Sonstiges

Vom Recht, nicht erreichbar zu sein

In der Freizeit müssen Arbeitnehmer keine Dienst-SMS lesen

Notfallsanitäter müssen mit Änderungen des Dienstplans rechnen, das ist sogar im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst so festgehalten. Umstritten im konkreten Fall: Wie kurzfristig dürfen diese Änderungen sein? Und: Muss ein Arbeitnehmer in seiner Freizeit auf eine einschlägige Nachricht (SMS) des Arbeitgebers reagieren?

Ein Notfallsanitäter war zwei Mal telefonisch und per SMS nicht erreichbar. Am nächsten Tag meldete er sich zum ursprünglich geplanten Zeitpunkt zum Dienst. Deshalb mahnte ihn der kommunale Arbeitgeber wegen "unentschuldigten Fehlens" ab und strich Stunden von seinem Arbeitszeitkonto. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer: Er habe seine Arbeitspflichten nicht verletzt, denn in der Freizeit müsse er sich nicht darüber informieren, wann er arbeiten müsse.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein gab ihm Recht (1 Sa 39 öD/22). Anders als der Arbeitgeber meine, gehöre es nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Sanitäters, sich ständig über dienstliche Änderungen zu informieren und damit seine Freizeit zu unterbrechen. Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen, sei eine Arbeitsleistung.

Dass der Zeitaufwand dafür gering sei, ändere daran nichts. Arbeit verwandle sich nicht in Freizeit, wenn sie nur in geringem Umfang anfalle. Arbeitnehmer hätten das Recht, in ihrer Freizeit unerreichbar zu sein. Das sei notwendig, um ihre Gesundheit zu schützen und in den Ruhezeiten ausreichende Erholung zu gewährleisten.

Freizeit bedeute: Arbeitnehmer müssten in diesem Zeitraum dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung stehen und könnten selbstbestimmt entscheiden, wie sie diese verbringen. Es sei wesentlicher Bestandteil des Persönlichkeitsrechts, "dass ein Mensch selbst entscheide, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht".

Der Arbeitgeber habe erst mit Beginn des Dienstes um 7.30 Uhr darauf vertrauen können, dass der Notfallsanitäter die (am Vortag geschickte) SMS zur Kenntnis nahm. Ab Dienstbeginn sei der Arbeitnehmer verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre es, die in der Freizeit auf dem Handy eingegangenen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen. (Der Arbeitgeber wird gegen das Urteil Revision zum Bundesarbeitsgericht einlegen.)

Hobby-Schafzüchter wehrt sich gegen geplante Wohngebäude

Nur "richtige" Landwirte können sich auf das Rücksichtnahmegebot berufen

Herr M hat 2009 einen ehemaligen Hof mit Wohnhaus und landwirtschaftlichen Nebengebäuden gekauft. Nur seine Eltern wohnten ständig dort, M selbst nicht. Von insgesamt 20 Hektar Grund bewirtschaftet er einige Hektar, auf denen er Futter für ein paar Schafe anbaut. Der größte Teil ist verpachtet. Als das Landratsamt im Herbst 2021 den Bau einiger Doppelhäuser in der Nachbarschaft genehmigte, zog Herr M dagegen vor Gericht.

Begründung: Er halte derzeit als Landwirt im Nebenerwerb nur sechs Schafe, wolle aber die landwirtschaftliche Tätigkeit moderat ausweiten. In der Zukunft plane er hochwertige Direktvermarktung von Tieren aus tiergerechter Haltung. Zu befürchten sei nun, dass sich in den "neu errichteten Wohneinheiten ortsfremde Menschen niederlassen, die sich an den Emissionen aus seiner Landwirtschaft stören könnten". Sein landwirtschaftlicher Betrieb müsse vor heranrückender Wohnbebauung geschützt werden.

Gleichzeitig beantragte M bei der Gemeinde die Erlaubnis für "Umbau und Sanierung des bestehenden Stallgebäudes und den Einbau eines modernen Schweinestalles".

Grundsätzlich könne sich ein Landwirt gegen geplante Wohngebäude neben seinem Betrieb auf das Rücksichtnahmegebot berufen, betonte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (15 CS 22.873). Allerdings setze das voraus, dass von einem etablierten landwirtschaftlichen Betrieb Gerüche ausgehen und von den Wohngebäuden Einschränkungen für den Betrieb oder für dessen sinnvolle Erweiterung drohten. Von einem landwirtschaftlichen Betrieb könne hier jedoch nicht die Rede sein.

M halte hobbymäßig einige Schafe und produziere dafür Futter. Seine Freundin habe gelegentlich Pferde im Stall untergestellt. Weder M, noch seine Eltern hätten auf dem Hof in den letzten 13 Jahren landwirtschaftliche Tierhaltung betrieben. Bereits der Voreigentümer habe die Schweinehaltung aufgegeben: Die Option, den ehemaligen Stall dafür zu nutzen, sei längst entfallen. Offenbar berufe sich M nun auf einen nicht vorhandenen landwirtschaftlichen Betrieb bzw. auf ein vages Interesse, diesen zu erweitern — um die heranrückende unliebsame Wohnbebauung abzuwehren.

So vage Erweiterungspläne rechtfertigten es nicht, die Baugenehmigung für Doppelhäuser zu versagen. Welche geplanten Maßnahmen durch Wohngebäude in der Nachbarschaft eventuell gefährdet sein könnten, bleibe unklar. Auch der "ins Blaue hinein" gestellte Bauantrag von Herrn M zum Umbau des Stallgebäudes sei ungenügend und unernst: Er enthalte keine konkreten Angaben zu Stallnutzung und beabsichtigtem Tierbestand. So könne man nicht prüfen, welche Geruchsbelastung für die Nachbarn vom Stall ausgehen könnte und wie groß daher der Mindestabstand zu den Neubauten sein müsste.

"Berührungsloser" Unfall

Radfahrerin steigt wegen eines überholenden Rettungswagens ab und stürzt

Mit eingeschaltetem Martinshorn fuhr ein Rettungswagen durch eine schmale Straße und setzte an, mehrere Radfahrer zu überholen. Eine 72-jährige Radfahrerin befürchtete, das Fahrzeug könnte ihr zu nahe kommen. Deshalb versuchte sie etwas hektisch, vom Rad zu steigen und stürzte dabei, obwohl es gar nicht zu einer Kollision kam. Die Frau brach sich einen Fußknöchel, musste wochenlang einen Gipsverband tragen.

Vom Rettungsdienst forderte sie Entschädigung. Zu Recht, entschied das Oberlandesgericht Oldenburg zu (2 U 20/22). Hier handle es sich um einen so genannten "berührungslosen" Unfall. Auch wenn der überholende Rettungswagen die Radfahrerin nicht gestreift habe, habe er dennoch zu dem Unfall beigetragen.

Seinetwegen habe die Frau ein Ausweichmanöver eingeleitet und sei vom Rad gestiegen. Sehr gut nachvollziehbar und objektiv berechtigt habe die Radfahrerin in der engen Straße die Verkehrslage, d.h. das Überholen des Rettungswagens, als gefährlich empfunden.

Die Bedingung für eine Haftung des Kfz-Halters sei daher gegeben: Der Schaden — die Behandlungskosten — sei "beim Betrieb" des Fahrzeugs entstanden, da sich die vom Rettungswagen ausgehende Gefahr zumindest indirekt ausgewirkt habe. Der Rettungsdienst müsse für 20 Prozent des Schadens aufkommen und der Verletzten 2.400 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Vier Eichen gefällt und Hecke entfernt

Verstoß gegen das Naturschutzgesetz: Landwirt muss die Gehölze wieder anpflanzen

Ein Landwirt hatte auf seinen Ackerflächen eine 110 Meter lange Weißdornhecke abgeholzt und vier alte Eichen fällen lassen. Das Holz verwertete er als Brennholz und für einen Zaun. Die Hecke pflanzte er am Rand einer Bundesstraße neu. Dennoch brachte ihm der Kahlschlag Ärger mit der Naturschutzbehörde ein.

Der Landwirt müsse die Bäume, die Teil eines Biotops gewesen seien, neu anpflanzen, lautete der Bescheid. Auf intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen seien Hecken und Bäume Unterschlupf für viele Tierarten. Das Naturschutzgesetz verbiete es, ohne vernünftigen Grund wilde Pflanzen zu beseitigen und "Lebensstätten wild lebender Tiere" zu zerstören. Dafür sei zumindest eine Ausnahmeerlaubnis zu beantragen.

Gegen die "Pflicht zur Wiederherstellung" zog der Landwirt vor Gericht: Hier gehe es nicht um wilde Pflanzen, sondern um eine von ihm kultivierte Hecke und um Bäume, die dem landwirtschaftlichen Betrieb dienten. Mit Bedacht habe er reife, alte Bäume gewählt, das Holz "geerntet" und bestimmungsgemäß verwendet. Er müsse auch Landschaftselemente verändern und dem Bedarf anpassen können. Die Behörde dürfe auf Nutzflächen keine absolute Veränderungssperre erlassen.

Doch auch beim Verwaltungsgericht (VG) Hannover ging die Abwägung zwischen Naturschutz und den Interessen des Landwirts zu dessen Ungunsten aus (12 A 2491/18). Eichen seien keine angebauten Nutzpflanzen wie Obstbäume, so das VG: Hecken und Baumreihen seien wild lebende Pflanzen und Fortpflanzungs- und Ruhestätten für viele Vögel und Insekten. "Lebensraum" für diverse Tierarten abzuholzen, sei rechtswidrig.

Der Landwirt habe Natur in Kulturlandschaft umgewandelt. In erster Linie habe er die Gehölze entfernt, um die Bewirtschaftung des Ackerlands zu effektivieren — Fläche dazuzugewinnen und zwei Teilflächen zu vereinen. Nach den Maßstäben des Naturschutzgesetzes stelle das keinen "vernünftigen Grund" für das Beseitigen von Bäumen dar. Auch nach den Leitlinien der Landwirtschaftskammer seien solche "naturbetonten Strukturelemente" zu erhalten, weil sie wichtige Funktionen für das biologische Gleichgewicht und den Klimaschutz erfüllten.

Wenn die strengen Vorschriften Landwirte wirtschaftlich übermäßig belasteten, müssten sie Befreiung beantragen. Sinn dieses Verfahrens: Sie sollten nicht eigenmächtig in die Natur eingreifen. Und wenn ein Eingriff im landwirtschaftlichen Interesse ausnahmsweise genehmigt werde, solle die zuständige Fachbehörde zugleich über geeignete Ausgleichsmaßnahmen entscheiden.

Corona-Infektion als Dienstunfall?

VG Düsseldorf: Lehrerinnen sind dem Infektionsrisiko nicht in besonderem Maße ausgesetzt

Zwei Lehrerinnen erkrankten im Herbst 2020 an Covid-19. Beide Beamtinnen verlangten vom Bundesland Nordrhein-Westfalen, ihrem Dienstherrn, die Infektion mit dem Corona-Virus als Dienstunfall anzuerkennen. Das ist die Voraussetzung für Leistungen der Unfallfürsorge wie z.B. die Übernahme der Kosten von Rehabilitationsmaßnahmen.

Die Grundschullehrerin erklärte, sie habe sich während einer Lehrerkonferenz angesteckt, nach der das halbe Kollegium an Corona erkrankte. Eine Oberstudienrätin führte die Infektion auf Gespräche mit Schülern zurück, die — obwohl ohne Symptome — zu diesem Zeitpunkt bereits erkrankt waren.

Beide Anträge wurden mit dem Argument abgelehnt, die Lehrerin könne sich auch außerhalb des Schuldienstes infiziert haben. Ein Zusammenhang mit dem Schuldienst stehe nicht fest. So beurteilte auch das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf die Sache und wies die Klage der Beamtinnen ab (23 K 8281/21).

In aller Regel könne man Ort und Zeit einer Infektion nachträglich nicht eindeutig feststellen, erklärte das VG, so auch im konkreten Fall. Dennoch würden Infektionskrankheiten unter bestimmten Bedingungen als Berufskrankheiten und Dienstunfälle anerkannt. Das setze allerdings voraus, dass Beamte durch die Art ihrer Tätigkeit in besonderem Maße dem Infektionsrisiko ausgesetzt seien.

Lehrer schwebten aber nicht in größerer Gefahr, an Corona zu erkranken, als die restliche Bevölkerung. Bei den Beamtinnen habe sich eben ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das alle Menschen treffen könne. Die Folgen schicksalhafter Einflüsse seien kein Fall für die dienstliche Unfallfürsorge. Für die Behandlungskosten von erkrankten Beamten seien dann die Beihilfe und die private Krankenversicherung zuständig.

Kunden stornierten USA-Flugbuchung

Wird der Flug später von der Fluggesellschaft annulliert, besteht kein Anspruch auf Ausgleichszahlung

Ein Paar hatte seine Hochzeit in den USA geplant und schon im Frühjahr 2020 Flüge für den Herbst gebucht: den Hinflug von Frankfurt über New York nach Miami für den 10.10.2020 und den Rückflug für den 23.10.2020. Mitte August teilte die Fluggesellschaft den Kunden mit, den Hinflug könne sie coronabedingt nicht sicher bestätigen. Am 11.10. werde aber sicher ein USA-Flug stattfinden.

Auf den Ersatzflug ließen sich die Kunden nicht ein, weil sie in Amerika feste Termine einhalten mussten. Ende August kündigten sie den Beförderungsvertrag mit der Airline schriftlich und stornierten ihre Buchung. Das Flugunternehmen annullierte den Flug einige Wochen später.

Das Paar erhielt den Ticketpreis zurück, forderte aber zusätzlich eine Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung: Die stehe Fluggästen zu, wenn ein Flug annulliert werde, fanden die frisch Vermählten. Das Landgericht Frankfurt wies ihre Zahlungsklage ab (2-24 S 3/22).

Als die Fluggesellschaft den fraglichen Flug annulliert habe, bestand keine bestätigte Flugbuchung mehr. Wochen vorher hätten die Kunden die Buchung bereits storniert und damit zum Ausdruck gebracht, auf die geschuldete Beförderung zu verzichten. Unter diesen Umständen könnten sie aus der Fluggastrechteverordnung keine Ansprüche mehr ableiten, wenn der Flug zu einem späteren Zeitpunkt von der Fluggesellschaft annulliert werde.

Wegen eines Computerfehlers Frist versäumt

So können sich Rechtsanwälte nicht entschuldigen

Die moderne Datenverarbeitung hilft auch Rechtsanwälten, ihre Korrespondenz schneller zu erledigen. Wenn dabei etwas schief geht, können sie sich jedoch nicht auf das Computerprogramm herausreden.

Ein Rechtsanwalt hatte gegen ein Urteil Berufung eingelegt - aus Versehen allerdings nur im Namen eines der drei Beklagten, die in erster Instanz verloren hatten. Erst als die laut Gesetz einzuhaltende Monatsfrist abgelaufen war, teilte der Anwalt dem Gericht mit, dass er eigentlich für alle drei Mandanten Berufung einlegen wollte. Der Fehler sei auf die Software zurückzuführen: Schon seit zehn Jahren verwende er das dafür bestimmte Programm auf seinem Computer, noch nie sei ein derartiger Fehler passiert.

Damit konnte er die versäumte Frist nicht entschuldigen. Die juristischen Konsequenzen würden nicht rückgängig gemacht, entschied der Bundesgerichtshof (II ZB 16/94). Dem Juristen schrieben die Bundesrichter ins Stammbuch: Von einem Anwalt verlange man, dass er die ausgehende Post, zumal wenn sie ans Gericht gehe, vor dem Unterschreiben überprüfe. Mit einem "technischen Computerversagen" könne er Fehler also nicht rechtfertigen. Gerade dem Aufdecken solcher Fehler diene die abschließende Durchsicht der Schreiben.

Verkehrt herum durch die Einbahnstraße

Kann sich die Autofahrerin trotzdem auf den Grundsatz "rechts-vor-links" berufen?

Autofahrerin A bog langsam nach links in eine Einbahnstraße ein. Da kam ihr der Wagen von Autofahrerin B entgegen, der die Einbahnstraße in der falschen Richtung befuhr. Die beiden Autos stießen zusammen. Autobesitzer A verlangte von Autofahrerin B, d.h. von deren Kfz-Haftpflichtversicherung, Schadenersatz für die Reparatur seines beschädigten Autos.

Die Gegenpartei müsse nur die Hälfte der Kosten ersetzen, entschied das Landgericht Wuppertal. Mehr stehe Autobesitzer A nicht zu, denn seine Ehefrau habe zu dem Unfall in gleichem Maß beigetragen wie Frau B (9 S 48/22). Frau A habe nämlich gegen das Gebot "rechts-vor-links" verstoßen. Laut Unfallgutachten hätte sie den Zusammenstoß vermeiden können, wenn sie vor dem Abbiegen nach rechts geschaut hätte.

Das Vorfahrtsrecht der von rechts kommenden Verkehrsteilnehmerin werde nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass sie eine Einbahnstraße in verbotener Richtung befahre. Das gelte schon deshalb, weil Fahrradfahrer diese Einbahnstraße in beiden Richtungen nutzen dürften. Ein Radfahrer, der die Einbahnstraße zulässigerweise in der Gegenrichtung befahre, habe also ebenfalls Vorfahrt.

Wer nach links in die Einbahnstraße einbiege, müsse daher mit von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Radfahrern rechnen und dürfe nicht darauf vertrauen, dass aus der verbotenen Richtung überhaupt kein Fahrzeug komme. So eine Annahme sei allenfalls bei völlig abgesperrten oder unbefahrbaren Straßen gerechtfertigt.

Hund verstand keinen Spaß!

Wer einen Hund mit "übergriffigem Verhalten" provoziert, wird für eine Bissverletzung nicht entschädigt

Die Stammkundin einer Bäckerei kam meistens mit ihrem Hund, dessen Leine sie vor dem Laden befestigte. Gelegentlich machte sich eine Mitarbeiterin der Bäckerei einen Spaß daraus, dem draußen vor der Tür sitzenden Hund ein Geschirrtuch auf den Kopf zu legen. Weil das Tier damit so lustig ausgesehen habe, erklärte eine Kollegin, wie "ein altes Mütterchen". Eines Tages biss der Hund die Angestellte in die Hand, als sie das Tuch wieder entfernen wollte.

Von der Tierhalterin verlangte die Frau Schadenersatz. Ihre Klage scheiterte allerdings beim Oberlandesgericht Zweibrücken: Die Verletzte habe sich so unvorsichtig verhalten, dass die Tierhalterin für den vom Hund angerichteten Schaden nicht einstehen müsse (2 U 32/21). Tierhalterhaftung sei hier ausgeschlossen. Die Ansicht der Verletzten, ihr harmloses Spiel habe das Tier nicht provoziert, entbehre jeder Grundlage.

Sie habe mit ihren "Späßchen" die Gefahrenlage geschaffen, die den Hundebiss auslöste. Offenkundig sei es ein übergriffiges Verhalten, einem Hund ein Tuch auf den Kopf zu legen. Das müsste eigentlich auch Personen klar sein, die sich mit Hunden nicht gut auskennen. Dass einem Hund das Tuch auf dem Kopf missfalle, könne er naturgemäß nicht formulieren, sondern nur mit einer aggressiven Reaktion zeigen.

Dass die Bäckereiangestellte den Hund schon längere Zeit kenne und ihm schon öfter ein Geschirrtuch auf den Kopf gelegt habe, ändere nichts am Vorwurf großen Leichtsinns. Bei ihren "Späßen" habe sie die allgemein bekannte Tiergefahr ignoriert und das Risiko einer entsprechenden Reaktion des Tieres massiv erhöht. Schließlich habe Frau sogar selbst eingeräumt, dass der Hund ihre Hand schon vor dem Biss öfter "im Maul gehabt" habe.

Unfall vor der Reitstunde

Auch erfahrene Reiter sollten nicht ohne Hilfe auf ein widerspenstiges Pferd aufsteigen

Frau X hielt auf ihrem Reiterhof mehrere Pferde und gab Reitstunden. Reiterin Y war regelmäßig auf dem Hof und hatte die meisten Pferde schon geritten. An einem Nachmittag erschien sie zu einer Reitstunde. Die Hofinhaberin war zu diesem Zeitpunkt noch abwesend, wenn auch unterwegs zum Reitplatz. Frau Y stieg mit dem linken Fuß in den Steigbügel von Reitpferd A. Doch bevor sie das rechte Bein hinüberschwingen konnte, rannte das Pferd los und buckelte.

Die Reiterin stürzte zu Boden und brach sich den linken Unterarm und das Handgelenk. Mehrere Operationen folgten, die Verletzte war einige Wochen lang arbeitsunfähig. Von Tierhalterin X forderte sie Schadenersatz und Schmerzensgeld. Zu Recht, entschied das Landgericht Bielefeld, es kürzte allerdings die Ansprüche der Verletzten wegen Mitverschuldens um die Hälfte.

Reitlehrerin X legte gegen das Urteil des Landgerichts Berufung ein, scheiterte damit aber beim Oberlandesgericht (OLG) Hamm (7 U 55/21). Da der Unfall durch ein Tier verursacht wurde, das der Erwerbstätigkeit der Tierhalterin diene, hafte Frau X für die Folgen nicht verschuldensunabhängig, so das OLG: Sie müsse dafür nur einstehen, wenn ihr ein Verstoß gegen die "verkehrsübliche Sorgfalt" gegenüber einer Reitschülerin vorzuwerfen sei. Das treffe hier jedoch zu.

Korrekt wäre es gewesen, Frau Y beim Aufsteigen Hilfestellung zu geben oder die Schülerin vor der Reitstunde anzuweisen, sie solle nicht ohne Hilfe aufsteigen. Zwar sei Frau Y eine erfahrene Reiterin. Doch A sei zum Unfallzeitpunkt noch kein zuverlässiges Reitpferd gewesen. Erst einige Wochen vorher habe für A die Anreitphase begonnen und zwei Tage vor dem Unfall habe das Tier bereits gebuckelt. Da wäre also Vorsicht geboten gewesen.

Beim Aufsteigen sei die Reitlehrerin nicht dabei gewesen. Sie habe Frau Y auch nicht ermahnt, auf Hilfestellung zu warten. Dass eine geübte Reiterin schon mal alleine aufsitze, wenn die Reitlehrerin noch anderweitig beschäftigt sei, sei nicht sonderlich überraschend. Frau Y hätte dies zwar unterlassen und vorsichtiger sein sollen — zumal sie das Pferd A kannte. Ihr ein Mitverschulden von 50 Prozent anzurechnen, sei daher angemessen. Mehr aber auch nicht: Mit so einem Ausraster des Pferdes habe sie nicht unbedingt rechnen müssen.

Mit VW-Bus und Hütehunden durchs Jagdrevier

Wild wird so verschreckt: Der Jagdpächter muss Durchfahrten mit Hunderudel nicht dulden

Im Herbst und Winter 2021 hatte der Jagdpächter den gelben VW-Bus schon mehrmals gesehen: Er fuhr gelegentlich am Waldrand auf befestigtem Weg durch das Jagdrevier, gefolgt von vier großen Hütehunden neben und hinter dem Wagen.

Einmal stellte der Jäger den Fahrer zur Rede: Erstens dürfe der Weg nur zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken befahren werden. Zweitens ängstigten die großen Hunde das Wild. Es komme nicht mehr zum Äsen aus dem Wald heraus, sondern flüchte in dichtere Waldteile. Das erschwere die Jagd, so dass er eventuell seine Abschussquote nicht erreiche.

Der Autofahrer verstand die Aufregung nicht: Er bringe die Hunde zu einer Außenweide, auf der sein Sohn Schafe halte. Die gut ausgebildeten Hütehunde gehorchten einwandfrei, Sie jagten im Jagdrevier kein Wild, auch vom Auto aus habe er sie unter Kontrolle. Im Übrigen dürfe man im Wald doch sowieso Hunde ausführen, auch in Jagdrevieren.

Ein Wort ergab das andere, es kam zum Streit. Daraufhin zog der Jagdpächter vor Gericht und forderte ein Verbot: Der Hundeführer dürfe sein Revier nicht mehr mit Auto und Hunderudel im Gefolge durchqueren. Das Landgericht Coburg gab dem Jäger Recht (24 O 817/21). Der Hundeführer könne sich nicht darauf berufen, dass jedermann das Recht habe, den Wald zu betreten. Das Recht gelte nämlich nur zum Zweck der Erholung und nicht für Autofahrten.

Um die Weide seines Sohnes zu erreichen, müsse der Autofahrer nicht den Waldweg durchs Jagdrevier nehmen. Er könne ebensogut um das Revier herumfahren. Auch wenn man zu Gunsten des Hundeführers davon ausgehe, dass er die Hirtenhunde sogar unter Kontrolle habe, wenn sie unangeleint neben dem VW-Bus hertrabten: Die Interessen des Jagdpächters fielen hier schwerer ins Gewicht als die des Hundeführers.

Anblick und Witterung der Hunde verschreckten das Wild und verleiteten es zur Flucht. Das sei eine bekannte Reaktion, wenn Wild größere Hunde wahrnehme. Dieser Stress schade den Tieren. Die Durchfahrt des Autos mit dem Hunderudel beeinträchtige daher das Recht des Pächters, die Jagd auszuüben. Der Jäger habe auch überzeugend dargelegt, dass ihm wirtschaftliche Einbußen drohten, wenn er den behördlich vorgegebenen Abschussplan nicht erfüllen könne.

Notstromaggregat auf dem Balkon

Kurzartikel

Betreibt ein Mieter ohne Erlaubnis der Vermieter zeitweise auf seinem Balkon ein Notstromaggregat, rechtfertigt dies keine fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses. Es handelt sich dabei nicht um eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Davon ist jedenfalls auszugehen, wenn die Vermieter keine negativen Auswirkungen des Notstromaggregat-Betriebs auf sich oder auf andere Mieter dargelegt haben.

Landwirtstochter verlangt Nachabfindung

Wenn ein Hoferbe Ackerland an Landwirte verpachtet, wird es landwirtschaftlich genutzt

Die Eltern von Frau A hatten die Landwirtschaft schon 1991 aufgegeben und ihr Ackerland langfristig verpachtet. 1997 übergaben sie Hof und Grund der Tochter S, die die Verpachtung fortsetzte. Als nach den Eltern auch Frau S starb, wurde ihr Sohn 2019 als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Frau A, der vom Nachlass der Eltern ein Achtel als Pflichtteil zustand, forderte von ihm Auskunft über die Pachtverträge und die Einkünfte daraus seit 1997.

Der Neffe zahlte ihr eine Abfindung von 5.623 Euro. Damit war Frau A jedoch nicht zufrieden. Sie pochte auf eine Vorschrift der Höfeordnung: Demnach besteht Anspruch auf eine Nachabfindung, wenn ein Hoferbe innerhalb von zwanzig Jahren nach dem Erbfall oder nach der Hofübergabe Hof und Grund auf andere Weise als landwirtschaftlich nutzt und dadurch erhebliche Gewinne erzielt.

Schon seit 1991 bewirtschafteten die Grundeigentümer das Ackerland nicht mehr selbst und das sei auch nach der Übergabe an Frau S bzw. bei ihrem Erben so geblieben, stellte das Oberlandesgericht (OLG) Celle fest (7 W 14/22 (L)). Allein deshalb könne die Miterbin aber noch keine Nachabfindung verlangen. Bedingung dafür sei nicht nur, dass die "Eigenbewirtschaftung" aufgegeben wurde.

Die Ackerflächen müssten außerdem "auf andere Weise als landwirtschaftlich" genutzt werden. Das Verpachten landwirtschaftlicher Flächen an Landwirte sei jedoch nicht als "landwirtschaftsfremd" einzustufen. An dieser früher einmal vertretenen Ansicht halte das Gericht nicht mehr fest, so das OLG.

Verpächter erzielten Einkommen dadurch, dass sie Landwirten Ackerflächen zur landwirtschaftlichen Nutzung überlassen. An dieser Art der Gewinnerzielung ändere sich nichts, wenn der Hoferbe/die Hoferbin selbst noch einen nicht verpachteten Acker bestelle. Es sei in beiden Fällen als landwirtschaftliche Nutzung von Hof und Grund anzusehen, wenn ein Hoferbe/eine Hoferbin einen langfristigen Landpachtvertrag schließe.

Betriebsbedingte Kündigungen nach der Firmenpleite

Was für eine Rolle spielt das Lebensalter bei der Sozialauswahl?

Seit 1972 arbeitete eine 65-jährige Angestellte für ein Unternehmen, das Anfang 2020 Insolvenz anmelden musste. Der Insolvenzverwalter traf mit dem Betriebsrat eine soziale Auswahl unter den 396 Arbeitnehmern: Wer kommt am ehesten für eine betriebsbedingte Kündigung in Frage? 61 Namen standen auf der Liste, darunter der Name der 65-Jährigen. Der Insolvenzverwalter kündigte ihr zum 30. Juni 2020.

Begründung: Sie sei in ihrer Vergleichsgruppe sozial am wenigsten schutzwürdig. Denn die Arbeitnehmerin habe aufgrund ihres Alters als einzige die Möglichkeit, schon bald nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses (ab 1. Dezember 2020) eine Altersrente zu beziehen — nämlich die Altersrente für besonders langjährig Versicherte, die mindestens 63 Jahre alt sind und 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben (Sozialgesetzbuch VI, § 236b).

Nach weiteren Verhandlungen mit dem Betriebsrat kündigte der Insolvenzverwalter der Frau vorsorglich erneut zum 30. September 2020. Die Arbeitnehmerin erhob gegen beide Kündigungen Kündigungsschutzklage.

Das Bundesarbeitsgericht erklärte die erste für unwirksam, die zweite Kündigung jedoch für wirksam (6 AZR 31/22). Sinn der sozialen Auswahl sei es, den Arbeitnehmern zu kündigen, die sozial am wenigsten schutzbedürftig seien. Zu berücksichtigen seien dabei das Lebensalter, die Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers.

Das Lebensalter sei ein zwiespältiges Auswahlkriterium: Einerseits steige die Schutzbedürftigkeit mit dem Alter, weil ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt schlechtere Chancen hätten. Andererseits sinke sie kurz vor der Rente, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine abschlagsfreie Rente wegen Alters beziehen könne. Diesen Umstand habe der Insolvenzverwalter zum Nachteil der Arbeitnehmerin berücksichtigen dürfen.

Dennoch sei die erste Kündigung unwirksam, weil der Insolvenzverwalter die 65-Jährige nur wegen ihrer "Rentennähe" ausgewählt und die anderen Auswahlkriterien "Betriebszugehörigkeit" und "Unterhaltspflichten" ignoriert habe. Das sei grob fehlerhaft gewesen. Die zweite Kündigung dagegen habe das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2020 wirksam aufgelöst.

Ehrenamtliches Chormitglied ist unfallversichert

Chorsängerin verunglückte auf der Fahrt zum Adventsingen in der evangelischen Kirchengemeinde

Ein Frauenchor hatte mit dem Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde einen Auftritt vereinbart. In deren Räumen sollte ein öffentliches Adventssingen stattfinden, das die Kirchengemeinde sogar im lokalen Amtsblatt als kirchliche Veranstaltung ankündigte.

Eine Chorsängerin holte zwei andere Sängerinnen mit dem Auto ab. Bei der Fahrt zum Auftritt verunglückte sie auf eisglatter Straße. Während die Mitfahrerinnen nur leicht verletzt wurden, ist die Autofahrerin seither gelähmt.

Von der gesetzlichen Unfallversicherung (d.h. von der für Vereine und Religionsgemeinschaften zuständigen Verwaltungs-Berufsgenossenschaft) verlangte die Schwerverletzte Leistungen. Doch die Berufsgenossenschaft verneinte Versicherungsschutz, ebenso die Unfallkasse, die für ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich engagierte Personen zuständig ist.

Die Klage der Chorsängerin auf Versicherungsleistungen scheiterte beim Landessozialgericht: Die Ehrenamtlerin sei nicht im Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft tätig gewesen, so das Gericht. Im Chor singe sie vielmehr aus "Freude am Gesang" und an der Gemeinschaft, also zu ihrem eigenen Vergnügen. Die Chorsängerin pochte dagegen darauf, dass auch private Tätigkeiten im Interesse des Gemeinwohls vom Versicherungsschutz umfasst seien.

So sah es auch das Bundessozialgericht: Die Frau sei auf dem Weg zum Adventssingen in den Räumen einer Kirchengemeinde unfallversichert gewesen (B 2 U 19/20 R). Der Versicherungsschutz sei nicht mehr davon abhängig, dass der/die Betroffene direkt für eine Religionsgemeinschaft tätig sei. Zwar sei der Frauenchor eine private Organisation. Doch das Adventssingen sei von der Kirchengemeinde mit-organisiert worden.

Der Chor sei freiwillig, unentgeltlich und im Interesse des Gemeinwohls im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung aufgetreten. Um an diesem Auftritt teilzunehmen, sei die Chorsängerin bei dem Verkehrsunfall unterwegs gewesen. Der Weg dorthin hänge also mit dem versicherten Ehrenamt zusammen. Dass die Sängerin vor allem singe, weil es ihr Freude bereite, ändere daran nichts. Es gehöre zum Wesen des Ehrenamts, dass es mit Freude ausgeübt werde.

Sanierung führt zu Wasserschaden beim Nachbarn

Kurzartikel

Wird bei Sanierungsarbeiten an einem Haus Wasser aus dem Keller gepumpt, das aber nicht auf dem Grundstück versickert, sondern in den Keller des Nachbarn eindringt, müssen die Hauseigentümer den Schaden beheben. Sie hätten das Wasser in die Kanalisation ableiten müssen, so das Oberlandesgericht: Bei solchen Arbeiten müsse man auch das Nachbargrundstück im Blick haben.

Familie verpasst Überseeflug

Das jüngste Kind durfte nicht durch die automatisierte Grenzkontrolle EasyPASS

Eine Familie mit drei Kindern hatte einen Überseeflug gebucht, der um 12.15 Uhr starten sollte. Die Reisenden gaben ihr Gepäck um 10.07 Uhr am Check-in-Schalter auf. Nach einem Einkaufsbummel stellten sie sich um 11.10 Uhr vor der Sicherheitskontrolle an, die sie um 11.35 Uhr passierten. Anschließend ging die Familie zur elektronischen Passkontrolle EasyPASS, die automatisch die Echtheit und Gültigkeit elektronischer Reisedokumente überprüft.

Da Kinder unter zwölf Jahren — wie die jüngste Tochter des Ehepaares — EasyPASS nicht nutzen dürfen, wurde die Familie an die Passkontrolle durch Personal verwiesen. Dort führte ein Problem mit einem anderen Fluggast zu einer längeren Verzögerung. Der Familienvater wies zwar eine Mitarbeiterin darauf hin, dass die Zeit knapp werde und sie ihren Flug versäumen könnten. Doch in der Warteschlange ließ man die Familie nicht vor.

Prompt kamen die Reisenden am Gate zu spät und verpassten den Flug. Der Familienvater verklagte den Flughafenbetreiber auf Schadenersatz für Ersatztickets sowie zusätzliche Hotel- und Fahrtkosten (rund 2.980 Euro): Er habe sich auf die Internet-Informationen des Flughafenbetreibers zum EasyPASS-System verlassen, dort werde aber das Mindestalter für dessen Nutzung nicht erwähnt.

Die Klage des Mannes scheiterte in allen Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof (III ZR 204/21). Für die Passkontrollen sei allein die Bundespolizei zuständig, so die Bundesrichter: Der Flughafenbetreiber könne hier keinen Einfluss nehmen. Insbesondere dürften seine Mitarbeiter nicht einzelne, verspätete Passagiere bei der Passkontrolle "vorziehen". Außerdem sei die Passkontrolle durch das Personal sowieso zügig durchgeführt worden.

Der Vorwurf unvollständiger Information durch den Flughafenbetreiber gehe fehl. Dessen Hinweise zum EasyPASS-System seien offenkundig nicht vollständig oder abschließend. Die Reisenden hätten sich über die Nutzungsbedingungen auf der Webseite der Bundespolizei genauer informieren müssen. Im Übrigen sollten sich Fluggäste - auch diejenigen, die über EasyPASS Bescheid wüssten - nicht auf die ständige Betriebsbereitschaft der computergestützten Grenzkontrolle verlassen.

Das Ehepaar habe sich die prekäre Situation selbst zuzuschreiben, denn es habe keinen ausreichenden Zeitpuffer eingeplant. Auch am Flughafen hätten sich die Reisenden noch nach den Modalitäten von EasyPASS erkundigen können. Zwischen der Aufgabe des Gepäcks und der Sicherheitskontrolle wäre dafür Zeit genug gewesen. Stattdessen habe die Familie eine Stunde leichtsinnig verbummelt und sich in Geschäften umgeschaut.

Geschiedene Frau verlangt Opferentschädigung

Ein Streit eskalierte: Der Ehemann soll die Frau gestoßen haben, bis sie stürzte

Szenen einer Ehe: Nach gescheiterter Paartherapie 2016 bat der Rentner einen Anwalt, seiner Frau schriftlich mitzuteilen, sie möge "aus seinem Haus ausziehen" und sich eine Wohnung suchen. Ende Januar 2017 erstattete die Ehefrau Anzeige: Vor zwei Wochen sei die Situation eskaliert.

Sie habe ihren Mann wieder einmal damit konfrontiert, dass er psychisch sehr krank sei. Darauf sei er immer aggressiver geworden und auf sie losgegangen. Er habe sie gestoßen, bis sie zu Boden gestürzt sei — der Höhepunkt nach 20 Jahren Ehe-Martyrium mit Beleidigungen und psychischer Gewalt. Danach habe sie fluchtartig das Haus verlassen.

Dagegen behauptete der Mann, er habe seine Frau Wochen vorher gebeten, sein Schlafzimmer als Rückzugsort zu respektieren, solange sie noch im Haus wohne. Aber an diesem Tag habe sie unbedingt diskutieren wollen. Trotz der Aufforderung, sich zu entfernen, habe sie einfach keine Ruhe gegeben. Bis er sie aus dem Schlafzimmer hinausgeschoben habe. Von gewaltsamer Attacke könne keine Rede sein.

2019 beantragte die mittlerweile geschiedene Frau eine Opferentschädigung ("Beschädigtenrente"): Arbeiten könne sie infolge ihrer ehebedingten seelischen Leiden nicht mehr. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Auch ihre Klage gegen die zuständige Behörde blieb beim Landessozialgericht Baden-Württemberg ohne Erfolg (L 6 VG 1148/22). Hier stehe Aussage gegen Aussage, stellte das Gericht fest. Wie es wirklich gewesen sei, sei also nicht aufzuklären.

Opferentschädigung setze einen vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriff voraus, der zu einem Gesundheitsschaden führe — angebliche psychische Gewalt begründe keinen Anspruch. Eine Tätlichkeit sei aber nicht belegt.

Dagegen spreche nicht nur die Aussage des Mannes: Die Frau habe mit der Strafanzeige zwei Wochen gewartet, anstatt sofort die Polizei zu rufen. Zudem sei es unglaubwürdig, dass sie sich von ihm getrennt habe und quasi "geflüchtet" sei. Denn ihr Mann habe bereits 2016 die Beziehung beendet.

Entscheidend sei aber, dass die Frau die Ursache für die aggressive Reaktion des Ehemannes selbst gesetzt habe. Wiederholt habe sie gegen seinen erklärten Willen versucht, ihn zu einem Gespräch über seine vermeintliche psychische Krankheit zu nötigen. Wenn er — ihrer Ansicht nach — krank war und sich von ihr trennen wollte, musste die Frau mit so einer Reaktion rechnen.

Zumindest hätte sie sich sofort zurückziehen müssen, als sie merkte, wie er auf ihr Anliegen reagierte. Wenn das Opfer den Täter provoziere und sich selbst in Gefahr bringe, schließe dies eine Opferentschädigung aus.

Krebsverdacht: Falsche Diagnosemethode angewandt?

Patient bestreitet die Notwendigkeit der Gewebeentnahme und behauptet Aufklärungsdefizit

Ein Patient verlangte von seinem Urologen Schmerzensgeld, weil er ihn falsch behandelt und nicht richtig aufgeklärt habe. Nach ersten Anzeichen für einen Prostatakrebs hatte der Arzt eine Biopsie durchgeführt (d.h. er hatte Gewebe entnommen, dessen Untersuchung zeigt, ob ein Tumor vorliegt). Die Untersuchung bestätigte den Verdacht auf Krebs.

Der Eingriff löste beim Patienten Fieber und Schüttelfrost aus, der Urologe wies ihn für eine Woche in eine Klinik ein. Anschließend durchlief der Mann eine Strahlentherapie in Kombination mit einer Hormontherapie, die er auch nicht gut vertrug.

Dem Mediziner warf er vor, die Biopsie sei nicht angezeigt gewesen. Den Tumor hätte man vielmehr durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) bestätigen müssen. Über die Risiken der Biopsie und die Alternativen dazu sei er vor dem Eingriff nicht aufgeklärt worden.

Das Oberlandesgericht Dresden wies die Klage des Patienten ab (4 U 657/21). Schon das sachverständig beratene Landgericht habe geklärt, dass die Prostata-Biopsie eindeutig notwendig gewesen und gemäß dem Facharztstandard vorbereitet und durchgeführt worden sei. Nur mit einer Gewebeprobe könne man herausfinden, um welchen Typ Tumor es sich handle - nicht aber mit einer MRT-Untersuchung.

Aufklärungsdefizite seien dem Urologen ebenfalls nicht vorzuwerfen. Er habe mit dem Patienten über die MRT-Untersuchung gesprochen, sie jedoch zu Recht nicht als echte, also gleichwertige Alternative zur Biopsie dargestellt. Der Mediziner habe ausgesagt, dass er die Risiken, die er ausdrücklich anspreche, handschriftlich im Aufklärungsbogen eintrage. Das sei auch im konkreten Fall geschehen.

Der Aufklärungsbogen selbst enthalte ausreichende Erläuterungen zum Risiko bei einer Gewebeentnahme. Darüber hinaus hätten Mitarbeiter bestätigt, dass der Urologe bei jedem Aufklärungsgespräch die Gefahr von Nachblutungen und Infektionen erwähne. Wegen dieses Risikos werde grundsätzlich vor der Biopsie ein Antibiotikum verabreicht. Dieses Vorgehen sei nicht fehlerhaft, sondern entspreche dem medizinischen Standard.

Jäger schoss betrunken auf Vitrine

Wer nach Alkoholkonsum eine Waffe benützt, muss sich von Jagdschein und Waffen verabschieden

Bei einem Polizeieinsatz im Wohnhaus eines Jägers hörten die Beamten zwei Knallgeräusche. Im Einsatzbericht vermerkten sie, dass der Mann vermutlich auf dem Dachboden gesessen und mit einer Waffe auf eine Vitrine geschossen habe. Ein Alkoholtest ergab, dass er zuvor ordentlich Alkohol getankt hatte: 1,45 Promille zeigte das Gerät an.

Die zuständige Behörde des Landkreises widerrief daraufhin die Waffenbesitzkarten sowie den Europäischen Feuerwaffenpass des Mannes und zog seinen Jagdschein ein: Ihm fehle die waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Gegen diese Maßnahmen zog der Jäger vor Gericht und pochte darauf, keine Straftat begangen zu haben. Man habe gegen ihn auch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Das spiele keine Rolle, erklärte das Verwaltungsgericht Trier (2 K 1675/22). Der Jäger habe in alkoholisiertem Zustand eine Schusswaffe benützt — das reiche vollkommen aus, um ihm die im Umgang mit Waffen erforderliche Zuverlässigkeit abzusprechen. Schusswaffen dürfe man nur vorsichtig, also ausschließlich nüchtern gebrauchen. Nur so seien alkoholbedingte Ausfallerscheinungen ausgeschlossen, die andere Personen gefährden könnten.

Die Alkoholmenge, die der Mann konsumiert habe, reduziere Reaktionsgeschwindigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit und wirke enthemmend. Dass er trotz dieses Risikos geschossen habe, rechtfertige die Prognose der Behörde, dass er auch künftig mit Waffen und Munition nicht vorsichtig und sachgemäß umgehen werde. Dass der Jäger in dieser Hinsicht bisher nicht negativ aufgefallen sei, ändere an dieser Prognose nichts.