Soziale Sicherung

Schüler beim Eishockeytraining im Verein verletzt

Dafür ist die Schülerunfallversicherung nicht zuständig, auch wenn Sportverein und Schule kooperieren

In der Schule und auf dem Schulweg stehen Schüler unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Natürlich auch beim Sportunterricht. Ob das auch beim abendlichen Training in einem Eishockeyverein gilt, musste das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg entscheiden: Ein Internatsschüler hatte sich beim Vereinstraining einen Beinbruch zugezogen.

Das Internat kooperiert mit dem Sportverein und berücksichtigt bei der Organisation von Lernzeiten und schulischen Betreuungsangeboten die Trainingszeiten des Vereins. Der Schüler bezieht vom Verein ein Stipendium von 1.500 Euro monatlich für die Schule. Die Schule wirbt im Internet für sich als "Eishockeyinternat".

Trotzdem verneinte das LSG Baden-Württemberg einen Schulunfall, für dessen Folgen die gesetzliche Unfallversicherung aufkommen müsste (L 10 U 2662/21).

Der Versicherungsschutz der Schülerunfallversicherung erstrecke sich auf den Unterricht und die Pausen dazwischen, auf den Schulweg und auf Aktivitäten bei Schulveranstaltungen, die im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule liegen. Wenn ein Schüler jedoch beim Training in einem Sportverein verletzt werde, sei dieser Unfall nicht vom Versicherungsschutz umfasst, so das LSG.

Die Schule sei in keiner Weise für das Training verantwortlich: Die Eishalle liege nicht auf dem Internatsgelände, beim Training sei kein Schulpersonal anwesend. Dass die Schule bei der Planung ihrer eigenen Veranstaltungen terminlich die Trainings- und Wettkampftermine des Vereins berücksichtige, stelle keine Mitwirkung beim oder Einflussnahme auf das Vereinstraining dar. Ein direkter sachlicher Zusammenhang zwischen Schulbesuch und Training sei daraus erst recht nicht abzuleiten.

Scheinselbständige Bauarbeiter

Das ist Schwarzarbeit: Baufirma muss 100.000 Euro an die Sozialversicherung nachzahlen

Drei ungarische Bauarbeiter, die kaum Deutsch sprachen, gründeten hierzulande ein Unternehmen (eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)), vermutlich nicht aus eigenem Antrieb. Für eine Kasseler Baufirma verrichteten die drei Männer als "Subunternehmer", für die keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt wurden, Trockenbauarbeiten: Sie verkleideten Säulen mit Brennschutzplatten.

Bei einer Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung fiel das eigenartige Subunternehmen auf: Die drei Männer seien in Wahrheit abhängig beschäftigt, stellte der Prüfer fest, es handle sich um so genannte Scheinselbständige. Die Deutsche Rentenversicherung forderte von der Baufirma nachträglich rund 100.000 Euro Sozialversicherungsbeiträge (Säumniszuschläge inbegriffen).

Dagegen pochte der Inhaber der Baufirma auf den Subunternehmer-Vertrag: Er habe den drei Männern für jede Säule einen Festbetrag von zehn bis elf Euro gezahlt. Sie hätten einen eigenen Firmenbus benutzt, eigene Arbeitsmaterialien verwendet und auch für andere Auftraggeber gearbeitet. Somit sei von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen, meinte der Bauunternehmer. Dem widersprach das Landessozialgericht Hessen (L 8 BA 51/20).

Tatsächlich besäßen die drei Bauarbeiter keinen Bus: Der Bauunternehmer habe sie in seinem Bus zu den Baustellen gefahren. Die Männer seien weder in der Lage, ein Unternehmen zu führen, noch hätten sie ein Unternehmerrisiko getragen. Die Arbeitszeit von 20 bis 60 Minuten pro Säule sei ebenso wie der Festpreis von der Firma vorgegeben worden. Die Firma habe die Arbeit organisiert und den Arbeitern Material und Werkzeug zugeteilt. Die Ungarn hätten im Wesentlichen nur ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt, seien also abhängig, d.h. sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen.

Selbstverständlich habe der Bauunternehmer das gewusst: Er habe den Subunternehmer-Vertrag mit den Bauarbeitern überhaupt nur abgeschlossen, um das Beschäftigungsverhältnis zu verschleiern und Sozialabgaben zu vermeiden. Auf Unkenntnis könne sich der Unternehmer jedenfalls nicht berufen: Davon könne in diesem Fall von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung keine Rede sein.

Forstwirt verletzt sich beim Bäume fällen

Ist das ein Arbeitsunfall, wenn der Baum nicht im Wald seines versicherten Forstbetriebs steht?

Ein forstwirtschaftlicher Unternehmer erlitt auf seiner Hofstelle einen Unfall: Beim Fällen eines Baumes war er auf einen Nagel getreten und hatte sich am Fuß verletzt. Der Baum hatte durch sein Wurzelwachstum einen Schuppen beschädigt, in dem der Forstwirt u.a. Werkzeuge des Betriebs lagerte. Deshalb hatte er beschlossen, den Baum zu beseitigen und den Schuppen neu zu bauen.

Bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft — Trägerin der Unfallversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau — beantragte der Mann Leistungen. Doch die Berufsgenossenschaft anerkannte sein Unglück nicht als Arbeitsunfall: Der Forstwirt leite zwar einen forstwirtschaftlichen Betrieb. Doch der Unfall sei nicht in dem Wald geschehen, den er mit seinem Unternehmen bewirtschafte. Nur dort sei er gesetzlich unfallversichert.

Das Sozialgericht Münster sah das anders und entschied den Rechtsstreit um Leistungen zu Gunsten des Versicherten (S 1 U 5011/23). Auch wenn sich der Unfall außerhalb der Waldfläche des Betriebs ereignete, sei hier von einem engen Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit des Forstwirts auszugehen. Die Fällarbeiten auf der Hofstelle seien erforderlich geworden, um den für das Unternehmen genutzten Schuppen zu erneuern. Daher habe der Forstwirt bei dieser Arbeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden.

Beamtin mit Corona infiziert

Gericht verneint trotz ihrer Arbeit in einem schlecht gelüfteten, kleinen Büro einen Dienstunfall

Eine Beamtin erkrankte im März 2020 an Covid. Davon erholte sie sich nicht mehr, Ärzte diagnostizierten Long-Covid. Im August 2022 wurde die Frau in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Vom Dienstherrn verlangte sie Leistungen der Unfallfürsorge: Ihre Krankheit sei als Dienstunfall anzuerkennen, weil sie sich bei der Arbeit angesteckt habe.

Im Gebäude des Landkreises habe sie sich ein winziges und obendrein schlecht belüftetes Büro mit zwei Kolleginnen geteilt, die sich ebenfalls mit dem Corona-Virus infiziert hätten. Auf dem Weg ins Büro habe sie zudem täglich durch einen Flur des Ausländeramts gehen müssen, der ständig mit wartenden Antragstellern überfüllt sei: Auch hier habe sie nie den richtigen Abstand zu anderen Personen einhalten können.

Das Verwaltungsgericht Neustadt verneinte einen Dienstunfall: Dass sich die Beamtin im Kreishaus infiziert habe, stehe nicht mit Sicherheit fest (1 K 486/22). Die Covid-Infektion gehöre zwar zu den Krankheiten, die unter Umständen als Dienstunfall eingestuft werden könnten. Das setze allerdings voraus, dass ein Beamter aufgrund der Art des Dienstes dem Ansteckungsrisiko in besonderer Weise ausgesetzt war. Bei der Corona-Pandemie treffe dies in erster Linie auf Personal in Kliniken und Arztpraxen zu.

Doch ein kleines Büro ohne Publikumsverkehr sei trotz schlechter Lüftung kein besonders gefährlicher Dienstort. Hier seien die Beamten dem Corona-Virus nicht in einem besonders hohen Maß ausgesetzt, sondern genauso wie an anderen Orten auch - zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, wo es auch gelegentlich eng werde. Das Ansteckungsrisiko sei für die Beamtin nicht höher gewesen als für andere Berufstätige.

Das gelte auch für den Flur des Ausländeramts, wo die Frau häufig am Publikum habe vorbeilaufen müssen: Auch der Flur sei kein außergewöhnlich gefährlicher Dienstort. Anders als bei längeren Unterhaltungen mit direkt gegenüberstehenden Personen sei beim bloßen Vorbeigehen an Personen das Ansteckungsrisiko gering. Ob in diesem Flur überhaupt jemand infiziert war, wisse ohnehin niemand.

Arbeitsloser Vater auf Kindesunterhalt verklagt

Die Unfallvorschusskasse darf Ersatzansprüche gegen Hilfeempfänger nicht gerichtlich durchsetzen

Kann ein unterhaltspflichtiger Elternteil den Unterhalt für ein Kind oder mehrere Kinder nicht aufbringen, springt der Staat mit Unterhaltsvorschuss ein — natürlich nur, solange der/die Unterhaltspflichtige leistungsunfähig ist: Für den Unterhaltsvorschuss ist die Unterhaltsvorschusskasse zuständig. Im konkreten Fall hatte die Unterhaltsvorschusskasse ab Januar 2020 Unterhaltsvorschuss für ein siebenjähriges Mädchen gezahlt: Es wohnt bei der Mutter, barunterhaltspflichtig ist der Vater.

2021 verlangte das Bundesland Nordrhein-Westfalen — Träger der Unterhaltsvorschusskasse — vom Vater des Mädchens das Geld zurück, obwohl er die ganze Zeit über von Leistungen des Jobcenters lebte. Die Forderung des Bundeslandes wurde vom Amtsgericht und vom Oberlandesgericht Düsseldorf als unzulässig abgewiesen. Zu Recht, entschied in letzter Instanz der Bundesgerichtshof (XII ZB 190/22).

Laut Gesetz dürfe die Unterhaltsvorschusskasse ihren Anspruch gegen Unterhaltspflichtige auf Rückzahlung nicht "verfolgen", solange diese Sozialleistungen beziehen und ansonsten über kein Einkommen verfügten (§ 7a Unterhaltsvorschussgesetz). Die Vorschrift schließe nicht nur eine Pfändung aus, sondern auch eine Klage auf Rückzahlung des Unterhaltsvorschusses. Ihr Sinn sei es, aufwändige — und meist unwirtschaftliche, weil erfolglose — Bemühungen der Behörden um Rückzahlung zu vermeiden.

Diese Regelung wäre außerdem überflüssig, wenn sie nur eine Zwangsvollstreckung des Unterhaltsanspruchs ausschließen würde und nicht auch die Klage. Sie setze ja gerade voraus, dass der/die Unterhaltspflichtige über kein Einkommen verfüge — außer den Sozialleistungen. Und Sozialleistungen dürften ohnehin nicht gepfändet werden.

Kein Geld vom Jobcenter für einen Hund

Tierhaltung gehört nicht zum Existenzminimum, das der Sozialstaat finanzieren muss

Schon seit vielen Jahren bezieht der arbeitslose Antragsteller Hartz-IV-Leistungen (jetzt: Bürgergeld). Beim Jobcenter beantragte er 2.000 Euro extra, weil er sich einen Hund anschaffen wollte, und zusätzlich 200 Euro im Monat für die Unterhaltskosten des Tieres. Da ihm das Jobcenter dafür kein Geld bewilligte, zog der Mann vor Gericht.

Ein Hund könne ihm Familie ersetzen und soziale Kontakte ermöglichen, so begründete der Hilfeempfänger seine Klage auf Kostenübernahme. Er brauche nach der Corona-Pandemie einen Begleiter als Hilfe, um die "schweren Folgen sozialer und finanzieller Isolation" auszugleichen. So ein Hund sorge zudem für eine "feste Tagesstruktur".

Die Klage scheiterte beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 9 AS 2274/22). Der Wunsch nach einem Tier begründe keinen Anspruch auf höhere Sozialleistungen, erklärte das LSG: Hundehaltung sei kein Bestandteil des Existenzminimums, das der Sozialstaat für Hilfsbedürftige gewährleisten müsse. Das Sozialgesetzbuch sehe keinen Mehrbedarf für Tierhaltung vor — es sei denn, es handle sich um einen ärztlich verschriebenen Therapiehund.

Der Langzeitarbeitslose habe sich aber bewusst nicht an seine Krankenkasse gewandt. Denn er benötige nach seiner eigenen Aussage keine "medizinische" Leistung, sondern einen "Begleithund" als Unterstützung bei Sozialkontakten. Soziale Kontakte könne er in seinem Wohnumfeld aber auch ohne Hund pflegen — zu Hundebesitzern und zu anderen Personen.

Trotz der corona-bedingten Isolationsvorschriften befinde sich der Hilfeempfänger auch nicht in einer außergewöhnlichen Lebenssituation, die er ohne Hund nicht bewältigen könne. Gesundheit und Leben seien nicht gefährdet.

Unfall beim Stapeln von Strohballen

Der verletzte Helfer unterstützte einen befreundeten Landwirt: Ein Fall für die gesetzliche Unfallversicherung?

Im August 2021 waren Gewitter angekündigt. Der Landwirt musste eilig die Strohernte einfahren und die Ballen in der Scheune einlagern. Sohn und Bruder waren verhindert, deshalb rief er einen Bekannten an und bat ihn um Hilfe. Der Maschinenschlosser, dessen Schwester mit der Frau des Landwirts gut befreundet war, hatte auch seinem Onkel schon bei der Strohernte geholfen.

Der Mann sagte zu und unterstützte am nächsten Tag den Landwirt beim Stapeln der Strohballen in der Scheune. Dabei ereignete sich das Unglück: Vom Förderband, das die Strohballen nach oben transportierte, fiel ein ca. 20 Kilogramm schwerer Ballen herunter und traf den Helfer am Rücken. Er sackte zusammen und konnte nicht mehr aufstehen. Gebrochene Wirbel mussten langwierig behandelt werden.

Bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung beantragte der Unglücksrabe Leistungen: Es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, da er im Interesse des Landwirts eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" verrichtet habe. Doch die Unfallversicherung sah das anders: Gefälligkeiten unter Freunden seien nicht gesetzlich unfallversichert.

Auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg verneinte einen Arbeitsunfall und wies die Klage des Verletzten ab (L 1 U 3333/22). Hier sei es um einen Hilfsdienst gegangen, dessen Motiv die freundschaftliche Verbundenheit zwischen der Familie des Verletzten und der Familie des Landwirts gewesen sei. Über eine Gegenleistung sei am Telefon nicht gesprochen worden, habe der Verletzte selbst betont: "Er helfe eben einfach auch so mal …".

So eine Hilfe diene dazu, eine Freundschaft zu festigen. Sie ähnle damit keineswegs einer Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Denn die sei nicht durch uneigennützige Hilfe, sondern durch gegenseitigen Austausch von Leistungen geprägt. Wenn die Pflege einer sozialen Beziehung zum Auftraggeber im Vordergrund stehe, liege keine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" vor.

Der Schlosser habe den Landwirt ca. fünf Stunden bei der Arbeit unterstützen sollen. Dieser Umfang der Tätigkeit sei bei einer einmaligen Mithilfe in der Landwirtschaft nicht ungewöhnlich und gehe nicht über den Rahmen hinaus, den man unter Freunden erwarten könne.

Prügelei während einer Betriebsfahrt

Keine Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung für einen verletzten Bauleiter

Mit dem Auto kehrte ein Bauleiter von einem Einsatz zurück zur Baufirma. Er konnte jedoch nicht auf das Betriebsgelände fahren, weil ein Lastwagen die Einfahrt blockierte. Obwohl der Angestellte den Lkw-Fahrer mehrmals dazu aufforderte, fuhr dieser nicht weg. Schließlich ließ der Bauleiter sein Auto draußen stehen und ging zu Fuß zum Büro.

Als er kurz darauf zum Wagen zurückging, um zur nächsten Baustelle zu fahren, lieferten sich die beiden Männer ein hitziges Wortgefecht. Der Lkw-Fahrer beschimpfte den Bauleiter als "egoistisches Arschloch". Daraufhin schloss dieser die Tür seines Wagens wieder und eilte zum Lkw, um "die Sache auszudiskutieren". Im weiteren Verlauf des Streits schlug ihn der Lkw-Fahrer mit der Faust ins Gesicht.

Der Bauleiter musste sein gebrochenes Nasenbein operieren lassen. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft beantragte er Reha-Leistungen. Doch die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannte seine Verletzung nicht als Folge eines Arbeitsunfalls. Beim Sozialgericht Berlin scheiterte auch die Zahlungsklage des Verletzten gegen die Berufsgenossenschaft (S 98 U 50/21).

Die Nasenbein- und Kiefernfraktur hänge nicht mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen, erklärte das Sozialgericht. Dass der Bauleiter im betrieblichen Auftrag zum Auto zurückging, ändere daran nichts: Denn er habe den Betriebsweg unterbrochen, um einem privaten Interesse nachzugehen. Wenn der Mann meine, er müsse den Lkw-Fahrer wegen seiner Beleidigung zur Rede stellen, sei das seine Sache.

Unfallversichert seien solche Auseinandersetzungen aber nicht. Wenn sich ein Arbeitnehmer während einer Betriebsfahrt auf einen Streit mit einem anderen Verkehrsteilnehmer einlasse, seien daraus resultierende Verletzungen nicht als Folgen eines Arbeitsunfalls einzustufen. Unabhängig vom Verschulden der Beteiligten im Einzelfall seien sie dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen.

Sturz beim Berliner Firmenlauf

Ein vielen Teilnehmern offenstehender Lauf ist kein gesetzlich unfallversicherter Betriebssport

Im Mai 2019 nahm Frau U gemeinsam mit Arbeitskollegen auf Inline-Skates am Berliner Firmenlauf im Tiergarten teil. Auf nassem Untergrund rutschte die Skaterin aus, stürzte und brach sich das rechte Handgelenk.

Von ihrer Berufsgenossenschaft verlangte die Angestellte, die Behandlungskosten zu übernehmen: Das sei ein Arbeitsunfall gewesen, weil der Firmenlauf eine betriebliche Veranstaltung sei. Dem widersprach die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und zahlte nicht.

Organisiert wird der Firmenlauf von einem Berliner Sportverein. Teilnehmen können sportliche Mitarbeiter vieler Unternehmen und Organisationen sowie Freizeitteams. Nach dem Sport und der Siegerehrung findet traditionell eine "Run-Party" für die Teilnehmer statt.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied den Streit zu Gunsten der Berufsgenossenschaft (L 3 U 66/21). Der Unfall hänge nicht mit der beruflichen Tätigkeit von Frau U zusammen. Um Betriebssport gehe es beim Firmenlauf nicht: Betriebssport zum Ausgleich für die beruflichen Anforderungen finde regelmäßig statt und stehe nur Beschäftigten des jeweiligen Arbeitgebers offen.

Der einmal jährlich veranstaltete Firmenlauf habe eher den Charakter eines Volksfestes, an dem sich viele Firmen und Einzelsportler beteiligen könnten. Die Tatsache, dass Frau U mit einigen Kollegen, die ebenfalls gerne skaten, vorher gelegentlich trainiert habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Das sei ein kleiner, privater Kreis mit dem gleichen Hobby.

Für die übrigen Beschäftigten des Unternehmens habe es an diesem Tag kein spezielles Programm gegeben. Auch wenn der Arbeitgeber die Startgebühr für den Firmenlauf gezahlt habe und die Skater-Gruppe sich als Team mit einem Namen angemeldet habe: Der Firmenlauf sei nicht mit einer Gemeinschaftsveranstaltung dieses einen Arbeitgebers zu verwechseln, die den Zusammenhalt der Arbeitnehmer seinem Betrieb fördern solle.

Heimbewohner starb, bevor über Sozialhilfe entschieden wurde

Das Sozialamt muss dem Altenheim trotzdem die Pflegekosten erstatten

Ein Rentner erkrankte schwer, wurde pflegebedürftig und in einem Altenheim untergebracht. Da seine Rente nicht ausreichte, um die Kosten des Heims zu decken, sollte das Sozialamt den fehlenden Betrag übernehmen. Der Antrag auf Sozialhilfe landete aber erst auf einem Umweg beim zuständigen Landkreis. Der Rentner starb, noch bevor über den Antrag entschieden war.

Das Altenheim verlangte vom Sozialamt des Landkreises, die ungedeckten Pflegeleistungen (über 10.000 DM) zu bezahlen. Die Sozialbehörde lehnte jedoch ab, weil der Anspruch auf Sozialhilfe höchstpersönlicher Natur sei. Nach dem Tod des Berechtigten könne nichts mehr bewilligt werden. Dem widersprach das Oberlandesgericht Köln (7 U 127/93).

Die Beteiligten seien sich einig, dass dem verstorbenen Rentner Sozialhilfe zustand. Also sei der Landkreis als zuständiger Sozialhilfeträger gesetzlich zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen. Diese Hilfe habe das Altenheim nur vorfinanziert. Wer aber für einen anderen in dessen Interesse Angelegenheiten besorge, könne Ersatz seiner Ausgaben verlangen. Gemäß diesem Rechtsgrundsatz - die so genannte "Geschäftsführung ohne Auftrag" - müsse der Landkreis die Pflegekosten ersetzen.

Jobcenter soll "platt sprechen"

Behörde muss ihre Bescheide nicht in plattdeutscher Sprache erteilen: Amtssprache ist hochdeutsch

Herr X, der 2017 Arbeitslosengeld II bezog, bekam seinerzeit auf eigenen Wunsch hin vom Jobcenter eine Stelle in einem Bauernmuseum zugewiesen. Kaum hatte er den entsprechenden Bescheid erhalten, klagte er dagegen und verlangte einen Behördenbescheid auf "plattdeutsch". Mit diesem aparten Anliegen hatte der Mann beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen keinen Erfolg (L 7 AS 1360/21).

Die Amtssprache sei (hoch)deutsch, stellte das LSG nüchtern fest, auch wenn die deutsche Sprache viele Mundarten und Dialekte umfasse. Herr X habe weder einen Anspruch auf Bescheide in platt- oder niederdeutscher Sprache, noch auf eine Übersetzung des Behördenbescheids aus dem Hochdeutschen ins Plattdeutsche: X beherrsche nachweislich Hochdeutsch.

Verwaltungsverfahren müssten einfach und zweckmäßig sein sowie "zügig durchführbar". Ein unübersichtliches Nebeneinander von Sprachvarianten mit unterschiedlichen Schreibweisen, die immer nur in einer Gegend von einem Teil der Bevölkerung verstanden werden, wäre mit diesem Grundsatz unvereinbar. Eine gemeinsame niederdeutsche Schriftsprache existiere schon seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr.

Völlig zu Recht habe die Vorinstanz, das Sozialgericht Detmold, gegen den Kläger eine Sanktion von 500 Euro festgesetzt ("Verschuldenskosten"), weil er die Justiz mit dieser unsinnigen und absolut substanzlosen Klage beschäftigt habe.

Pferd ging wegen Mähdrescher durch

Das Tier riss seine Urlaubsbetreuerin mit und verletzte sie: ein Arbeitsunfall?

Pferdeliebhaberin D war gerade arbeitslos und übernahm im Reiterhof einer Tierärztin einen Minijob als Stallhilfe. Diese bot ihr nach einigen Monaten eine weitere Aufgabe an: In einem Nachbarstall suche eine Reiterin jemanden, der während ihres Urlaubs ihr Pferd Z zwei- oder dreimal pro Woche spazieren führe. Frau D einigte sich mit der Reiterin: Sie sollte das Tier putzen und ausführen, aber nicht reiten, ihm bei den Rundgängen Trense und Hufschuhe anlegen.

Beim vierten Ausgang ging Frau D mit Z einen Flurweg entlang. Langsam fuhr ein Mähdrescher an ihnen vorbei. Als der Fahrer nach dem Überholen Gas gab, erschrak das Pferd, sprang davon, zog Frau D mit und trat ihr auf ein Bein. Die Pferdebetreuerin erlitt Quetschungen und einen Kreuzbandriss im linken Knie.

Von der Tierhalterin forderte sie Schmerzensgeld. Doch das Landgericht Bayreuth erklärte deren Haftung für ausgeschlossen: Für die Folgen des Arbeitsunfalls sei die landwirtschaftliche Unfallkasse zuständig.

Die Unfallkasse konnte hier allerdings keinen Arbeitsunfall erkennen und lehnte Leistungen ab: Frau D habe Spaß am Umgang mit Pferden, diesem Zweck habe auch der Spaziergang gedient. Wer in der Freizeit einem Hobby nachgehe, stehe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Gegen diesen Bescheid gingen Frau D und die Reiterin nun gemeinsam vor — mit Erfolg beim Landessozialgericht Bayern: Es stufte den Sturz als Arbeitsunfall ein (L 117 U 168/21).

Frau D habe das Pferd nicht als abhängig Beschäftigte ausgeführt, ein reguläres Arbeitsverhältnis mit der Reiterin habe nicht bestanden. Hier sei aber von einer "arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit" auszugehen, wie sie üblicherweise von Pferdepflegern oder Stallgehilfen erledigt werde. Die Tierhalterin habe Frau D mit 50 Euro entlohnt, eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" setze allerdings nicht zwingend eine Bezahlung voraus.

Frau D habe sich an alle Vorgaben der Reiterin gehalten: an die empfohlenen Rundwege, an Dauer und Häufigkeit der Spaziergänge — natürlich je nach Wetter und Verfassung des Pferdes. Sie habe Z mit Trense und Hufschuhen ausgeführt. Allein der Umstand, dass Frau D Pferdeliebhaberin sei, bedeute nicht, dass sie mit Z nur in ihrem eigenen Interesse unterwegs gewesen sei: Das belege schon der Umstand, dass die gute Reiterin D das Pferd weisungsgemäß nicht geritten habe.

Hier handle es sich auch nicht um eine Gefälligkeit unter Reiterfreunden. Eine Sonderbeziehung, z.B. durch eine Reitbeteiligung oder die Mitgliedschaft in demselben Reitverein, würde eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" ausschließen. Die beiden Frauen hätten sich vor der Urlaubsbetreuung von Z jedoch nicht gekannt.

Sturz im Finanzamt

Handelt es sich um einen Arbeitsunfall, wenn sich eine Angestellte beim Kaffee holen verletzt?

Eine Verwaltungsangestellte im Finanzamt wollte sich während der Arbeit Kaffee holen. Der Getränkeautomat steht im Sozialraum der Behörde. Auf dem Weg dahin rutschte die 57-Jährige auf nassem Boden aus und erlitt einen Lendenwirbelbruch. Um in den Genuss von Reha-Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu kommen, beantragte die Frau bei der Unfallkasse Hessen, ihren Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Unfallkasse winkte ab: Der Versicherungsschutz ende prinzipiell dann, wenn der/die Versicherte durch die Kantinentür gehe. Essen und Trinken gehörten zum privaten Lebensbereich, da gebe es keinen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. In diesem Punkt widersprach das Landessozialgericht Hessen und gab der Angestellten Recht (L 3 U 202/21).

Richtig sei: Wer den Arbeitsweg unterbreche, um zwischendurch Lebensmittel einzukaufen, sei dabei nicht gesetzlich unfallversichert. Diese Besorgung sei ausschließlich privat. Auch beim Essen in der Kantine greife der Versicherungsschutz nicht: Auch die Nahrungsaufnahme zähle zum privaten Lebensbereich. Wenn aber eine versicherte Person zu einem Automaten gehe, der im Betriebsgebäude — hier: im Finanzamt — aufgestellt sei, handle es sich um einen Arbeitsunfall.

Auf dem Weg zum Getränkeautomaten gelte Versicherungsschutz, weil das Gebäude und auch der Sozialraum eindeutig zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers gehörten. Wenn hier eine Angestellte wegen Feuchtigkeit am Boden ausrutsche und stürze, sei dafür der Arbeitgeber verantwortlich. Der Unfall stehe damit in einem inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit.

Auf dem Weg zum Briefkasten gestürzt

Das ist als Arbeitsunfall anzusehen, wenn die erkrankte Arbeitnehmerin ihre AU-Bescheinigung einwerfen wollte

Eine Arbeitnehmerin war von ihrem Hausarzt krankgeschrieben worden und wollte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber schicken. An einem Wintertag machte sie sich auf den Weg zum Briefkasten. Doch bevor die Frau den Brief einwerfen konnte, rutschte sie auf einer Eisplatte aus, stürzte und verletzte sich am Knie. Die Behandlung dauerte lange.

Nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber bezog die Verletzte Krankengeld von ihrer gesetzlichen Krankenkasse. Vergeblich bemühte sich die Frau um Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung: Ihre Berufsgenossenschaft war der Ansicht, es handle sich hier nicht um einen Arbeitsunfall.

Auch die Krankenkasse forderte von der Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung erfolglos Ersatz der Behandlungskosten: Die Berufsgenossenschaft lehnte Leistungen ab. Auch eine Klage der Krankenkasse scheiterte beim Sozialgericht und beim Landessozialgericht.

Hier einen Arbeitsunfall zu verneinen, sei "offensichtlich fehlerhaft", entschied dagegen das Bundessozialgericht (B 2 U 1/21 R). Laut Entgeltfortzahlungsgesetz seien erkrankte Arbeitnehmer verpflichtet, den Arbeitgeber schnell und zuverlässig über die voraussichtliche Dauer ihrer Erkrankung zu informieren. Diese Pflicht habe die Arbeitnehmerin im konkreten Fall erfüllen wollen.

Wenn sich eine kranke Arbeitnehmerin wie vorgeschrieben auf den Weg zum Briefkasten mache, um dem Betrieb die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes zu senden, hänge dies direkt mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammen. Wer auf einem Betriebsweg verunglücke, stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Forstunternehmer verletzte sich beim Holzspalten

Kein Arbeitsunfall: Holz für die Wohnung der Eltern dient nicht dem Forstbetrieb

Im September 2021 erlitt ein 52-jähriger Mann, der im Nebenerwerb einen forstwirtschaftlichen Betrieb führt, einen Unfall: Beim Bedienen des Holzspalters sprang ein größeres Holzscheit ab und gegen sein Schienbein. Die Risswunde musste mehrmals ärztlich behandelt werden. Der Forstunternehmer ist in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert.

Doch die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, die Kosten für Behandlung und Reha-Maßnahmen zu übernehmen: Hier handle es sich nicht um einen Arbeitsunfall, so der Bescheid, denn das Holz stammte weder aus dem eigenen Wald, noch sei es für landwirtschaftliche Zwecke verarbeitet worden. Vielmehr habe der Forstunternehmer Holz zugekauft und gespalten, um damit seine Wohnung und die seiner Eltern zu heizen.

Dem widersprach der Versicherte: Von der Hofstelle aus werde der forstwirtschaftliche Betrieb organisiert, da gebe es einen betriebswirtschaftlichen Zusammenhang. Außerdem sei er laut Hofübergabevertrag verpflichtet, die Eltern ("Altenteiler") mit Brennholz für den Winter zu versorgen. Er sei also im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Forstwirt verunglückt.

Das Sozialgericht München wies die Klage des Forstwirts gegen die Berufsgenossenschaft ab (S 1 U 5029/22). Der Unfall sei zwar in seiner Scheune auf dem Betriebsgelände und mit einer Maschine seines Betriebs passiert. Der Versicherte habe aber keine Erzeugnisse seines Betriebs verarbeitet, sondern Holz für private Zwecke zugekauft und gespalten. Das Holz habe nicht dem Forstbetrieb dienen sollen, sondern dem Haushalt der Altenteiler.

Dass der Forstwirt damit Pflichten aus dem Übergabevertrag erfüllt habe, ändere daran nichts. Zwar diene eine möglichst umfassende Versorgung der Hofübergeber einer funktionierenden, generationenübergreifenden Landwirtschaft. Das bedeute aber nicht, dass man durch private Vereinbarungen zwischen den Hofübergebern und den Hofübernehmern — wie hier das Liefern von Brennholz — den Unfallversicherungsschutz beliebig erweitern könne. Nicht jede im "Altenteilervertrag" vereinbarte Pflicht stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Landwirt von einer Zecke gebissen

Für eine folgenlos ausgeheilte Borreliose muss die Berufsgenossenschaft keine Rente zahlen

Als selbständiger Landwirt ist Herr M bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert. Der Unfallversicherung, die auch für Berufskrankheiten zuständig ist, meldete er eine Borreliose-Erkrankung: Beim Einzäunen einer Wiese sei er von einer Zecke in die rechte Kniekehle gebissen worden. Seither leide er trotz einer Antibiotika-Therapie an Gelenkbeschwerden und Kopfschmerzen, typischen Krankheitssymptomen einer Borreliose.

Die Borreliose — eine Infektion mit Bakterien, die Zecken auf Menschen übertragen — ist als Berufskrankheit anerkannt. Deshalb übernahm die Berufsgenossenschaft die Kosten der Heilbehandlung. Sie verneinte aber auf Basis verschiedener ärztlicher Gutachten einen Anspruch des Landwirts auf eine Rente.

Die Borreliose sei vollständig ausgeheilt, erklärte die Berufsgenossenschaft, die Kniebeschwerden seien nur Verschleißerscheinungen. M habe auch keine Probleme mit dem Herz oder dem Nervensystem, bei denen die Borrelien-Infektion eine Rolle spiele. Und seine Erwerbsfähigkeit sei nicht messbar gemindert.

Landwirt M klagte gegen den ablehnenden Bescheid: Ein negativer Befund beim Bluttest sei kein sicherer Nachweis, dass die Borreliose ausgeheilt sei. Seine Beschwerden seien nur als Folge der Borreliose erklärbar — eine andere Erklärung hätten auch die medizinischen Sachverständigen der Berufsgenossenschaft nicht gefunden.

Welche Ursache den Beschwerden des Versicherten tatsächlich zugrunde liege, müssten die Experten der Unfallversicherung nicht aufklären, urteilte das Landessozialgericht Hessen (L 3 U 13/18). Ihre Aufgabe sei es allein, den behaupteten Ursachenzusammenhang zwischen der anerkannten Berufskrankheit und den vom Landwirt vorgetragenen Gesundheitsproblemen zu prüfen.

Dieser Zusammenhang sei verneint worden, weil seine Beschwerden - anders als M behaupte - nicht zu den typischen Folgen einer Borreliose-Erkrankung zählten. Nach Ansicht der Sachverständigen stehe fest, dass die versicherte Berufskrankheit Borreliose bei ihm folgenlos ausgeheilt sei. Deshalb sei die Klage abzuweisen. Im Übrigen hätten die Gutachter sehr wohl auch auf mögliche andere Ursachen verwiesen.

Da M seit Jahren körperlich arbeite, sei dies vor allem in Bezug auf die Gelenkbeschwerden plausibel: Der Orthopäde habe eine Fehlstatik der Wirbelsäule, Schäden an der Halswirbelsäule und Knick-Senkfüße festgestellt. Schon deshalb sei die Behauptung des Landwirts nicht nachvollziehbar, als Ursache für die Kniebeschwerden komme nur die Borreliose in Frage.

Jobcenter fordert Grundsicherung zurück

Tritt ein Arbeitsloser eine Stelle nicht an, kann es dafür auch mal gute Gründe geben

Der 1962 geborene Mann hatte bis 2003 als Buchhalter gearbeitet. Dann verlor er seinen Job. Jahrelang bewarb er sich erfolglos auf Stellen als Buchhalter, bezog Arbeitslosengeld und nahm gelegentlich Hilfsarbeiter-Jobs an. Das Jobcenter hatte es 2017 aufgegeben, den Mann noch als Buchhalter zu vermitteln, Bewerbungen seien nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend, hatte ihm der Sachbearbeiter erklärt.

Überraschend erhielt der Arbeitslose 2019 trotzdem einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Düsseldorfer Behörde. Doch kurz vor dem Ziel platzte die Sache. Das Jobcenter lehnte es nämlich ab, die Mietkaution für eine Wohnung in Düsseldorf zu finanzieren. Der Mann selbst war dazu nicht in der Lage, also erhielt er keinen Mietvertrag. Aus dem Umzug und der neuen Arbeitsstelle wurde nichts.

Ausgerechnet der Sachbearbeiter des Jobcenters warf ihm deshalb "sozialwidriges Verhalten" vor: Der Hilfeempfänger sei nicht zum Einstellungstermin erschienen und habe damit vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert. Dafür sollte der Arbeitslose büßen und 6.800 Euro Grundsicherungsleistungen zurückzahlen.

Gegen die Rückforderung zog der Hilfeempfänger vor Gericht. Er habe sich nichts vorzuwerfen, erklärte er. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschreiben können, weil der alte Mietvertrag noch nicht "abgewickelt" gewesen sei und er für die Kaution kein Geld gehabt habe. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gab ihm Recht und erklärte die Forderung des Jobcenters für unzulässig (L 11 AS 336/21).

Um die Arbeitsstelle in Düsseldorf anzutreten, hätte der Langzeitarbeitslose umziehen müssen. Sein bisheriger Wohnort liege so weit entfernt, dass er von dort aus nicht täglich nach Düsseldorf hätte pendeln können. Den Umzug habe aber nicht der Hilfeempfänger vereitelt, sondern das Jobcenter, weil es die Übernahme der Mietkaution ablehnte.

Dass der arbeitslose Mann die Buchhalterstelle nicht antrat, sei daher nicht als sozialwidriges Verhalten einzustufen. Wenn der Betroffene nicht in der Lage sei, am künftigen Beschäftigungsort eine Wohnung zu mieten, weil ihm die Mittel für die Kaution fehlten und das Jobcenter diese Mittel verweigere, dürfe die Behörde nicht "wegen Arbeitsverweigerung" die Grundsicherungsleistungen zurückverlangen.

Teilnahmegebühr für eine Schulprojektwoche

Das Jobcenter muss einer Schülerin mit einkommensschwachen Eltern die Gebühr erstatten

Eine Schule im Süden des Bundeslandes Brandenburg hatte 2018 für alle Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 1 bis 6 eine Projektwoche durchgeführt: In einem auf dem Schulgelände aufgestellten Zirkuszelt sollten sie sich mit dem Thema Zirkus beschäftigen. Die Teilnahme kostete zehn Euro. Eine Schülerin, deren Eltern Grundsicherung beziehen, bezahlte die Gebühr und verlangte anschließend vom Jobcenter, den Betrag zu erstatten.

Das Jobcenter lehnte die Kostenübernahme ab: Derlei sei laut Sozialgesetzbuch nur vorgesehen, wenn es um Ausgaben für einen Schulausflug oder eine Klassenfahrt gehe. Die Projektwoche habe aber auf dem Schulgelände stattgefunden.

Gegen den negativen Bescheid klagte die Schülerin, kämpfte sich bis zum Bundessozialgericht durch und bekam Recht (B 7 AS 9/22 R).

Die Kostenübernahme auf Schulausflüge zu begrenzen — also auf schulische Veranstaltungen, bei denen eine Klasse das Schulgelände verlässt —, verkürze planwidrig den Anspruch von Schülern aus einkommensschwachen Familien, so die Bundesrichter. Gerade in der Schule müssten alle Kinder gleichberechtigt an Bildungsangeboten teilhaben. Dies sei das zentrale Anliegen der einschlägigen Regelung im Sozialgesetzbuch.

Dabei mache es keinen Unterschied, wo die Veranstaltung stattfinde: ob auf dem Schulgelände oder außerhalb. Es komme nur darauf an, dass es sich um eine von der Schule organisierte Veranstaltung handle, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder diene. Die Zirkusprojektwoche werde diesem Maßstab gerecht und könnte ebenso gut außerhalb des Schulgeländes stattfinden ("Lernen an einem anderen Ort"). Daher müsse das Jobcenter die Kosten tragen.

Karlsruhe rügt zweierlei Maß beim Weihnachts- und Urlaubsgeld

Auch Einmalzahlungen müssen Einfluss auf das Arbeitslosengeld haben

Die Beiträge zur Sozialversicherung richten sich nach der Höhe des Lohns. Dabei werden auch Beträge wie das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld herangezogen, die nur einmal im Jahr gezahlt werden. Wenn es aber um die Berechnung der Lohnersatzleistungen geht (Beispiel: Arbeitslosengeld), bleiben diese Einmalzahlungen unberücksichtigt.

Ein Bürger zog dagegen vor das Bundesverfassungsgericht: Diese beiden Regelungen des Sozialrechts passten nicht zusammen und verletzten den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Die Karlsruher Richter gaben ihm Recht: Sie erklärten die angegriffenen Bestimmungen für verfassungswidrig (1 BvR 892/88). Nicht nur der laufende Lohn, sondern auch einmalige Sonderzahlungen beeinflussten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Und nach der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers müsse sich die Höhe des Arbeitslosengeldes richten. Der Gesetzgeber müsse daher die betreffenden Gesetze ändern.

Langzeitarbeitsloser soll Grundsicherung zurückzahlen

Jobcenter fordert wegen einer vor Jahren abgebrochenen Ausbildung einen hohen Betrag: unverhältnismäßig!

Vor einigen Jahren hatte ein (damals) 20-Jähriger seinen Ausbildungsplatz verloren, weil er wiederholt unentschuldigt fehlte. Danach hatte sich der Mann arbeitslos gemeldet. Wegen des Ausbildungsabbruchs erhielt er vorübergehend 30 Prozent weniger Grundsicherung. Insgesamt bezog der Mann fast vier Jahre lang Grundsicherungsleistungen, bis plötzlich das Jobcenter rund 51.000 Euro zurückforderte.

Begründung: Durch sein sozialwidriges Verhalten habe der Langzeitarbeitslose seinerzeit die Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Elektroniker hätte er auf dem Arbeitsmarkt sehr gute Chancen gehabt. Gegen die Rückforderung setzte sich der Mann zur Wehr: Dass er immer noch arbeitslos sei, habe mit seinem Verhalten als Auszubildender nichts mehr zu tun.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gab ihm Recht (L 11 AS 346/22). Dass der Mann die Kündigung des Ausbildungsvertrags durch den Betrieb mit seinem Verhalten schon fast provoziert habe, sei durchaus als sozialwidrig einzustufen. Mittlerweile seien aber mehrere Jahre vergangen. Das damalige Verhalten sei nicht mehr ursächlich dafür, dass der Mann immer noch Grundsicherung benötige. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass er mit einem regulären Berufsabschluss durchgängig gearbeitet hätte, gebe es auch nicht.

Vor allem sei es unverhältnismäßig, Jahre nach einer "typischen Jugendsünde" einen derart hohen Betrag zurückzuverlangen: Müsste der Arbeitslose diese Summe abstottern, würde dies erst recht jede Erwerbsperspektive für ihn zerstören. Bei jungen Menschen sei es ein weit verbreitetes Phänomen, dass sie die Berufsausbildung vernachlässigten oder abbrechen. Für Außenstehende sei das leichter als unklug und irrational zu erkennen. Doch die Betroffenen seien in der Regel erst später so einsichtig.