Soziale Sicherung

Karlsruhe rügt zweierlei Maß beim Weihnachts- und Urlaubsgeld

Auch Einmalzahlungen müssen Einfluss auf das Arbeitslosengeld haben

Die Beiträge zur Sozialversicherung richten sich nach der Höhe des Lohns. Dabei werden auch Beträge wie das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld herangezogen, die nur einmal im Jahr gezahlt werden. Wenn es aber um die Berechnung der Lohnersatzleistungen geht (Beispiel: Arbeitslosengeld), bleiben diese Einmalzahlungen unberücksichtigt.

Ein Bürger zog dagegen vor das Bundesverfassungsgericht: Diese beiden Regelungen des Sozialrechts passten nicht zusammen und verletzten den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Die Karlsruher Richter gaben ihm Recht: Sie erklärten die angegriffenen Bestimmungen für verfassungswidrig (1 BvR 892/88). Nicht nur der laufende Lohn, sondern auch einmalige Sonderzahlungen beeinflussten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Und nach der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers müsse sich die Höhe des Arbeitslosengeldes richten. Der Gesetzgeber müsse daher die betreffenden Gesetze ändern.

Wegen "Corona" selbständige Tätigkeit aufgegeben

Das Jobcenter muss Folgen der Pandemie berücksichtigen, wenn es Sperrzeiten verhängt

Von 2000 bis 2020 führte Herr X erfolgreich eine Eventagentur. Seine selbständige Tätigkeit musste er 2020 wegen der Corona-Pandemie aufgeben: Bekanntlich legten die Kontaktbeschränkungen, die zum Infektionsschutz angeordnet wurden, den gesamten Veranstaltungsbereich lahm. X suchte sich vorübergehend einen Job als Berufskraftfahrer. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte er am 31.1.2022 zum 28.2.2022, weil er danach seine Agentur wieder in Gang bringen wollte.

Gleichzeitig meldete sich Herr X arbeitslos. Das Jobcenter verhängte gegen ihn eine Sperrzeit von zwölf Wochen, weil er seinen Arbeitsplatz gekündigt und damit die Arbeitslosigkeit "mutwillig" herbeigeführt habe. Während der Sperrzeit besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gegen den Behördenbescheid klagte der Mann. Da klar war, dass die angestrebte Entscheidung erst nach vielen Wochen fallen würde, beantragte er zugleich einstweiligen Rechtsschutz — um nicht völlig ohne Einkommen dazustehen.

Beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erreichte Herr X zumindest einen Teilerfolg (L 9 AL 106/22 B ER). Hier sei von einem Härtefall auszugehen, erklärte das Gericht, deshalb sei die Sperrzeit auf sechs Wochen zu verkürzen. Herr X habe zwar sein Arbeitsverhältnis selbst beendet — dies aber aufgrund der berechtigten Annahme, die selbständige Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. Das könne man wohl kaum als grob fahrlässig einstufen.

Auch wenn Anfang 2022 die weitere Entwicklung der Pandemie noch unsicher gewesen sei, wäre es unverhältnismäßig hart, Herrn X für die Kündigung mit zwölf Wochen Sperrzeit zu bestrafen. Immerhin sei der Mann vor der coronabedingten Schließung seines Geschäfts erfolgreich selbständig tätig gewesen. Und es bestehe durchaus begründete Hoffnung, dass er mit der Eventagentur erfolgreich einen Neuanfang schaffen könne. Das Jobcenter müsse bei der Verhängung von Sanktionen auch Folgen der Pandemie berücksichtigen.

Dienstunfall eines Postbeamten

Reißt die Bizepssehne beim Heben eines schweren Pakets, ist die berufliche Tätigkeit die Ursache

Bei einem Postbeamten riss die Bizepssehne, als er ein ca. 30 Kilo schweres Paket in seinen Zustellwagen hievte. Der Mann musste operiert werden und verbrachte einige Tage im Krankenhaus. Laut einem fachärztlichen Gutachten wurde der Sehnenriss direkt durch das Beladen des Fahrzeugs ausgelöst.

Trotzdem lehnte die Unfallkasse für Post und Telekom (die UK PT übernimmt für Postbeamte die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung) Leistungen aufgrund eines Dienstunfalls ab: Das Anheben eines Pakets könne keinen Sehnenriss verursachen, meinte die UK PT. Die Bizepssehne sei auf große Belastungen ausgelegt und könne dadurch nicht reißen, wenn sie nicht bereits vorgeschädigt sei.

Mit dieser Argumentation war das Verwaltungsgericht (VG) Aachen nicht einverstanden: Es gab dem Postbeamten Recht, der Leistungen von der Unfallkasse eingeklagt hatte (1 K 2167/21). Der Beamte habe sich sofort nach dem Vorfall ärztlich untersuchen lassen, so das VG.

Ergebnis: Die Magnetresonanztomographie zeige eine frische traumatische Verletzung. Auch die im Operationsbericht beschriebene Ausfransung der Sehne sei typisch für einen unfallbedingten Riss — es habe keine Hinweise auf eine Vorschädigung der rechten Bizepssehne gegeben.

Außerdem stelle es keine alltägliche Belastung dar, mit einem Arm ein 30 Kilo schweres Paket anzuheben. Hier habe sich also ein berufsspezifisches Risiko verwirklicht, das unmittelbar mit der Tätigkeit des Postbeamten zusammenhänge. Von einem anlagebedingten Leiden, das nur rein zufällig während des Dienstes zum Vorschein gekommen sei und auch im privaten Bereich hätte auftreten können, könne hier keine Rede sein.

Corona-Infektion als Dienstunfall?

VG Düsseldorf: Lehrerinnen sind dem Infektionsrisiko nicht in besonderem Maße ausgesetzt

Zwei Lehrerinnen erkrankten im Herbst 2020 an Covid-19. Beide Beamtinnen verlangten vom Bundesland Nordrhein-Westfalen, ihrem Dienstherrn, die Infektion mit dem Corona-Virus als Dienstunfall anzuerkennen. Das ist die Voraussetzung für Leistungen der Unfallfürsorge wie z.B. die Übernahme der Kosten von Rehabilitationsmaßnahmen.

Die Grundschullehrerin erklärte, sie habe sich während einer Lehrerkonferenz angesteckt, nach der das halbe Kollegium an Corona erkrankte. Eine Oberstudienrätin führte die Infektion auf Gespräche mit Schülern zurück, die — obwohl ohne Symptome — zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt waren.

Beide Anträge wurden mit dem Argument abgelehnt, die Lehrerin könne sich auch außerhalb des Schuldienstes infiziert haben. Ein Zusammenhang mit dem Schuldienst stehe nicht fest. So beurteilte auch das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf die Sache und wies die Klage der Beamtinnen ab (23 K 8281/21).

In aller Regel könne man Ort und Zeit einer Infektion nachträglich nicht eindeutig feststellen, erklärte das VG, so auch im konkreten Fall. Dennoch würden Infektionskrankheiten unter bestimmten Bedingungen als Berufskrankheiten und Dienstunfälle anerkannt. Das setze allerdings voraus, dass Beamte durch die Art ihrer Tätigkeit in besonderem Maße dem Infektionsrisiko ausgesetzt seien.

Lehrer schwebten aber nicht in größerer Gefahr, an Corona zu erkranken, als die restliche Bevölkerung. Bei den Beamtinnen habe sich eben ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das alle Menschen treffen könne. Die Folgen schicksalhafter Einflüsse seien kein Fall für die dienstliche Unfallfürsorge. Für die Behandlungskosten von erkrankten Beamten seien dann die Beihilfe und die private Krankenversicherung zuständig.

Betriebsbedingte Kündigungen nach der Firmenpleite

Was für eine Rolle spielt das Lebensalter bei der Sozialauswahl?

Seit 1972 arbeitete eine 65-jährige Angestellte für ein Unternehmen, das Anfang 2020 Insolvenz anmelden musste. Der Insolvenzverwalter traf mit dem Betriebsrat eine soziale Auswahl unter den 396 Arbeitnehmern: Wer kommt am ehesten für eine betriebsbedingte Kündigung in Frage? 61 Namen standen auf der Liste, darunter der Name der 65-Jährigen. Der Insolvenzverwalter kündigte ihr zum 30. Juni 2020.

Begründung: Sie sei in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig. Denn die Arbeitnehmerin habe aufgrund ihres Alters als einzige die Möglichkeit, schon bald nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses (ab 1. Dezember 2020) eine Altersrente zu beziehen — nämlich die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die mindestens 63 Jahre alt sind und 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben (Sozialgesetzbuch VI, § 236b).

Nach weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat kündigte der Insolvenzverwalter der Frau vorsorglich erneut zum 30. September 2020. Die Arbeitnehmerin erhob gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage.

Das Bundesarbeitsgericht erklärte die erste für unwirksam, die zweite Kündigung jedoch für wirksam (6 AZR 31/22). Sinn der sozialen Auswahl sei es, den Arbeitnehmern zu kündigen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig seien. Zu berücksichtigen seien dabei das Lebensalter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers.

Das Lebensalter sei ein zwiespältiges Auswahlkriterium: Einerseits steige die Schutzbedürftigkeit mit dem Alter, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen hätten. Andererseits sinke sie kurz vor der Rente, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine abschlagsfreie Rente wegen Alters beziehen könne. Diesen Umstand habe der Insolvenzverwalter zum Nachteil der Arbeitnehmerin berücksichtigen dürfen.

Dennoch sei die erste Kündigung unwirksam, weil der Insolvenzverwalter die 65-Jährige nur wegen ihrer "Rentennähe" ausgewählt und die anderen Auswahlkriterien "Betriebszugehörigkeit" und "Unterhaltspflichten" ignoriert habe. Das sei grob fehlerhaft gewesen. Die zweite Kündigung dagegen habe das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2020 wirksam aufgelöst.

Ehrenamtliches Chormitglied ist unfallversichert

Chorsängerin verunglückte auf der Fahrt zum Adventsingen in der evangelischen Kirchengemeinde

Ein Frauenchor hatte mit dem Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde einen Auftritt vereinbart. In deren Räumen sollte ein öffentliches Adventssingen stattfinden, das die Kirchengemeinde sogar im lokalen Amtsblatt als kirchliche Veranstaltung ankündigte.

Eine Chorsängerin holte zwei andere Sängerinnen mit dem Auto ab. Bei der Fahrt zum Auftritt verunglückte sie auf eisglatter Straße. Während die Mitfahrerinnen nur leicht verletzt wurden, ist die Autofahrerin seither gelähmt.

Von der gesetzlichen Unfallversicherung (d.h. von der für Vereine und Religionsgemeinschaften zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) verlangte die Schwerverletzte Leistungen. Doch die Berufsgenossenschaft verneinte Versicherungsschutz, ebenso die Unfallkasse, die für ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich engagierte Personen zuständig ist.

Die Klage der Chorsängerin auf Versicherungsleistungen scheiterte beim Landessozialgericht: Die Ehrenamtlerin sei nicht im Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft tätig gewesen, so das Gericht. Im Chor singe sie vielmehr aus "Freude am Gesang" und an der Gemeinschaft, also zu ihrem eigenen Vergnügen. Die Chorsängerin pochte dagegen darauf, dass auch private Tätigkeiten im Interesse des Gemeinwohls vom Versicherungsschutz umfasst seien.

So sah es auch das Bundessozialgericht: Die Frau sei auf dem Weg zum Adventssingen in den Räumen einer Kirchengemeinde unfallversichert gewesen (B 2 U 19/20 R). Der Versicherungsschutz sei nicht mehr davon abhängig, dass der/die Betroffene direkt für eine Religionsgemeinschaft tätig sei. Zwar sei der Frauenchor eine private Organisation. Doch das Adventssingen sei von der Kirchengemeinde mit-organisiert worden.

Der Chor sei freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung aufgetreten. Um an diesem Auftritt teilzunehmen, sei die Chorsängerin bei dem Verkehrsunfall unterwegs gewesen. Der Weg dorthin hänge also mit dem versicherten Ehrenamt zusammen. Dass die Sängerin vor allem singe, weil es ihr Freude bereite, ändere daran nichts. Es gehöre zum Wesen des Ehrenamts, dass es mit Freude ausgeübt werde.

Geschiedene Frau verlangt Opferentschädigung

Ein Streit eskalierte: Der Ehemann soll die Frau gestoßen haben, bis sie stürzte

Szenen einer Ehe: Nach gescheiterter Paartherapie 2016 bat der Rentner einen Anwalt, seiner Frau schriftlich mitzuteilen, sie möge "aus seinem Haus ausziehen" und sich eine Wohnung suchen. Ende Januar 2017 erstattete die Ehefrau Anzeige: Vor zwei Wochen sei die Situation eskaliert.

Sie habe ihren Mann wieder einmal damit konfrontiert, dass er psychisch sehr krank sei. Darauf sei er immer aggressiver geworden und auf sie losgegangen. Er habe sie gestoßen, bis sie zu Boden gestürzt sei — der Höhepunkt nach 20 Jahren Ehe-Martyrium mit Beleidigungen und psychischer Gewalt. Danach habe sie fluchtartig das Haus verlassen.

Dagegen behauptete der Mann, er habe seine Frau Wochen vorher gebeten, sein Schlafzimmer als Rückzugsort zu respektieren, solange sie noch im Haus wohne. Aber an diesem Tag habe sie unbedingt diskutieren wollen. Trotz der Aufforderung, sich zu entfernen, habe sie einfach keine Ruhe gegeben. Bis er sie aus dem Schlafzimmer hinausgeschoben habe. Von gewaltsamer Attacke könne keine Rede sein.

2019 beantragte die mittlerweile geschiedene Frau eine Opferentschädigung ("Beschädigtenrente"): Arbeiten könne sie infolge ihrer ehebedingten seelischen Leiden nicht mehr. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Auch ihre Klage gegen die zuständige Behörde blieb beim Landessozialgericht Baden-Württemberg ohne Erfolg (L 6 VG 1148/22). Hier stehe Aussage gegen Aussage, stellte das Gericht fest. Wie es wirklich gewesen sei, sei also nicht aufzuklären.

Opferentschädigung setze einen vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriff voraus, der zu einem Gesundheitsschaden führe — angebliche psychische Gewalt begründe keinen Anspruch. Eine Tätlichkeit sei aber nicht belegt.

Dagegen spreche nicht nur die Aussage des Mannes: Die Frau habe mit der Strafanzeige zwei Wochen gewartet, anstatt sofort die Polizei zu rufen. Zudem sei es unglaubwürdig, dass sie sich von ihm getrennt habe und quasi "geflüchtet" sei. Denn ihr Mann habe bereits 2016 die Beziehung beendet.

Entscheidend sei aber, dass die Frau die Ursache für die aggressive Reaktion des Ehemannes selbst gesetzt habe. Wiederholt habe sie gegen seinen erklärten Willen versucht, ihn zu einem Gespräch über seine vermeintliche psychische Krankheit zu nötigen. Wenn er — ihrer Ansicht nach — krank war und sich von ihr trennen wollte, musste die Frau mit so einer Reaktion rechnen.

Zumindest hätte sie sich sofort zurückziehen müssen, als sie merkte, wie er auf ihr Anliegen reagierte. Wenn das Opfer den Täter provoziere und sich selbst in Gefahr bringe, schließe dies eine Opferentschädigung aus.

Hilfeempfänger beantragt Extra-Stromzähler

Jobcenter muss keinen Stromzähler nur für den Warmwasserboiler finanzieren

Ein Bezieher von Grundsicherung (Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II) beantragte bei seinem Jobcenter die Kostenübernahme für ein Gerät: Er wollte für rund 700 Euro einen separaten Drehstromzähler für den Warmwasserboiler einbauen lassen.

Begründung: Die gesetzlich festgelegte Pauschale für das warme Wasser reiche ihm nicht. Und nach der seit 2021 gültigen Rechtslage übernehme das Jobcenter höhere Warmwasserkosten nur, wenn der höhere Verbrauch mit einem Zähler belegt werde. Außerdem sei der Bedarf aufgrund der Hygieneregeln in der Corona-Pandemie generell höher als normal.

Der Sachbearbeiter des Jobcenters wies den Antrag ab, weil für diesen Anspruch jede Rechtsgrundlage fehle. Auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen konnte keine Rechtsgrundlage erkennen (L 11 AS 415/22 B ER). Um unabweisbaren Mehrbedarf handle es sich hier nicht: Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Warmwasserpauschale grundsätzlich angemessen sei.

In der Tat müssten Hilfeempfänger höheren Bedarf mit einer eigenen Messeinrichtung nachweisen. Das Gesetz definiere aber den Extra-Stromzähler selbst nicht als Bedarf. Daher habe der Gesetzgeber die Kostenübernahme für so ein Gerät nicht geregelt — was er sicher getan hätte, wenn er eine Kostenübernahme durch die Jobcenter gewollt hätte.

Dass die Corona-Pandemie zu einem höheren Verbrauch an Warmwasser und damit zu höheren Wasserkosten führe, sei auszuschließen: Denn nach den Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sei es - vom Standpunkt der Hygiene aus betrachtet - völlig ausreichend, sich die Hände mit kaltem Wasser zu waschen.

Corona-Infektion ein Arbeitsunfall?

Kurzartikel

Dass eine Corona-Infektion als Arbeitsunfall anerkannt wird, ist zwar nicht ausgeschlossen. Das setzt allerdings den Nachweis voraus, dass sich der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz angesteckt hat. Wenn es auch möglich ist, dass sich der/die Betroffene im privaten Bereich, z.B. beim Einkaufen im Supermarkt, infiziert hat, besteht kein Anspruch auf Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung.

Dem Bruder auf der Baustelle geholfen

Unfallversicherung: Sturz vom Gerüst bei einer familiären Hilfeleistung ist kein Arbeitsunfall

Ein Thüringer Tischlermeister modernisierte und dämmte die Fassade seines Wohnhauses selbst. Dabei unterstützten ihn sein Vater und seine Brüder. Als die Bauarbeiten weitgehend beendet waren, half ihm Bruder D, das ca. drei Meter hohe Gerüst abzubauen. Dabei geriet das Gerüst ins Wanken. Bäcker D, der oben stand, stürzte herunter und erlitt einen Trümmerbruch des linken Schienbeins.

Der Bauherr informierte den zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung über den Unfall des Bruders. Die Unfallkasse winkte jedoch ab: Hier handle es sich um einen selbstverständlichen Hilfsdienst unter Verwandten und nicht um einen Arbeitsunfall. Für die Behandlung müsse die Krankenkasse aufkommen.

Daraufhin zog der Verunglückte vor Gericht, um die besseren Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung durchzusetzen: Schließlich sei er "wie ein Arbeitnehmer" tätig gewesen, wenn auch für den Bruder. So eine Tätigkeit werde in der Regel von Fachfirmen ausgeführt. Schon die Gefährlichkeit der Arbeit am Gerüst spreche gegen eine bloße Gefälligkeit unter Angehörigen.

Doch das Landessozialgericht Thüringen wies seine Klage ab (L 1 U 342/19). Der wesentliche Grund für die Arbeit am Gerüst sei die Sonderbeziehung zum Bruder gewesen. Zuvor habe der Tischler beim Umzug von D dessen Küche eingebaut. Bei den Fassadenarbeiten habe sich D erkenntlich gezeigt, um das System gegenseitiger Hilfe aufrechtzuerhalten. Damit scheide die Annahme aus, D sei "so ähnlich wie ein Beschäftigter" tätig geworden.

Anders läge der Fall, wenn es sich um eine länger dauernde, anstrengende und sehr gefährliche Tätigkeit gehandelt hätte — die man von einem Verwandten gewöhnlich nicht erwarten könne. Beim Umgang mit schweren und riskanten Gerätschaften, der eine besondere Ausbildung erfordere, könne die Annahme einer "Wie-Beschäftigung" zutreffen. Das gelte aber nicht beim Abbau eines Gerüsts von drei Metern Höhe, auch wenn das üblicherweise Fachfirmen erledigten und hier mit einem Sturz endete: Im Prinzip sei diese Tätigkeit weder besonders gefährlich, noch erfordere sie eine besondere Qualifikation.

Beiträge zur Pflegeversicherung

Eltern mit mehreren Kindern müssen bei den Beiträgen stärker entlastet werden

2001 hatte es das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, dass Eltern in der Pflegeversicherung einen ebenso hohen Beitragssatz zahlen wie kinderlose Erwerbstätige: Denn Eltern leisteten mit der Kindererziehung einen Beitrag zum langfristigen Funktionieren des Sozialversicherungssystems. Daraufhin führte der Gesetzgeber 2005 einen Beitragszuschlag für Kinderlose ein.

Ein Elternpaar fand, das genüge noch nicht: Bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung müsse man Eltern von mehreren Kindern stärker entlasten. Das Ehepaar erhob Verfassungsbeschwerde gegen die aktuelle Regelung. Einige Eltern rügten zudem mit Verfassungsbeschwerden, dass für Eltern und kinderlose Erwerbstätige in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung die gleichen Beitragssätze gelten.

Die Verfassungsbeschwerde zur Pflegeversicherung hatte beim Bundesverfassungsgericht Erfolg (1 BvL 3/18). Die höhere finanzielle Belastung von Eltern mit mehreren Kindern werde in der sozialen Pflegeversicherung nicht genügend ausgeglichen, erklärten die Verfassungsrichter. Dabei steige der Aufwand von Eltern mit der Anzahl der Kinder — zum einen die Konsumausgaben, zum anderen die erziehungsbedingt entgangenen Erwerbschancen. Der Beitragssatz von Eltern müsse in der Pflegeversicherung künftig abhängig von der Kinderzahl ausgestaltet werden.

Verfassungskonform sei dagegen, dass in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung Eltern und kinderlose Erwerbstätige die gleichen Beitragssätze zahlten (1 BvR 2824/17 u.a.). Bei der Rentenversicherung habe der Gesetzgeber den wirtschaftlichen Aufwand der Kindererziehung hinreichend ausgeglichen, indem er Kindererziehungszeiten bei der Rentenanwartschaft berücksichtige.

In der gesetzlichen Krankenversicherung gebe es die beitragsfreie Familienversicherung und kinderbezogene Leistungen, die den Aufwand der Kindererziehung kompensierten. Gesundheitsvorsorge und die Erstattung von Krankheitskosten würden (anders als Pflegeleistungen) auch von Kindern und Jugendlichen in erheblichem Umfang beansprucht. Der Versicherungsschutz für die Familie sei daher ein finanzieller Vorteil für Eltern, der in der Phase der Kinderbetreuung bereits spürbar sei.

Jobcenter muss ausnahmsweise Gasheizofen finanzieren

Kurzartikel

Haben Mietvertragsparteien vereinbart, dass die Mietsache nicht die Heizungsanlage umfasst, ist die Vermieterin nicht verpflichtet, den defekten, 48 Jahre alten Gasheizofen in der Mietwohnung zu ersetzen. In so einem Fall muss das Jobcenter die Kosten für Kauf und Installation eines Heizofens ausnahmsweise als "einmaligen Bedarf" anerkennen und der Mieterin entsprechenden Zuschuss bewilligen, wenn diese Grundsicherung bezieht.

Durch die Maschen der Unfallversicherung gefallen

Besuch am künftigen Arbeitsplatz ist keine "Besichtigung des Unternehmens"

Ein Beamter verhandelte mit einer Firma der Privatwirtschaft über eine stundenweise Aushilfstätigkeit. Er ließ sich vom Lagerleiter durch den Betrieb führen, um sich einen Eindruck von den anfallenden Arbeiten zu verschaffen. Dabei fuhr ihm ein Gabelstapler über die Füße.

Der verletzte Mann verlangte von der Berufsgenossenschaft - Trägerin der Unfallversicherung - der Firma, sie müsse die Heilbehandlungskosten erstatten: Nach der Satzung ständen nämlich "Teilnehmer an Besichtigungen des Unternehmens" unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Das müsse auch für ihn gelten.

Das sah das Bundessozialgericht anders (2 RU 32/93). Der Zweck des Aufenthalts im Betrieb sei es gewesen, den geplanten Arbeitsvertrag vorzubereiten. Der Mann habe damit also private Interessen verfolgt. Der Versicherungsschutz umfasse aber nur Personen, welche die Firma im Auftrag oder mit Zustimmung des Unternehmers besichtigten. Daher gebe es hier kein Geld von der gesetzlichen Unfallversicherung.

PS: Die Argumentation überzeugt nicht, da es schließlich im betrieblichen Interesse lag, eine Person für Aushilfstätigkeiten zu finden. Von der Zustimmung des Unternehmers für die Besichtigung ist daher auszugehen. Allerdings war der Mann als Beamter bei einem Unfall ohnehin abgesichert.

Unfallrenten der DDR müssen weitergezahlt werden

Das gilt auch dann, wenn nach bundesdeutschem Recht kein Arbeitsunfall vorliegt

Ein deutscher Kriegsgefangener hatte sich in einem belgischen Steinkohlebergwerk eine Tuberkulose-Erkrankung zugezogen. Der Rat des Bezirks Leipzig sprach ihm 1968 wegen einer Berufskrankheit eine Unfallrente zu. Nach der Wende wollte die nunmehr für Berufskrankheiten zuständige Berufsgenossenschaft die Rente nicht mehr zahlen: Nach dem Recht der Bundesrepublik lägen die Voraussetzungen für eine Berufskrankheit nicht vor.

Der Versicherte zog gegen den Bescheid der gesetzlichen Unfallversicherung vor Gericht - mit Erfolg. Verwaltungsakte der DDR können nur aufgehoben werden, wenn sie rechtsstaatlichen Grundsätzen oder dem Einigungsvertrag widersprechen, entschied das Bundessozialgericht (2 RU 24/94). So ein Fall sei aber hier nicht gegeben. Eine nach DDR-Recht zuerkannte Rente wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit könne dem Rentenempfänger nicht mit der Begründung entzogen werden, dass dies nach bundesdeutschem Recht nicht als Arbeitsunfall oder als Berufskrankheit anzuerkennen, somit die Berufsgenossenschaft nicht zuständig sei.

In der Schulpause vom Ast getroffen

Außerhalb des Schulgeländes sind Schüler in der Pause nicht gesetzlich unfallversichert

Ein bereits volljähriger Hamburger Gymnasiast hatte sich in einer Pause mit zwei Mitschülern in den Stadtpark neben der Schule zurückgezogen, um Zigaretten zu rauchen. Das hatte die Schulleitung den älteren Schülern erlaubt. An diesem Wintertag herrschte Sturm mit Schneefall. Eine heftige Windböe riss über dem Schüler einen dicken Ast ab, der ihm auf den Kopf fiel und ein schweres Schädel-Hirn-Trauma auslöste.

Während des Aufenthalts in der Schule sind Schüler gesetzlich unfallversichert. Das müsse auch für ihn gelten, fand der verletzte Gymnasiast: Schließlich behandle die Schulleitung den Stadtpark wegen des sehr beengten Schulhofs quasi als "erweiterten Schulhof". Doch die Unfallkasse weigerte sich, für die Behandlungskosten aufzukommen.

Zu Recht, entschied das Bundessozialgericht: Es wies die Klage des Schülers auf Leistungen von der Unfallkasse ab (B 2 U 20/20 R). Außerhalb des Schulgeländes seien Schüler nicht gesetzlich unfallversichert: Die Verantwortung der Schule sei auf das Schulgelände beschränkt. Nur hier gelte ihre Aufsichtspflicht und nur hier könne sie ihren Einfluss geltend machen: Beides ende am Schultor.

Auch wenn der Schulhof relativ klein sei: Die Schüler müssten das Schulgelände in den Pausen nicht unbedingt verlassen, um sich zu erholen. Die Erlaubnis des Schulleiters galt in erster Linie dafür, sich in der Pause draußen "Snacks" oder Getränke zu besorgen. Dass auf dem Schulhof Rauchverbot gelte und der Schüler daher nur im Stadtpark rauchen konnte, führe nicht zu Versicherungsschutz. Eine Rauchpause im Stadtpark sei (nicht verboten, aber) kein notwendiger Bestandteil der Unterrichtspause.

Posttraumatische Belastungsstörung eines Bahnmitarbeiters

Wurde sie von einem Gleisselbstmord ausgelöst, ist die Erkrankung als berufsbedingt anzuerkennen

Der Selbstmörder hatte sich auf dem Bahnsteig bei einem Kundendienstmitarbeiter nach einem Zug erkundigt. In den Zug stieg er aber nicht ein, sondern rannte zu dessen Ende. Der Bahnmitarbeiter lief ihm kurz nach, sah ihn plötzlich nicht mehr. Der anfahrende Zug stoppte. Kurz darauf fand der Bahnmitarbeiter den zweigeteilten Leichnam des Mannes auf den Gleisen und alarmierte die Zentrale.

Der verstörte Bahnmitarbeiter schlief nachts nicht mehr und wurde vom Hausarzt für kurze Zeit krankgeschrieben. Danach trat er den Dienst wieder an. Doch das Erlebte holte ihn immer wieder ein: Der 52-Jährige litt unter Albträumen und Schreckhaftigkeit. Auf Anraten des Gesundheitsdienstes der Bahn begann er elf Monate nach dem Unfall eine Psychotherapie. Fachärzte diagnostizierten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS).

Bei der Unfallversicherung Bund und Bahn beantragte der Bahnmitarbeiter, die Erkrankung als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen. Die bestritt jedoch einen Zusammenhang der psychischen Probleme mit dem Unfallereignis. Der Versicherte habe schließlich nach zwei Wochen "Auszeit" weiterarbeiten können. Der Tod seines Bruders komme eher als Auslöser für die PTBS in Betracht. Auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe jedenfalls kein Anspruch.

Das Landessozialgericht Hessen entschied, dass die Unfallversicherung die PTBS als Folge des schlimmen Erlebnisses anerkennen muss (L 3 U 146/19). Der Versicherte sei Zeuge eines gewaltsamen Todes geworden und zeige die typischen Merkmale einer PTBS, das wiederholte Aufleben des Traumas in Erinnerungen (Flash-backs) und Albträumen. Er meide Bahnhöfe und Bahnsteige, weil er dort ständig den Selbstmörder vor sich sehe.

Dass der Versicherte zunächst die Arbeit wieder aufgenommen habe, widerlege den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Selbstmord und der PTBS nicht: Unmittelbar nach dem Unfall habe er alles darangesetzt, weiter zu funktionieren. Dass psychische Probleme erst Monate nach dem auslösenden Ereignis zunähmen, sei für eine PTBS geradezu typisch. Im Einzelfall könne es sogar noch länger dauern als elf Monate.

Mit dem Miterleben des Selbstmords und den psychischen Folgen habe sich ein berufsbedingtes Risiko verwirklicht, für das die gesetzliche Unfallversicherung zuständig sei. Dass sich beim Entstehen der PTBS auch andere Schicksalsschläge ausgewirkt haben könnten, erscheine demgegenüber als unwesentlich. Einige medizinische Sachverständige hätten dies sogar ausgeschlossen.

Verfassungsbeschwerde eines Hilfeempfängers erfolgreich

Amtsgericht durfte dem Hartz-IV-Empfänger juristische Beratungshilfe nicht verweigern

Das Jobcenter lehnte den Antrag eines Hartz-IV-Empfängers auf Nachzahlung eines Betrags ab. Der Sachbearbeiter hatte ein Betriebskostenguthaben aus dem Jahr 2019 für den Zeitraum Juni bis November 2020 leistungsmindernd berücksichtigt: Das war nicht korrekt, meinte der Hilfeempfänger, und wollte den Fehler korrigiert wissen. Beim Jobcenter blitzte er ab, daraufhin wandte er sich ans Amtsgericht.

Beim Amtsgericht beantragte er Beratungshilfe, um die Leistungsbescheide des Jobcenters auf ihre Richtigkeit zu überprüfen: Es sei seiner Meinung nach nicht richtig, ein Betriebskostenguthaben über sechs Monate hinweg anzurechnen.

Doch der Amtsrichter rüffelte ihn nur: Der Antrag auf juristische Beratung sei mutwillig. Der Hilfeempfänger habe sich bisher nicht schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter darum bemüht, den Sachverhalt selbst aufzuklären.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts legte der Mann erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Das Amtsgericht hätte dem Hilfeempfänger die Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen die Bescheide des Jobcenters nicht verweigern dürfen, erklärte das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1370/21). Der Mann habe keine besonderen Rechtskenntnisse und der strittige Sachverhalt werfe schwierige Fragen auf. Das gelte jedenfalls für die von ihm angezweifelte Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf seinen Leistungsanspruch und das über sechs Monate.

Sie sei tatsächlich mit höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vereinbar. Der Antrag auf Beratungshilfe sei daher überhaupt nicht "mutwillig". Der Antragsteller habe konkret aufgezeigt, welchen Punkt der Leistungsbescheide er anzweifle. Wenn man ihm daraufhin empfehle, erst einmal ausgerechnet beim Jobcenter vorzusprechen, das den angegriffenen Bescheid erlassen habe, verweigere man es dem Antragsteller, sein Recht geltend zu machen.

Von fremdem Pferd am Kopf verletzt

Wer gelegentlich Pferde anderer Reiter von der Koppel führt, ist nicht gesetzlich unfallversichert

Seit Jahren hatten drei Reiterinnen ihre Pferde auf dem Pferdehof von Herrn K stehen. K betrieb den Hof nicht gewerblich. Er hielt selbst Pferde und stellte den Frauen den Stall und eine Koppel kostenlos zur Verfügung. Die Frauen fütterten und pflegten ihre Pferde selbst. Täglich wurden die Tiere gegen 17 Uhr von der Weide in den Stall geführt, dabei wechselten sich die Pferdebesitzerinnen ab.

An einem Sonntagnachmittag war nur Frau A auf dem Gelände. K half ihr und brachte ein Tier in den Stall. Von dort sah er, wie Frau A — die ihr eigenes Pferd am Führstrick hielt — mit der anderen Hand versuchte, einen Führstrick am Halfter des Pferdes von Frau B zu befestigen. Dieses Pferd schlug nach ihrem Pferd aus und traf dabei Frau A am Kopf. Sie erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma.

Es folgte ein langes Tauziehen um die Frage, wer für die Behandlungskosten einstehen muss. Die Tierhalterhaftpflichtversicherung von Frau B weigerte sich mit der Begründung, Frau A habe K beim Hereintreiben der Pferde geholfen: Also handle es sich um einen Arbeitsunfall. Daraufhin meldete die Krankenkasse von Frau A der landwirtschaftlichen Unfallkasse einen Arbeitsunfall.

Doch die Unfallkasse winkte ebenfalls ab: Hier gehe es um befreundete Reitsportler, die sich gegenseitig unterstützten. Die Bereitschaft, hin und wieder die Tiere der anderen Frauen von der Koppel zu holen, begründe kein beschäftigungsähnliches Verhältnis. Frau B müsse vielmehr als Tierhalterin für die Unfallfolgen einstehen, daher sei die Tierhalterhaftpflichtversicherung zuständig.

Frau B und ihre Versicherung gingen dagegen weiterhin von einem Arbeitsunfall aus: Frau A habe eine verbindliche Absprache erfüllt. Das Anlegen einer Trense und Führen in den Stall sei eine Arbeitsleistung, auch wenn sie aus Gefälligkeit stattfinde. Diese Aufgabe werde ansonsten ja auch von beschäftigten Pferdepflegern wahrgenommen.

Nach dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt war Frau A nicht gesetzlich unfallversichert (L 6 U 81/19). Mehrere Pferdebesitzerinnen bildeten hier eine Interessengemeinschaft. Sie hätten abwechselnd, manchmal unterstützt vom befreundeten Herrn K, die Pferde in den Stall gebracht. Bei dieser Art Gefälligkeit handelten die Beteiligten nicht weisungsgebunden und nicht so ähnlich "wie Beschäftigte".

Für den Umgang mit Pferden benötigten erfahrene Mitglieder eines Reitvereins keine Anweisungen. Bei den Absprachen auf dem hobbymäßig betriebenen Reiterhof handelten die Reiterinnen ausschließlich im eigenen Interesse. Jede habe gewusst, wenn sie mal nicht kommen konnte, würde sich jemand um das eigene Pferd kümmern. Von einem Arbeitsunfall könne hier also nicht die Rede sein.

Frau A wird wohl doch Tierhalterin B auf Schadenersatz verklagen müssen, um von deren Versicherung Geld zu bekommen.

Sozialamt finanziert nur die erste Waschmaschine

Hilfeempfänger müssen Haushalts-Ersatzgeräte aus dem Regelsatz der Grundsicherung finanzieren

Eine alleinstehende, 72 Jahre alte Berlinerin, die von Grundsicherung im Alter lebt, beantragte beim Sozialamt ihres Bezirks 250 Euro Zuschuss für eine neue Waschmaschine, weil ihr Gerät defekt war.

Doch die Behörde lehnte den Antrag ab. Zuschüsse gebe es nur einmal, teilte sie mit, nur für die Erstausstattung einer Wohnung inklusive Haushaltsgeräte. Die Berlinerin habe aber Jahre zuvor, bei ihrem letzten Umzug, bereits eine kaputte, alte Waschmaschine entsorgt.

Ohne Erfolg klagte die Frau einen Zuschuss ein. Während des Verfahrens kaufte sie eine neue Waschmaschine für 299 Euro: Das Bundessozialgericht wies auch ihre Klage auf Erstattung der Kosten ab (B 8 SO 1/21 R). Hilfeempfänger müssten Ersatz für verschlissene Geräte aus dem Regelsatz der Grundsicherung finanzieren, erklärten die Bundesrichter: Anspruch auf Zuschuss hätten sie nicht.

Der Regelbedarf von Hilfeempfängern sei so berechnet, dass er auch Ausgaben für Ersatzgeräte aus dem Bereich "Weiße Ware" beinhalte, also für Waschmaschinen, Trockner, Spülmaschinen etc. Wenn das Geld nicht reiche, könnten sie vom Sozialamt für Neuanschaffungen ein Darlehen erhalten.

Über dessen Höhe und die Rückzahlung entscheide der Sozialhilfeträger "nach pflichtgemäßem Ermessen". Die monatlichen Rückzahlungsraten für das Darlehen dürften fünf Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nicht überschreiten (derzeit 22,45 Euro). So sei eine am individuellen Existenzsicherungsbedarf ausgerichtete Unterstützung sichergestellt.

Traktorunglück als tödlicher Arbeitsunfall

Ist die Berufsgenossenschaft zuständig, haben "Nahestehende" keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld

Bei Arbeitsunfällen springt grundsätzlich die gesetzliche Unfallversicherung ein. Wenn ein Unternehmer oder ein Kollege bei der Arbeit einen Arbeitnehmer verletzt oder tötet, haftet der Unfallverursacher dafür in der Regel nur, wenn es absichtlich geschah. Ansonsten sind private Ansprüche auf Schmerzensgeld ausgeschlossen: Solche Rechtsstreitigkeiten sollen nicht den Betriebsfrieden stören.

Wirkt sich dieser Grundsatz auch auf das so genannte Hinterbliebenengeld aus, das nahe Angehörige nach einem tödlichen Unfall vom Unfallverursacher verlangen können, um ihr "seelisches Leid" zu lindern? Diese Frage beantwortete jetzt der Bundesgerichtshof. Er musste sich mit einem tragischen Unfall befassen, den die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt hat.

Ein Landwirte-Ehepaar hatte einem landwirtschaftlichen Unternehmer beim Aufbau eines Weidezauns geholfen. Der Unternehmer versenkte mit einer am Traktor befestigten Greifschaufel Pfähle im Boden. Die Helferin hielt die Pfähle fest, bis der Unternehmer diese mit der Schaufel nach unten drückte. Dabei löste sich die Greifschaufel aus der Verankerung am Traktor und stürzte auf die Frau, die ihren Verletzungen erlag.

Der Witwer erhielt von der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft Sterbegeld und Hinterbliebenenrente, weil sie den Unfall als Arbeitsunfall einstufte: Die Eheleute hätten sich am Zaunbau beteiligt und damit so ähnlich betätigt "wie Beschäftigte" des landwirtschaftlichen Unternehmers.

Ohne Erfolg verlangte die Mutter des Landwirts zusätzlich 8.000 Euro Hinterbliebenengeld vom landwirtschaftlichen Unternehmer, weil ihr die Schwiegertochter so nahegestanden habe wie ein eigenes Kind.

Der Bundesgerichtshof wies ihre Klage ab (VI ZR 3/21). Prinzipiell seien bei Betriebsunfällen alle Betriebsangehörigen von der Haftung freigestellt (juristisch nennt man das Haftungsprivilegierung). Sinn dieser Regelung sei es, den Betriebsfrieden zu wahren und Prozesse zwischen Betriebsangehörigen zu vermeiden. Verletzte müssten dem Unfallverursacher kein Verschulden nachweisen, um Entschädigung zu erhalten. Sie müssen sich umgekehrt auch kein Mitverschulden auf ihre Ansprüche anrechnen lassen.

Die Haftungsfreistellung gelte auch gegenüber den Hinterbliebenen bei einem tödlichen Arbeitsunfall. Die Berufsgenossenschaft übernehme dann Leistungen wie Hinterbliebenenrente, auf diese Weise seien auch die Angehörigen in das System der gesetzlichen Unfallversicherung eingebunden. Wenn sich die Berufsgenossenschaft für zuständig erkläre, bestehe für die Angehörigen kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld vom "Urheber" des Unfalls.