Sonstiges

Mutter Alkoholikerin?

Im Prozess um das Sorgerecht für Kinder darf der Richter keine ärztliche Untersuchung anordnen

Bei der Scheidung war der Frau das Sorgerecht für die beiden Kinder zugesprochen worden. Damit war ihr Ex-Mann nicht einverstanden. Beim Amtsgericht beantragte er, ihr das Sorgerecht zu entziehen und auf ihn zu übertragen. Sie sei alkoholkrank und daher nicht in der Lage, die Kinder zu erziehen, argumentierte der Vater.

Um diese Einschätzung prüfen zu lassen, wollte der Amtsrichter die Frau zum Gesundheitsamt schicken. Hier sollten die Ärzte unter anderem die Leberwerte aufnehmen, um den Grad einer eventuellen Alkoholkrankheit festzustellen. Gegen diesen Beschluss wehrte sich die Frau, weil er erheblich in ihre Persönlichkeitsrechte eingreife. Das Oberlandesgericht Oldenburg gab ihr Recht und hob den Beschluss auf (2 WF 55/07).

Auch wenn das Gericht ermitteln müsse, ob die Vorwürfe des Vaters zuträfen, gelte hier der Grundsatz: Ohne Rechtsgrundlage dafür könne niemand gezwungen werden, an einer ärztlichen Untersuchung mitzuwirken. Im Familienrecht existiere keine solche Rechtsgrundlage. Im Rahmen eines Streits um das Sorgerecht für Kinder sei es daher unzulässig, einen Elternteil aufzufordern, sich beim Gesundheitsamt untersuchen zu lassen.

BND überwachte Journalisten

Nachrichtendienst muss Auskunft über gespeicherte Informationen geben

Längere Zeit hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) Presseleute überwacht, um deren Informanten aus dem BND auf die Spur zu kommen. Betroffen war unter anderem ein Journalist der "Berliner Zeitung", der im November 2005 die Schnüffelaktion aufdeckte. Im Auftrag des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages ging Dr. Schäfer (früher Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof) den Vorwürfen nach und erstellte dazu ein Gutachten.

Dem war unter anderem zu entnehmen, dass ein Leipziger Journalist - gegen Entgelt - Informationen über den Berliner Journalisten an den BND weitergegeben hatte. Nun forderte der Betroffene vom BND Auskunft darüber, "welche Informationen und Daten Sie über mich gespeichert haben". Der BND verfiel auf eine feinsinnige Unterscheidung: Er legte die elektronisch gespeicherten Daten offen, lehnte aber Auskunft über den Inhalt seiner Akten ab.

Dazu war er nicht berechtigt, urteilte das Bundesverwaltungsgericht (6 A 2.07). Im einschlägigen Gesetz sei zwar nur von gespeicherten Daten die Rede, aber gar so eng sollte man das nicht auslegen. Sonst bliebe das Grundrecht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung auf der Strecke. Im konkreten Fall gebe es auch kein nachrichtendienstliches Interesse an Geheimhaltung, das einer Auskunft entgegenstünde.

Betrunkener Autofahrer flüchtet vor der Polizei

Aus Versehen angeschossen - kein Geld von der Unfallversicherung

Mit Freunden auf Zechtour, war der Autofahrer gegen 22 Uhr mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Er war so betrunken, dass er nicht einmal langsamer fuhr, als ein Polizeiwagen auftauchte. Im Gegenteil: Der Mann überholte die Polizisten sehr flott. Die Beamten nahmen sofort die Verfolgung auf. Nachdem der Autofahrer einen anderen Wagen wild überholt und nach rechts abgedrängt hatte, musste er bei Rotlicht an einer Kreuzung anhalten.

Einer der Polizisten stieg aus, um den Wagen zu kontrollieren - doch der Autofahrer flüchtete. Das wiederholte sich einige Male, bis er endlich aufgab. Einer der Polizeibeamten ging mit gezogener und entsicherter Waffe auf das Auto zu. Dabei löste sich ein Schuss und traf den betrunkenen Fahrer, der mittlerweile ausgestiegen war, in den Bauch. Im Krankenhaus wurde bei dem schwer verletzten Mann eine Blutalkoholkonzentration von 2,18 Promille festgestellt.

Wegen Gefährdung des Straßenverkehrs und Widerstands gegen Polizeibeamte verurteilte ihn ein Amtsgericht zu einer Geldstrafe. Als der Übeltäter wieder gesund war, wandte er sich an seine private Unfallversicherung und verlangte Invaliditätsleistungen und Unfallkrankenhaustagegeld. Das Landgericht Dortmund wies seine Zahlungsklage ab (2 O 122/06). Es sei zwar ein Unfall gewesen, so die Richter, Versicherungsschutz bestehe hier aber nicht. Denn der Verletzte habe den Unfall zumindest indirekt verursacht - durch Trunkenheit und Flucht. Daher müsse die Unfallversicherung nicht für die Folgen einspringen.

Durch seine (alkoholbedingt auffällige) Fahrweise habe der Versicherungsnehmer die Polizisten auf sich aufmerksam gemacht und dann eine wilde Jagd ausgelöst. Dass mehrere Fluchtversuche eine scharfe Reaktion der Beamten herausforderten, liege auf der Hand. Aus gutem Grund vermuteten die Polizeibeamten Straftäter im Fluchtauto, hielten den Fahrer für gefährlich. Selbst wenn der Polizist im kritischen Moment falsch reagiert haben sollte, wäre dies dem Verletzten zuzurechnen: Denn er habe mit seinem Fehlverhalten diese gefährliche Situation herbeigeführt, in welcher der Polizist die Waffe ziehen musste, um sich abzusichern.

Betriebliche Altersversorgung:

Gleichbehandlung von Mann und Frau bei der Hinterbliebenenrente

Seit die Frau im Jahre 2000 aufgehört hatte zu arbeiten, bezog sie eine Betriebsrente. Ihr Ehemann sollte nach ihrem Tod keine Witwerrente von der betrieblichen Altersversorgung bekommen. Im Betrieb hieß es dazu, ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente bestehe nur, wenn die ehemalige Arbeitnehmerin hauptsächlich den Unterhalt der Familie bestritten hätte. Das treffe in ihrem Fall nicht zu.

Die Rentnerin hakte nach und fand heraus, dass die Hinterbliebenenrente für Angehörige männlicher Mitarbeiter an keinerlei Voraussetzung geknüpft war. War das nicht eine eindeutige Benachteiligung der Frauen? Das Bundesarbeitsgericht gab der Rentnerin Recht: Die einschlägige Regelung diskriminiere Frauen (3 AZR 249/06).

Sie widerspreche damit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das auch in der betrieblichen Altersversorgung anzuwenden sei. Zwar sei im AGG erwähnt, für die Altersversorgung gelte das Betriebsrentengesetz; das stehe zum AGG aber nicht in Gegensatz. Im übrigen wäre eine derartige Diskriminierung wegen des Geschlechts auch schon vor dem In-Kraft-Treten des AGG unzulässig gewesen.

Missglückte Schönheitsoperation?

Chirurg muss für Narben an den Brüsten nicht haften

Eine junge Frau war mit dem Aussehen ihrer Brüste unzufrieden. Sie suchte einen Schönheitschirurgen auf, um sie straffen zu lassen. Doch der Eingriff ging gründlich schief: An beiden Brüsten traten Wundheilungsstörungen auf, Narben platzten und Gewebe starb ab. Trotz monatelanger Bemühungen des Arztes blieben breite, knotige Narben zurück.

Die Patientin warf dem Mediziner vor, er habe die Brust überstrafft und die Wunden unzulänglich versorgt. Sie forderte Schmerzensgeld. Für Behandlungsfehler fand allerdings der vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige keinen Anhaltspunkt. Er bestätigte dem Chirurgen, nach den Regeln der Kunst vorgegangen zu sein. Etwas Gegenteiliges ergebe sich weder aus den Fotos, noch aus der Dokumentation.

Dieser Fall belegt einmal mehr, wie wichtig es für Ärzte ist, Behandlung und Aufklärungsgespräche mit den Patienten sorgfältig zu dokumentieren. Die Dokumentation und das Sachverständigengutachten ersparten dem Chirurgen die Haftung. Das Landgericht München I wies die Zahlungsklage der Patientin ab (9 O 16390/05).

Die Patientin behaupte, dass der Chirurg im Aufklärungsgespräch die Operation als "einfachen Routineeingriff" verharmlost habe. Das sei nicht nachvollziehbar, so die Richter. Immerhin habe die Frau eigenhändig ein Dokument unterschrieben, in dem sie bestätigte, dass der Chirurg vor der Operation gerade auf Wundheilungsstörungen und Narbenbildung als typische Risiken dieser Art von Operation hingewiesen habe. (Die Patientin legte gegen das Urteil Berufung ein.)

Heizte Langzeitarbeitslose zu viel?

ARGE darf die Erstattung für Heizkosten nur nach vorheriger Mahnung kürzen

Die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (ARGE) im Kreis Unna sollte einer Empfängerin von Arbeitslosengeld II Heizkosten erstatten. Die Frau legte der ARGE die Fernwärmerechnung des Energieversorgungsunternehmens vor. Doch der zuständige Sachbearbeiter fand, ihre Kosten lägen weit über dem Durchschnitt. Deshalb kürzte er die Summe um 550 Euro.

Die Hartz-IV-Empfängerin klagte gegen den Bescheid und gewann den Prozess vor dem Sozialgericht Dortmund (S 32 AS 114/07). Im Normalfall habe die ARGE die tatsächlichen Heizkosten der Wohnung zu erstatten, so wie sie im Mietvertrag bzw. in der Rechnung des Energieversorgers stehen, so die Richter.

Wenn der Sachbearbeiter vermute, ein Leistungsempfänger verhalte sich "unwirtschaftlich" und heize zu viel, müsse die ARGE ihm/ihr die Möglichkeit geben, dies zu ändern. Nur wenn das prinzipiell möglich sei, der Leistungsempfänger das aber nicht einsehe, dürfe die Behörde die zu erstattende Summe kürzen. Vorher müsse die ARGE die Betroffenen darüber informieren, dass ihr Verbrauch über dem Durchschnitt liege, und auffordern, ihre überhöhten Kosten zu senken.

Das habe die ARGE hier versäumt, weshalb sie die Heizkosten in voller Höhe übernehmen müsse, urteilte das Sozialgericht. Das Gericht stellte zudem klar, dass "das durchschnittliche Heizverhalten" nur in Bezug auf das jeweilige Abrechnungsjahr errechnet werden kann. Nur so seien die Kosten wirklich vergleichbar, weil Witterungsverhältnisse und Energiekosten schwankten - und damit von Jahr zu Jahr auch die "angemessenen" Heizkosten.

Beim Festzug vom Pferd abgeworfen

Bei der Begegnung mit einer Blaskapelle scheute das Tier

Eine bayerische Gemeinde plante einen Festumzug mit Musik, Oldtimer-Fahrzeugen und Reitern. Das Landratsamt hatte die Veranstaltung mit einer Auflage genehmigt: An der vorgesehenen Wendeschleife des Festzugs dürften die Pferde nicht direkt Oldtimern oder einer spielenden Blaskapelle begegnen. So wurde es auch auf einer Gemeinderatssitzung abgesprochen.

Doch beim Umzug kam es dann ganz anders: Am Wendepunkt zog eine Blaskapelle an den Reitern vorbei. Das laute "Um-tata" versetzte eines der Pferde in Panik, obwohl es nicht zum ersten Mal bei einem Umzug teilnahm und von einer Begleitperson am Zügel geführt wurde. Das Tier scheute, stieg hoch, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Dabei warf das Pferd die Reiterin ab, beide verletzten sich. Von der Gemeinde forderte die Reiterin Entschädigung für die Unfallfolgen.

Zu Recht, wie das Oberlandesgericht München entschied (1 U 5353/06). Die Veranstalterin des Festzugs habe die Auflage des Landratsamts missachtet. Demnach hätte sie dafür sorgen müssen, dass die Reiter und ihre Tiere nicht direkt auf Oldtimer und Blaskapellen trafen. Die Pferde sollten nicht durch Motorengeräusche oder laute Musik nervös werden und außer Kontrolle geraten. Um dies zu erreichen, hätte die Gemeinde entweder die Zahl der Teilnehmer begrenzen oder eine größere Wendeschleife wählen können.

Die Reiterin treffe kein Mitverschulden an dem Unfall. Ihr Pferd sei erwiesenermaßen "festzugstauglich". Hätte die Frau versucht, aus der Reitergruppe auszuscheren oder abzusteigen, hätte dies das Risiko nicht verringert. In einer kritischen Situation sei ein Pferd vom vertrauten Reiter immer noch eher zu kontrollieren als durch die Begleitperson am Zügel.

Straßenbahnfahrer beim (Betriebs-)Fußball verletzt

Kein Arbeitsunfall - keine Leistungen von der Berufsgenossenschaft

Der Straßenbahnfahrer arbeitet für die Kölner Verkehrs-Betriebe AG. In seiner Freizeit spielt er gerne Fußball - und zwar mit einer Betriebssportgemeinschaft der Verkehrs-Betriebe. Während eines Zusatztrainings verdrehte sich der Fahrer das rechte Knie. Resultat: ein gerissenes Kreuzband, lädierter Außenmeniskus.

Vergeblich wandte sich der Straßenbahnfahrer an die Berufsgenossenschaft Bahnen - als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung - und beantragte eine Entschädigung: Da der Sport dazu diene, die beruflichen Anstrengungen zu kompensieren, handle es sich um einen Arbeitsunfall, meinte er. Dem widersprach die Berufsgenossenschaft und zahlte nicht. Das Sozialgericht Düsseldorf gab ihr Recht (S 1 U 52/06).

Der Unfall des Versicherten hänge in keiner Weise mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen. Betriebssport stehe nur dann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er unmittelbar arbeitsbedingte (körperliche, geistige oder nervliche) Belastungen ausgleiche, wenn er regelmäßig stattfinde und der Teilnehmerkreis im wesentlichen aus Betriebsangehörigen bestehe.

Fußball sei jedoch ungeeignet als Ausgleichssport für berufliche Belastung und Stress. Fußball sei vielmehr ein unfallträchtiger Kampfsport, bei dem es jeder Mannschaft um den Sieg gehe. Fußballspielen mache zwar Spaß, diene aber nicht in erster Linie der körperlichen Erholung. Auch der äußere Rahmen spreche gegen einen Arbeitsunfall: Schließlich bestehe die Mannschaft nur zur Hälfte aus Betriebsangehörigen, weil die Vereinssatzung unbegrenzt Mitglieder von außerhalb zulasse. (Der verletzte Fußballer legte Berufung ein.)

Literaturprofessor als Bücherklau

Wertvolle Originalbände auf Auktionen versteigert: Bewährungsstrafe

Eigentlich möchte man ja meinen, dass ein deutscher Hochschullehrer von seinem Gehalt einigermaßen leben kann. Doch ein Bonner Literaturwissenschaftler betätigte sich als Bücherklau, um es aufzubessern. In der Bonner Universitätsbibliothek stahl er im Laufe mehrerer Jahre ca. 80 wertvolle, historische Originalbände. Diese Bände ließ der Germanist auf Antiquitäten-Auktionen versteigern und machte damit gutes Geld.

Damit der Diebstahl nicht aufflog, besorgte sich der Professor auf Flohmärkten wertlose, alte Bücher, bearbeitete ihr Äußeres ein wenig und brachte sie dann anstelle der Originalbände in die Bibliothek "zurück". Als ein Bibliothekar Verdacht schöpfte und die Polizei einschaltete, versuchte der Hochschullehrer den Diebstahl zu vertuschen: Er legte eine Reihe von gefälschten Quittungen und Rechnungen vor, um so zu belegen, dass er die versteigerten Bücher rechtmäßig erworben hatte.

Das Landgericht Bonn verurteilte den Professor wegen Betrugs, versuchten Betrugs und Urkundenfälschung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Weil das Landgericht vom Angeklagten benannte Zeugen nicht vernahm, die auf Auktionen Bücher ersteigert hatten, legte er Revision gegen das Urteil ein. Damit hatte er beim Oberlandesgericht Köln jedoch keinen Erfolg (81 Ss 111/07 - 294). Die Kölner Richter bestätigten die Entscheidung der Bonner Kollegen.

Arbeitsloser soll in kleinere Wohnung ziehen

Wer regelmäßig kleine Kinder betreut, ist nicht als "Alleinstehender" einzustufen

Job weg, Frau weg - nach der Scheidung war die Situation des Hartz-IV-Empfängers schon mies genug. Da drohte weiterer Ärger mit der Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (ARGE). Er müsse sich eine kleinere Wohnung suchen, teilte ihm der zuständige Sachbearbeiter mit. Nun sei er "Single"; daher stehe dem "Empfänger von Grundsicherung für Arbeitssuchende" eine Wohnung mit höchstens 45 Quadratmetern zu.

Die 3-Zimmer-Wohnung des Arbeitslosen war jedoch ca. 60 Quadratmeter groß. Der Mann wies darauf hin, dass ihn seine Kinder jedes Wochenende besuchten. In einem Ein-Zimmer-Appartment könne er sie nicht unterbringen. Die Argumentation fruchtete nichts, es kam zum Rechtsstreit. Beim Sozialgericht Aachen setzte sich der Arbeitslose durch (S 14 AS 80/07).

Wenn ein Hartz-IV-Empfänger nach der Trennung vom Partner die gemeinsamen Kinder regelmäßig betreue, sei eine Wohnung von 45 Quadratmetern zu klein. Dann sei der Bedürftige nicht als Alleinstehender einzustufen, sondern bilde mit den Kindern eine Bedarfsgemeinschaft, urteilten die Richter.

Im konkreten Fall gehe es um drei Kinder (im Alter zwischen vier und zehn Jahren), die sich regelmäßig von Freitag mittags bis Sonntag abends beim Vater aufhielten. Zusätzlich übernachte die jüngste Tochter an zwei weiteren Tagen in der Woche beim Vater, weil ihr Kindergarten ganz in der Nähe liege. Unter diesen Umständen sei für ihn eine Wohnungsgröße wie für einen Zwei-Personen-Haushalt (also bis zu 60 Quadratmeter) durchaus angemessen. (Die ARGE hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.)

Unfreiwillig im Wahl-Werbespot aufgetaucht

Eine bekannte Künstlerin, die mit dem Berliner Bürgermeister befreundet ist, muss das hinnehmen

Eine Schauspielerin und Kabarettistin wehrte sich gegen einen Wahl-Werbespot der Berliner Opposition (Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2006). Hintergrund: Die Künstlerin ist mit dem Regierenden Bürgermeister W. befreundet. Auf der "AIDS-Gala" 2004 tauschte sie mit ihm zu später Stunde einen Zungenkuss aus, worüber die Medien berichteten. Auf ihrer Website stellte die Frau danach ein Interview mit dem "Tagesspiegel" ein, in dem sie diesen "Vorfall" bestätigte und auch, dass W. "mal aus einem roten Schuh von ihr Champagner getrunken" habe.

Eine Oppositionspartei bestritt den Wahlkampf 2006 wesentlich mit dem Vorwurf an W., seine Arbeit zu Gunsten geselliger Ereignisse zu vernachlässigen. Um dies zu unterstreichen, drehte ihre Werbeagentur einen Werbespot mit dem Titel "Der Knüller". Darin wurde ein imaginäres Arbeitszimmer von W. gezeigt, in dem chaotisch unbearbeitete Akten, Einladungskarten für Partys und eine CD der "Love Parade" durcheinander lagen. Auf dem Schreibtisch standen eine leere Champagnerflasche, ein roter Damenschuh und ein gerahmtes Foto der Schauspielerin.

Für diesen unfreiwilligen "Auftritt" forderte die Schauspielerin vom Gegenkandidaten P. und seiner Partei eine Entschädigung: Man habe ohne ihr Wissen das Foto zu Werbezwecken benutzt. Das verletze ihr Persönlichkeitsrecht, zumal man sie dem Spott politischer Gesinnungsfreunde aussetze. Dabei sei sie am Wahlkampf völlig unbeteiligt. Mit dieser Argumentation konnte die Künstlerin das Landgericht Hamburg nicht überzeugen (324 O 894/06).

Der satirische Werbespot wolle offenkundig aussagen, dass sich W. in übertriebener Weise gesellschaftlichen Vergnügungen hingebe und darüber seine Dienstpflichten vergesse. Das Bild der Schauspielerin sei ein Bestandteil der sorgfältigkomponierten Kamerafahrt durch ein erfundenes Büro. Das müsse die Frau als Bekannte des Bürgermeisters hinnehmen. Die Freundschaft begründe gerade im Zusammenhang mit der Wahl öffentliches Interesse auch an ihrer Person.

Da W. öffentlich erklärt habe, homosexuell zu sein, habe der Auftritt auf der AIDS-Gala Aufsehen erregt. Damit habe die Schauspielerin rechnen müssen. Mit wem und wie sich W. in der Öffentlichkeit präsentiere, interessiere die Bürger. Schließlich gehöre die Repräsentation zu den Kernaufgaben eines Bürgermeisters. Und sein Verhalten zu kommentieren, gehöre zum politischen Wahlkampf. Die Anspielung im Werbespot müsse die Frau schon deshalb dulden, weil sie Auftritte mit W. (in Interviews, auf der Website) auch selbst genutzt habe, um sich öffentlich darzustellen.

Fahrtkosten von Scheidungskindern

Der Sozialleistungsträger muss nicht für Familienbesuche per Taxi einspringen

Die zwei Mädchen, 14 und 16 Jahre alt, lebten bei der geschiedenen Mutter. Regelmäßig besuchten sie ihren Vater, der in einer nahegelegenen Stadt wohnte. Die Besuche gingen ins Geld, weil die Mutter den Töchtern nicht erlaubte, mit der Eisenbahn oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Das hielt sie für gefährlich. Deshalb ließ der Vater die Mädchen mit dem Taxi bei der Mutter abholen; das kostete jedes Mal 80 Euro.

Der arbeitslose Mann bezog Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) und beantragte beim Sozialleistungsträger, ihm monatlich 160 Euro für die Fahrtkosten zu gewähren. Er könne sich die Besuche nicht mehr leisten; auf Dauer werde das sein gutes Verhältnis zu den Kindern gefährden. Die Mutter der Kinder habe - nach ihren eigenen Worten - "dafür keinen Cent übrig".

Der Vater scheiterte mit seinem Antrag in allen Instanzen, zuletzt beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (L 20 B 24/07). Die Jugendlichen abzuholen, sei objektiv unnötig, so das Gericht. Die ältere Tochter werde bald 17, die jüngere bald 15. In diesem Alter seien Jugendliche reif und selbständig genug, um auch ohne Begleitung mit der Eisenbahn zu fahren. Laut Auskunft der Polizei sei die Strecke von S. nach E. "völlig ruhig".

Mit dem Zug koste die Fahrt 10,50 Euro, stellten die Richter fest, verglichen damit seien die Taxifahrten unangemessen teuer. Die Mutter dürfe nicht länger durch ein unvernünftiges Verbot den Vater-Kind-Kontakt erschweren oder sie müsse sich an den höheren Kosten der Taxifahrten beteiligen. Man könne Scheidungsfolgekosten nicht unbegrenzt der Gesellschaft aufbürden.

Seniorin stürzt im Kaufhaus über ein Kleinkind

Kein Schmerzensgeld vom Vater wegen Verletzung der Aufsichtspflicht

Im Kaufhaus war nicht viel los, es hätte eigentlich ein gemütlicher Einkauf werden können. Der Vater schlenderte zwischen Warenregalen und sah sich um; sein dreieinhalb Jahre alter Sohn lief hinter ihm her. Plötzlich hörte der Mann einen schrillen Schrei. Als er sich umsah, lag eine alte Dame auf dem Boden - neben ihr das heulende Kind. Die 79-Jährige brach sich beim Sturz eine Kniescheibe, musste lange ins Krankenhaus und war danach auf einen Rollator als Gehhilfe angewiesen.

Wie es genau zu dem Sturz gekommen war, blieb umstritten. Der Vater behauptete, die alte Dame sei zwischen den Regalen gestanden, habe beim Heraustreten den Jungen übersehen und sei deshalb über ihn "drübergefallen". Dem widersprach die Verletzte: Das Kind habe sie im Laufen umgeworfen. Der Vater habe nicht genug auf den Jungen aufgepasst und schulde ihr deshalb Entschädigung. Die Seniorin verklagte ihn auf Zahlung von 3.000 Euro Schmerzensgeld.

Warum die alte Dame gestürzt sei, könne man nicht mehr rekonstruieren, so das Amtsgericht Konstanz (4 C 43/07). Weder der Vater des Jungen, noch die Begleiterin der Verletzten hätten den Sturz beobachtet. Ob das Kind die Frau wirklich umgerannt habe, könne aber offen bleiben. Denn der Vater habe in keinem Fall seine Aufsichtspflicht verletzt und hafte daher nicht für die Unfallfolgen.

Einen Dreijährigen müsse man nicht auf Schritt und Tritt überwachen oder ständig an der Hand führen. Das wäre schlicht nicht praktikabel und widerspräche auch dem Ziel, Kinder zu selbständigen Individuen zu erziehen. Die Eltern müssten ihnen gewisse Freiräume lassen. Wenn der Vater im Kaufhaus in der Nähe des Kindes bleibe, reiche das aus - er müsse es nicht in jeder Sekunde im Auge haben. Das gelte jedenfalls dann, wenn es sich um ein (für sein Alter) normal entwickeltes Kind handle, das nicht als "schwer zu kontrollieren" gelte.

Umlage der Betriebskosten "nach Personenzahl"

Vermieterin darf sich nicht an Daten des Einwohnermelderegisters orientieren

Eine bayerische Gemeinde verwaltet einen großen Wohnblock mit kommunalen Wohnungen. Laut Mietvertrag sollten bestimmte Betriebskosten (u.a. Müllabfuhr und Wasserverbrauch) "nach Personenzahl" auf die Mietparteien umgelegt werden, also abhängig davon, wie viele Personen in der jeweiligen Wohnung lebten.

Diese Zahl ermittelte die Gemeinde anhand des amtlichen Einwohnermelderegisters. Als die Vermieterin für den Abrechnungszeitraum 2004 eine Nachforderung zu ihren Gunsten errechnete, zweifelten einige Mieter an der Abrechnung und legten sich quer. Es kam zum Rechtsstreit um die Höhe der Betriebskosten, den die Gemeinde beim Bundesgerichtshof verlor (VIII ZR 82/07).

Um herauszufinden, wie die Wohnungen belegt seien, dürfe die Vermieterin nicht auf das Einwohnermelderegister zurückgreifen, entschieden die Bundesrichter. In einem Mietshaus mit einer Vielzahl von Wohnungen (hier: 20) herrsche ständige Fluktuation, die sich nach der Lebenserfahrung nicht im Melderegister widerspiegele. Das Register sei nicht exakt genug.

Wenn die Anzahl der Bewohner für die Umlage von Betriebskosten ausschlaggebend sei, komme es auf die tatsächliche Nutzung der Wohnungen an und nicht auf die melderechtliche Registrierung. Da müsse sich die Gemeinde schon die Mühe machen, an bestimmten Stichtagen selbst die tatsächliche Personenzahl festzustellen.

Teure Partnervermittlung

Honorar ist nicht erst im Erfolgsfall zu zahlen

5.336 Euro hatte die 48-jährige Frau dem Partnervermittlungsinstitut im Voraus gezahlt. Das Institut sollte dafür Kontakte mit geeigneten Partnern arrangieren. Nach dem "Wunschprofil" der Kundin sollten die potenziellen Partner ein bestimmtes Alter haben und Interesse an einer ernsthaften Beziehung. In den zwei folgenden Jahren erhielt die Frau 17 Partnervorschläge vom Institut, ohne einen Partner zu finden.

Schließlich kündigte sie den Vertrag und forderte wegen Erfolglosigkeit 75 Prozent des Honorars zurück (4.002 Euro). Von den 17 Vorschlägen seien die meisten unbrauchbar gewesen, mit einigen Herren sei überhaupt kein Kontakt zustande gekommen. Nach Ansicht des Instituts spielte das keine Rolle: Die Vergütung falle unabhängig vom Erfolg an, so sei das eben bei Dienstverträgen.

Bei Verträgen mit Partnervermittlern sei das Honorar nicht erst im Erfolgsfall zu zahlen, bestätigte das Amtsgericht München (212 C 7522/07). Für die Institute wäre das ein zu hohes Risiko. Die Vergütung werde vielmehr für den Nachweis von Kontakten gezahlt. Allerdings könne die Kundin so einen Vertrag jederzeit kündigen. Ob sie vom gezahlten Vorschuss etwas zurückbekomme und wie viel, richte sich nach der Vertragsdauer und danach, ob die Vorschläge des Instituts etwas taugten.

Der Wert von Partnervorschlägen hänge von den Wünschen der Kundin ab, gemäß denen das Partnerschaftsvermittlungsinstitut eine Vorauswahl unter den Kandidaten treffe. Entsprächen die Herren in einzelnen Punkten nicht dem Wunschprofil, mache dies die Vorschläge nicht völlig wertlos. Im konkreten Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Kundin nur vier Mal persönlich Kontakt aufnehmen konnte, die meisten Vorschläge hätten nicht einmal zu einem telefonischen Kontakt geführt. Unter diesen Umständen könne die Frau die Hälfte des Vorschusses zurückfordern, also 2.668 Euro.

Baumschutz vs. Kinderschutz

Wenn giftige Beeren Kleinkinder gefährden, darf eine geschützte Eibe gefällt werden

Die Familie mit zwei kleinen Kindern (ein und drei Jahre alt) wohnte in einem Haus mit kleinem Garten. In diesem Garten stand eine schöne alte Eibe. Trotzdem wollten die Bewohner den Baum beseitigen. Denn Beeren und Nadeln von Eiben sind giftig, deshalb fürchteten die Eltern um ihre Kinder. Wenn sie Beeren oder Nadeln in den Mund nähmen und schluckten, drohe Gefahr für Leib und Leben - so begründeten die Eltern ihren Antrag an die Stadt Aachen, den Baum fällen zu dürfen.

Das war alles andere als selbstverständlich, denn der Baum war (laut kommunaler Baumschutzsatzung) geschützt. Die Kommune lehnte den Antrag denn auch ab und schlug den Eltern vor, den Baum mit einem Netz zu umhüllen. So könnten sie das Risiko mindern. Doch die Eltern setzten sich beim Oberverwaltungsgericht Münster durch (8 A 90/08).

Der Baum müsse weg, entschieden die Richter. Die Eibe sei eine giftige Pflanze, die von den Eltern beschworene Gefahr also objektiv gegeben. Sie hätten ein berechtigtes Interesse daran, den eigenen Garten als "geschützten Raum für ihre Kinder" zu nutzen.

Die Vorschläge der Stadt, wie man die Gefahr eindämmen könnte, seien unrealistisch bis unzumutbar. Würde man um den Baum herum eine Absperrung errichten, wäre ein beträchtlicher Teil der ohnehin kleinen Spielfläche für die Kinder verloren. Die Eibe nur mit einem Netz zu umhüllen, halte die Kleinkinder nicht wirklich fern und mindere das Risiko nur unwesentlich.

Schwarzarbeit in einer Spedition

Für vorsätzlich nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge haftet ein Unternehmer 30 Jahre lang

Zuerst kamen die Steuerfahnder, weil ihnen am Geschäftsgebaren einer Bochumer Spedition einiges dubios vorkam. Den Finanzbeamten fiel auf, dass die Lohnquittungen der pauschal besteuerten Aushilfskräfte weniger Fahrtstunden aufwiesen als die Tachoscheiben aufgezeichnet hatten. Da war also einiges "unter der Hand gelaufen", als Schwarzarbeit. Das gestand schließlich auch der Geschäftsführer.

Daraufhin verlangte die Deutsche Rentenversicherung Westfalen nachträglich von der Spedition Sozialversicherungsbeiträge für die Jahre 1995 bis 1998 (24.495 Euro zuzüglich 15.820 Säumniszuschläge). Die Forderungen seien längst verjährt, hielt das Unternehmen dagegen. Doch das Sozialgericht Dortmund verurteilte die Spedition zur Zahlung (S 34 R 50/06).

Die konkrete Beitragshöhe für die einzelnen Fahrer sei nicht mehr festzustellen, weil die Spedition die Fahrten nur sehr unzulänglich aufgezeichnet habe. Deshalb werde nun die Summe der Arbeitsentgelte geschätzt und daraus die Sozialversicherungsbeiträge errechnet. Wer Leute schwarz beschäftige, habe auch vor, der Sozialversicherung Beiträge vorzuenthalten. Vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjährten erst nach 30 Jahren.

Staatsanwaltschaft durchsucht Arztpraxis

Bei vagem Verdacht auf Abrechnungsbetrug ist das unverhältnismäßig

Mit dem gerne verklärten Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient kann es hier nicht weit her gewesen sein: Eine Privatpatientin beanstandete die Abrechnung ihrer Ärztin, weil diese für eine Ultraschalluntersuchung 74,71 Euro berechnete. Die Frau konnte sich an keine Ultraschalluntersuchung am fraglichen Tag erinnern. Daraufhin übersandte ihr die Ärztin Abdrucke von Ultraschallbildern, auf denen ihr Name, Datum und Uhrzeit aufgedruckt waren.

Davon ließ sich die Patientin jedoch nicht beeindrucken: Das seien ja wohl Bilder der Vorjahresuntersuchung, bei denen das Datum ausgetauscht wurde - oder Bilder einer anderen Patientin, bei denen der Name ausgetauscht wurde. Zur aufgedruckten Uhrzeit sei sie nicht in der Praxis gewesen. Ihr Ehemann ging zur Polizei und erstattete Anzeige wegen Abrechnungsbetrugs.

Die Staatsanwaltschaft leitete gegen die Medizinerin ein Ermittlungsverfahren ein und durchsuchte ihre Praxis- und Laborräume. Gefunden wurde nichts, was die Vorwürfe belegt hätte. Die Beschwerde der Ärztin gegen den Durchsuchungsbeschluss wurde vom Landgericht abgewiesen, erst ihre Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Durchsuchung für rechtswidrig (2 BvR 1219/07). Der Tatverdacht gegen die Ärztin sei über Vermutungen und vage Indizien nicht hinaus gegangen. Angesichts dessen - und bei dem geringen Schaden von 74,71 Euro - sei es unverhältnismäßig gewesen, die Arztpraxis zu durchsuchen.

Die Ultraschallbilder sprächen dafür, dass die Untersuchung tatsächlich durchgeführt wurde. Das habe auch das Landgericht eingeräumt, es habe den Gedanken wegen der abweichenden Uhrzeit aber wieder verworfen. Das sei unverständlich: Die korrekte Wiedergabe der Uhrzeit sei keine zentrale Funktion eines Ultraschallgeräts, ein technischer Fehler könne leicht zu einem falschen Ausdruck führen. Warum der Staatsanwalt die Bilder für weniger überzeugend hielt als den vagen Verdacht der Patientin, sei nicht nachvollziehbar.

Verfassungsbeschwerde der Jungen Union erfolgreich

Ihr Boykottaufruf gegen eine Scientology-Plakat-Aktion wurde zu Unrecht verboten

Es ist schon fast acht Jahre her, da warb die Scientology Kirche Deutschland in München auf gemieteten Plakatflächen für ein Buch ihres Vordenkers L. Ron Hubbard. Damals hatte sich die Junge Union in einer Pressemitteilung dafür ausgesprochen, die Werbung der gefährlichen "Sekte" zu boykottieren. Man werde künftig die Namen der Werbefirmen veröffentlichen, die wegen "ein paar Mark" die Sekte unterstützten.

Auf die Klage von Scientology hin verboten Münchner Gerichte den Boy-

kottaufruf. Die Verfassungsbeschwerde der Jungen Union gegen diese Entscheidungen hatte beim Bundesverfassungsgericht Erfolg (1 BvR 292/02). Die Gerichte hätten das Grundrecht auf Meinungsfreiheit falsch gewichtet, so die Verfassungsrichter.

Die Nachwuchsorganisation der CSU habe mit dem Boykottaufruf keine eigennützigen wirtschaftlichen Ziele, sondern ein gesellschaftliches Anliegen verfolgt. Sie habe damit auf die öffentliche Meinung einwirken wollen und zwar ohne wirtschaftliche Druckmittel. Durch das öffentliche Anprangern und den moralischen Vorwurf, eine gefährliche Sekte zu unterstützen, sollten die Plakatflächenvermieter dazu gebracht werden, die Werbung für Scientology einzustellen.

Das sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, auch wenn dadurch wirtschaftliche Interessen Dritter - d.h. der Plakatflächenvermieter - tangiert würden. Die Junge Union habe sich an der öffentlichen Auseinandersetzung über den richtigen Umgang mit Scientology beteiligt. Dafür spreche auch ihre Aufforderung an die Verantwortlichen der Stadt, gegen die Kampagne von Scientology vorzugehen.

Scientology klagt gegen Observierung

OVG: Verfassungsschutz darf die Religionsgemeinschaft überwachen

Die Scientology Kirche Deutschland wird seit 1997 vom Bundesamt für Verfassungsschutz observiert, weil man ihr verfassungsfeindliche Bestrebungen zutraut. Dagegen wehrt sich die Religionsgemeinschaft schon seit längerer Zeit. Ihre Klage scheiterte jedoch beim Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen endgültig (5 A 130/05).

Die scientologischen Schriften und die Aktivitäten ihrer Mitglieder belegten, dass Scientology eine Gesellschaftsordnung anstrebe, die zentrale Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung - wie Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung - aushebeln würde. Staatsbürgerliche Rechte gäbe es da wohl nur für Scientologen, vermuteten die Richter.

Ob Scientology tatsächlich eine reine Religionsgemeinschaft sei oder nicht, könne daher offen bleiben. Jedenfalls habe der Verfassungsschutz aktuelle Erkenntnisse darüber, dass die Organisation in Deutschland personell expandieren und ihr Programm mehr und mehr verbreiten wolle. Daher dürfe das Bundesamt für Verfassungsschutz Scientology weiterhin beobachten und dabei nachrichtendienstliche Mittel einsetzen.