Soziale Sicherung

Kein Geld vom Jobcenter für einen Hund

Tierhaltung gehört nicht zum Existenzminimum, das der Sozialstaat finanzieren muss

Schon seit vielen Jahren bezieht der arbeitslose Antragsteller Hartz-IV-Leistungen (jetzt: Bürgergeld). Beim Jobcenter beantragte er 2.000 Euro extra, weil er sich einen Hund anschaffen wollte, und zusätzlich 200 Euro im Monat für die Unterhaltskosten des Tieres. Da ihm das Jobcenter dafür kein Geld bewilligte, zog der Mann vor Gericht.

Ein Hund könne ihm Familie ersetzen und soziale Kontakte ermöglichen, so begründete der Hilfeempfänger seine Klage auf Kostenübernahme. Er brauche nach der Corona-Pandemie einen Begleiter als Hilfe, um die "schweren Folgen sozialer und finanzieller Isolation" auszugleichen. So ein Hund sorge zudem für eine "feste Tagesstruktur".

Die Klage scheiterte beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 9 AS 2274/22). Der Wunsch nach einem Tier begründe keinen Anspruch auf höhere Sozialleistungen, erklärte das LSG: Hundehaltung sei kein Bestandteil des Existenzminimums, das der Sozialstaat für Hilfsbedürftige gewährleisten müsse. Das Sozialgesetzbuch sehe keinen Mehrbedarf für Tierhaltung vor — es sei denn, es handle sich um einen ärztlich verschriebenen Therapiehund.

Der Langzeitarbeitslose habe sich aber bewusst nicht an seine Krankenkasse gewandt. Denn er benötige nach seiner eigenen Aussage keine "medizinische" Leistung, sondern einen "Begleithund" als Unterstützung bei Sozialkontakten. Soziale Kontakte könne er in seinem Wohnumfeld aber auch ohne Hund pflegen — zu Hundebesitzern und zu anderen Personen.

Trotz der corona-bedingten Isolationsvorschriften befinde sich der Hilfeempfänger auch nicht in einer außergewöhnlichen Lebenssituation, die er ohne Hund nicht bewältigen könne. Gesundheit und Leben seien nicht gefährdet.

Unfall beim Stapeln von Strohballen

Der verletzte Helfer unterstützte einen befreundeten Landwirt: Ein Fall für die gesetzliche Unfallversicherung?

Im August 2021 waren Gewitter angekündigt. Der Landwirt musste eilig die Strohernte einfahren und die Ballen in der Scheune einlagern. Sohn und Bruder waren verhindert, deshalb rief er einen Bekannten an und bat ihn um Hilfe. Der Maschinenschlosser, dessen Schwester mit der Frau des Landwirts gut befreundet war, hatte auch seinem Onkel schon bei der Strohernte geholfen.

Der Mann sagte zu und unterstützte am nächsten Tag den Landwirt beim Stapeln der Strohballen in der Scheune. Dabei ereignete sich das Unglück: Vom Förderband, das die Strohballen nach oben transportierte, fiel ein ca. 20 Kilogramm schwerer Ballen herunter und traf den Helfer am Rücken. Er sackte zusammen und konnte nicht mehr aufstehen. Gebrochene Wirbel mussten langwierig behandelt werden.

Bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung beantragte der Unglücksrabe Leistungen: Es habe sich um einen Arbeitsunfall gehandelt, da er im Interesse des Landwirts eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" verrichtet habe. Doch die Unfallversicherung sah das anders: Gefälligkeiten unter Freunden seien nicht gesetzlich unfallversichert.

Auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg verneinte einen Arbeitsunfall und wies die Klage des Verletzten ab (L 1 U 3333/22). Hier sei es um einen Hilfsdienst gegangen, dessen Motiv die freundschaftliche Verbundenheit zwischen der Familie des Verletzten und der Familie des Landwirts gewesen sei. Über eine Gegenleistung sei am Telefon nicht gesprochen worden, habe der Verletzte selbst betont: "Er helfe eben einfach auch so mal …".

So eine Hilfe diene dazu, eine Freundschaft zu festigen. Sie ähnle damit keineswegs einer Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Denn die sei nicht durch uneigennützige Hilfe, sondern durch gegenseitigen Austausch von Leistungen geprägt. Wenn die Pflege einer sozialen Beziehung zum Auftraggeber im Vordergrund stehe, liege keine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" vor.

Der Schlosser habe den Landwirt ca. fünf Stunden bei der Arbeit unterstützen sollen. Dieser Umfang der Tätigkeit sei bei einer einmaligen Mithilfe in der Landwirtschaft nicht ungewöhnlich und gehe nicht über den Rahmen hinaus, den man unter Freunden erwarten könne.

Prügelei während einer Betriebsfahrt

Keine Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung für einen verletzten Bauleiter

Mit dem Auto kehrte ein Bauleiter von einem Einsatz zurück zur Baufirma. Er konnte jedoch nicht auf das Betriebsgelände fahren, weil ein Lastwagen die Einfahrt blockierte. Obwohl der Angestellte den Lkw-Fahrer mehrmals dazu aufforderte, fuhr dieser nicht weg. Schließlich ließ der Bauleiter sein Auto draußen stehen und ging zu Fuß zum Büro.

Als er kurz darauf zum Wagen zurückging, um zur nächsten Baustelle zu fahren, lieferten sich die beiden Männer ein hitziges Wortgefecht. Der Lkw-Fahrer beschimpfte den Bauleiter als "egoistisches Arschloch". Daraufhin schloss dieser die Tür seines Wagens wieder und eilte zum Lkw, um "die Sache auszudiskutieren". Im weiteren Verlauf des Streits schlug ihn der Lkw-Fahrer mit der Faust ins Gesicht.

Der Bauleiter musste sein gebrochenes Nasenbein operieren lassen. Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft beantragte er Reha-Leistungen. Doch die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannte seine Verletzung nicht als Folge eines Arbeitsunfalls. Beim Sozialgericht Berlin scheiterte auch die Zahlungsklage des Verletzten gegen die Berufsgenossenschaft (S 98 U 50/21).

Die Nasenbein- und Kiefernfraktur hänge nicht mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen, erklärte das Sozialgericht. Dass der Bauleiter im betrieblichen Auftrag zum Auto zurückging, ändere daran nichts: Denn er habe den Betriebsweg unterbrochen, um einem privaten Interesse nachzugehen. Wenn der Mann meine, er müsse den Lkw-Fahrer wegen seiner Beleidigung zur Rede stellen, sei das seine Sache.

Unfallversichert seien solche Auseinandersetzungen aber nicht. Wenn sich ein Arbeitnehmer während einer Betriebsfahrt auf einen Streit mit einem anderen Verkehrsteilnehmer einlasse, seien daraus resultierende Verletzungen nicht als Folgen eines Arbeitsunfalls einzustufen. Unabhängig vom Verschulden der Beteiligten im Einzelfall seien sie dem privaten Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen.

Sturz beim Berliner Firmenlauf

Ein vielen Teilnehmern offenstehender Lauf ist kein gesetzlich unfallversicherter Betriebssport

Im Mai 2019 nahm Frau U gemeinsam mit Arbeitskollegen auf Inline-Skates am Berliner Firmenlauf im Tiergarten teil. Auf nassem Untergrund rutschte die Skaterin aus, stürzte und brach sich das rechte Handgelenk.

Von ihrer Berufsgenossenschaft verlangte die Angestellte, die Behandlungskosten zu übernehmen: Das sei ein Arbeitsunfall gewesen, weil der Firmenlauf eine betriebliche Veranstaltung sei. Dem widersprach die Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung und zahlte nicht.

Organisiert wird der Firmenlauf von einem Berliner Sportverein. Teilnehmen können sportliche Mitarbeiter vieler Unternehmen und Organisationen sowie Freizeitteams. Nach dem Sport und der Siegerehrung findet traditionell eine "Run-Party" für die Teilnehmer statt.

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg entschied den Streit zu Gunsten der Berufsgenossenschaft (L 3 U 66/21). Der Unfall hänge nicht mit der beruflichen Tätigkeit von Frau U zusammen. Um Betriebssport gehe es beim Firmenlauf nicht: Betriebssport zum Ausgleich für die beruflichen Anforderungen finde regelmäßig statt und stehe nur Beschäftigten des jeweiligen Arbeitgebers offen.

Der einmal jährlich veranstaltete Firmenlauf habe eher den Charakter eines Volksfestes, an dem sich viele Firmen und Einzelsportler beteiligen könnten. Die Tatsache, dass Frau U mit einigen Kollegen, die ebenfalls gerne skaten, vorher gelegentlich trainiert habe, führe zu keiner anderen Beurteilung. Das sei ein kleiner, privater Kreis mit dem gleichen Hobby.

Für die übrigen Beschäftigten des Unternehmens habe es an diesem Tag kein spezielles Programm gegeben. Auch wenn der Arbeitgeber die Startgebühr für den Firmenlauf gezahlt habe und die Skater-Gruppe sich als Team mit einem Namen angemeldet habe: Der Firmenlauf sei nicht mit einer Gemeinschaftsveranstaltung dieses einen Arbeitgebers zu verwechseln, die den Zusammenhalt der Arbeitnehmer seinem Betrieb fördern solle.

Heimbewohner starb, bevor über Sozialhilfe entschieden wurde

Das Sozialamt muss dem Altenheim trotzdem die Pflegekosten erstatten

Ein Rentner erkrankte schwer, wurde pflegebedürftig und in einem Altenheim untergebracht. Da seine Rente nicht ausreichte, um die Kosten des Heims zu decken, sollte das Sozialamt den fehlenden Betrag übernehmen. Der Antrag auf Sozialhilfe landete aber erst auf einem Umweg beim zuständigen Landkreis. Der Rentner starb, noch bevor über den Antrag entschieden war.

Das Altenheim verlangte vom Sozialamt des Landkreises, die ungedeckten Pflegeleistungen (über 10.000 DM) zu bezahlen. Die Sozialbehörde lehnte jedoch ab, weil der Anspruch auf Sozialhilfe höchstpersönlicher Natur sei. Nach dem Tod des Berechtigten könne nichts mehr bewilligt werden. Dem widersprach das Oberlandesgericht Köln (7 U 127/93).

Die Beteiligten seien sich einig, dass dem verstorbenen Rentner Sozialhilfe zustand. Also sei der Landkreis als zuständiger Sozialhilfeträger gesetzlich zur Hilfeleistung verpflichtet gewesen. Diese Hilfe habe das Altenheim nur vorfinanziert. Wer aber für einen anderen in dessen Interesse Angelegenheiten besorge, könne Ersatz seiner Ausgaben verlangen. Gemäß diesem Rechtsgrundsatz - die so genannte "Geschäftsführung ohne Auftrag" - müsse der Landkreis die Pflegekosten ersetzen.

Jobcenter soll "platt sprechen"

Behörde muss ihre Bescheide nicht in plattdeutscher Sprache erteilen: Amtssprache ist hochdeutsch

Herr X, der 2017 Arbeitslosengeld II bezog, bekam seinerzeit auf eigenen Wunsch hin vom Jobcenter eine Stelle in einem Bauernmuseum zugewiesen. Kaum hatte er den entsprechenden Bescheid erhalten, klagte er dagegen und verlangte einen Behördenbescheid auf "plattdeutsch". Mit diesem aparten Anliegen hatte der Mann beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen keinen Erfolg (L 7 AS 1360/21).

Die Amtssprache sei (hoch)deutsch, stellte das LSG nüchtern fest, auch wenn die deutsche Sprache viele Mundarten und Dialekte umfasse. Herr X habe weder einen Anspruch auf Bescheide in platt- oder niederdeutscher Sprache, noch auf eine Übersetzung des Behördenbescheids aus dem Hochdeutschen ins Plattdeutsche: X beherrsche nachweislich Hochdeutsch.

Verwaltungsverfahren müssten einfach und zweckmäßig sein sowie "zügig durchführbar". Ein unübersichtliches Nebeneinander von Sprachvarianten mit unterschiedlichen Schreibweisen, die immer nur in einer Gegend von einem Teil der Bevölkerung verstanden werden, wäre mit diesem Grundsatz unvereinbar. Eine gemeinsame niederdeutsche Schriftsprache existiere schon seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr.

Völlig zu Recht habe die Vorinstanz, das Sozialgericht Detmold, gegen den Kläger eine Sanktion von 500 Euro festgesetzt ("Verschuldenskosten"), weil er die Justiz mit dieser unsinnigen und absolut substanzlosen Klage beschäftigt habe.

Pferd ging wegen Mähdrescher durch

Das Tier riss seine Urlaubsbetreuerin mit und verletzte sie: ein Arbeitsunfall?

Pferdeliebhaberin D war gerade arbeitslos und übernahm im Reiterhof einer Tierärztin einen Minijob als Stallhilfe. Diese bot ihr nach einigen Monaten eine weitere Aufgabe an: In einem Nachbarstall suche eine Reiterin jemanden, der während ihres Urlaubs ihr Pferd Z zwei- oder dreimal pro Woche spazieren führe. Frau D einigte sich mit der Reiterin: Sie sollte das Tier putzen und ausführen, aber nicht reiten, ihm bei den Rundgängen Trense und Hufschuhe anlegen.

Beim vierten Ausgang ging Frau D mit Z einen Flurweg entlang. Langsam fuhr ein Mähdrescher an ihnen vorbei. Als der Fahrer nach dem Überholen Gas gab, erschrak das Pferd, sprang davon, zog Frau D mit und trat ihr auf ein Bein. Die Pferdebetreuerin erlitt Quetschungen und einen Kreuzbandriss im linken Knie.

Von der Tierhalterin forderte sie Schmerzensgeld. Doch das Landgericht Bayreuth erklärte deren Haftung für ausgeschlossen: Für die Folgen des Arbeitsunfalls sei die landwirtschaftliche Unfallkasse zuständig.

Die Unfallkasse konnte hier allerdings keinen Arbeitsunfall erkennen und lehnte Leistungen ab: Frau D habe Spaß am Umgang mit Pferden, diesem Zweck habe auch der Spaziergang gedient. Wer in der Freizeit einem Hobby nachgehe, stehe nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Gegen diesen Bescheid gingen Frau D und die Reiterin nun gemeinsam vor — mit Erfolg beim Landessozialgericht Bayern: Es stufte den Sturz als Arbeitsunfall ein (L 117 U 168/21).

Frau D habe das Pferd nicht als abhängig Beschäftigte ausgeführt, ein reguläres Arbeitsverhältnis mit der Reiterin habe nicht bestanden. Hier sei aber von einer "arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit" auszugehen, wie sie üblicherweise von Pferdepflegern oder Stallgehilfen erledigt werde. Die Tierhalterin habe Frau D mit 50 Euro entlohnt, eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" setze allerdings nicht zwingend eine Bezahlung voraus.

Frau D habe sich an alle Vorgaben der Reiterin gehalten: an die empfohlenen Rundwege, an Dauer und Häufigkeit der Spaziergänge — natürlich je nach Wetter und Verfassung des Pferdes. Sie habe Z mit Trense und Hufschuhen ausgeführt. Allein der Umstand, dass Frau D Pferdeliebhaberin sei, bedeute nicht, dass sie mit Z nur in ihrem eigenen Interesse unterwegs gewesen sei: Das belege schon der Umstand, dass die gute Reiterin D das Pferd weisungsgemäß nicht geritten habe.

Hier handle es sich auch nicht um eine Gefälligkeit unter Reiterfreunden. Eine Sonderbeziehung, z.B. durch eine Reitbeteiligung oder die Mitgliedschaft in demselben Reitverein, würde eine "arbeitnehmerähnliche Tätigkeit" ausschließen. Die beiden Frauen hätten sich vor der Urlaubsbetreuung von Z jedoch nicht gekannt.

Sturz im Finanzamt

Handelt es sich um einen Arbeitsunfall, wenn sich eine Angestellte beim Kaffee holen verletzt?

Eine Verwaltungsangestellte im Finanzamt wollte sich während der Arbeit Kaffee holen. Der Getränkeautomat steht im Sozialraum der Behörde. Auf dem Weg dahin rutschte die 57-Jährige auf nassem Boden aus und erlitt einen Lendenwirbelbruch. Um in den Genuss von Reha-Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu kommen, beantragte die Frau bei der Unfallkasse Hessen, ihren Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Unfallkasse winkte ab: Der Versicherungsschutz ende prinzipiell dann, wenn der/die Versicherte durch die Kantinentür gehe. Essen und Trinken gehörten zum privaten Lebensbereich, da gebe es keinen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. In diesem Punkt widersprach das Landessozialgericht Hessen und gab der Angestellten Recht (L 3 U 202/21).

Richtig sei: Wer den Arbeitsweg unterbreche, um zwischendurch Lebensmittel einzukaufen, sei dabei nicht gesetzlich unfallversichert. Diese Besorgung sei ausschließlich privat. Auch beim Essen in der Kantine greife der Versicherungsschutz nicht: Auch die Nahrungsaufnahme zähle zum privaten Lebensbereich. Wenn aber eine versicherte Person zu einem Automaten gehe, der im Betriebsgebäude — hier: im Finanzamt — aufgestellt sei, handle es sich um einen Arbeitsunfall.

Auf dem Weg zum Getränkeautomaten gelte Versicherungsschutz, weil das Gebäude und auch der Sozialraum eindeutig zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers gehörten. Wenn hier eine Angestellte wegen Feuchtigkeit am Boden ausrutsche und stürze, sei dafür der Arbeitgeber verantwortlich. Der Unfall stehe damit in einem inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit.

Auf dem Weg zum Briefkasten gestürzt

Das ist als Arbeitsunfall anzusehen, wenn die erkrankte Arbeitnehmerin ihre AU-Bescheinigung einwerfen wollte

Eine Arbeitnehmerin war von ihrem Hausarzt krankgeschrieben worden und wollte die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an den Arbeitgeber schicken. An einem Wintertag machte sie sich auf den Weg zum Briefkasten. Doch bevor die Frau den Brief einwerfen konnte, rutschte sie auf einer Eisplatte aus, stürzte und verletzte sich am Knie. Die Behandlung dauerte lange.

Nach sechs Wochen Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber bezog die Verletzte Krankengeld von ihrer gesetzlichen Krankenkasse. Vergeblich bemühte sich die Frau um Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung: Ihre Berufsgenossenschaft war der Ansicht, es handle sich hier nicht um einen Arbeitsunfall.

Auch die Krankenkasse forderte von der Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung erfolglos Ersatz der Behandlungskosten: Die Berufsgenossenschaft lehnte Leistungen ab. Auch eine Klage der Krankenkasse scheiterte beim Sozialgericht und beim Landessozialgericht.

Hier einen Arbeitsunfall zu verneinen, sei "offensichtlich fehlerhaft", entschied dagegen das Bundessozialgericht (B 2 U 1/21 R). Laut Entgeltfortzahlungsgesetz seien erkrankte Arbeitnehmer verpflichtet, den Arbeitgeber schnell und zuverlässig über die voraussichtliche Dauer ihrer Erkrankung zu informieren. Diese Pflicht habe die Arbeitnehmerin im konkreten Fall erfüllen wollen.

Wenn sich eine kranke Arbeitnehmerin wie vorgeschrieben auf den Weg zum Briefkasten mache, um dem Betrieb die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Hausarztes zu senden, hänge dies direkt mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammen. Wer auf einem Betriebsweg verunglücke, stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Forstunternehmer verletzte sich beim Holzspalten

Kein Arbeitsunfall: Holz für die Wohnung der Eltern dient nicht dem Forstbetrieb

Im September 2021 erlitt ein 52-jähriger Mann, der im Nebenerwerb einen forstwirtschaftlichen Betrieb führt, einen Unfall: Beim Bedienen des Holzspalters sprang ein größeres Holzscheit ab und gegen sein Schienbein. Die Risswunde musste mehrmals ärztlich behandelt werden. Der Forstunternehmer ist in der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert.

Doch die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, die Kosten für Behandlung und Reha-Maßnahmen zu übernehmen: Hier handle es sich nicht um einen Arbeitsunfall, so der Bescheid, denn das Holz stammte weder aus dem eigenen Wald, noch sei es für landwirtschaftliche Zwecke verarbeitet worden. Vielmehr habe der Forstunternehmer Holz zugekauft und gespalten, um damit seine Wohnung und die seiner Eltern zu heizen.

Dem widersprach der Versicherte: Von der Hofstelle aus werde der forstwirtschaftliche Betrieb organisiert, da gebe es einen betriebswirtschaftlichen Zusammenhang. Außerdem sei er laut Hofübergabevertrag verpflichtet, die Eltern ("Altenteiler") mit Brennholz für den Winter zu versorgen. Er sei also im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Forstwirt verunglückt.

Das Sozialgericht München wies die Klage des Forstwirts gegen die Berufsgenossenschaft ab (S 1 U 5029/22). Der Unfall sei zwar in seiner Scheune auf dem Betriebsgelände und mit einer Maschine seines Betriebs passiert. Der Versicherte habe aber keine Erzeugnisse seines Betriebs verarbeitet, sondern Holz für private Zwecke zugekauft und gespalten. Das Holz habe nicht dem Forstbetrieb dienen sollen, sondern dem Haushalt der Altenteiler.

Dass der Forstwirt damit Pflichten aus dem Übergabevertrag erfüllt habe, ändere daran nichts. Zwar diene eine möglichst umfassende Versorgung der Hofübergeber einer funktionierenden, generationenübergreifenden Landwirtschaft. Das bedeute aber nicht, dass man durch private Vereinbarungen zwischen den Hofübergebern und den Hofübernehmern — wie hier das Liefern von Brennholz — den Unfallversicherungsschutz beliebig erweitern könne. Nicht jede im "Altenteilervertrag" vereinbarte Pflicht stehe unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Landwirt von einer Zecke gebissen

Für eine folgenlos ausgeheilte Borreliose muss die Berufsgenossenschaft keine Rente zahlen

Als selbständiger Landwirt ist Herr M bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft gesetzlich unfallversichert. Der Unfallversicherung, die auch für Berufskrankheiten zuständig ist, meldete er eine Borreliose-Erkrankung: Beim Einzäunen einer Wiese sei er von einer Zecke in die rechte Kniekehle gebissen worden. Seither leide er trotz einer Antibiotika-Therapie an Gelenkbeschwerden und Kopfschmerzen, typischen Krankheitssymptomen einer Borreliose.

Die Borreliose — eine Infektion mit Bakterien, die Zecken auf Menschen übertragen — ist als Berufskrankheit anerkannt. Deshalb übernahm die Berufsgenossenschaft die Kosten der Heilbehandlung. Sie verneinte aber auf Basis verschiedener ärztlicher Gutachten einen Anspruch des Landwirts auf eine Rente.

Die Borreliose sei vollständig ausgeheilt, erklärte die Berufsgenossenschaft, die Kniebeschwerden seien nur Verschleißerscheinungen. M habe auch keine Probleme mit dem Herz oder dem Nervensystem, bei denen die Borrelien-Infektion eine Rolle spiele. Und seine Erwerbsfähigkeit sei nicht messbar gemindert.

Landwirt M klagte gegen den ablehnenden Bescheid: Ein negativer Befund beim Bluttest sei kein sicherer Nachweis, dass die Borreliose ausgeheilt sei. Seine Beschwerden seien nur als Folge der Borreliose erklärbar — eine andere Erklärung hätten auch die medizinischen Sachverständigen der Berufsgenossenschaft nicht gefunden.

Welche Ursache den Beschwerden des Versicherten tatsächlich zugrunde liege, müssten die Experten der Unfallversicherung nicht aufklären, urteilte das Landessozialgericht Hessen (L 3 U 13/18). Ihre Aufgabe sei es allein, den behaupteten Ursachenzusammenhang zwischen der anerkannten Berufskrankheit und den vom Landwirt vorgetragenen Gesundheitsproblemen zu prüfen.

Dieser Zusammenhang sei verneint worden, weil seine Beschwerden - anders als M behaupte - nicht zu den typischen Folgen einer Borreliose-Erkrankung zählten. Nach Ansicht der Sachverständigen stehe fest, dass die versicherte Berufskrankheit Borreliose bei ihm folgenlos ausgeheilt sei. Deshalb sei die Klage abzuweisen. Im Übrigen hätten die Gutachter sehr wohl auch auf mögliche andere Ursachen verwiesen.

Da M seit Jahren körperlich arbeite, sei dies vor allem in Bezug auf die Gelenkbeschwerden plausibel: Der Orthopäde habe eine Fehlstatik der Wirbelsäule, Schäden an der Halswirbelsäule und Knick-Senkfüße festgestellt. Schon deshalb sei die Behauptung des Landwirts nicht nachvollziehbar, als Ursache für die Kniebeschwerden komme nur die Borreliose in Frage.

Jobcenter fordert Grundsicherung zurück

Tritt ein Arbeitsloser eine Stelle nicht an, kann es dafür auch mal gute Gründe geben

Der 1962 geborene Mann hatte bis 2003 als Buchhalter gearbeitet. Dann verlor er seinen Job. Jahrelang bewarb er sich erfolglos auf Stellen als Buchhalter, bezog Arbeitslosengeld und nahm gelegentlich Hilfsarbeiter-Jobs an. Das Jobcenter hatte es 2017 aufgegeben, den Mann noch als Buchhalter zu vermitteln, Bewerbungen seien nach so langer Zeit nicht mehr erfolgversprechend, hatte ihm der Sachbearbeiter erklärt.

Überraschend erhielt der Arbeitslose 2019 trotzdem einen Arbeitsvertrag als Buchhalter bei einer Düsseldorfer Behörde. Doch kurz vor dem Ziel platzte die Sache. Das Jobcenter lehnte es nämlich ab, die Mietkaution für eine Wohnung in Düsseldorf zu finanzieren. Der Mann selbst war dazu nicht in der Lage, also erhielt er keinen Mietvertrag. Aus dem Umzug und der neuen Arbeitsstelle wurde nichts.

Ausgerechnet der Sachbearbeiter des Jobcenters warf ihm deshalb "sozialwidriges Verhalten" vor: Der Hilfeempfänger sei nicht zum Einstellungstermin erschienen und habe damit vorsätzlich das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert. Dafür sollte der Arbeitslose büßen und 6.800 Euro Grundsicherungsleistungen zurückzahlen.

Gegen die Rückforderung zog der Hilfeempfänger vor Gericht. Er habe sich nichts vorzuwerfen, erklärte er. Den Mietvertrag in Düsseldorf habe er nicht unterschreiben können, weil der alte Mietvertrag noch nicht "abgewickelt" gewesen sei und er für die Kaution kein Geld gehabt habe. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gab ihm Recht und erklärte die Forderung des Jobcenters für unzulässig (L 11 AS 336/21).

Um die Arbeitsstelle in Düsseldorf anzutreten, hätte der Langzeitarbeitslose umziehen müssen. Sein bisheriger Wohnort liege so weit entfernt, dass er von dort aus nicht täglich nach Düsseldorf hätte pendeln können. Den Umzug habe aber nicht der Hilfeempfänger vereitelt, sondern das Jobcenter, weil es die Übernahme der Mietkaution ablehnte.

Dass der arbeitslose Mann die Buchhalterstelle nicht antrat, sei daher nicht als sozialwidriges Verhalten einzustufen. Wenn der Betroffene nicht in der Lage sei, am künftigen Beschäftigungsort eine Wohnung zu mieten, weil ihm die Mittel für die Kaution fehlten und das Jobcenter diese Mittel verweigere, dürfe die Behörde nicht "wegen Arbeitsverweigerung" die Grundsicherungsleistungen zurückverlangen.

Teilnahmegebühr für eine Schulprojektwoche

Das Jobcenter muss einer Schülerin mit einkommensschwachen Eltern die Gebühr erstatten

Eine Schule im Süden des Bundeslandes Brandenburg hatte 2018 für alle Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 1 bis 6 eine Projektwoche durchgeführt: In einem auf dem Schulgelände aufgestellten Zirkuszelt sollten sie sich mit dem Thema Zirkus beschäftigen. Die Teilnahme kostete zehn Euro. Eine Schülerin, deren Eltern Grundsicherung beziehen, bezahlte die Gebühr und verlangte anschließend vom Jobcenter, den Betrag zu erstatten.

Das Jobcenter lehnte die Kostenübernahme ab: Derlei sei laut Sozialgesetzbuch nur vorgesehen, wenn es um Ausgaben für einen Schulausflug oder eine Klassenfahrt gehe. Die Projektwoche habe aber auf dem Schulgelände stattgefunden.

Gegen den negativen Bescheid klagte die Schülerin, kämpfte sich bis zum Bundessozialgericht durch und bekam Recht (B 7 AS 9/22 R).

Die Kostenübernahme auf Schulausflüge zu begrenzen — also auf schulische Veranstaltungen, bei denen eine Klasse das Schulgelände verlässt —, verkürze planwidrig den Anspruch von Schülern aus einkommensschwachen Familien, so die Bundesrichter. Gerade in der Schule müssten alle Kinder gleichberechtigt an Bildungsangeboten teilhaben. Dies sei das zentrale Anliegen der einschlägigen Regelung im Sozialgesetzbuch.

Dabei mache es keinen Unterschied, wo die Veranstaltung stattfinde: ob auf dem Schulgelände oder außerhalb. Es komme nur darauf an, dass es sich um eine von der Schule organisierte Veranstaltung handle, die der sozialen Teilhabe der Schulkinder diene. Die Zirkusprojektwoche werde diesem Maßstab gerecht und könnte ebenso gut außerhalb des Schulgeländes stattfinden ("Lernen an einem anderen Ort"). Daher müsse das Jobcenter die Kosten tragen.

Karlsruhe rügt zweierlei Maß beim Weihnachts- und Urlaubsgeld

Auch Einmalzahlungen müssen Einfluss auf das Arbeitslosengeld haben

Die Beiträge zur Sozialversicherung richten sich nach der Höhe des Lohns. Dabei werden auch Beträge wie das Weihnachtsgeld und das Urlaubsgeld herangezogen, die nur einmal im Jahr gezahlt werden. Wenn es aber um die Berechnung der Lohnersatzleistungen geht (Beispiel: Arbeitslosengeld), bleiben diese Einmalzahlungen unberücksichtigt.

Ein Bürger zog dagegen vor das Bundesverfassungsgericht: Diese beiden Regelungen des Sozialrechts passten nicht zusammen und verletzten den Gleichheitssatz des Grundgesetzes.

Die Karlsruher Richter gaben ihm Recht: Sie erklärten die angegriffenen Bestimmungen für verfassungswidrig (1 BvR 892/88). Nicht nur der laufende Lohn, sondern auch einmalige Sonderzahlungen beeinflussten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Und nach der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers müsse sich die Höhe des Arbeitslosengeldes richten. Der Gesetzgeber müsse daher die betreffenden Gesetze ändern.

Langzeitarbeitsloser soll Grundsicherung zurückzahlen

Jobcenter fordert wegen einer vor Jahren abgebrochenen Ausbildung einen hohen Betrag: unverhältnismäßig!

Vor einigen Jahren hatte ein (damals) 20-Jähriger seinen Ausbildungsplatz verloren, weil er wiederholt unentschuldigt fehlte. Danach hatte sich der Mann arbeitslos gemeldet. Wegen des Ausbildungsabbruchs erhielt er vorübergehend 30 Prozent weniger Grundsicherung. Insgesamt bezog der Mann fast vier Jahre lang Grundsicherungsleistungen, bis plötzlich das Jobcenter rund 51.000 Euro zurückforderte.

Begründung: Durch sein sozialwidriges Verhalten habe der Langzeitarbeitslose seinerzeit die Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Elektroniker hätte er auf dem Arbeitsmarkt sehr gute Chancen gehabt. Gegen die Rückforderung setzte sich der Mann zur Wehr: Dass er immer noch arbeitslos sei, habe mit seinem Verhalten als Auszubildender nichts mehr zu tun.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen gab ihm Recht (L 11 AS 346/22). Dass der Mann die Kündigung des Ausbildungsvertrags durch den Betrieb mit seinem Verhalten schon fast provoziert habe, sei durchaus als sozialwidrig einzustufen. Mittlerweile seien aber mehrere Jahre vergangen. Das damalige Verhalten sei nicht mehr ursächlich dafür, dass der Mann immer noch Grundsicherung benötige. Konkrete Anhaltspunkte für die Annahme, dass er mit einem regulären Berufsabschluss durchgängig gearbeitet hätte, gebe es auch nicht.

Vor allem sei es unverhältnismäßig, Jahre nach einer "typischen Jugendsünde" einen derart hohen Betrag zurückzuverlangen: Müsste der Arbeitslose diese Summe abstottern, würde dies erst recht jede Erwerbsperspektive für ihn zerstören. Bei jungen Menschen sei es ein weit verbreitetes Phänomen, dass sie die Berufsausbildung vernachlässigten oder abbrechen. Für Außenstehende sei das leichter als unklug und irrational zu erkennen. Doch die Betroffenen seien in der Regel erst später so einsichtig.

Kein Wohngeld für Langzeitstudentin

Kurzartikel

Studierende können bei überlanger Studiendauer ihren Anspruch auf Wohngeld verlieren. Das gilt vor allem, wenn die Umstände belegen, dass ein Student/eine Studentin das Studium nicht mehr ernsthaft betreibt. Davon kann man nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin bei einer Studierenden im 20. Hochschulsemester ausgehen, die nur ca. die Hälfte aller nötigen Klausuren bestanden hat: Wohngeld zu beanspruchen, sei in so einem Fall Rechtsmissbrauch.

Windschutzscheibe mit Frostschutzfolie abgedeckt

Arbeitnehmerin stürzte dabei auf einem Parkplatz nahe dem Betrieb: Arbeitsunfall?

An einem frostigen Wintertag fuhr eine Angestellte mit dem Auto in die Arbeit. Sie stellte den Wagen auf einem Parkplatz ab, der etwa 200 Meter vom Betrieb entfernt liegt. Bevor sie die kurze Strecke zu Fuß zurücklegte, wollte die Frau allerdings noch die Frontscheibe abdecken. Um die Frostschutzfolie anzubringen, ging sie um den Wagen herum. Beim Zurücktreten auf der Beifahrerseite knickte sie um, stürzte und brach sich das Sprunggelenk.

Bei der zuständigen Berufsgenossenschaft — Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung — beantragte die Angestellte, ihren Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen: Sie sei ja auf dem Weg zum Arbeitsplatz verunglückt und bei so genannten Wegeunfällen seien Leistungen der Unfallversicherung vorgesehen. Doch die Berufsgenossenschaft winkte ab: Wenn ein Arbeitnehmer am Auto eine Frostschutz-Abdeckung anbringe, gehöre das nicht zum Arbeitsweg.

Erfolglos klagte die Angestellten Leistungen ein: Auch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt verneinte einen Arbeitsunfall (L 6 U 61/20). Als sie die Windschutzscheibe des Autos abdeckte, habe die Angestellte ihren Arbeitsweg unterbrochen — aus Gründen, die nicht mit ihrer beruflichen Tätigkeit zusammenhingen.

Vielmehr habe die Frau wegen der Kälte die Frontscheibe geschützt, um sie vor der Heimfahrt nicht enteisen zu müssen. Sie habe also aus einem privaten Motiv heraus die spätere Fahrt vorbereitet. Diese privat motivierte Handlung sei nicht unfallversichert: Die Angestellte habe den Arbeitsweg unterbrochen, um eine vom Weg ganz unabhängige Aktion auszuführen.

Wegen "Corona" selbständige Tätigkeit aufgegeben

Das Jobcenter muss Folgen der Pandemie berücksichtigen, wenn es Sperrzeiten verhängt

Von 2000 bis 2020 führte Herr X erfolgreich eine Eventagentur. Seine selbständige Tätigkeit musste er 2020 wegen der Corona-Pandemie aufgeben: Bekanntlich legten die Kontaktbeschränkungen, die zum Infektionsschutz angeordnet wurden, den gesamten Veranstaltungsbereich lahm. X suchte sich vorübergehend einen Job als Berufskraftfahrer. Dieses Arbeitsverhältnis kündigte er am 31.1.2022 zum 28.2.2022, weil er danach seine Agentur wieder in Gang bringen wollte.

Gleichzeitig meldete sich Herr X arbeitslos. Das Jobcenter verhängte gegen ihn eine Sperrzeit von zwölf Wochen, weil er seinen Arbeitsplatz gekündigt und damit die Arbeitslosigkeit "mutwillig" herbeigeführt habe. Während der Sperrzeit besteht kein Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Gegen den Behördenbescheid klagte der Mann. Da klar war, dass die angestrebte Entscheidung erst nach vielen Wochen fallen würde, beantragte er zugleich einstweiligen Rechtsschutz — um nicht völlig ohne Einkommen dazustehen.

Beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erreichte Herr X zumindest einen Teilerfolg (L 9 AL 106/22 B ER). Hier sei von einem Härtefall auszugehen, erklärte das Gericht, deshalb sei die Sperrzeit auf sechs Wochen zu verkürzen. Herr X habe zwar sein Arbeitsverhältnis selbst beendet — dies aber aufgrund der berechtigten Annahme, die selbständige Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. Das könne man wohl kaum als grob fahrlässig einstufen.

Auch wenn Anfang 2022 die weitere Entwicklung der Pandemie noch unsicher gewesen sei, wäre es unverhältnismäßig hart, Herrn X für die Kündigung mit zwölf Wochen Sperrzeit zu bestrafen. Immerhin sei der Mann vor der coronabedingten Schließung seines Geschäfts erfolgreich selbständig tätig gewesen. Und es bestehe durchaus begründete Hoffnung, dass er mit der Eventagentur erfolgreich einen Neuanfang schaffen könne. Das Jobcenter müsse bei der Verhängung von Sanktionen auch Folgen der Pandemie berücksichtigen.

Dienstunfall eines Postbeamten

Reißt die Bizepssehne beim Heben eines schweren Pakets, ist die berufliche Tätigkeit die Ursache

Bei einem Postbeamten riss die Bizepssehne, als er ein ca. 30 Kilo schweres Paket in seinen Zustellwagen hievte. Der Mann musste operiert werden und verbrachte einige Tage im Krankenhaus. Laut einem fachärztlichen Gutachten wurde der Sehnenriss direkt durch das Beladen des Fahrzeugs ausgelöst.

Trotzdem lehnte die Unfallkasse für Post und Telekom (die UK PT übernimmt für Postbeamte die Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung) Leistungen aufgrund eines Dienstunfalls ab: Das Anheben eines Pakets könne keinen Sehnenriss verursachen, meinte die UK PT. Die Bizepssehne sei auf große Belastungen ausgelegt und könne dadurch nicht reißen, wenn sie nicht bereits vorgeschädigt sei.

Mit dieser Argumentation war das Verwaltungsgericht (VG) Aachen nicht einverstanden: Es gab dem Postbeamten Recht, der Leistungen von der Unfallkasse eingeklagt hatte (1 K 2167/21). Der Beamte habe sich sofort nach dem Vorfall ärztlich untersuchen lassen, so das VG.

Ergebnis: Die Magnetresonanztomographie zeige eine frische traumatische Verletzung. Auch die im Operationsbericht beschriebene Ausfransung der Sehne sei typisch für einen unfallbedingten Riss — es habe keine Hinweise auf eine Vorschädigung der rechten Bizepssehne gegeben.

Außerdem stelle es keine alltägliche Belastung dar, mit einem Arm ein 30 Kilo schweres Paket anzuheben. Hier habe sich also ein berufsspezifisches Risiko verwirklicht, das unmittelbar mit der Tätigkeit des Postbeamten zusammenhänge. Von einem anlagebedingten Leiden, das nur rein zufällig während des Dienstes zum Vorschein gekommen sei und auch im privaten Bereich hätte auftreten können, könne hier keine Rede sein.

Corona-Infektion als Dienstunfall?

VG Düsseldorf: Lehrerinnen sind dem Infektionsrisiko nicht in besonderem Maße ausgesetzt

Zwei Lehrerinnen erkrankten im Herbst 2020 an Covid-19. Beide Beamtinnen verlangten vom Bundesland Nordrhein-Westfalen, ihrem Dienstherrn, die Infektion mit dem Corona-Virus als Dienstunfall anzuerkennen. Das ist die Voraussetzung für Leistungen der Unfallfürsorge wie z.B. die Übernahme der Kosten von Rehabilitationsmaßnahmen.

Die Grundschullehrerin erklärte, sie habe sich während einer Lehrerkonferenz angesteckt, nach der das halbe Kollegium an Corona erkrankte. Eine Oberstudienrätin führte die Infektion auf Gespräche mit Schülern zurück, die — obwohl ohne Symptome — zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt waren.

Beide Anträge wurden mit dem Argument abgelehnt, die Lehrerin könne sich auch außerhalb des Schuldienstes infiziert haben. Ein Zusammenhang mit dem Schuldienst stehe nicht fest. So beurteilte auch das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf die Sache und wies die Klage der Beamtinnen ab (23 K 8281/21).

In aller Regel könne man Ort und Zeit einer Infektion nachträglich nicht eindeutig feststellen, erklärte das VG, so auch im konkreten Fall. Dennoch würden Infektionskrankheiten unter bestimmten Bedingungen als Berufskrankheiten und Dienstunfälle anerkannt. Das setze allerdings voraus, dass Beamte durch die Art ihrer Tätigkeit in besonderem Maße dem Infektionsrisiko ausgesetzt seien.

Lehrer schwebten aber nicht in größerer Gefahr, an Corona zu erkranken, als die restliche Bevölkerung. Bei den Beamtinnen habe sich eben ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das alle Menschen treffen könne. Die Folgen schicksalhafter Einflüsse seien kein Fall für die dienstliche Unfallfürsorge. Für die Behandlungskosten von erkrankten Beamten seien dann die Beihilfe und die private Krankenversicherung zuständig.