Soziale Sicherung

Vor der Schicht zum Hörgeräteakustiker

Wenn eine DB-Fahrdienstleiterin beim Besorgen von Ersatzbatterien stürzt, ist das kein Arbeitsunfall

Eine Fahrdienstleiterin der Deutschen Bahn hört nicht mehr gut. Die Arbeitgeberin hatte mit ihr sogar schriftlich vereinbart, dass sie bei der Arbeit Hörgeräte tragen und vorsichtshalber stets Ersatzbatterien dabeihaben musste. Eines Tages fielen die Hörgeräte während der Spätschicht im Stellwerk unerwartet aus: Die Bahnmitarbeiterin musste die Batterien auswechseln. Am nächsten Tag wollte sie auf dem Weg zur Arbeit bei ihrem Hörgeräteakustiker neue Ersatzbatterien besorgen.

Vor dem Geschäft stolperte die Frau über einen Bordstein, stürzte und brach sich den Arm. Sie meldete den Sturz der "Unfallversicherung Bund und Bahn". Da ihn die Unfallversicherung nicht als Arbeitsunfall anerkannte, zog die Arbeitnehmerin vor das Sozialgericht und bekam zunächst Recht. Doch die Unfallversicherung hatte mit ihrer Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Erfolg (L 3 U 148/20).

Wer ein Arbeitsgerät oder Ersatz dafür besorge, sei beim Kauf gesetzlich unfallversichert. Denn in diesem Fall hänge der Einkauf direkt mit der beruflichen Tätigkeit zusammen, betonte das Gericht. Hörgeräte oder Brillen seien jedoch persönliche Gegenstände und zählten nicht zu den Arbeitsgeräten. Die Absprache mit der Arbeitgeberin ändere nichts daran, dass Hörgeräte in erster Linie der privaten Lebensführung dienten.

Die Arbeitgeberin habe es der Fahrdienstleiterin als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag auferlegt, im Stellwerk Hörgeräte zu tragen. Das erweitere aber nicht den Unfallversicherungsschutz in den eigentlich privaten Bereich hinein. Im Prinzip seien Arbeitnehmer ohnehin verpflichtet, "funktionsfähig" zum Dienst zu erscheinen. Werde dies zusätzlich vertraglich fixiert, begründe dies keinen zusätzlichen Unfallversicherungsschutz für Unfälle, die sich in diesem Zusammenhang ereigneten.

Da der Einkauf von Batterien für Hörgeräte regelmäßig anfalle, hätte die Versicherte in ihrer Freizeit rechtzeitig einen Vorrat anlegen sollen.

Auszubildender fällt vom Dach einer Jugendherberge

Sturz während einer Ausbildungsfahrt ist als Arbeitsunfall anzusehen

Ein lernbehinderter 17-Jähriger begann im Herbst 2014 mit einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Ausbildung zum Fachpraktiker Hauswirtschaft. Kurz nach Beginn des Ausbildungsjahres organisierte die Bundesagentur eine dreitägige Einführungsveranstaltung für "Azubis". Elf Jugendliche aus verschiedenen Bereichen nahmen daran teil.

Am Abend wollte der Junge wohl mit weiblichen Auszubildenden anbandeln. Jedenfalls schickten ihn die Betreuer gegen 23 Uhr in leicht beschwipstem Zustand aus dem Mädchenzimmer. Kaum waren die Betreuer weg, versuchte der 17-Jährige, über das Dach zurückzukommen. Dabei verlor er das Gleichgewicht, stürzte aus ca. acht Metern Höhe zu Boden und verletzte sich schwer. Sein linker Arm ist seither nur noch eingeschränkt beweglich.

Von der Berufsgenossenschaft — Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung — verlangte der Unglücksrabe die Übernahme der Heilbehandlungskosten und Verletztengeld während des Verdienstausfalls. Zuerst anerkannte sie den Sturz als Arbeitsunfall, machte dann aber eine Kehrtwende und verlangte das Geld zurück.

Begründung: Zwar habe es sich hier um eine Ausbildungsfahrt zu einem Einführungsseminar der Bundesagentur für Arbeit gehandelt, die im Prinzip unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Aber: Dass der Auszubildende versucht habe, betrunken über das Dach ins Mädchenzimmer zu klettern, hänge nicht mit der Ausbildung zusammen. Diese Aktion sei rein privat motiviert gewesen und nicht unfallversichert.

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg sah das anders und bejahte einen Arbeitsunfall (L 9 U 180/20). Alles, was während einer von der Bundesagentur geförderten Ausbildungsmaßnahme stattfinde und mit der Ausbildung zusammenhänge, sei unfallversichert. Dazu gehöre auch die Kletteraktion, auch wenn sich der Auszubildende äußerst unvernünftig und riskant verhalten habe.

Diese Aktion und damit auch der Sturz sei auf jugendliche Unreife zurückzuführen und auf einen gruppendynamischen Prozess, der für Auszubildende in diesem Alter typisch sei. Auch der geringfügige Alkoholkonsum ändere nichts an dieser Einschätzung. Alkoholkonsum sei zwar in Jugendherbergen verboten. So ein Bagatellverstoß lasse aber nicht den Versicherungsschutz entfallen, zumal der Junge nur leicht angetrunken gewesen sei und keine Ausfallerscheinungen zeigte.

Sozialwahlen der SVLFG für ungültig erklärt

Die landwirtschaftliche Sozialversicherung durfte 2017 Altersrentner nicht von der Wahl ausschließen

Eine Gesetzesreform schuf 2013 für die Landwirtschaft einen einheitlichen Träger der Sozialversicherung. Seither sind die landwirtschaftliche Unfallversicherung, die Kranken- und Pflegeversicherung sowie die Alterssicherung der Landwirte vereint in der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, abgekürzt SVLFG. 2017 wurden die Wahlen zur Vertreterversammlung der SVLFG durchgeführt.

Mehrere Parteien fochten das Ergebnis der Sozialwahlen an: Selbständige, die kandidiert hatten und Jagdverbände, die Vorschlagslisten eingereicht hatten. Sie beanstandeten, dass nur die Bezieher einer gesetzlichen Unfallrente der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft wählen durften. Wenn schon eine einheitliche Sozialversicherung für die Landwirtschaft existiere, so die Kläger, dann müssten auch alle in der SVLFG Versicherten wahlberechtigt sein, auch die Bezieher von Altersrente.

Vergeblich pochte die SVLFG darauf, die Gesetzesreform habe am Verfahren bei den Sozialwahlen nichts geändert. Das Landessozialgericht Hessen erklärte die Sozialwahlen 2017 für ungültig (L 9 U 173/18 u.a.).

Da die SVLFG seit 2013 für alle Zweige der Sozialversicherung zuständig sei (Unfallversicherung, Alterssicherung der Landwirte, landwirtschaftliche Kranken- und Pflegeversicherung), erweitere sich auch bei den Sozialwahlen der Kreis der aktiv und passiv Wahlberechtigten.

Rentenbezieher seien daher nicht nur die Bezieher einer Unfallrente. Die SVLFG hätte die Bezieher von Altersrenten (aus der Altersversicherung der Landwirte) nicht vom Wahlrecht ausschließen dürfen. Diese Gruppe sei keineswegs klein, also könnte sich der Fehler der SVLFG auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben: Es sei möglich, dass die Sitzverteilung der Vertreter ohne diesen Fehler anders ausgefallen wäre bzw. die SVLFG eine abgelehnte Vorschlagsliste hätte zulassen müssen. (Die SVLFG hat gegen das Urteil Revision zum Bundessozialgericht angekündigt.)

Rückwirkende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Krankenkasse verweigert Krankengeld: Missverständliche AU-Richtlinie darf nicht auf Kosten der Versicherten gehen

Eine Arbeitnehmerin war schon eine Weile krankgeschrieben und bezog Krankengeld von ihrer Krankenkasse. Ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) galt bis zum 19.6.2017. Um sich eine Folgebescheinigung ausstellen zu lassen, erschien die Frau an diesem Tag bei ihrer Hausärztin. Sie wurde jedoch — aus praxisinternen Gründen — nicht sofort untersucht.

Stattdessen gab man ihr einen neuen Termin am 22.6.2017, also drei Tage später. An diesem Tag stellte die Hausärztin der Patientin eine AUB aus, die ab dem 19.6.2017 gelten sollte. Die Medizinerin hielt eine rückwirkende Bescheinigung für zulässig. Prompt bekam die Versicherte Ärger mit der Krankenkasse.

Sie teilte der Arbeitnehmerin mit, dass ihr ab dem 20.6.2017 kein Krankengeld mehr zustehe, weil sie am 19.6. nicht untersucht worden sei. Sollte die Ärztin behauptet haben, dass auch ein späterer Untersuchungstermin ausreiche, um den Anspruch auf Krankengeld zu wahren, sei dies eine falsche Rechtsauskunft gewesen. Dieser Fehler sei aber nicht der Krankenkasse zuzurechnen.

Daraufhin zog die Arbeitnehmerin vor Gericht, um die Zahlung von Krankengeld über den 19.6.2017 hinaus durchzusetzen. Das Sozialgericht Stuttgart entschied den Streit zu ihren Gunsten (S 18 KR 1246/18). Die Versicherte sei nicht dafür verantwortlich, dass die Untersuchung zu spät stattgefunden habe, so das Gericht. Sie habe die Arztpraxis rechtzeitig aufgesucht und habe so alles Zumutbare getan, um ihren Anspruch auf Krankengeld zu sichern.

Das sei nur wegen eines Irrtums der Vertragsärztin gescheitert. Missverständliche Formulierungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie zu diesem Punkt hätten schon bei mehreren Medizinern zu der Fehlvorstellung geführt, dass eine rückwirkende Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zulässig sei.

Diese Missverständnisse seien allein den Krankenkassen zuzurechnen, die schließlich an der Richtlinie mitgearbeitet hätten. So ein Fehler dürfe nicht zu Lasten der Versicherten gehen. Für die Arbeitnehmerin wäre es auch nicht zumutbar gewesen, in der Praxis auf einer sofortigen Bescheinigung zu bestehen oder deswegen am 19.6.2017 den Arzt zu wechseln.

Kein Toilettengeld für Rentner

Sozialbehörde muss nicht wegen fehlender öffentlicher Toiletten in Essen mehr Sozialleistungen zahlen

Der Rentner bezieht "aufstockende Leistungen der Grundsicherung" und lebt in Essen. Von der Sozialbehörde der Stadt forderte er Toilettengeld: Das sei nötig, weil die Kommune schon vor langer Zeit kostenlose öffentliche Toiletten abgeschafft habe, er aber dreimal täglich außer Haus eine Toilette aufsuchen müsse. Das koste durchschnittlich zwei Euro. Berechnet auf einen Monat, ergebe sich also ein zusätzlicher Finanzbedarf von 180 Euro.

Weder das Sozialgericht Duisburg, noch das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen fanden für diese Forderung eine Rechtsgrundlage (L 20 SO 174/21). Der Mangel an öffentlichen Toiletten in Essen und die Tatsache, dass sich der Rentner täglich außerhalb der eigenen Wohnung aufhalte, begründeten keinen Anspruch auf höhere Sozialleistungen, erklärte das LSG.

Ein Mehrbedarf aus medizinischen Gründen liege nicht vor. Nach seinen eigenen Angaben sei der Rentner altersentsprechend gesund und müsse nicht öfter als andere Personen seines Alters auf die Toilette. Daher gehe es um eine selbst gewählte Freizeitgestaltung: Er verlasse eben seine Wohnung öfter als die Durchschnittsbevölkerung. Der Regelbetrag der Grundsicherung enthalte bereits Anteile für die Freizeitgestaltung: für Freizeit/Kultur, für Gastronomie und andere Waren bzw. Dienstleistungen.

Wie der Hilfeempfänger dieses Geld einsetze, sei seine Sache. Wer im Alter Grundsicherungsleistungen benötige, bekomme aber nicht jeden Wunsch erfüllt. Auf die (Toiletten-)Situation vor Ort komme es nicht an. Dass die beklagte Kommune keine öffentlichen Toiletten mehr unterhalte, spiele keine Rolle. Schließlich sei eine Klage vor den Sozialgerichten kein Mittel, um lokalpolitische Forderungen gegen die Stadt durchzusetzen.

Hilfeempfänger für überlangen Prozess entschädigt

Das Jobcenter darf den Betrag nicht auf das Arbeitslosengeld II anrechnen

Die Frau kümmert sich um ihren pflegebedürftigen Mann, beide Partner sind arbeitslos und beziehen Arbeitslosengeld II. Beim Sozialgericht Hildesheim kämpfte das Ehepaar sehr lange um einen höheren Zuschuss für Unterkunft und Heizung — der Prozess zog sich 21 Monate hin.

Für die überlange Verfahrensdauer erhielten die Hilfeempfänger am Ende eine Entschädigung. Doch die Freude über die niedrige vierstellige Summe währte nicht lange. Denn das Jobcenter kürzte das Arbeitslosengeld II um diesen Betrag.

Wieder zog das Ehepaar vor Gericht und hatte nach erneut langem Tauziehen schließlich beim Bundessozialgericht Erfolg mit seiner Klage (B 14 AS 15/20 R). Die Entschädigung dürfe bei der Berechnung des Arbeitslosengelds II nicht als Einkommen berücksichtigt werden, erklärten die Bundesrichter.

Besondere Leistungen des Staates aufgrund "öffentlich-rechtlicher Vorschriften" würden auf Sozialleistungen nur dann angerechnet, wenn beide Leistungen demselben Zweck dienten. Das treffe hier aber nicht zu. Arbeitslosengeld II sichere den Lebensunterhalt der arbeitslosen Personen. Dagegen sei die Entschädigung ein Ausgleich für die Unannehmlichkeiten eines allzu langen Gerichtsverfahrens.

Hilfeempfängerin als "Sozialschmarotzerin" beschimpft

Das Jobcenter muss der Frau die beleidigende Falschanzeige mit der Unterschrift zeigen

Bei einem Berliner Jobcenter ging ein mit PC geschriebener Brief ein, in dem ein Unbekannter unter der Überschrift "Sozialbetrug!" seinem Hass auf eine Hartz-IV-Empfängerin freien Lauf ließ.

Obwohl die Frau angeblich hilfsbedürftig sei, fahre sie seit dem Tod ihres Vaters ein fast neues Auto aus der Erbmasse. Damit gehe sie wohl ihrer Schwarzarbeit bei diversen Putzstellen nach. Ein Häuschen habe der Vater sicher auch hinterlassen. Die Sozialschmarotzerin bekomme alles vom Staat bezahlt und umgehe jede Arbeitsstelle. Das Jobcenter müsse da unbedingt genau prüfen …

Der Absender blieb anonym, das Schreiben war unleserlich unterschrieben. Das Jobcenter nahm die Beschuldigungen ernst. Die Ermittlungen ergaben jedoch, dass sie falsch waren. Die 1963 geborene Berlinerin hatte von ihrem Vater nichts geerbt und war tatsächlich hilfsbedürftig. Schon vor seinem Tod durfte die Frau mit dem keineswegs neuen Wagen fahren, den sie auch jetzt nutzte. Das Jobcenter bewilligte ihr weiterhin die Grundsicherung.

Auf Antrag der Hartz-IV-Empfängerin kopierte man ihr das Anzeigeschreiben, allerdings mit geschwärzter Unterschrift. Dagegen protestierte die Frau: So könne sie gegen den verleumderischen Informanten rechtlich nicht vorgehen. Nur mithilfe der Unterschrift könne sie eventuell erkennen, wer den Brief geschickt habe. Doch das Jobcenter beharrte auf dem Standpunkt, die öffentliche Verwaltung erhalte nur dann vertrauliche Informationen, wenn Informanten nicht fürchten müssten, identifiziert zu werden.

Mit Erfolg klagte die Frau auf vollständige Einsicht: Die Sozialbehörde müsse den Brief ungeschwärzt herausrücken, entschied das Sozialgericht Berlin (S 103 AS 4461/20). Grundsätzlich müsse das Jobcenter zwar die Identität von Informanten schützen, betonte das Gericht. Das Interesse an Geheimhaltung müsse jedoch dann hintanstehen, wenn anzunehmen sei, dass ein Informant falsche Anschuldigungen erhebe, um wider besseres Wissen den Ruf eines Leistungsempfängers zu schädigen.

Und das treffe hier zu, denn um sachliche Informationen für die Behörde gehe es bei dieser Anzeige nicht. Die Frau werde fälschlich der Schwarzarbeit bezichtigt, darüber hinaus werde in dem Schreiben bedenkenlos gepöbelt. Der Begriff "Sozialschmarotzerin" drücke Verachtung aus und beleidige die Hilfeempfängerin. Daher überwiege im konkreten Fall das Interesse der Frau, die Identität des Absenders zu klären. Möglicherweise könne sie ja durch die krakelige Unterschrift einen Bezug zum Informanten herstellen.

Treppensturz im Homeoffice

Das Bundessozialgericht erklärt einen häuslichen Sturz zum Arbeitsunfall

Das Bundessozialgericht hat ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen aufgehoben: Das LSG hatte den Sturz eines Verkaufsleiters in seinem eigenen Haus im September 2018 nicht als Arbeitsunfall eingestuft (gri-Artikel Nr. 56926).

Der Angestellte arbeitete schon lange vor "Corona" abwechselnd im Außendienst und in seinem Wohnhaus — seit dem Ausbruch der Pandemie wird das ja gerne Homeoffice genannt. Auf dem Weg vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer war der Mann frühmorgens auf der Wendeltreppe gestürzt und hatte sich einen Brustwirbeltrümmerbruch zugezogen.

Die Berufsgenossenschaft, Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, hatte Entschädigungsleistungen abgelehnt, da sich der Versicherte in seinem eigenen Haus nicht auf dem "Arbeitsweg" befunden habe. Das LSG hatte der Berufsgenossenschaft Recht gegeben — nicht so das Bundessozialgericht (B 2 U 4/21 R).

Der Arbeitnehmer habe die Treppe genutzt, um in seinen Büroräumen im Erdgeschoss des Hauses die Arbeit aufzunehmen. Auch wenn der Weg kurz sei: Jedenfalls habe ihn der Angestellte im Interesse des Arbeitgebers zurückgelegt. Arbeite der Mann zu Hause, sei der Weg über die Treppe eben sein Arbeitsweg — und auf dem Arbeitsweg stehe er unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Offenbar sahen es die Bundesrichter so wie der Kläger selbst: Die vielen Menschen, die während der Corona-Pandemie ihre Arbeit zu Hause erledigen, dürfen nicht schlechter geschützt werden als die Arbeitnehmer im Betrieb.

Mit dem Job-Fahrrad verunglückt

Die Arbeitnehmerin hatte das Rad von der vorgeschriebenen Wartung abgeholt: Arbeitsunfall?

Ein Unternehmen in Schwäbisch Gmünd bot den Mitarbeitern "JobRäder" an, die sie für den Arbeitsweg und auch privat nutzen konnten. Motive auf Seiten des Arbeitgebers: Er wollte die Situation auf dem Firmenparkplatz entspannen, die Fitness der Belegschaft fördern und das kommunale Programm "Fahrrad-Stadt Schwäbisch Gmünd" unterstützen. Die Räder leaste das Unternehmen von der JobRad-GmbH.

Der Arbeitgeber verpflichtete die Teilnehmer am "JobRad-Modell" dazu, ihr Rad einmal im Jahr auf Kosten der JobRad-GmbH warten zu lassen. Daran erinnerte der Arbeitgeber die Mitarbeiter per Mail, er bestimmte auch die Fahrradwerkstatt und die Zahlmodalitäten. Als eine Mitarbeiterin ihr Rad nach der Wartung in der Werkstatt abholte und nach Hause fuhr, kollidierte sie mit der unachtsam geöffneten Fahrertür eines Wagens.

Beim Sturz verletzte sich die Frau erheblich am Knie. Ihr Antrag auf Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung wurde von der Berufsgenossenschaft abgelehnt: Ein Arbeitsunfall liege hier nicht vor, denn die Arbeitnehmerin sei nicht auf dem Arbeitsweg verunglückt. Mit dieser Entscheidung war das Landessozialgericht Baden-Württemberg nicht einverstanden (L 1 U 779/21).

Auch wenn der Radunfall nicht auf dem Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz passiert sei, handle es sich um einen Wegeunfall — d.h. um einen Arbeitsunfall. Denn die Fahrt sei nicht (nur) privat motiviert gewesen: Schließlich habe die Mitarbeiterin eine vertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers erfüllt, indem sie das Rad zur alljährlichen Inspektion in die Werkstatt brachte.

Deshalb stehe bei dieser Aktion der Betriebsbezug im Vordergrund und nicht das private Interesse der Arbeitnehmerin an einem funktionierenden Fahrrad. Der Betriebsbezug stehe aufgrund des Mail-Rundschreibens fest, mit dem der Arbeitgeber die "JobRad"-Fahrer ermahnt habe, die Wartung nicht zu versäumen. Zu deren Ablauf habe er zudem sehr konkrete Vorgaben formuliert. Die Fahrt von und zur Werkstatt stehe daher ebenso unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wie der direkte Arbeitsweg mit dem "JobRad".

Arbeitgeber "koppelt" Abfindung ans Arbeitslosengeld

Der Ex-Mitarbeiter erhält nach einer Kürzung des Arbeitslosengeldes jedoch keinen Ausgleich

Ein Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich beendet: Arbeitgeber und Arbeitnehmer schlossen einen so genannten Aufhebungsvertrag. Der Arbeitgeber erklärte sich bereit, dem Arbeitnehmer eine Abfindung zu zahlen. Deren Höhe richtete sich nach der Differenz zwischen dem letzten Nettoeinkommen des Beschäftigten und der Höhe des Arbeitslosengeldes.

Als der Gesetzgeber das Arbeitslosengeld senkte, fand der Ex-Mitarbeiter, der ehemalige Arbeitgeber müsste nun die Abfindungssumme erhöhen. Seine Klage auf Erhöhung scheiterte jedoch beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf (4 Sa 1805/94). Die Vertragsparteien hätten eine konkrete Summe vereinbart, die allein maßgebend sei. Der Arbeitnehmer könne sich nicht darauf berufen, durch die Gesetzesänderung in Bezug auf das Arbeitslosengeld sei die Geschäftsgrundlage für den Aufhebungsvertrag weggefallen.

Betriebliche Witwenrente

Die Bedingungen für den Rentenbezug müssen klar geregelt sein

Nachdem er aus seinem Arbeitsverhältnis vorzeitig ausgeschieden war, hatte der Ex-Angestellte P geheiratet. Betriebliche Altersrente bezog er ab einem späteren Zeitpunkt. Im Unternehmen gilt eine Betriebsvereinbarung: Steht einem Arbeitnehmer Betriebsrente zu, erhält nach dessen Tod der Ehepartner Witwenrente bzw. Witwerrente. Darauf besteht allerdings kein Anspruch, wenn die Ehe erst nach Beginn der Altersrentenzahlung an den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin geschlossen wurde.

Als Frau P nach dem Tod ihres Mannes Witwenrente beantragte, legte sich das Unternehmen quer: Witwenrente sei auch dann ausgeschlossen, wenn die Heirat — wie in ihrem Fall — nach dem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb stattfand. Mit dieser Begründung könne der Arbeitgeber der Frau die Witwenrente nicht verweigern, entschied das Bundesarbeitsgericht (3 AZR 212/21).

Betriebliche Regelungen, die eine Hinterbliebenenversorgung beschränken oder ausschließen, müssten klar formuliert sein. Tatbestände, die sie ausschließen, müssten ausdrücklich benannt werden. In den Versorgungsbestimmungen des Unternehmens sei für den Fall, dass eine Ehe nach dem vorzeitigen Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb, aber vor dem Beginn der Altersrentenzahlung geschlossen wurde, kein Ausschluss der Witwenrente vorgesehen. Daher stehe sie Frau P zu.

Beim Singen von Insekt gestochen

Mitglied eines Kirchenchors erhält keine Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung

Ein katholischer Kirchenchor machte seinen traditionellen Jahresausflug zu einer anderen Pfarrgemeinde. Die Busfahrt dorthin wurde unterbrochen, um eine ehemalige Pfarrhelferin der eigenen Kirchengemeinde zu Hause mit einem Ständchen zu überraschen. Am Schluss des letzten Liedes stach eine Wespe oder Biene den stellvertretenden Leiter des Chors beim Singen innen in den Hals.

Der Sänger erlitt einen schweren Schock. Das Gift löste eine heftige Allergie aus. Schließlich konnte er seinen Lehrerberuf nicht mehr ausüben. Der Mann beantragte eine Unfallrente, weil seine ehrenamtliche Tätigkeit im Kirchenchor unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehe. Doch das Bundessozialgericht verneinte einen Anspruch auf Leistungen (2 RU 15/94).

Es sei bereits zweifelhaft, ob Mitglieder des Kirchenchors tatsächlich eine Tätigkeit ausübten, die gesetzlich unfallversichert sei. Darauf komme es hier aber letztlich nicht an. Das Ständchen für die frühere Pfarrgemeindehelferin habe nämlich nichts mit der eigentlichen Aufgabe eines Kirchenchors zu tun. Der Insektenstich habe sich zu einem Zeitpunkt ereignet, als der Chor einer rein privat motivierten Tätigkeit nachgegangen sei. Dafür sei die gesetzliche Unfallversicherung nicht zuständig.

Corona-Infektion kann ein Dienstunfall sein

War ein Beamter dienstlich hohem Ansteckungsrisiko ausgesetzt, ist die Infektion als Berufskrankheit einzustufen

Im März 2020 nahm der Polizeibeamte M mit 20 Kolleginnen und Kollegen an einem Lehrgang der Bereitschaftspolizei für Sportübungsleiter teil. Am 11.3. meldete sich der erste Teilnehmer krank. Kurz darauf wurde er positiv auf Covid-19 getestet. M fuhr übers Wochenende nach Hause und bemerkte am 14.3. erste grippeähnliche Symptome. Zwei Tage später zeigte ein PCR-Test, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte.

Fast alle Lehrgangsteilnehmer hatten sich angesteckt, der Lehrgang musste abgebrochen werden. Bei seinem Dienstherrn — Freistaat Bayern — beantragte der Beamte, die Covid-19-Erkrankung als Dienstunfall anzuerkennen. Das wurde mit der Begründung abgelehnt, hier liege kein zeitlich genau bestimmbares "Unfallereignis" vor. Eine Berufskrankheit könne man ebenfalls ausschließen: Dafür genüge das allgemeine Infektionsrisiko während eines Lehrgangs nicht.

Der Beamte verklagte den Dienstherrn auf Leistungen der Unfallfürsorge und setzte sich beim Verwaltungsgericht (VG) Augsburg durch (Au 2 K 20.2494). Ein Dienstunfall im engeren Sinne liege zwar nicht vor, so das VG: Eine Virusinfektion sei kein Gesundheitsschaden, der durch eine plötzliche Einwirkung von außen auf den Körper entstehe (so die gesetzliche Unfalldefinition).

Doch das Beamtenversorgungsgesetz kenne auch den Sonderfall einer "Berufskrankheit als Dienstunfall": Wenn ein Beamter/eine Beamtin dienstlich "einer besonderen Gefahr der Erkrankung ausgesetzt" war und tatsächlich dadurch erkranke, sei die Berufskrankheit als eine Art Dienstunfall anzuerkennen. Diese Bedingungen seien im konkreten Fall erfüllt.

Der Beamte habe an einem Lehrgang des Dienstherrn teilgenommen. Dabei sei er tagsüber beim Sport und auch am Abend auf dem Gelände mit den Kollegen zusammen gewesen. Daher könne man hier nicht von allgemeinem Infektionsrisiko sprechen: Bei so engem Kontakt bestehe ein erhöhtes Risiko — wie man unschwer daran erkennen könne, dass sich bis auf zwei Ausnahmen alle Lehrgangsteilnehmer mit dem Coronavirus infizierten. Anhaltspunkte für eine Ansteckung im privaten Umfeld gebe es bei M nicht.

Der Freistaat hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Doch die Chance für Beamte, derartige Verfahren zu gewinnen, stehen nicht schlecht. Auch die Covid-19-Erkrankung eines Lehrers ist vom Verwaltungsgericht Würzburg wegen seines berufsbedingt unvermeidlichen Kontakts mit vielen Personen als Berufskrankheit = Dienstunfall bewertet worden.

Arbeitslosengeld gesperrt

Lustlose Arbeitssuche kommt einen Arbeitslosen teuer zu stehen

Ab Januar 2021 war der Mann arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosengeld I. Die Arbeitsagentur vermittelte ihm ein Jobangebot von einer Firma, die einen Bauleiter suchte. Der Arbeitslose bewarb sich und wurde telefonisch zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Bei diesem Telefonat teilte der Mann dem potenziellen Arbeitgeber mit, er wolle sich selbständig machen und suche nur für drei bis vier Monate Arbeit.

Der Arbeitgeber informierte den Sachbearbeiter der Arbeitsagentur und erklärte, das sei ja wohl eine "Verhinderungsbewerbung" gewesen. Daraufhin sperrte der Sachbearbeiter dem Bewerber für drei Wochen das Arbeitslosengeld. Gegen die Sperrzeit klagte der Mann ohne Erfolg. Er habe sich versicherungswidrig verhalten, urteilte das Sozialgericht Gießen (S 14 AL 81/21).

Der Arbeitslose habe sich zwar beworben, aber durch seine Äußerungen am Telefon dafür gesorgt, dass nicht einmal ein Vorstellungsgespräch stattfand. Er habe sich damit quasi selbst aus dem Bewerberkreis ausgeschlossen und ein zumutbares Jobangebot ausgeschlagen. Wer arbeitslos sei, dürfe nicht so halbherzig vorgehen — er müsse alle Maßnahmen ergreifen, die geeignet seien, diesen Zustand zu beenden.

Vergeblich pochte der Arbeitslose darauf, er habe den potenziellen Arbeitgeber nicht anlügen wollen. Das Sozialgericht bezweifelte prinzipiell seinen Plan, sich selbständig zu machen. Es gebe keinen Hinweis darauf und keinen Beleg dafür, dass er irgendwelche konkreten Schritte hin zur Existenzgründung unternommen habe. Das Argument sei vorgeschoben.

Krank durch Grippeimpfung?

War das Impfangebot des Arbeitgebers nicht verpflichtend, sind eventuelle Folgen nicht berufsbedingt

Der Angestellte arbeitete als Gastronomieleiter bei einer GmbH, Tochterunternehmen eines Krankenhausträgers. Die GmbH betreibt in Kliniken Küchen und Kantinen. Jedes Jahr organisierte der Krankenhausträger eine Grippeimpfung für Mitarbeiter, die bei ihrer Tätigkeit Kontakt mit Patienten haben. Dabei stellte er den Impfstoff kostenlos zur Verfügung. Das Angebot galt auch für Angestellte der GmbH, die Teilnahme war freiwillig.

Der Gastronomieleiter ließ sich impfen. Jahre später entwickelte sich bei ihm ein so genanntes autoinflammatorisches Syndrom (d.h. unklare, wiederkehrende Fieberschübe und Entzündungen). Dieses Problem führte er auf die Impfung zurück und beantragte bei der Berufsgenossenschaft Entschädigungsleistungen. Die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, die für Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zuständig ist, lehnte jedoch ab.

Die Klage des Angestellten gegen die Berufsgenossenschaft scheiterte beim Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 2 U 159/20). Dass die Grippeimpfung die Gesundheitsprobleme des Gastronomieleiters verursacht habe, stehe nicht fest. Doch selbst wenn das zuträfe, läge keine Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung vor. Denn es gebe keinen Zusammenhang zwischen der Impfung und der versicherten Tätigkeit des Arbeitnehmers.

Mit der Grippeimpfung sei er keiner arbeitsvertraglich fixierten Pflicht nachgekommen. Es habe auch keine entsprechende Weisung des Arbeitgebers vorgelegen. Allein die Vorstellung des Angestellten, auf diese Weise im Interesse des Arbeitgebers zu handeln, begründe keinen gesetzlichen Versicherungsschutz für ein letztlich privates Handeln. In der Küche habe der Gastronomieleiter keinen direkten Kontakt zu den Patienten. Daher sei die Impfung auch nicht notwendig gewesen, um ein berufsbedingt erhöhtes Infektionsrisiko zu vermeiden.

Mit 55 neuen Job angetreten

Schließt der Arbeitgeber in so einem Fall den Anspruch auf Betriebsrente aus, ist das keine Altersdiskriminierung

Kurz nach ihrem 55. Geburtstag wurde eine Frau von der Gewerkschaft Ver.di als Sekretärin eingestellt. Zu spät, um bei Ver.di noch eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente zu erwerben. Die Mitarbeiterin hielt diese Regelung für unzulässig: Sie diskriminiere Personen wegen des Alters und des Geschlechts.

Die Angestellte verlangte vom Arbeitgeber, für eine Betriebsrente in die Unterstützungskasse des DGB einzuzahlen: Ständig steige die Regelaltersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn ein durchschnittliches Erwerbsleben immer länger dauere, könne man ihr doch nicht im Alter von nur 55 Jahren eine Versorgungszusage verweigern.

Das Bundesarbeitsgericht sah darin keine Diskriminierung (3 AZR 147/21). Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sei es zulässig, Mitarbeiter unterschiedlichen Alters unterschiedlich zu behandeln — vorausgesetzt, dies geschehe auf angemessene Weise und sei durch ein "legitimes Ziel gerechtfertigt". Beide Bedingungen seien hier erfüllt.

Die Altersgrenze verfolge erstens ein legitimes Ziel: Das betriebliche System der sozialen Sicherheit solle nicht durch Leistungen für Mitarbeiter, die dem Betrieb nur während eines relativ kurzen Teils ihres Erwerbslebens angehörten, überfordert werden.

Zweitens sei der durch die Altersgrenze betroffene Teil des Erwerbslebens nicht unangemessen lang. Ein durchschnittliches Erwerbsleben dauere ca. 40 Jahre. Eine Versorgungsregelung dürfe Beschäftigte daher wirksam von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ausschließen, wenn sie bei Beginn des Arbeitsverhältnisses das 55. Lebensjahr vollendet haben.

Die gewählte Altersgrenze führe auch nicht dazu, dass Frauen indirekt diskriminiert würden. Nach den Statistiken der Deutschen Rentenversicherung kämen Frauen im Durchschnitt auf 36,5 Versicherungsjahre, Männer auf 41,9 Versicherungsjahre. Diese Differenz sei nicht so groß, dass Frauen durch die Wirkungen der Altersgrenze unangemessen benachteiligt wären.

Kloppo ist kein Künstler!

Die Künstlersozialkasse forderte von Opel Versicherungsbeiträge für Werbespots mit Jürgen Klopp

Bei der Definition von Kunst lassen sich Behörden und Sozialkassen anscheinend nur von von einem Gedanken leiten: Hauptsache, es kommt Geld rein! Während der Fiskus einem Diskjockey die künstlerische Kreativität abspricht, um Gewerbesteuer einzunehmen, ernennt die Künstlersozialkasse kurzerhand den Fußballtrainer Jürgen Klopp zum Künstler, um Versicherungsbeiträge zu kassieren.

Autohersteller Opel hatte mit Jürgen Klopp zwischen 2011 und 2015 einige Werbespots gedreht. Dafür forderte die Künstlersozialkasse von Opel eine Nachzahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung in sechsstelliger Höhe. Begründung: Der damalige Trainer von Borussia Dortmund sei in den Reklamefilmen als Schauspieler aufgetreten. Daher müsse der Auftraggeber für ihn Versicherungsbeiträge an die Künstlersozialkasse abführen.

Das Unternehmen wies die Forderung zurück und zahlte nicht. Zu Recht, entschied das Sozialgericht Darmstadt (S 8 R 316/17). Aktive Sportler und Trainer erzielten mit Werbespots keine Einnahmen als Schauspieler. Mit Werbung verdienten sie vielmehr zusätzlich Geld, ohne ihren Hauptberuf im Sportbereich aufzugeben. Im Gegenteil: Sie würden ja gerade deswegen als Markenbotschafter und Werbeträger engagiert, weil sie durch den Sport populär seien.

Der Trainerberuf bleibe die Haupttätigkeit des Jürgen Klopp, daher bestehe keine Versicherungspflicht in der Künstlersozialkasse. Für den Auftraggeber, hier also Opel, stehe die erhoffte Wechselwirkung zwischen dem prominenten Werbeträger und dem Produkt im Vordergrund. Künstler sei jemand, der hauptberuflich einen künstlerischen Beruf ausübe. Trete ein hauptberuflicher Schauspieler in Reklamespots auf, müsse für das Entgelt natürlich schon ein Sozialversicherungsbeitrag an die Künstlersozialkasse gezahlt werden.

Als landwirtschaftlicher Unternehmer tätig?

Wer auf stillgelegten Äckern ökologische Maßnahmen durchführt, muss sich nicht in der landwirtschaftlichen Krankenkasse versichern

Eine Landwirtin wollte einen Teil ihrer Äcker, auf denen intensive Landwirtschaft betrieben wurde, in Grünland umwandeln. Sie ließ die Flächen in ein so genanntes Ökokonto eintragen. Ihr Ehemann — der seit 2008 Erwerbsminderungsrente bezieht — baute im Jahr 2015 auf gut 10 Hektar Grund Luzerne an.

So sollte der Boden "ausgehagert", d.h. sein Nährstoffgehalt reduziert werden und eine ökologische Ausgleichsfläche entstehen. Andere Landwirte mähten ohne Entgelt die Flächen und erhielten dafür die abgeerntete Luzerne. Einnahmen wurden nicht erzielt — abgesehen von Prämien des Landwirtschaftsamts für die Ausgleichsfläche (ca. 2.200 Euro).

Die landwirtschaftliche Kranken- und Pflegekasse verlangte vom Rentner Versicherungsbeiträge: Er sei im Jahr 2015 als landwirtschaftlicher Unternehmer versicherungspflichtig tätig gewesen. Dagegen wehrte sich der Mann: Er sei kein Unternehmer, sondern lebe von seiner Rente. Die Fördermittel, die seine Frau bekommen habe, hätten kaum ausgereicht, um die Kosten der ökologischen Maßnahmen zu bestreiten.

Das Landessozialgericht Thüringen verneinte eine Versicherungspflicht (L 2 KR 1548/17). Dass kein Gewinn erwirtschaftet wurde, sei dabei allerdings nicht der ausschlaggebende Punkt. Entscheidend sei vielmehr, dass es sich hier nicht um landwirtschaftliche Bodenbewirtschaftung gehandelt habe — z.B. mit dem Ziel, Futtermittel zu produzieren.

Der Rentner habe zwar Luzerne ausgesät und gelegentlich den Boden bearbeitet, jedoch ausschließlich im Interesse der Umwelt. Seine Tätigkeit sollte die vormaligen Ackerflächen in einen naturnahen Zustand zurückversetzen, den Eintrag von mineralischem Dünger und von Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Auch das Abernten und die Abfuhr des Mähguts seien in diesem Zusammenhang als ökologische Pflegemaßnahmen anzusehen.

Deren Sinn sei es gerade, auf diesen Flächen keine Landwirtschaft mehr zu betreiben, sondern sie im Rahmen nationaler Umweltprogramme und EU-Förderprogramme dem Naturschutz zu widmen. Wer auf landwirtschaftlich stillgelegten Flächen ökologische Pflegemaßnahmen durchführe, sei nicht als landwirtschaftlicher Unternehmer tätig und in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse nicht versicherungspflichtig.

Jagdpächterin fiel vom Hochsitz

Streit mit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft über den Beginn der Verletztenrente

Eine hauptberufliche Beamtin ist als Jagdpächterin auch landwirtschaftliche Unternehmerin und in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft - Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung - pflichtversichert. Im Mai 2017 stieg die 61-Jährige während des Abendansitzes zur Jagd auf den Hochsitz, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Dabei zog sie sich einen Trümmerbruch der Ferse sowie einen Bruch des Fußknöchels zu.

Nach dem Arbeitsunfall war die Frau bis zum 8.1.2018 krankgeschrieben. Sie erhielt von der gesetzlichen Unfallversicherung in diesen Monaten kein Verletztengeld, weil sie weiterhin Beamtengehalt bezog. Da der Unfallchirurg eine dauerhafte, unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 Prozent feststellte, setzte die Berufsgenossenschaft eine Verletztenrente von 210,89 Euro monatlich fest. Die Rente sollte ab 8.1.2018 überwiesen werden.

Zu spät, fand die Jagdpächterin. Laut Sozialgesetzbuch zahle die Unfallversicherung Renten entweder ab dem Zeitpunkt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld ende. Oder, wenn jemand kein Verletztengeld erhalte, nach Ablauf einer Wartezeit von 26 Wochen nach dem Arbeitsunfall. Demnach müsse man ihr die Verletztenrente ab November 2017 gewähren.

Die Berufsgenossenschaft habe sich keineswegs verrechnet, erklärte das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt und wies die Klage der Versicherten ab (L 6 U 85/19).

Verletztengeld werde gezahlt, um den Verdienstausfall auszugleichen — wenn und solange ein Versicherter wegen eines Arbeitsunfalls arbeits- bzw. dienstunfähig sei. Die Jagdpächterin sei infolge ihres Sturzes bis 8.1.2018 dienstunfähig gewesen. In diesem Zeitraum stand ihr sehr wohl Verletztengeld zu. Es sei nur nicht ausgezahlt worden, weil ihr als Beamtin das Gehalt weitergezahlt wurde.

Sie habe durch die Dienstunfähigkeit keinen Einkommensverlust erlitten, den die Unfallversicherung hätte ausgleichen müssen. Für die Berechnung des Rentenbeginns sei es aber unerheblich, dass die Versicherte faktisch kein Verletztengeld bezog. Entscheidend sei, dass sie grundsätzlich infolge des Arbeitsunfalls Anspruch darauf gehabt hätte. Daher bekomme die Jagdpächterin Verletztenrente ab dem Zeitpunkt, an dem ihr Anspruch auf Verletztengeld endete: also ab dem Tag, an dem die Versicherte wieder arbeitsfähig war, ab dem 8.1.2018.

Wirbelsäulenschaden als Berufskrankheit

Landessozialgericht bejaht dies in einem Streitfall wegen "Kombinationsbelastung" des Arbeitnehmers

Die Lendenwirbelsäule des 1952 geborenen Rentners ist schwer ramponiert. Von 1975 bis 1991 fuhr der Mann als Berufskraftfahrer Lastwagen über unebene Landstraßen in Kasachstan. Nach der Einreise in Deutschland arbeitete der anerkannte Heimatvertriebene in einer Gießerei, als Lagerarbeiter und Betonfertigteilbauer. Seit 2008 bezieht er Erwerbsminderungsrente. Bei der Berufsgenossenschaft beantragte er die Anerkennung der LWS-Erkrankung als Berufskrankheit, um weitere Leistungen zu bekommen.

Die Berufsgenossenschaft, Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung, ist auch für Berufskrankheiten zuständig. Sie lehnte es allerdings ab, den Wirbelsäulenschaden des ehemaligen Arbeiters als Berufskrankheit anzuerkennen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der berufsbedingten Belastung und der Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) sei nicht hinreichend wahrscheinlich, behauptete sie.

Das Landessozialgericht Hessen wies diesen Einwand zurück (L 3 U 70/19). Die von der Berufsgenossenschaft erstellte Liste der Berufskrankheiten enthalte zwei Varianten von bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule: Zum einen Schäden, die durch das Tragen schwerer Lasten verursacht wurden (Nr. 2108).

Zum anderen Schäden, die dadurch entstanden, dass die LWS eines Arbeitnehmers durch Ganzkörperschwingungen überdurchschnittlich belastet wurde (Nr. 2110). Insbesondere beim Fahren älterer Laster oder Traktoren wirkten starke Vibrationen auf den gesamten Körper ein.

Die Unterscheidung sei sinnvoll, weil der LWS-Erkrankung unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen könnten. Im konkreten Fall sei die Kombination von zwei sehr intensiven Arten der Belastung für den erheblichen Wirbelsäulenschaden ausschlaggebend gewesen. Sie seien daher nebeneinander anzuerkennen. Die Berufsgenossenschaft müsse nun bewerten, in welchem Ausmaß der Wirbelsäulenschaden die Erwerbsfähigkeit des Ex-Arbeitnehmers beeinträchtige.