vielmehr müsse man davon ausgehen, dass die Bürokauffrau Opfer einer Straftat geworden sei. Bei Opfern von Liebes-Betrügern komme es häufig vor, dass Außenstehende ihr Verhalten absolut nicht nachvollziehen könnten — das sei geradezu charakteristisch für sie.

Ohne PC und Drucker kann Onlineunterricht nicht klappen!

Manche Jobcenter und Sozialgerichte wollten es einfach nicht glauben

Wegen der Corona-Pandemie fand schon im Sommer 2020 Schulunterricht zum Teil nur "online" statt, so auch in Thüringen. Deshalb beantragte eine Thüringerin, Empfängerin von Arbeitslosengeld II, beim Jobcenter die Kostenübernahme für einen Computer mit Bildschirm, Maus, Tastatur und Drucker. Die Schulklasse ihrer 13-jährigen Tochter sollte zu Hause unterrichtet werden, im Haushalt gab es jedoch nur ein internetfähiges Smartphone.

Doch das Jobcenter lehnte die Kostenübernahme ebenso ab wie das Sozialgericht Nordhausen. Dagegen erhob die Mutter Beschwerde und setzte sich beim Thüringer Landessozialgericht durch (L 9 AS 862/20 B ER). Wenn pandemiebedingt kein Präsenzunterricht stattfinden könne, müsse das Jobcenter die Kosten für Mehrbedarf wie Computer und Drucker übernehmen, entschied das Gericht.

Da der Präsenzunterricht gestoppt worden sei, sei es für die Familie notwendig geworden, Geräte für den Onlineunterricht anzuschaffen. Nur so bleibe Chancengleichheit im Bildungssystem gewahrt: Werde Online unterrichtet, könne die Tochter der Leistungsempfängerin ihr Recht auf Bildung eben nur mit geeigneten Geräten verwirklichen.

Viele Unterrichtseinheiten funktionierten dabei komplett ohne ausgedruckte Unterlagen. Abgesehen davon, könne man Kindern auch nicht zumuten, ständig ihre Schulaufgaben in ausgedruckter Form in der Schule abzuholen. Zumutbar sei es dagegen, die Kosten für die Online-Ausrüstung so gering wie möglich zu halten und gebrauchte Geräte zu verwenden.

Auf dem Weg zur Arbeit Brötchen gekauft

Während einer Unterbrechung der Fahrt besteht nicht immer Unfallversicherungsschutz

Der Arbeitnehmer steht nicht nur im Betrieb, sondern auch auf dem Weg von und zur Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Wie steht es aber bei einer Unterbrechung des Weges?

Auf der Fahrt mit seinem Auto in die Firma hielt ein Mitarbeiter an einer stark befahrenen Landstraße an, um sie zu überqueren und an einem Kiosk Brötchen und eine Zeitung zu kaufen. Auf dem Weg zurück zum Wagen wurde er von einem Fahrzeug erfasst und erlitt schwere Verletzungen.

Nach einem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen lehnte die Unfallversicherung Entschädigungen zu Recht ab (L 17 U 219/94). Der Arbeitnehmer habe die Fahrt aus rein privaten Gründen unterbrochen. Während dieser Zeit habe daher kein Versicherungsschutz bestanden.

Langzeitarbeitsloser trat Stelle nicht an

Sozialgericht mildert Sanktion ab: Er muss nur das Arbeitslosengeld II für drei Monate zurückzahlen

Herr M, schon seit Jahren arbeitslos, bezog Grundsicherung für Arbeitsuchende (= Arbeitslosengeld II). Sein Fallmanager im Jobcenter vermittelte ihn im Rahmen eines "Projekts zur Integration von Langzeitarbeitslosen ins Erwerbsleben" an die Gemeinde X: Hier sollte M auf dem Bauhof eine Vollzeitstelle als Helfer antreten. Doch zum Arbeitsantritt am 1.3.2017 ließ sich der Mann im Bauhof nicht blicken.

Vergeblich telefonierten der Fallmanager und der Leiter des Bauhofs hinter Herrn M her: Er war nicht erreichbar und meldete sich erst eine Woche später wieder im Jobcenter. Aus dem Job im kommunalen Bauhof wurde nichts. Im Februar 2018 forderte die Sozialbehörde von Herrn M das zwischen März 2017 und Februar 2018 gezahlte Arbeitslosengeld II zurück: Durch das Nichterscheinen im Bauhof habe er mutwillig und grob fahrlässig dafür gesorgt, dass seine Hilfebedürftigkeit andauerte.

So sah es im Prinzip auch das Sozialgericht Aurich, das über die Klage des Arbeitslosen gegen den Bescheid der Sozialbehörde zu entscheiden hatte (S 55 AS 386/18). Kommentarlos sei M ferngeblieben, als er die Stelle hätte antreten sollen — ohne dafür einen wichtigen Grund anzugeben. Tagelang hätten ihn Arbeitgeber und Arbeitsvermittler nicht kontaktieren können.

Dass sich Herr M, wie behauptet, im Datum des Arbeitsbeginns geirrt habe, sei angesichts der vorher ausgetauschten E-Mails und Telefonate mit dem Fallmanager widerlegt. Mit seinem Verhalten habe der Hilfeempfänger leichtsinnig oder gar absichtlich einen Vollzeitjob aufs Spiel gesetzt. Das sei sozialwidrig: Aus Sicht der Solidargemeinschaft, die für die Grundsicherung aufkommen müsse, sei daher eine Sanktion angebracht.

Auch Personen, die ohne Not ihr Arbeitsverhältnis kündigten und ihre Arbeitslosigkeit freiwillig herbeiführten, werde das Arbeitslosengeld I gestrichen. Allerdings dauere diese so genannte "Sperrzeit" nur drei Monate. Es gebe keinen sachlichen Grund, bei Beziehern von Arbeitslosengeld II eine Sanktion für einen weit längeren Zeitraum auszusprechen, wenn ihnen Fehlverhalten vorzuwerfen sei. Man sollte bei den sozialen Sicherungssystemen nach gleichen Maßstäben vorgehen. M müsse daher nur die Grundsicherung zurückzahlen, die er von März bis Mai 2017 erhalten habe.