Mit ca. 12 bis 14 km/h war Radfahrer R auf einem (für Radfahrer zugelassenen) Gehweg unterwegs. Da hopste ein damals neun Jahre alter Junge, den die Mutter gerade von der Musikschule abholte, vom Eingangsbereich der Schule heraus auf den Gehweg. R bremste zwar abrupt, trotzdem fuhr er das Kind an. Das Fahrrad überschlug sich, der Radfahrer stürzte über den Lenker nach vorne.
Im Namen des Jungen, der bei dem Zusammenstoß ein Schädelhirntrauma, Schürfwunden und Prellungen erlitt, verklagte die Mutter Herrn R auf Schmerzensgeld: Er sei erstens zu schnell und zweitens zu nahe am Grundstückseingang vorbeigefahren.
R konterte mit einer Gegenklage auf Schmerzensgeld: Bei seinem Sturz habe er ebenfalls Prellungen und Schürfwunden erlitten. Er sei ziemlich langsam gefahren. Aber das Kind sei so schnell aus dem Eingang herausgerannt, dass eine Kollision unvermeidbar gewesen sei. Die Mutter habe den Jungen ungenügend beaufsichtigt.
Das Amtsgericht Erfurt sprach dem Kind 500 Euro Schmerzensgeld zu und wies die Gegenklage des Radfahrers ab (5 C 1402/19). Auf einem kombinierten Rad- und Fußgängerweg müssten Radfahrer besondere Rücksicht auf Fußgänger nehmen, insbesondere auf alte Menschen und Kinder. Sie müssten so fahren, dass sie jederzeit anhalten könnten, und sie müssten stets damit rechnen, dass aus Grundstückseingängen oder Ausfahrten Fußgänger heraustreten.
Diese Grundsätze gelten erst recht auf reinen Gehwegen mit dem Zusatzschild "Radfahrer frei" — wie dem Gehweg, auf dem sich der Unfall ereignet habe. "Radfahrer frei" bedeute keineswegs "Freie Fahrt": Vielmehr dürften Radler hier nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren, d.h. mit höchstens 5 bis 7 km/h. R sei also deutlich zu schnell gefahren. Das belege nicht zuletzt die Tatsache, dass sich sein Rad aufgrund des Bremsmanövers überschlagen habe.
Auf jeden Fall habe R nicht problemlos stehen bleiben können, als der Junge auf den Gehweg herausgekommen sei. Er habe das Kind direkt angefahren, dem keinerlei Mitverschulden anzukreiden sei. Der Junge sei nicht ins Rad hinein "gehopst", wie R behaupte: Dann wäre R nämlich zur Seite gestürzt und nicht nach vorne über den Lenker.