Schadenersatz, Schmerzensgeld

Risikoaufklärung vor der Augen-OP

Ist umstritten, wie sich der richtig informierte Patient entschieden hätte, muss ihn das Gericht dazu anhören

Ein Patient hatte sich einer Laser-Behandlung unterzogen, um seine Kurzsichtigkeit zu beheben. Der Augenarzt hatte ihn über die Risiken der LASIK-Behandlung aufgeklärt, bei der mit dem Laser Gewebe im Inneren der Augenhornhaut abgetragen wird. Bei dem Eingriff in Vollnarkose traten Probleme auf, weshalb der Arzt eine andere Laser-Technik wählte (Photoreaktive EXCIMER-Behandlung = PRK, bei der Hornhautschichten an der Oberfläche abgetragen werden).

Über die Risiken dieser zweiten Operationstechnik war der Patient allerdings nicht informiert worden. Er klagte anschließend über Sehstörungen und Augentrockenheit, die er auf den Eingriff zurückführte. Eine Korrektur-Operation verbesserte die Beschwerden nicht. Schließlich verlangte der Patient vom Augenarzt Schmerzensgeld, weil er seine Aufklärungspflicht verletzt habe.

Anspruch auf Entschädigung besteht in so einem Fall jedoch nur, wenn Patienten plausibel darlegen, dass sie sich bei korrekter Aufklärung gegen die Operation entschieden hätten oder zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten wären.

Im konkreten Fall sei dies dem Patienten schon in seinen Schriftsätzen nicht gelungen, fand das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg. Es wies die Klage ab, ohne den Kläger persönlich dazu anzuhören: Der Augenarzt könne sich auf eine "hypothetische Einwilligung" berufen — d.h. es sei davon auszugehen, dass der Patient dem Eingriff in jedem Fall zugestimmt hätte, so die Begründung des OLG.

Gegen das Urteil wehrte sich der Mann mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (VI ZR 310/21). Wenn die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Patienten so umstritten seien wie hier, dürfe ein Gericht über den Fall nicht entscheiden, ohne den Patienten dazu persönlich anzuhören.

Dem Kläger die Anhörung zu verweigern, verstoße gegen seinen Anspruch auf "rechtliches Gehör". Er müsse Gelegenheit bekommen zu erläutern, wie er sich bei ausreichender Aufklärung über das Operationsrisiko entschieden hätte. Nur so könne das Gericht seine Motive verstehen.

Offen geblieben sei auch die Frage, wie eine vollständige Aufklärung hier hätte aussehen sollen. Müssten Augenärzte prinzipiell über beide Techniken aufklären? Damit habe sich das OLG nicht befasst.

Statt in Berlin-Tegel in Schönefeld gelandet

Flug zu nahem Flughafen umgeleitet: Das begründet keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung

Mit der Austrian Airlines war ein Passagier von Wien nach Berlin geflogen. Ursprüngliches Ziel war der Flughafen Berlin-Tegel, doch die Maschine landete mit einer Stunde Verspätung auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Die Fluggesellschaft bot den Passagieren weder an, sie zum Flughafen Tegel zu transportieren, noch übernahm sie die Fahrtkosten für die Weiterfahrt.

Der erboste Kunde verlangte 250 Euro Ausgleichszahlung. Dafür sah das Flugunternehmen allerdings keinen guten Grund: Erstens sei die Verspätung auf schlechtes Wetter beim Vor-Flug zurückzuführen, dafür sei sie nicht verantwortlich. Zweitens begründe die Umleitung zu einem nahen Flughafen keinen Anspruch auf eine pauschale Entschädigung, wie es bei einer Verspätung von über drei Stunden der Fall wäre.

Das mit dem Rechtsstreit befasste österreichische Gericht legte ihn dem Europäischen Gerichtshof vor, der der Fluggesellschaft im Prinzip Recht gab (C-826/19). Sie könne sich auf einen außergewöhnlichen Umstand beim vorangegangenen Flug berufen, sofern ein direkter Zusammenhang zwischen diesem Umstand (Wetterbedingungen beim Vor-Flug) und der verspäteten Ankunft des Fluges bestehe.

Im konkreten Fall komme es darauf aber nicht an: Denn: Passagiere hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung, wenn ihr Flug nur zu einem Ausweichflughafen umgeleitet werde, der in unmittelbarer Nähe des eigentlich vorgesehenen Zielflughafens liege. (So ein Anspruch komme allenfalls dann in Betracht, wenn die Fluggäste nach der Weiterfahrt vom Ausweichflughafen den ursprünglichen Zielflughafen mit einer Verspätung von über drei Stunden erreichten.)

Allerdings müsse die Airline bei so einer Umleitung den Fluggästen von sich aus anbieten, die Kosten der Beförderung zum gebuchten Zielflughafen zu übernehmen (oder zu anderen, mit ihnen vereinbarten nahen Zielorten). Da die Austrian Airlines dies versäumt habe, müsse sie dem Kunden die Kosten der Weiterfahrt in angemessener Höhe ersetzen.

Mängel am Hausdach arglistig verschwiegen?

Arglist setzt voraus, dass die Hausverkäufer die Mängel tatsächlich kannten

Die Verkäufer eines Einfamilienhauses hatten es viele Jahre lang selbst bewohnt. Einige Jahre nach dem Verkauf meldeten sich die Käufer und erklärten, das Dach sei mangelhaft gedämmt. Da seien ungeeignete Dämmplatten verwendet worden, eine Dampfsperre fehle (d.h. ein Baustoff, der das Eindringen von Wasserdampf in die wärmegedämmte Konstruktion verhindert — meist werden dafür Folien verwendet). Das Käufer-Ehepaar forderte von den Verkäufern einen Vorschuss für die Sanierung.

Das Landgericht Frankenthal wies die Klage ab (6 O 129/21). Da im Kaufvertrag wie üblich die Gewährleistung für Mängel ausgeschlossen worden sei, müssten die Verkäufer dafür nur haften, wenn sie versteckte Mängel arglistig verschwiegen hätten. Nur Dinge, die man kenne, könne man bewusst verschweigen. Dass den Verkäufern Mängel an ihrem Dach bekannt waren, stehe aber keineswegs fest,

Das Dach sei weder undicht, noch feucht. Es erfülle sogar die Anforderungen an den Wärmeausweis. Über zehn Jahre habe die Familie des Verkäufer-Ehepaares das Haus bewohnt und auch das Dachgeschoss genutzt. Ihnen sei kein Mangel aufgefallen. Zwar habe der Bauexperte der Käufer gemeint, der Gedanke, dass das Dach fehlerhaft gedämmt sei, dränge sich geradezu auf. Das beweise aber nicht, dass Laien wie die Verkäufer darüber Bescheid wussten.

Wenn sie diese kennen, seien Verkäufer verpflichtet, auf versteckte Mängel hinzuweisen. Da die Käufer im konkreten Fall jedoch nicht beweisen konnten, dass dies zutraf, müssten die Verkäufer nicht für die Mängelbeseitigung einstehen.

Zusammenstoß auf dem Baumarkt-Parkplatz

Wo alle eine freie Parkbucht suchen, gilt vor allem eine Regel: "defensiv fahren"

Auf dem Parkplatz eines Baumarkts stehen die bekannten Schilder: "Hier gilt die Straßenverkehrsordnung". Doch die Vorfahrtsregel "rechts vor links" gilt dort nicht, wie zwei Autofahrer nach einem Zusammenstoß vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt erfuhren. Sie müssten sich den Schaden teilen, entschied das OLG, denn beide Autofahrer hätten zu dem Unfall in gleichem Maß beigetragen (17 U 21/22).

Wer an einer Kreuzung zweier Fahrgassen von rechts komme, könne sich nicht auf ein Vorfahrtsrecht berufen — obwohl auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen grundsätzlich schon die Regeln der Straßenverkehrsordnung angewendet würden. Doch die schmalen Fahrgassen eines Parkplatzes dienten in erster Linie der Parkplatzsuche und nicht dem fließenden Verkehr, wie man unschwer an den Parkbuchten auf den Seiten erkenne.

An den Fahrgassen gelte daher keine Vorfahrt. Stattdessen gelte das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme, wenn sich zwei Fahrgassen kreuzten. Das bedeute: Jeder Autofahrer sei verpflichtet, defensiv zu fahren und sich mit anderen Autofahrern zu verständigen, betonte das OLG.

Anders sei die Situation auf sehr großen Parkplätzen zu beurteilen, deren Fahrspuren eindeutig Straßencharakter hätten. Seien Fahrtspuren so breit wie Straßen angelegt und zeigten die baulichen Merkmale einer Straße (Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben), während Parkbuchten fehlten, dienten die Fahrspuren ersichtlich nicht der Suche nach einem freien Parkplatz, sondern der Zufahrt und Abfahrt der Autos. Dort gelten die Vorfahrtsregeln.

Das "unmögliche" Tattoo

Wünscht die Kundin ein Tattoo an ungeeigneter Stelle, muss der Tätowierer sie darüber aufklären

Zum Vorgespräch hatte die Kundin ein Bild ins Tattoo-Studio mitgebracht, an dem sich der Tätowierer orientieren sollte: Sie wünschte sich eine farbige Pfauenfeder in der linken Ohrmuschel. Schwierig, meinte der Studio-Inhaber: Linien würden hier leicht verlaufen. Eine wirklich umfassende Information über die Probleme und Erfolgschancen so einer Tätowierung fand aber wohl nicht statt.

Darüber wurde später gestritten, denn das Tattoo missglückte nach Ansicht der Kundin "total": Es habe nicht annähernd so ausgesehen wie die vereinbarte Vorlage. Zwei Jahre später ließ die Frau sechs Laserbehandlungen über sich ergehen, um die Tätowierung zu entfernen. Vom Inhaber des Tattoo-Studios verlangte sie Schadenersatz für die Behandlungskosten und Schmerzensgeld. Zu Recht, entschied das sachverständig beratene Landgericht Osnabrück (7 O 2619/21).

Technisch sei das Tattoo einwandfrei ausgeführt, hatte die Sachverständige betont. Doch sei die Ohrmuschel generell für Tätowierungen und vor allem für so fein gezeichnete Motive wie eine Pfauenfeder völlig ungeeignet. So ein Motiv sei im Ohr durchzuführen, sei nahezu unmöglich. Die Farbpigmente würden hier nach kurzer Zeit verlaufen, die Linien mindestens um das Dreifache dicker werden.

Ein erfahrener und fachkundiger Tätowierer wie der Studio-Inhaber müsse das wissen und die Kundin deutlich darauf hinweisen, so das Fazit des Landgerichts. Bei einem Eingriff mit — wenn auch gewünscht — bleibenden Folgen wie einer Tätowierung müssten Kunden die Erfolgschancen einschätzen können. Daher hätte der Studio-Inhaber sich nicht mit dem vagen Hinweis auf verlaufende Linien begnügen dürfen.

Vielmehr hätte er der Kundin erläutern müssen, dass sich die Ohrmuschel für ein Tattoo nicht eigne und der Eingriff daher auf keinen Fall zum gewünschten Ergebnis führen werde. Bei umfassender Aufklärung hätte die Kundin sicher von dem Auftrag "Abstand genommen". Der Tätowierer müsse ihr die Kosten der Laserbehandlungen ersetzen und 1.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Motorhaube springt während der Fahrt auf!

Der Kfz-Halter war vorher mit dem Auto beim TÜV: Bundesland haftet für Totalschaden

Der Kfz-Halter hatte beim TÜV die Hauptuntersuchung (HU) durchführen lassen und war anschließend mit dem Renault Clio nach Hause gekommen. Dann übernahm seine Frau den Wagen und fuhr mit einer Begleiterin auf die Oldenburger Stadtautobahn. Dort sprang in voller Fahrt plötzlich die Motorhaube hoch — die Autofahrerin sah nichts mehr. Sie schaffte es trotzdem, den Wagen auf den Seitenstreifen zu lenken und anzuhalten. Die Frauen kamen mit dem Schrecken davon.

Allerdings verursachte der Aufprall der Haube am Renault Clio Totalschaden. Der Kfz-Halter verklagte das Bundesland Niedersachsen — Dienstherr des TÜV-Prüfers — auf Schadenersatz. Vor Gericht sagte der Prüfer aus, er prüfe nach der Kontrolle des Motors regelmäßig, ob die Motorhaube richtig eingerastet sei. Das Landgericht hielt sein Verschulden nicht für belegt und wies die Klage ab. Mit Erfolg legte der Autobesitzer gegen das Urteil Berufung ein.

Laut Sachverständigengutachten stehe fest, dass die Motorhaube nicht korrekt verriegelt gewesen sei, erklärte das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg (6 U 31/22). Der Schließmechanismus sei entfettet und total trocken gewesen, habe der Experte festgestellt: Deshalb sei das Schloss nicht richtig eingerastet. Offenkundig habe also der Prüfer nicht sichergestellt, dass die Motorhaube korrekt arretiert war, so das OLG: Eine andere Schadensursache komme nicht in Betracht. Daher müsse das Bundesland für den Schaden einstehen.

Dass der Kfz-Halter oder seine Frau nach der TÜV-Untersuchung die Motorhaube nochmals geöffnet und danach nicht richtig verschlossen hätten, könne man ausschließen. Direkt nach der HU beim TÜV hätten sie das Schloss auch nicht kontrollieren müssen: Wer sein Auto bei einer Prüfstelle untersuchen lasse, dürfe sich darauf verlassen, dass dort die Motorhaube wieder richtig arretiert werde. Mitverschulden müsse sich der Kfz-Halter daher nicht anrechnen lassen.

Aus der Tiefgarage raus- und in die Baugrube reingefahren

Baufirma haftet für Autoschaden durch ungesicherte Baustelle

In Speyer führte Anfang 2021 ein Bauunternehmen Straßenbauarbeiten durch. Alle Hauseigentümer und Hausverwaltungen in der Straße waren darüber informiert. Vor einem Wohnhaus mit Tiefgarage hoben die Mitarbeiter der Baufirma zwischen Gehweg und Straße einen Leitungsgraben aus. Den Graben deckten sie vor der Garagenausfahrt mit Stahlplatten ab, damit die Bewohner ihn überfahren konnten.

Nach einigen Tagen entfernten die Bauarbeiter jedoch die Stahlplatten, weil Arbeiten im Graben zu erledigen waren. Zunächst wurde ein Mann dort positioniert, um Ausfahrende zu warnen. Doch der widmete sich nach einer Weile einer anderen Aufgabe. Eine Hausbewohnerin fuhr aus der Tiefgarage heraus und sah nicht, dass die Stahlplatten fehlten. Prompt landeten die Vorderräder ihres Wagens im Graben.

Für die Reparaturkosten von rund 6.000 Euro forderte die Frau Schadenersatz von der Baufirma. Zu Recht, entschied das Landgericht Frankenthal (9 O 32/21). Baustellen müssten umfassend gesichert werden. Anwohner müssten gefahrlos aus der Tiefgarage herausfahren können. Die Autofahrerin habe zwar über die Bauarbeiten Bescheid gewusst, Sie habe aber darauf vertrauen dürfen, dass die Baugrube — wie in den Tagen zuvor — abgedeckt war. Den offenen Graben habe sie beim Herausfahren nicht erkennen können.

Wer bei Straßenbauarbeiten Baugruben aushebe, müsse zuverlässig dafür sorgen, dass Anwohner und Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Da das Bauunternehmen seine Sicherungspflichten verletzt habe, müsse es für die Folgen haften. Die Hausverwaltung zu informieren und irgendwo auf der Straße die üblichen Warnschilder aufzustellen, genüge nicht, wenn ein geöffneter Graben beim Herausfahren aus der Tiefgarage nicht sichtbar sei.

Schadenersatz für Kapitalanleger

Er hatte auf Wertpapierprospekte mit geschönten Jahresabschlüssen einer AG vertraut

Nach der Jahrtausendwende erwarb eine Aktiengesellschaft (AG) günstige Immobilien und modernisierte sie, um sie mit Gewinn wieder zu verkaufen. Dieses Geschäftsmodell finanzierte das Unternehmen mit der Ausgabe von Hypothekenanleihen. Acht Anleihen gab das Unternehmen im Lauf seiner Geschäftstätigkeit aus, nur zwei zahlte es zurück. Die übrigen blieb es den Kapitalanlegern schuldig: Sie hatten ein Emissionsvolumen von insgesamt 450 Millionen Euro.

Im Vertrauen auf die Wertpapierprospekte der AG hatte ein Anleger zwischen 2010 und 2013 Wertpapiere der Anleihen 5,6 und 7 gekauft — allerdings nicht direkt von der AG, sondern von einem anderen Marktteilnehmer. Bestandteil der Wertpapierprospekte waren die Jahresabschlüsse der AG in den Jahren 2008 und 2009, die ein hohes Eigenkapital auswiesen. Doch in Wirklichkeit stand das Unternehmen überhaupt nicht gut da: Bei den Jahresabschlüssen waren nämlich diverse Forderungsausfälle nicht berücksichtigt.

Diese Ausfälle führten die AG schließlich in die Pleite. Die korrigierten Jahresabschlüsse der AG wurden erst veröffentlicht, als der Kapitalanleger die fragwürdigen Anleihen schon erworben hatte. Später verklagte er die damaligen Vorstände des Unternehmens auf Rückzahlung des investierten Betrags: Sie müssten für die geschönten Bilanzen in den Wertpapierprospekten haften. Nur, weil man ihn über die tatsächliche Finanzlage des die Wertpapiere ausgebenden Unternehmens täuschte, habe er Anleihen gekauft.

Auch der Bundesgerichtshof ging von Kapitalanlagebetrug aus: Er verurteilte die Verantwortlichen zur Zahlung von Schadenersatz (III ZR 131/20). Die Vorstände könnten sich nicht darauf berufen, dass ein Wirtschaftsprüfer die strittigen Jahresabschlüsse uneingeschränkt bestätigt habe. Das wäre nur aussagekräftig, wenn der Prüfer alle Unterlagen einsehen konnte, die notwendig waren, um die Finanzlage des Unternehmens zu beurteilen. Dass die AG-Vorstände dem Wirtschaftsprüfer alle wesentlichen Unterlagen zur Verfügung stellten, stehe aber nicht fest. Das hätten sie nicht bewiesen.

Dass der Anleger die Wertpapiere nicht direkt vom ausgebenden Unternehmen erworben habe, spiele für seinen Anspruch auf Schadenersatz keine Rolle. Kapitalanlagebetrug sei strafbar — unabhängig davon, von wem das Papier gehandelt werde. Mit dem entsprechenden Paragraphen des Strafgesetzbuchs (§ 264a) habe der Gesetzgeber alle potenziellen Kapitalanleger vor Verlust schützen und zugleich die Funktion des Kapitalmarkts sichern wollen.

Reiseveranstalter bläst Reise ab

Amtsgericht kürzte mit Verweis auf die Corona-Pandemie die Entschädigung für entgangene Urlaubsfreude

Zwei Reisende hatten sich schon sehr auf ihren Urlaub gefreut. Doch die Reiseveranstalterin sagte die Pauschalreise vier Tage vorher ab, weil der Flug nicht ausgebucht war. Die beiden Kunden verlangten vom Reiseunternehmen Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude.

Im Prinzip gab ihnen das Amtsgericht Recht, es beschränkte aber die Entschädigung auf 20 Prozent des Reisepreises. Während sich überall das Corona-Virus ausbreite, halte sich das Maß der Frustration über eine Reiseabsage ja wohl in Grenzen — so lautete sinngemäß die Begründung.

Mit Erfolg legten die beiden Reisenden gegen dieses Urteil Berufung ein: Das Landgericht Hannover erhöhte die Entschädigung immerhin auf die Hälfte des Reisepreises (7 S 28/21). Das sei angemessen, da die Reise wirklich sehr kurzfristig storniert worden sei.

Dass das Amtsgericht den Schadenersatz wegen der Corona-Pandemie herabgesetzt hatte, hielt das Landgericht nicht für nachvollziehbar. Wieso sollte der Frust von Reisenden darüber, dass ihr Urlaub wenige Tage vor Reisebeginn abgesagt wurde, ausgerechnet deshalb geringer ausfallen, weil es weltweit zu pandemiebedingten Einschränkungen kam?

Haus mit undichtem Keller gekauft

Verkäufer verschwiegen den Mangel: Die Käufer müssen sich an den Kosten einer neuen Abdichtung nicht beteiligen

2010 hatte Ehepaar A von Ehepaar B ein ca. 40 Jahre altes Reihenhaus gekauft. Wie üblich, wurde im schriftlichen Kaufvertrag die Haftung für Mängel ausgeschlossen. Allerdings hatten die Verkäufer B absichtlich verschwiegen, dass immer wieder Schimmel auftrat, weil der Keller des Hauses schlecht abgedichtet war.

Erst drei Jahre nach ihrem Einzug entdeckten die Käufer die feuchten Stellen. Daraufhin zogen sie vor Gericht und verlangten, die Verkäufer müssten eine neue Kellerabdichtung finanzieren. Nach dem Kostenvoranschlag einer Fachfirma sollte sie rund 23.000 Euro kosten.

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sprach dem Ehepaar A nur 2.500 Euro zu: Mit dem Betrag könne es die Feuchtigkeitsschäden im Keller beseitigen lassen. Dafür müssten die Verkäufer einstehen, weil sie den Mangel arglistig verschwiegen hätten — nicht aber für eine völlig neue Abdichtung, die den Wert des Hausgrundstücks erhöhen würde.

Mit Erfolg legten die Hauskäufer gegen das Urteil Revision zum Bundesgerichtshof ein (V ZR 231/20). Das OLG habe richtig gesehen, dass hier der Gewährleistungsausschluss nicht greife, betonten die Bundesrichter. Denn die Verkäufer hätten die mangelhafte Abdichtung und ihre Folgen verschwiegen. Anders als das OLG meine, sei aber vom Schadenersatzbetrag nicht der Wertzuwachs abzuziehen, den eine fachlich einwandfreie Abdichtung des Kellers mit sich bringe.

Grundsätzlich gelte zwar: Ein durch arglistige Täuschung geschädigter Käufer solle einen Ausgleich für den Schaden erhalten, daraus nicht zusätzlich Profit ziehen. Andererseits gelte aber auch: Wenn der Verkäufer eine mangelhafte Sache verkauft habe, müsse er den Mangel eben beseitigen. Sei dies nur durch ein neues Teil möglich — hier: eine neue Kellerabdichtung —, müsse der Verkäufer diesen Nachteil in Kauf nehmen. Jedenfalls bis zur Grenze des finanziell Zumutbaren, die hier noch keineswegs erreicht sei.

Das Ehepaar A müsse sich daher an den Kosten der neuen Abdichtung nicht beteiligen, auch wenn das Haus dadurch eine Wertsteigerung erfahre.

Lecker: Glyphosat im Honig

Agrarunternehmen muss Imker für verunreinigten Honig entschädigen

Im Frühling 2019 hatte ein Imker seine Bienenkästen neben einer landwirtschaftlichen Fläche aufgestellt, die von einem Agrarunternehmen bewirtschaftet wird. Ende April behandelten Mitarbeiter des Unternehmens die Äcker mit Unkrautbekämpfungsmitteln. Sie enthielten den Schadstoff Glyphosat, der durch das (jetzt zum Bayer-Konzern gehörende) amerikanische Unternehmen Monsanto zu fragwürdiger Berühmtheit gelangte und vermutlich krebserregend ist.

Die nichtsahnenden Bienen trugen die belasteten Pollen in den Bienenstock. Der Imker musste Wachs und vier Tonnen Honig vernichten, weil sie mit Unkrautvernichter verunreinigt waren. Diesen Verlust konnte er nicht auffangen und musste den Betrieb aufgeben. Vom Agrarunternehmen forderte er Schadenersatz. Zu Recht, entschied das Landgericht Frankfurt (Oder) und sprach dem Imker 14.500 Euro zu (13 O 97/20).

Dies sei aber eine Einzelfall-Entscheidung, betonte das Landgericht: Ob Imker Landwirte informieren müssen, wenn sie Bienenwagen aufstellen, sei damit nicht grundsätzlich geklärt. Und auch nicht die Frage, ob Landwirte bei einem Glyphosat-Einsatz prinzipiell damit rechnen müssten, dass Bienenstöcke in der Nähe stehen.

Ausschlaggebend für das Urteil im konkreten Fall sei gewesen, dass niemand die gut erkennbaren Bienenstöcke übersehen konnte. Wenn man dies bedenke und zudem berücksichtige, wie intensiv die Pflanzen und damit auch der Honig mit Glyphosat kontaminiert waren, sei das Vorgehen des Agrarunternehmens als rechtswidrig und fahrlässig zu bewerten.

Nasenbeinbruch beim Ehestreit

Vorübergehende Versöhnung schließt Schmerzensgeldanspruch der Ehefrau nicht aus

Es war nicht der erste Streit des seit ca. 25 Jahren verheirateten Paares. Doch im Februar 2017 schlug der Ehemann so zu, dass seine Frau einen Nasenbeinbruch erlitt, der operiert werden musste. Daraufhin wies das Amtsgericht Nürnberg der Ehefrau — per einstweiliger Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz — für ein halbes Jahr die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zu. Im Mai, drei Monate nach der Attacke, zog der Mann im Einvernehmen mit der geprügelten Frau wieder ein.

Sie wollte ihm "eine neue Chance geben" und glaubte seiner Zusicherung, sie könnten jetzt ohne Stress ruhig zusammenleben. Der Polizei teilte die Frau mit, sie habe kein Interesse mehr an Strafverfolgung. Deshalb wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Bis Sommer 2020 klappte das Zusammenleben mehr oder weniger. Dann trennte sich das Paar endgültig. Nun forderte die Frau unter anderem 3.000 Euro Schmerzensgeld für die gebrochene Nase.

Zu Recht, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg (11 UF 801/21). Man könne zwar davon ausgehen, dass im Mai 2017 ein echter Versöhnungsversuch erfolgt sei — getragen von dem Wunsch beider Seiten, die Ehe zu retten. Und vorübergehend sei der Versuch ja auch erfolgreich gewesen. Doch ein Versöhnungsversuch schließe Schmerzensgeldansprüche aufgrund von häuslicher Gewalt keineswegs aus.

Ob die Versöhnung auf Dauer gelingen würde oder nur für ein paar Wochen, sei im Mai 2017 nicht vorhersehbar gewesen. Daraus könne der Ehemann nicht ableiten, dass die Frau für immer darauf verzichtet hätte, ihre Ansprüche geltend zu machen. Dass sie ihm die Hand zur Versöhnung bot, konnte allenfalls ein Ausgangspunkt sein für ein eventuell gelingendes Zusammenleben: Nur das würde die Annahme eines Verzichts auf Ansprüche rechtfertigen. Das OLG sprach der Frau 1.900 Euro Schmerzensgeld zu.

Bekannte sollte die Stute einer schwangeren Reiterin bewegen

Wird eine "Vertreterin" vom buckelnden Pferd abgeworfen, haftet die Tierhalterin

Eine Reiterin war schwanger. Deshalb bat sie eine Frau, die in demselben Reitstall Pferde stehen hat, sie möge doch gelegentlich ihre dreijährige Stute reiten, bis sie nach der Geburt wieder mit dem Reitsport beginnen könne. Die Bekannte und auch deren Mutter hatten die Stute schon geritten. Sie sagten zu — mit ungeahnten Folgen. Denn bei einem Ausritt buckelte die Stute plötzlich und warf die Mutter der Bekannten ab. Die Frau brach sich den Arm.

Ihre Krankenkasse übernahm die Behandlungskosten (5.175 Euro) und verlangte anschließend den Betrag von der Tierhalterin: Sie müsse für die Folgen haften, wenn ihr Pferd Schaden anrichte. Die Pferdebesitzerin wies die Forderung zurück: Eigentlich habe sie ihr Pferd nicht der gestürzten Reiterin anvertraut, sondern deren Tochter. Die verletzte Frau habe sich den Unfall selbst zuzuschreiben, sie habe sich sozusagen "eigenverantwortlich gefährdet".

Darauf könne sich die Tierhalterin nicht berufen, urteilte das Landgericht Koblenz: Sie (d.h. ihre Tierhalterhaftpflichtversicherung) müsse die Behandlungskosten erstatten (3 O 134/19). Das Gericht hatte die gestürzte Reiterin und deren Tochter vernommen. Danach war es davon überzeugt, dass die Tierhalterin darüber Bescheid wusste, dass sich auch die Mutter um das Tier kümmerte.

Dass der Unfall durch die typische Tiergefahr, also das unberechenbare "selbstgesteuerte" Verhalten des Pferdes, ausgelöst worden sei, stehe fest. Wie Zeugen bestätigten, habe die Stute plötzlich den Kopf zwischen die Beine genommen und mehrfach gebuckelt, bis sich die Reiterin nicht mehr habe im Sattel halten können. Von (Mit-)Verschulden der Reiterin sei nicht auszugehen: Das träfe nur zu, wenn die Frau gestürzt wäre, obwohl das Pferd tat, was sie wollte.

Doch die Stute sei dem Willen der Reiterin offenkundig nicht gefolgt. Die Frau reite seit 40 Jahren und habe das Pferd gekannt: Sie sei daher mit dem Ausritt keineswegs ein ungewöhnliches Risiko eingegangen, mit dem sie sich selbst in Gefahr brachte. Wer aus Gefälligkeit das Pferd einer anderen Reiterin bewege, verzichte damit auch nicht unausgesprochen auf Schadenersatzansprüche im Falle eines Unglücks — ein Verzicht, der letztlich sowieso nur der Tierhalterhaftpflichtversicherung der Pferdehalterin zugutekäme.

Münchner stürzte über Gullydeckel

Fußgänger müssen auf Unebenheiten im Boden achten: kein Schmerzensgeld von der Stadt

Ein Münchner hatte an einer Fußgängerampel die Steinsdorfstraße im Lehel überquert. Inmitten der Straße war ein Gullydeckel in den Boden eingelassen, gegenüber der Fahrbahnoberfläche um ca. 2,5 Zentimeter abgesenkt. Der Fußgänger trat mit einem Fuß auf den schrägen Rand, knickte um und erlitt eine Knöchelfraktur. In der Folge musste er sich einer langen orthopädischen Behandlung unterziehen.

Von der kommunalen Versorgungsgesellschaft verlangte er 4.000 Euro Schmerzensgeld, weil sie ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Wer eine viel befahrene Straße sicher überqueren wolle, müsse auf den Verkehr achten und könne sich nicht auf den Straßenbelag konzentrieren, meinte der Verletzte. Daher wäre die Versorgungsgesellschaft der Stadt verpflichtet gewesen, so ein Hindernis zu beseitigen.

Die so beschuldigte kommunale Gesellschaft wies dagegen jede Verantwortung für den Unfall von sich: Der Fußgänger habe die Straße überquert, als die Ampel auf "Grün" stand — mit Querverkehr müsse man da nicht rechnen. Unter diesen Umständen könnten Fußgänger also sehr wohl auf die Straßenbeschaffenheit achten. Und gut sichtbar sei der Gullydeckel allemal.

So sah es auch das Amtsgericht München und wies die Zahlungsklage des Fußgängers ab (182 C 8281/21). Dass die Versorgungsgesellschaft den Gullydeckel mittlerweile eingeebnet habe, sei kein Eingeständnis eines Fehlers: Sie habe keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Kommune müsse nur Gefahren beseitigen, die nicht rechtzeitig erkennbar seien — auf die sich auch aufmerksame Fußgänger nicht einstellen könnten.

Kleine Unebenheiten im Straßenbelag oder auf Gehwegen müssten Fußgänger dagegen hinnehmen und sich den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen. Das gelte jedenfalls für geringe Höhenunterschiede von zwei bis drei Zentimetern. Zudem habe sich der abgesenkte Gullydeckel schon aufgrund seiner Größe deutlich vom Bodenbelag abgehoben.

Unstrittig herrsche auf der Steinsdorfstraße viel Verkehr, doch der Verletzte habe sie an einer Ampel überquert und nicht auf Querverkehr aufpassen müssen. Die Verkehrssituation sei hier ausgesprochen übersichtlich, an einem Ampelübergang könnten sich Fußgänger voll auf die Fahrbahnoberfläche konzentrieren. Anders wäre die Situation in einer Fußgängerzone zu beurteilen, wo Geschäfte, Schaufenster und viele andere Menschen Fußgänger ablenkten.

Schleudertrauma nach Auffahrunfall?

Wer ein unfallbedingtes HWS-Problem nachweisen möchte, muss sofort nach dem Unfall zum Arzt

Auf der Grünwalder Straße wechselte ein Münchner Schönheitschirurg mit seinem Maserati die Spur. Der Mercedes hinter ihm, gelenkt von einem ehemaligen Spieler des FC Bayern München, stieß gegen den Maserati. Ein klassischer Auffahrunfall also, für den in der Regel der Auffahrende verantwortlich ist.

So auch hier. Allerdings forderte der Unfallgeschädigte im konkreten Fall nicht nur Schadenersatz für Reparaturkosten und Mietwagenkosten, sondern darüber hinaus Ersatz für Verdienstausfall und Schmerzensgeld für ein unfallbedingtes Schleudertrauma und eine Sensibilitätsstörung in der rechten Hand.

4.500 Euro für die Reparatur, Schadenersatz für die Kosten eines Ersatzfahrzeugs und für die Anwaltskosten: Mehr war für den Mediziner beim Landgericht München I nicht drin (19 O 16989/20). Gesundheitliche Probleme aufgrund des Unfalls seien schon deshalb nicht bewiesen, weil der Unfallgeschädigte erst einen Monat nach dem Auffahrunfall zum Arzt gegangen sei, erklärte das Landgericht.

Zudem habe er den Hausarzt nicht wegen Beschwerden an der Halswirbelsäule aufgesucht, sondern wegen der Funktionsstörungen in der Hand. Hätte der Chirurg nach dem Unfall Symptome eines Schleudertraumas gespürt (Kopfschmerzen, steifer Hals), hätte er es sicherlich sofort behandeln lassen. Dazu komme, dass bei der Beweisaufnahme kein Schleudertrauma festgestellt werden konnte.

Ein orthopädischer Sachverständiger sei zu dem Schluss gekommen, dass keine HWS-Distorsion (Schleudertrauma) vorliege und die Sensibilitätsstörungen der rechten Hand keinesfalls auf den Auffahrunfall zurückzuführen seien. Daher stehe dem Unfallgeschädigten weder Schmerzensgeld zu, noch der geltend gemachte Anspruch auf Schadenersatz für Verdienstausfall und entgangenen Gewinn.

Beim Aussteigen aus dem Flieger gestürzt

Die Fluggesellschaft haftet für den Unfall eines Fluggastes — außer, er hat selbst dazu beigetragen

In Österreich war eine Frau beim Aussteigen aus einem Flugzeug auf der regennassen mobilen Treppe gestürzt und hatte sich den Unterarm gebrochen. Sie hatte sich nicht am Handlauf festgehalten, weil sie rechts eine Handtasche und auf dem linken Arm ihren Sohn getragen hatte. Vor ihr war ihr Mann an derselben Stelle fast gestürzt.

Die Verletzte verlangte von der Fluggesellschaft ca. 4.700 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz für die Kosten einer Haushaltshilfe. Das Flugunternehmen zahlte nichts und vertrat den Standpunkt, die Passagierin hätte sich eben festhalten müssen. Schließlich habe sie doch, weil ihr Mann beinahe stürzte, gesehen, wie rutschig die Treppe war.

Ein österreichisches Bezirksgericht gab der Airline Recht: Sie habe keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Treppe habe keine Mängel gezeigt, sei auch nicht ölig oder schmierig gewesen, nur nass vom Nieselregen. Die Frau dagegen habe nichts getan, um einen Sturz zu verhindern.

Gegen das Urteil legte die Verletzte Berufung ein und das Berufungsgericht fragte beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach, wann eine Fluggesellschaft — gemäß dem Montrealer Übereinkommen zum Flugverkehr — von der Haftung befreit sei.

Wenn ein Fluggast auf einer Flugzeugtreppe stürze, hafte laut Montrealer Übereinkommen unabhängig von eigenem Verschulden das Flugunternehmen, betonte der EuGH (C-589/20). Eine teilweise Haftungsbefreiung für die Airline komme nur in Betracht, wenn sie nachweisen könne, dass der Passagier durch sein Verhalten den Unfall mit-ausgelöst habe.

Ob der Fluggesellschaft dieser Beweis im konkreten Fall gelungen sei, müsse das nationale Gericht entscheiden. Dass sich die Frau nicht festgehalten habe, könne natürlich zu der Verletzung beigetragen haben, so der EuGH. Allerdings müsse das österreichische Gericht auch berücksichtigen, dass die Frau für die Sicherheit eines Kleinkindes habe sorgen müssen.

Spritze gegen "Tennisarm"

Spritze löste Infektion aus: Patientin erhält wegen unzureichender Aufklärung Schmerzensgeld

Die 45-Jährige hatte im August 2017 ihren Sohn zum Arzt begleitet. In der Gemeinschaftspraxis berichtete sie dem behandelnden Mediziner K, sie habe seit einigen Wochen Beschwerden im rechten Ellenbogen. K diagnostizierte einen so genannten Tennisarm und empfahl der Frau eine Spritze: Damit werde sie für den geplanten Urlaub schnell wieder fit! Eintrag in der Patientenkartei: "Schmerzen im rechten Ellenbogen. Beratung. Injektion …".

Vor der Injektion unterschrieb die Patientin ein Aufklärungsblatt — ob auch ein Aufklärungsgespräch stattfand, war hinterher umstritten. Mit der Spritze gerieten Bakterien ins Gelenk und verursachten eine Gelenk- und Schleimbeutelentzündung. Die Frau musste ihren Urlaub abbrechen und sich einer Operation sowie langwieriger Rehabilitation unterziehen. Die Beweglichkeit des Gelenks ist dauerhaft eingeschränkt.

Von der Gemeinschaftspraxis verlangte die Frau Schmerzensgeld: 25.000 Euro sprach ihr das Oberlandesgericht (OLG) Hamm zu (26 U 21/21). Bedenklich fand das OLG, dass der Eintrag in der Patientenkartei nachträglich geändert wurde. Da würden nun ein Aufklärungsgespräch und "starke Schmerzen" erwähnt. Damit solle wohl die medizinische Notwendigkeit der Spritze behauptet sein — die der Sachverständige in seinem Gutachten aber überzeugend verneint habe.

Mit keiner Methode gebe es bei der Behandlung eines Tennisarms einen sicheren Heilungserfolg, so das Fazit des Experten. K hätte die Patientin auf jeden Fall über konservative Behandlungsalternativen (Medikamente, Ruhigstellen, Krankengymnastik, Stoßwellentherapie etc.) aufklären müssen. Denn dabei seien die Erfolgsaussichten nicht geringer als beim Spritzen — und es bestehe kein Infektionsrisiko.

Da die Frau wegen ihrer Beschwerden nicht einmal einen Arzttermin vereinbart, sondern anlässlich des Arztbesuchs ihres Sohnes "mal nachgefragt" habe, könnten die Schmerzen nicht so schlimm gewesen sein, nahm das OLG an. Unter diesen Umständen wäre es erst recht angesagt gewesen, sie über risikoärmere Alternativen zu informieren, anstatt sofort zur Spritze zu greifen. Nur auf Basis von Informationen könnten Patienten selbstbestimmt entscheiden, auf welches Risiko sie sich einlassen wollten.

Im konkreten Fall hätte die Frau nach einem Aufklärungsgespräch die Entscheidung für eine bestimmte Behandlung sicher verschoben und im Urlaub erst mal den Arm geschont. Dass über Behandlungsalternativen aufgeklärt wurde, hätten die Patientin und ihr Sohn als Zeuge glaubwürdig bestritten. Mit der elektronischen Behandlungsdokumentation könnten die Mediziner diese Aussage nicht widerlegen. Der komme hier keine Beweiskraft zu, da sie nachträglich geändert wurde — ohne die Änderung kenntlich zu machen.

Falsche Auskunft vom Reisebüro

Einer Urlauberin wurde der Flug nach La Réunion verwehrt, weil sie keinen Reisepass hatte

Herr M und seine Lebensgefährtin ließen sich im Reisebüro beraten: Urlaub auf einer schönen Insel sollte es sein. Das Paar entschied sich schließlich für eine Pauschalreise nach La Réunion, ein französisches Übersee-Département im indischen Ozean. Da sie keinen Reisepass hatte, erkundigte sich die Frau, ob sie dort mit dem Personalausweis einreisen könne — und ob das auch nach einem Zwischenstopp auf Madagaskar gelte.

Beraterin K bejahte dies — doch die Auskunft war falsch. Nur direkt von der EU aus kann man mit dem Personalausweis in französische Übersee-Départements einreisen. Kommen Reisende dagegen aus einem außereuropäischen Land, benötigen sie einen Reisepass. Die Kundin verließ sich auf die Auskunft und besorgte keinen Reisepass: Infolgedessen platzte der Traumurlaub auf La Réunion. Herr M verlangte vom Reiseveranstalter den Reisepreis zurück und zusätzlich Entschädigung für vertanen Urlaub.

Er sei für das Malheur nicht verantwortlich, erklärte der Reiseveranstalter: Im Reiseprospekt werde auf die Einreisebestimmungen hingewiesen. Über den Internetdienst Dropbox habe er Herrn M außerdem eine Digitaldatei mit den einschlägigen Informationen zukommen lassen. Das Landgericht gab deshalb dem Reiseunternehmen Recht. Doch der Kunde legte gegen das Urteil Berufung ein und hatte beim Oberlandesgericht (OLG) Celle Erfolg (11 U 113/19).

Das Personal des Reisebüros vermittle Pauschalreisen im Auftrag des Reiseveranstalters. Er müsse sich die — unvollständige und daher im Ergebnis — falsche Auskunft der Mitarbeiterin zurechnen lassen, urteilte das OLG. Dass der Reiseprospekt und eine Digitaldatei korrekt über die Einreisebestimmungen informierten, ändere daran nichts. Informationen im Katalog oder Prospekt gehörten für reisewillige Kunden in die Rubrik "Kleingedrucktes".

Wenn sie im Reisebüro zu dem Thema bereits mündlich informiert wurden, hätten sie keinen Grund, das "Kleingedruckte" zu studieren. Dazu seien sie nicht verpflichtet, jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Aufforderung von Seiten des Reisebüros. Grundsätzlich hätten mündlich erteilte Informationen Vorrang: Kunden müssten Auskünfte der Reiseexperten nicht nachprüfen. Daher sei zu Lasten des Reiseveranstalters davon auszugehen, dass er seine Aufklärungspflicht nicht richtig erfüllt habe und der Inselurlaub der Kunden deshalb ins Wasser gefallen sei.

Buggy soll Briefkästen blockiert haben

Mieterin stürzte angeblich wegen des Kinderwagens vor der Haustür: Schmerzensgeld?

Neben der Eingangstür eines Mehrfamilienhauses sind die Briefkästen der Hausbewohner angebracht — über einem ca. vier Quadratmeter großen Treppenabsatz. Hier stellt Mieterin A regelmäßig den Kinderwagen ab.

Mieterin B behauptete, sie habe sich deswegen an der Schulter verletzt: Sie habe den Buggy zur Seite schieben müssen, um ihren Briefkasten öffnen zu können. Dabei sei sie mit dem Ärmel am Griff des Kinderwagens hängen geblieben und gegen die Hauswand gestürzt.

Mieterin B verlangte von Mieterin A und von der Hauseigentümerin mindestens 10.000 Euro Schmerzensgeld, weil sie für den Unfall verantwortlich seien: Die junge Mutter dürfe dort den Kinderwagen nicht abstellen, der ihr, Frau A, zum Verhängnis geworden sei. Und die Vermieterin hätte dafür sorgen müssen, dass diese Störung unterlassen werde.

Das Landgericht Koblenz konnte jedoch keine verantwortungslose Gefährdung der Mitbewohner erkennen und wies die Klage auf Schmerzensgeld ab (4 O 213/21). Auf dem Treppenabsatz sei genügend Platz, so dass man den kleinen Kinderwagen gefahrlos auf die Seite schieben könne. Einen Buggy vor den Briefkästen zu "parken", begründe — realistisch betrachtet — kein Gesundheitsrisiko für andere Personen.

Niemand habe ernsthaft damit rechnen müssen, dass sich ein Hausbewohner oder Besucher beim Umstellen eines Kinderwagens verletzen könnte. Darüber hinaus habe Frau B nicht bewiesen, dass sich der Unfall tatsächlich so abgespielt habe. Zeugen, die diesen doch sehr ungewöhnlichen Unfallhergang bestätigten, gebe es nicht. Letztlich stehe nicht fest, wie die Verletzung zustande gekommen sei.

Pflichten eines Linksabbiegers

Überholendes Auto stößt mit linksabbiegendem Radfahrer zusammen: Wer haftet?

Ein Radfahrer wurde bei einem Unfall schwer verletzt, als er von der Straße nach links in die Einfahrt eines Baumarktgeländes abbog. Ob der ältere Herr vorher ein Handzeichen gegeben hatte, war umstritten. Jedenfalls stieß ein Autofahrer gegen das Fahrrad, als er den Radfahrer überholen wollte. Der "Senior" sei ohne irgendein Zeichen urplötzlich nach links geschwenkt, behauptete der Autofahrer.

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf wies die Schadenersatzklage des Radfahrers ab. Für die Unfallfolgen müsse er selbst aufkommen, so das OLG, weil er grob verkehrswidrig gegen die Pflichten eines Linksabbiegers verstoßen habe (1 U 216/20). Beim Linksabbiegen gelten besondere Sorgfaltspflichten — erst recht, wenn ein Verkehrsteilnehmer nicht an einer Kreuzung links abbiege, sondern in eine Grundstückseinfahrt: Das sei nur zulässig, wenn kein anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet werde.

Angeblich habe der Radfahrer vorschriftsgemäß zwei Mal nach hinten gesehen und das Auto bemerkt. Der Verkehrssachverständige habe nach den eigenen Angaben des Verletzten eine Unfallskizze angefertigt: Demnach habe das Auto mit dem Überholen schon begonnen, als der Radfahrer zum zweiten Mal zurückschaute. Wenn er trotzdem weiter in Richtung Einfahrt gefahren sei, habe er damit die Unfallgefahr erhöht.

Sollte er aber — was nach glaubwürdigen Zeugenangaben wohl eher zutreffe — gar nicht nach hinten geschaut haben, verstoße dies ebenfalls gegen die Pflichten des Linksabbiegers. Zudem zeige die Skizze, dass sich der Radfahrer vor dem Abbiegen nicht korrekt in der Mitte der Straße eingeordnet habe, sondern höchstens in der Mitte der eigenen Fahrspur.

Ein Mitverschulden des Autofahrers verneinte das OLG: Er sei laut Unfallgutachten höchstens mit 40 km/h gefahren. In Bezug auf das Handzeichen widersprächen sich die Aussagen der Beteiligten. Diese unentschiedene Situation gehe zu Lasten des Radfahrers: Denn um seinen Anspruch auf Schadenersatz zu begründen, hätte er belegen müssen, dass der Autofahrer in einer unklaren Verkehrslage überholte. Unklar sei sie jedoch aufgrund der Fahrweise des Radfahrers nicht gewesen: Da er sich nicht richtig einordnete, habe der Autofahrer bei fehlendem Handzeichen darauf vertrauen dürfen, dass der Radfahrer geradeaus fahren werde.