Schadenersatz, Schmerzensgeld

Seniorin bei einem Busunfall schwer verletzt

Schadenersatz für Heimbetreuung oder wäre diese "sowieso nötig" gewesen?

Der Fahrer eines Linienbusses war losgefahren, obwohl die Plastiktüte in der Hand einer alten Dame in der Tür eingeklemmt war. Die 82-Jährige geriet mit ihrem rechten Bein zwischen den Radkasten und den Zwillingsreifen. Es wurde zerquetscht und musste amputiert werden. Nach dem Krankenhausaufenthalt konnte die Frau nicht mehr in ihre Wohnung zurückkehren, in der sie sich bis zum Unfall selbst versorgt hatte.

Sie verlangte vom Busfahrer und seiner Arbeitgeberin, den kommunalen Verkehrsbetrieben, den Mehraufwand ersetzt, der nun aufgrund der notwendigen Unterbringung in einem Heim auf sie zukam. Das Oberlandesgericht Hamm gab ihr im Prinzip recht, begrenzte den Anspruch aber auf 14 Monate. Begründung: Nach dem persönlichen "Eindruck", den die Frau auf die Richter gemacht habe, hätte sie sich spätestens nach diesem Zeitraum ohnehin in ein Heim begeben müssen.

Der Bundesgerichtshof kassierte dieses Urteil und gab dem Oberlandesgericht Hamm auf, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen und auf dessen Basis noch einmal zu entscheiden (VI ZR 106/94). Der Eindruck in der mündlichen Verhandlung ersetze medizinisches Fachwissen nicht. Bleibe nach dem Gutachten immer noch offen, ob die Frau auch ohne den Unfall bald pflegebedürftig geworden und auf Betreuung in einem Heim angewiesen wäre, gehe dies zu Lasten des Schädigers.

Grundsätzlich müssten der Busfahrer und seine Arbeitgeberin für die Unfallfolgen haften. Dass Senioren ab einem bestimmten Alter ins Heim "gehörten", sei kein Naturgesetz.

"Straßenbegleitender" Radweg

Eine für die Landstraße geltende Vorfahrt umfasst auch einen zugehörigen Radweg

Das Auto kam aus einem Feldweg, der an der Unfallstelle in eine Landstraße einmündete. Vorher musste die Autofahrerin einen Radweg überqueren, der — ca. fünf Meter von der Fahrbahn entfernt — entlang der Landstraße verlief. Beim Überqueren des Radwegs kollidierte der Wagen mit einem Radfahrer, der von links auf den Feldweg zukam.

Der Radweg war mit dem Verkehrszeichen 240 markiert: ein blaues Schild, auf dem ein Rad und Fußgänger abgebildet sind. Für Radfahrer der Hinweis, dass sie den Radweg benutzen müssen.

Bei dem Zusammenstoß wurden Rad und Auto beschädigt, die Autoreparatur kostete 2.269 Euro. Für den Betrag forderte die Autofahrerin vom Radfahrer Schadenersatz: Immerhin habe er ihre Vorfahrt missachtet, den Unfall also allein verschuldet. Das Gegenteil sei richtig, erklärte ihr das Landgericht Frankenthal (2 S 94/22). Wenn ein Radweg eine lange Strecke parallel zur Straße und so nah an der Fahrbahn verlaufe wie hier, umfasse die für die Landstraße geltende Vorfahrt auch den Radweg.

Selbst wenn ein Radweg kleine Höhenunterschiede aufweise und/oder einige Bäume zwischen Straße und Radweg gepflanzt seien — was hier im direkten Kreuzungsbereich ohnehin nicht der Fall sei —, würde das nichts an der Zugehörigkeit des Radwegs zur Straße ändern. Die Autofahrerin habe also die Vorfahrt des Radfahrers missachtet und nicht umgekehrt. Anders als die Autofahrerin meine, belege auch das Zeichen 240 nicht, dass der Radweg "eigenständig" sei.

Vielmehr verstärke das Verkehrsschild nur den — angesichts des Wegverlaufs ohnehin offenkundigen — Umstand, dass es sich hier um einen so genannten "straßenbegleitenden" Radweg handle. Andernfalls müsste man nämlich an dieser Kreuzung nicht anordnen, dass der Radverkehr verpflichtet sei, den gemeinsamen Geh- und Radweg statt der Straße zu benützen. Dann würde auch ein grünes Radwegeschild ausreichen.

Zusammenbruch beim Triathlon

Sportler will sich partout nicht behandeln lassen und wirft den Sanitätern danach unterlassene Hilfeleistung vor

2017 hatte sich ein Lehrer zu einem "Jedermann-Triathlon" angemeldet. Dabei mussten die Teilnehmer 750 Meter schwimmen, 20,4 km radfahren und fünf km laufen. Vorher mussten alle bei der Anmeldung unterschreiben, dass ihr Trainingszustand diesen Anforderungen entspricht und dass sie über die Gefahren durch Überanstrengung Bescheid wissen. Auch der Lehrer gab diese Erklärung ab und überschätzte seine Leistungsfähigkeit.

Seit zwei Jahren hatte er keinen Wettkampf mehr absolviert. Zudem litt der Mann an Bronchialasthma und hatte gerade erst eine Erkältung hinter sich gebracht. Am Tag des Triathlon-Wettkampfs herrschten mehr als 30 Grad Celsius. Unterwegs wirkte der Hobbysportler bereits erschöpft. Beim Laufen torkelte er auf der Zielgeraden und erreichte das Ziel nur mit Müh und Not. Dort legte sich der Pädagoge ausgepowert auf den Boden.

Sofort eilten Sanitäter herbei, denen er jedoch erklärte, er brauche keine Behandlung. Als sie ihn mit der Trage ins Sanitätszelt bringen wollten, kletterte der "Patient wider Willen" von der Trage. Im Zelt legten ihm die Sanitäter eine Infusion. Sie mussten die Maßnahme aber abbrechen, weil der Mann um sich schlug und randalierte. Schließlich verschlechterte sich sein Zustand so, dass er nicht mehr ansprechbar war — nun riefen die Sanitäter einen Notarzt. In einer Klinik wurden Unterzucker und akutes Nierenversagen diagnostiziert.

Als sich der Lehrer von seinem Kollaps erholt hatte, verklagte er den Veranstalter des Triathlons und den Sanitätsdienst auf Schmerzensgeld: Die verzögerte Behandlung sei als unterlassene Hilfeleistung zu bewerten, meinte er. Das Landgericht Dresden war allerdings anderer Ansicht und wies die Klage ab (10 O 2201/20). Grundsätzlich müssten Patienten einer medizinischen Behandlung vorher zustimmen, betonte das Landgericht.

Und der Triathlet habe im Sanitätszelt mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, man solle ihn in Ruhe lassen und nicht behandeln. Dann könne er nicht nachträglich den Rettungskräften vorwerfen, er sei zu spät behandelt worden. Sie hätten vorschriftsmäßig gehandelt, indem sie seinen Willen respektierten. Selbst wenn der Lehrer möglicherweise schon im Delirium gewesen sei, sei das für die Sanitäter nicht klar erkennbar gewesen.

Auf die Sanitäter habe er keineswegs "verwirrt" gewirkt. Sie seien daher nicht von einem Ausnahmefall ausgegangen: Nur wenn ein Patient offenkundig nicht in der Lage sei, eine eigene Entscheidung zu treffen, dürften Mediziner und Rettungskräfte dessen Willen ignorieren. Schließlich sei nicht nur unterlassene Hilfeleistung, sondern auch eine aufgezwungene Behandlung gegen den Willen des Patienten als Körperverletzung strafbar.

Vermieterin blockierte Garagenausfahrt

Mieterin musste im BMW statt im Porsche-Cabrio an den Gardasee reisen: Nutzungsausfallentschädigung?

Die Hauseigentümerin hatte Büroräume und Garagenstellplätze an die L-AG vermietet. Nach einigen Rechtsstreitigkeiten mit der Gewerbemieterin blockierte die Vermieterin im Sommer 2020 zwei Wochen lang mit einem Fahrzeug die Garagenausfahrt. Infolgedessen konnte Frau X, Geschäftsführerin der L-AG, mit ihrem Porsche Turbo S Cabriolet die Garage nicht mehr verlassen. In den Sommerurlaub am Gardasee musste sie mit ihrem 3er BMW Kombi fahren.

Wegen der Blockade ihres Cabrios forderte Frau X von der Vermieterin 2.450 Euro Nutzungsausfallentschädigung. Selbstverständlich habe sie im Urlaub das Cabrio benutzen wollen — der BMW sei kein gleichwertiger Ersatz. Für diesen Anspruch klagte Frau X bis zur höchsten Instanz: Doch auch beim Bundesgerichtshof scheiterte sie mit ihrem Anliegen (VI ZR 35/22).

Zwar habe die Vermieterin durch die Blockade der Garagenausfahrt Frau X vorsätzlich daran gehindert, ihr Cabrio zu benützen, stellten die Bundesrichter fest. Trotzdem habe die Geschäftsführerin keinen Anspruch auf Schadenersatz, weil ihr durch die rechtswidrige Handlung kein Vermögensschaden entstanden sei. Sie habe den Porsche für den Urlaub nicht wirklich gebraucht, weil sie einen Zweitwagen besitze. Mit einem BMW in Urlaub zu fahren, sei "möglich und zumutbar".

Sicher habe ein Porsche höheres Prestige und ein Cabrio vermittle auf der Fahrt in den Süden ein anderes Fahrgefühl. Der Porsche habe Vorteile, die vielleicht die Lebensqualität erhöhten — wenn man auf sie verzichten müsse, stelle das aber keinen "ersatzfähigen Vermögensschaden" dar. Der Zweitwagen von Frau X eigne sich objektiv auch im Urlaub als Fortbewegungsmittel. Dass die Blockade den individuellen Genuss der Porscheliebhaberin an der Fahrt geschmälert habe, sei nicht mit einem materiellen Schaden zu verwechseln.

Polizeihund beißt Kind

Lässt der Hundeführer das Tier fahrlässig frei laufen, muss er persönlich für die Folgen einstehen

Ein Polizeibeamter war mit seinem Diensthund am Strand spazieren gegangen und hatte ihn dort von der Leine gelassen. Ohne besonderen Anlass fiel der Hund ein spielendes Kind an, biss es in den Kopf und in die Beine. Das Kind wurde sofort ärztlich behandelt, erlitt zum Glück keine dauerhaften Verletzungen bzw. Narben.

Das Land Schleswig-Holstein, Dienstherr des Polizeihundeführers, zahlte an die Mutter 2.000 Euro Schmerzensgeld. Diese Summe hatte die Frau im Namen des Kindes gefordert. Anschließend verlangte das Bundesland den Betrag vom Polizeibeamten: Er hafte persönlich für den Vorfall, weil er seine Pflichten als Hundeführer grob verletzt habe.

Das sah der Beamte anders: Er ließ es auf einen Rechtsstreit mit dem Dienstherrn ankommen. Das Landgericht Lübeck besichtigte den fraglichen Strandabschnitt, befragte die Mutter des Kindes und gab schließlich dem Bundesland Recht (15 O 81/22). Der Polizeibeamte habe grob fahrlässig gehandelt.

In der Freizeit dürfe der Hundeführer das Tier nicht frei laufen lassen. Das gelte jedenfalls dann, wenn unbeteiligte Dritte in der Nähe seien. Als der Beamte den Hund von der Leine ließ, seien Mutter und Kind nicht weit von ihm entfernt gewesen — er habe sie gar nicht übersehen können. Der Strandabschnitt sei sehr gut zu überblicken und kurz vor der Hundeattacke habe das Kind auf einem kleinen Steindeich balanciert.

Hunde müssten immer so geführt werden, dass von ihnen keinerlei Gefahr ausgehe. Dieses Gebot gelte selbstverständlich auch für Polizeihunde. Wenn ein Polizeihundeführer grob fahrlässig gegen diesen Grundsatz verstoße, müsse er persönlich für die Folgen geradestehen. (Der Beamte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.)

Sturz auf der Restaurantterrasse

Gastwirt muss für die Unfallfolgen nicht haften, wenn der Untergrund erkennbar uneben ist

An einem sonnigen Sommerabend ging Herr X in ein Restaurant und ließ sich an einem Tisch auf der Terrasse nieder. Die Terrasse ist mit Natursteinen gepflastert, der Belag uneben. Herr X bestellte etwas zu essen und suchte dann die Toilette auf. Auf dem Rückweg zu seinem Tisch stolperte er, stürzte zu Boden und verletzte sich.

Erfolglos verklagte X den Inhaber des Restaurants auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Dem Gastwirt sei keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt (11 U 33/23). Er sei nämlich nicht verpflichtet, einen absolut "gefahrfreien Zustand" der Terrasse herzustellen.

Gastwirte müssten grundsätzlich nur Sicherheitsmaßnahmen treffen, die Besucher berechtigterweise erwarten könnten. Maßnahmen also, die notwendig seien, um Gefahren abzuwenden, auf die sich Besucher nicht einstellen könnten.

Gegenmaßnahmen seien jedoch überflüssig, wenn Unebenheiten im Boden auf den ersten Blick erkennbar seien — so wie hier die von Natur aus unebenen Steine und die Fugen zwischen den Steinen. Restaurantgäste müssten sich den Bedingungen vor Ort anpassen und beim Gehen auf die Beschaffenheit des Untergrunds achten.

Über löchriges Malervlies im Treppenhaus gestürzt

Wer "sehenden Auges" ein gut erkennbares Risiko eingeht, erhält kein Schmerzensgeld

Auf der Treppe eines Mietshauses lag wegen Bauarbeiten schon seit mehreren Wochen ein Malervlies — ziemlich strapaziert und löchrig. Im Haus hat auch ein Fahrdienst Räume gemietet. Der bauleitende Architekt hatte der Firma mitgeteilt, ihre Fahrer sollten die Treppe möglichst nicht benutzen und das Gebäude über den Hintereingang betreten. Diese Anweisung gab die Firma an die Mitarbeiter weiter.

Doch Fahrer K ignorierte sie und lief immer über die Treppe. Eines Tages blieb er beim Hinuntergehen in einem Loch im Malervlies hängen, stolperte und stürzte die Treppe hinab. Der verletzte Fahrer forderte vom Hauseigentümer und vom bauleitenden Architekten 30.000 Euro Schmerzensgeld. Darauf habe K keinen Anspruch, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg (3 U 3080/22).

Ausnahmsweise müsse hier der Verletzte den Schaden alleine tragen, so das OLG. Denn K sei "sehenden Auges ein für jedermann erkennbares Risiko eingegangen". Den Zustand des Malervlieses habe niemand übersehen können. Und K sei mehrmals täglich hier aus- und eingegangen. Dem offenkundigen Risiko, hier zu stolpern, hätte der Fahrer leicht ausweichen können, wenn er den anderen Gebäudeeingang genommen hätte.

Im Vergleich mit seinem Beitrag zum Treppensturz seien die minimalen Beiträge des Bauleiters und des Hauseigentümers zu vernachlässigen. Sie hätten natürlich das Malervlies erneuern sollen — das schon. Aber da es sich hier um eine offenkundige Gefahr handelte, vor der sich K durch Vorsicht ohne Weiteres selbst hätte schützen können, dürften er und andere Benutzer der "Baustelle Treppenhaus" hier keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen erwarten.

Vertragsfreiheit beim Grundstückskauf

Verhandlungen können jederzeit abgebrochen werden: kein Ersatz für Aufwendungen

Fast zweieinhalb Jahre verhandelten ein Grundstückseigentümer und ein potenzieller Käufer über ein Grundstück. Der Verkäufer hatte dem Interessenten ein "unverbindliches Kaufangebot" mit den wichtigsten Daten geschickt (Grundstücksgröße, Kaufpreis, Rahmenbedingungen). Außerdem sicherte er dem Interessenten zu, dass er über das Grundstück nicht mit anderen Bewerbern spreche. Daraufhin beauftragte der Kaufinteressent schon mal einen Steuerberater und einen Architekten.

Doch dann überlegte es sich der Grundstückseigentümer anders und verkaufte nicht. Nun forderte der düpierte Kaufinteressent Ersatz für die vergeblich aufgewendeten Kosten: Nach den detaillierten Vertragsverhandlungen habe er davon ausgehen dürfen, dass dem Abschluss des Kaufvertrags nichts mehr im Wege stehe. Nur weil er darauf vertraute, habe er kostenpflichtig einen Architekten und einen Steuerberater beauftragt, Bau und Kaufvertrag vorzubereiten.

Das Landgericht Wuppertal wies die Klage des verhinderten Käufers ab (6 O 101/22). Vertragsfreiheit bedeute: Bis zum endgültigen Vertragsschluss seien die Verhandlungsparteien grundsätzlich frei in ihren Entscheidungen. Das gelte auch dann, wenn eine Verhandlungspartei im Hinblick auf den erhofften Vertragsschluss bereits Geld ausgegeben habe. Anspruch auf Schadenersatz für vergeblich getätigte Aufwendungen bestehe nur in Ausnahmefällen.

Das treffe dann zu, wenn eine Partei ohne triftigen Grund die Verhandlungen abbreche — obwohl sie vorher eindeutig den Eindruck erweckt habe, der Vertrag werde zustande kommen. So sicher habe der Kaufinteressent im konkreten Fall aber nicht mit dem Abschluss des Kaufvertrags rechnen können. Wenn der Grundstückseigentümer sein Interesse am Verkauf absichtlich nur vorgespiegelt hätte, würde so ein Verstoß gegen die Treuepflicht Anspruch auf Schadenersatz begründen. So ein Fehlverhalten sei hier aber nicht ersichtlich.

Welcher Hund hat zugebissen?

"Hundetreffen": Wer die Tierhalterin an der Hand verletzte, war nicht aufzuklären

Frau X ging mit ihrem Golden Retriever spazieren und begegnete einem zwölfjährigen Mädchen, das mit seiner Bulldogge unterwegs war. Die nicht angeleinte Bulldogge stürmte auf den anderen Hund zu, den die Halterin an der Leine führte.

Mehrere Zeugen, darunter auch die Zwölfjährige, sagten später aus, die Bulldogge sei um den Retriever herumgesprungen. Doch niemand sah genau, von welchem Hund Frau X in die Hand gebissen wurde.

Mit einem Rettungswagen wurde sie ins Krankenhaus gebracht und erstversorgt. Nach einer Wundinfektion musste die Hundehalterin operiert werden, war lange arbeitsunfähig und kann die Hand bis heute nicht richtig bewegen. Frau X erklärte, die aggressive Bulldogge habe sie gebissen und verklagte die Mutter des Mädchens als (Mit-)Hundehalterin auf Schadenersatz und 5.000 Euro Schmerzensgeld.

Das Landgericht gab ihr Recht: Als Tierhalterin müsse die Mutter für den Schaden einstehen, der durch die Bulldogge entstanden sei. Dabei komme es letztlich nicht darauf an, welcher Hund Frau X nun wirklich gebissen habe. So sah es auch das Oberlandesgericht Hamm (I-7 U 54/22). Wer der Beißer war, sei egal: Auf jeden Fall habe nämlich das für Tiere typische, unberechenbare Verhalten der Bulldogge die Verletzung verursacht.

Eine Interaktion der Hunde habe zwar durchaus stattgefunden. Der Golden Retriever habe die Bulldogge nur angeknurrt, aber auf diese Weise auch zu der "Auseinandersetzung" beigetragen. Diesen kleinen Beitrag ihres eigenen Tieres zum Unfall müsse sich die Verletzte anspruchsmindernd anrechnen lassen (mit 20 Prozent). Im Wesentlichen sei die Aggression jedoch von der Bulldogge ausgegangen.

Anders als die Bulldoggen-Halterin behaupte, treffe Frau X nicht deshalb eine Mitschuld am Hundebiss, weil sie die Leine des Retrievers nicht fallen ließ. Hätten die Hunde einen richtigen Kampf begonnen und Frau X hätte sich eingemischt, um sie zu trennen — wäre sie ein unnötiges Risiko eingegangen.

Doch in der konkreten Situation habe sie sich mit ihrem Verhalten nicht selbst gefährdet. Vielmehr wäre die Auseinandersetzung der Hunde wohl eher eskaliert, hätte sie auch den Retriever von der Leine gelassen. Wie Frau X dadurch den Biss hätte vermeiden können, sei nicht ersichtlich.

Dass Schüler Fehler machen, ist normal

Segelschüler haftet nicht für Bootsschaden durch missglücktes Anlegemanöver

Ein Münchner wollte den Sportküstenschifferschein erwerben. Um sich darauf vorzubereiten, buchte er beim Betreiber einer deutschen Segelschule einen Ausbildungstörn in Kroatien. Dort übte der Segelausbilder mit dem Schüler eine Woche lang. Zwei Tage vor dem Prüfungstermin missglückte dem Schüler das Anlegen am Steg: Entgegen den Anweisungen des Schiffsführers lenkte er das Boot nicht nach Steuerbord — sondern gegen den Betonsteg.

Dabei wurde das gecharterte Boot beschädigt. Der Segelausbilder ersetzte dem Bootsvermieter die Reparaturkosten von 1.991,60 Euro und verlangte anschließend vom Schüler Schadenersatz in dieser Höhe. Doch das Amtsgericht München wies seine Klage ab (191 C 14599/22). Allein der Umstand, dass der Schüler das Ruder entgegen der Anweisung des Ausbilders nicht nach Steuerbord gelenkt habe, stelle keine Pflichtverletzung dar, für die der Segelschüler haften müsste.

Der Ausbilder habe nicht dargelegt, dass ein Schüler mit diesem Ausbildungsstand so ein Anlegemanöver fehlerfrei hätte ausführen müssen. Umgekehrt müsse ein Schiffsführer — vergleichbar einem Fahrlehrer — immer zum Eingreifen bereit sein, wenn der Schüler selbständig ein Manöver durchführen solle. Warum der Segelausbilder dies beim Anlegen nicht getan habe, sei offengeblieben. Es liege in der Natur einer Ausbildung, dass Schüler das Gelernte nicht sofort und fehlerlos umsetzen könnten. Das damit verbundene Risiko trage der Ausbilder und nicht der Schüler.

Zudem sei im Vertrag mit der Segelschule vereinbart, dass der Ausbilder nur für grob fahrlässig verursachte Schäden haften müsse, nicht aber für einfach fahrlässig verursachte Schäden. Dieser Haftungsausschluss für einfache Fahrlässigkeit müsse für den Schüler ebenfalls gelten — auch deshalb, weil ihn der Segelschul-Betreiber über die Haftungsrisiken bei so einem Ausbildungstörn nicht informiert habe.

Türkeiurlauber musste für den Rückflug Aufschlag zahlen

Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung steht ihm dafür nicht zu

Herr M hatte eine Pauschalreise in die Türkei gebucht. Die Flüge von München nach Antalya und zurück wurden von Fluggesellschaft X durchgeführt. Da M schon eine Woche früher in die Türkei reiste, nahm er den Hinflug mit Airline X nicht in Anspruch. Als er wie geplant zurückfliegen wollte, verlangte sie einen Aufpreis. Hätte der Kunde den Aufschlag nicht akzeptiert, hätte ihn das Flugunternehmen nicht mitgenommen. Deshalb zahlte M den geforderten Betrag und wurde nach München befördert.

Von Fluggesellschaft X verlangte er eine Ausgleichszahlung von 400 Euro. Darauf habe der Fluggast keinen Anspruch, entschied der Bundesgerichtshof (X ZR 25/22). Die Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung solle Passagiere entschädigen, deren Flug annulliert wurde oder denen die Beförderung aus anderen Gründen (z.B. wegen überbuchten Flugs) verweigert wurde. Das setze logischerweise voraus, dass die Beförderung nicht stattfand.

Herr M habe jedoch den Rückflug angetreten — wenn auch gegen tarifliche Zuzahlung. Wenn eine Fluggesellschaft die Beförderung eines Passagiers von einem Aufschlag abhängig mache, sei das zwar unerfreulich. Aber diese Unannehmlichkeit sei nicht mit den Problemen zu vergleichen, mit denen ein Fluggast fertig werden müsse, dessen Flug überbucht war und der am Flughafen zurückbleibe.

Erweise sich der verlangte Aufschlag bei rechtlicher Prüfung als unberechtigt, könne der betroffene Fluggast das Geld zurückfordern. Eine verweigerte Beförderung sei viel ärgerlicher. Sie bedeute nervige Suche nach einem Ersatzflug, oft zusätzliche Übernachtungskosten, verspätete Ankunft oder Rückkehr etc.

Ob Herr M den Aufpreis zurückfordern könne, sei hier nicht zu entscheiden. Dieser Anspruch sei nämlich nicht Gegenstand der Klage, sondern die verlangte Ausgleichszahlung. Und die stehe M nicht zu.

Defektes elektrisches Garagentor verletzt Mieter

Die Hauseigentümerin haftet, wenn sich Gebäudeteile ablösen

Ein Autofahrer durfte für Besorgungen den Wagen seiner Vermieterin benutzen, der in der Garage stand. Als er unter dem elektrischen Garagentor, System "Genie", hindurchging, fiel das Tor schlagartig herunter und verletzte ihn am Kopf. Er verlangte von der Vermieterin Schmerzensgeld: Sie müsse als Eigentümerin des Gebäudes haften, wenn sich Teile davon ablösten und Menschen verletzten. So stehe es im Gesetz.

Das Oberlandesgericht München bejahte den Anspruch des verletzten Mieters (21 U 3056/94). Nach der genannten Vorschrift müsse die Hauseigentümerin für die Folgen geradestehen, wenn das Haus oder Teile des Bauwerks fehlerhaft errichtet oder nachlässig unterhalten wurden. Im konkreten Fall habe der TÜV festgestellt, dass die Art und Weise, wie das Garagentor auf einen elektromechanischen Antrieb umgerüstet worden sei, nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe.

Ausgebüxtes Pferd rannte auf die Landstraße

Die Tierhalterin haftet für den beim Zusammenstoß mit einem Auto verursachten Schaden

An einem Februarabend führten Mitarbeiterinnen eines Reiterhofs auf einem Feldweg zwei Pferde am Zügel. Plötzlich rissen sich die Tiere los — vorneweg Pferd A, das direkt auf die nahegelegene Landstraße rannte. Hier stieß das Tier mit einem Audi zusammen. Das Pferd verletzte sich bei dem Aufprall, die linke Seite des Fahrzeugs wurde erheblich beschädigt.

Die Kaskoversicherung des Autofahrers ersetzte die Hälfte der Reparaturkosten, die Tierhalterhaftpflichtversicherung der Pferdebesitzerin die andere Hälfte. Am Ende kam es jedoch zum Streit über die Kosten des Mietwagens, den der Autofahrer während der Reparatur des Audi benötigt hatte.

Die Tierhalterin hafte für die Unfallfolgen, entschied das Amtsgericht Köln, also auch für die Mietwagenkosten (261 C 118/22). Unstreitig habe ihr Pferd A die Kollision und damit den Autoschaden verursacht. Wenn ein Pferd weglaufe, wirke sich die besondere Gefahr aus, die mit dem unberechenbaren, selbständigen Verhalten von Tieren typischerweise verknüpft sei. Für die Folgen hafteten Tierhalter unabhängig von eigenem Verschulden.

Dem Autofahrer sei kein Mitverschulden an dem Unfall vorzuwerfen. Er sei weder zu schnell gefahren, noch habe er gegen andere Vorschriften verstoßen. Zwar hätten die Zeuginnen behauptet, die Pferde seien auf der Straße gut sichtbar gewesen. Das sei jedoch nicht bewiesen. Zum Unfallzeitpunkt gegen 18.30 Uhr sei es schon fast dunkel gewesen und die Landstraße unbeleuchtet.

Dass der Audi-Fahrer mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren wäre, wenn er die Pferde rechtzeitig gesehen hätte, sei angesichts des damit verbundenen Unfallrisikos schwer vorstellbar. Zudem seien die Damen vom Reiterhof weit weg von der Straße und sehr aufgeregt hinter den Pferden hergelaufen. In so einer Situation das Geschehen auf der Straße verlässlich zu beobachten, dürfte schwierig sein.

Grundsätzlich gelte: Die Gefahr, die generell von Kraftfahrzeugen ausgehe und die deshalb bei Unfällen manchmal auch ohne Verkehrsverstoß des Fahrers zur Mithaftung führe, trete bei der Kollision mit einem Pferd (oder einem anderen großen Tier) vollständig hinter der Tiergefahr zurück. Die Straße sei nämlich für Fahrzeuge da, während Pferde dort nichts zu suchen hätten.

Wegen zu langer Sicherheitskontrolle Flug verpasst?

Wer vorher am Flughafen Zeit vertrödelt, hat keinen Anspruch auf Schadenersatz

Um 11.40 Uhr sollte die Maschine nach Faro am Flughafen Köln-Bonn starten. Herr W und seine Lebensgefährtin kamen um 9.20 Uhr am Flughafen an. Um 9.30 Uhr öffnete laut Flughafen-Webseite der Check-In-Schalter. Das Paar gab die Koffer 20 Minuten später auf und ging anschließend mit seinen Sportgeräten zum Schalter für Sperrgepäck. Gegen 10.30 Uhr betraten die Urlauber den Bereich der Sicherheitskontrolle.

Die Kontrolle dauerte so lange, dass sie zum Boarding zu spät kamen. Das Flugzeug nach Faro startete ohne sie. Von der Bundesrepublik Deutschland, Dienstherrin der Sicherheitsbeamten, verlangte Herr W Schadenersatz für die Kosten der Ersatzflüge: Die Sicherheitskontrolle sei von den Beamten der Luftsicherheitsbehörde mangelhaft organisiert worden. Hätten er und seine Freundin da nicht so lange warten müssen, wären sie rechtzeitig am Gate angekommen.

Das Landgericht Köln wies die Zahlungsklage ab (5 O 250/22). Natürlich solle die Luftsicherheitsbehörde das Handgepäck der Passagiere in einer angemessenen Zeitspanne kontrollieren. Es gelte aber auch: Fluggäste müssten sich nach den Empfehlungen der Flughafenbetreiber richten.

Auf der Internetseite des Flughafens Köln-Bonn stehe: "In der Regel öffnet der Check-In am Flughafen 2,5 bis 3 Stunden vor dem Abflug. Es empfiehlt sich, diese Zeit … mindestens einzuplanen und nach dem Check-In zügig zur Sicherheitskontrolle zu gehen."

Die Ausführungen von Herrn W belegten keinerlei Mängel in der Organisation der Kontrollen, die dazu geführt haben könnten, dass er und seine Begleiterin ihren Flug verpassten. Vielmehr hätten sich die Fluggäste einfach zu viel Zeit gelassen. Wer den Sicherheitsbereich erst gegen 10.30 Uhr betrete, dürfe sich nicht darüber beschweren, dass er ihn erst um 11.35 Uhr verlassen konnte. Diese Dauer sei völlig normal.

Da die Passagiere zusätzlich Sperrgepäck dabeihatten, hätten sie so früh wie möglich am Check-In-Schalter sein müssen und die Koffer nicht erst um 9.50 Uhr aufgeben dürfen. Dass für Sperrgepäck mehr Zeit nötig sei, hätte Herr W wissen müssen — er reise ja nicht zum ersten Mal mit Surfbrettern. Hätte das Paar den Check-In kurz nach 9.30 Uhr beendet, hätte es die Maschine nach Portugal erreicht.

Sollte es jedoch entgegen den Informationen auf der Flughafen-Webseite tatsächlich an diesem Tag unmöglich gewesen sein, das Gepäck vor 9.50 Uhr aufzugeben, sei dafür nicht die Luftsicherheitsbehörde, sondern die Fluggesellschaft verantwortlich.

Bei Bauarbeiten Nachbars Baum beschädigt

Die Baugenehmigung enthielt detaillierte Auflagen zum Schutz der Bäume

Im Garten von Ehepaar A stand nahe an der Grundstücksgrenze ein über 40 Jahre alter Walnussbaum. Teilweise waren seine Wurzeln mit denen eines Urweltmammutbaums auf dem Grundstück von Ehepaar B verwachsen. Die Stadt genehmigte ein Bauvorhaben der Architektin B auf ihrem eigenen Grund. Dafür durfte sie auch geschützte Bäume fällen: Allerdings war die Erlaubnis verknüpft mit Auflagen des Gartenbauamts zum Schutz der Bäume im Nachbarsgarten.

Im Auftrag von Frau B begann eine Baufirma mit dem Roden von Sträuchern und Bäumen. Bei den Erdarbeiten riss ein Arbeiter mit einer Baggerschaufel auch eine Wurzel des Walnussbaums ab. Daraufhin verhängte das Bauordnungsamt vorübergehend einen Baustopp, was den Baum aber nicht mehr rettete. Die Nachbarn A ließen ihn schließlich fällen. Vom Ehepaar B forderten sie Schadenersatz für den wertvollen Baum und die Beseitigungskosten von 2.261 Euro.

Zu Recht, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (12 U 92/22). Zwar hätten Eigentümer im Prinzip das Recht zur Selbsthilfe, wenn vom Nachbargrundstück aus Zweige und Wurzeln eindringen. Doch das Recht, über die Grundstücksgrenze hinüberwachsende Zweige und Wurzeln geschützter Bäume abzuschneiden, werde von der kommunalen Baumschutzsatzung eingeschränkt.

Hätte die Baufirma die daraus abgeleiteten Auflagen beachtet, wäre das Wurzelsystem des Walnussbaums durch die Bauarbeiten kaum beeinträchtigt worden. Für den Verlust des Baums hafte allerdings nicht die Firma, sondern das Ehepaar B. Die Bauherren treffe nämlich auch selbst die Pflicht, die behördlichen Auflagen einzuhalten und die in der Baugenehmigung vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen für die Bäume umzusetzen.

Das gelte auch dann, wenn sie eine fachkundige Baufirma beauftragten. Und im konkreten Fall erst recht, denn Architektin B habe als verantwortliche Bauleiterin den Baufortschritt nahezu täglich im Detail verfolgt. Sie hätte auf der Baustelle erkennen können und müssen, dass die Baufirma nicht die geforderten Maßnahmen zum Schutz der Bäume an der Grundstücksgrenze ergriffen habe (z.B. Berliner Verbau).

Fahrgast-Sturz im Linienbus

Seniorin verletzte sich bei einer Vollbremsung, weil sie sich nur mit einer Hand festhielt

An einem regnerischen Abend fuhr eine noch relativ fitte 82-Jährige mit dem Bus nach Hause. Kurz vor dem Ziel drückte sie auf das Haltesignal, stand auf und ging zum Ausstieg. Dort ergriff die Frau mit einer Hand die Haltestange, in der anderen Hand hielt sie Tasche und Regenschirm. Doch vor "ihrer" Haltestelle lag noch eine Kurve. Weil der Fahrer beim Linksabbiegen zunächst eine Fußgängerin übersah, musste er im letzten Moment mit aller Kraft bremsen.

Wegen der Vollbremsung blieb zwar die Fußgängerin heil. Doch die Seniorin im Bus wurde zu Boden geschleudert und schwer verletzt. Sie musste aufgrund dauerhafter Folgen in einem Pflegeheim untergebracht werden. Vom Busfahrer und vom kommunalen Busunternehmen verlangte die Frau Schadenersatz.

Das Landgericht Lübeck verneinte jeden Anspruch auf Entschädigung: Die Passagierin habe sich nicht richtig festgehalten und den Unfall damit letztlich selbst verschuldet. Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil erreichte die Seniorin immerhin einen Teilerfolg.

Da der Fahrfehler des Busfahrers zu dem Unfall beigetragen habe, müssten er und die kommunale Arbeitgeberin gemeinsam die Hälfte des Schadens tragen, entschied das Oberlandesgericht Schleswig (7 U 125/22).

Richtig sei: Fahrgäste hätten nach einem derartigen Unfall nur Anspruch auf Schadenersatz, wenn sie sich gut festgehalten hätten. Gerade ältere Passagiere müssten sich mit beiden Händen sichern. Eine Hand genüge nicht, um auch bei ruckartigen Bewegungen des Busses das Gleichgewicht halten zu können. Und mit ruckeligem Bremsen bzw. Wiederanfahren sei im Straßenverkehr immer zu rechnen.

Die Seniorin ginge daher wegen "fehlender Eigensicherung" leer aus, wenn der Busfahrer nicht seine Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen verletzt hätte. Diesen Fahrfehler hätte das Landgericht bei der Haftungsquote berücksichtigen müssen. Der Fahrer habe nur deshalb plötzlich eine Vollbremsung einleiten müssen, weil er die Fußgängerin zuerst übersehen habe. Dies sei also kein normaler Bremsvorgang gewesen, sondern Folge eines Verkehrsverstoßes.

Autofahrerin fährt Radfahrer um

Sie nahm dem Rennradfahrer die Vorfahrt: Sein hohes Tempo begründet keine Mithaftung

Kurz nach 17 Uhr verließ Autofahrerin A mit ihrem Wagen den Betriebsparkplatz. Bei der Ausfahrt musste sie einen kombinierten Rad- und Fußweg überqueren. Der (bevorrechtigte) Radweg ist an dieser Stelle farbig markiert und mit gestrichelten Linien abgegrenzt. Zur gleichen Zeit war auf dem Radweg ein Rennradfahrer unterwegs: Der sportliche 47-Jährige trainierte für einen Triathlon-Wettkampf.

Wie später eine Unfallsachverständige errechnete, hatte er sich der Parkplatz-Ausfahrt mit ca. 42 km/h genähert. Die Autofahrerin habe den Radfahrer sehen müssen, als sie ihren Wagen vor dem Radweg kurz angehalten habe, so die Expertin. Trotzdem fuhr Frau A auf den Radweg — weil sie nicht auf den Radfahrer achtete oder seine Geschwindigkeit unterschätzte. Der Mann konnte mit seinem Bremsmanöver den Zusammenstoß nicht mehr verhindern, bei dem er sehr schwer verletzt wurde.

Der Radfahrer verlangte von der Autofahrerin Entschädigung. Sie müsse alle Folgekosten des Unfalls übernehmen und dem Verletzten zusätzlich 20.000 Euro Schmerzensgeld zahlen, urteilte das Landgericht Nürnberg-Fürth (8 O 5432/18). Hohes Schmerzensgeld sei hier gerechtfertigt, da er dauerhafte Schäden erlitten habe: Wegen gebrochener Wirbel habe man die Brustwirbelsäule mit Implantaten versteifen müssen, die gebrochene Hand sei nicht mehr so beweglich.

Frau A habe dem Radfahrer eindeutig die Vorfahrt genommen. Anders als die Autofahrerin meine, treffe den Rennradfahrer wegen seiner zweifellos hohen Geschwindigkeit kein Mitverschulden. Auf gerader Strecke, bei guter Sicht und trockenem Wetter könnten Rennradfahrer auch mal schnell fahren. Der Mann habe seine Geschwindigkeit auch nicht vorsorglich vermindern müssen, weil ein Wagen in der Parkplatzausfahrt stand. Vielmehr habe er sich darauf verlassen dürfen, dass die Autofahrerin sein Vorfahrtsrecht beachten würde.

Kampfflugzeug erschreckt Dressurpferd

Hengst stürzt in der Box: BRD haftet zu 80 Prozent für die Folgen eines Tornado-Tiefflugs

Der Überflug eines Tornado-Kampfflugzeugs wurde im Januar 2020 einem Dressurhengst zum Verhängnis, der auf einem niedersächsischen Reiterhof in seiner Pferdebox stand. Das Pferd geriet durch den plötzlichen Fluglärm so in Panik, dass es in der Box wild um sich schlug, stürzte und ein Beckentrauma erlitt. Die Verletzung war derart schwerwiegend, dass der Hengst dauerhaft reituntauglich blieb.

Die Reiterin forderte von der Bundesrepublik Deutschland als Flugzeughalterin und Dienstherrin des Piloten Schadenersatz. Das Landgericht Verden ging von einem Minderwert des Pferdes von 30.000 Euro aus und verurteilte die Bundesrepublik dazu, 80 Prozent des Schadens auszugleichen. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle wies die Forderung der Reiterin nach einer günstigeren Haftungsquote zurück (14 U 114/22).

Das Landgericht habe ihren Anspruch um 20 Prozent gemindert, so das OLG, weil das für Tiere typische, unberechenbare Verhalten des Pferdes zu dem Unfall beigetragen habe. Vom Fluglärm abgesehen, sei niemand sonst am Unfall beteiligt gewesen. Das Pferd habe den Lärm nicht "einordnen" können, obwohl in dem Gebiet öfter Tiefflüge durchgeführt werden. Durch das Geräusch total erschreckt, habe sich der Hengst unkontrolliert in der Box bewegt und so selbst den Sturz mit-ausgelöst. Zusätzlich habe sich das Eigengewicht des Pferdes ausgewirkt und die Sturzfolgen verschlimmert.

Mit dem Ausgleich von 80 Prozent des Wertverlustes sei der Tiefflug als Unfallursache angemessen berücksichtigt. Ein Mitverschulden des Piloten durch einen zu niedrigen und damit besonders lauten Überflug sei nicht bewiesen. Allein der Umstand, dass der Tornado (nach den Radardaten der Bundeswehr) ca. 20 Meter tiefer geflogen sei als angemeldet, begründe nicht den Vorwurf fahrlässigen Verschuldens. Das sei bei derartigen Flugmanövern im "Messtoleranzrahmen".

Dass die Reiterin den Hengst eineinhalb Jahre später aufgrund von Koliken einschläfern lassen musste, hänge nicht mit dem Unfall zusammen. Und auch ihre Entscheidung, das Pferd weiterhin zu halten, obwohl schon kurz nach dem Sturz feststand, dass es irreversibel lahmte, könne sie nicht der Bundesrepublik anlasten.

Untaugliche Bandscheibenprothesen eingesetzt

Für Probleme mit zugelassenen Medizinprodukten haften nicht die Mediziner

Die konservativen Therapien seien "ausgereizt", hatte der Orthopäde der Patientin S erläutert, die er wegen Rückenproblemen behandelte: Nun müsse man operieren und Bandscheibenprothesen einsetzen. Sie folgte seinem Rat. Die Eingriffe wurden in einer Fachklinik durchgeführt. Der Chirurg verwendete dabei keine herkömmlichen Prothesen mit Titanplatten, sondern ein neues Modell, das vollständig aus Kunststoff bestand (Cadisc).

Es war wohl unzureichend klinisch erprobt, trotzdem CE-zertifiziert und für den europäischen Markt zugelassen worden. Kurz nach der Markteinführung hatte der Hersteller die ersten Chargen zurückgerufen: Man hatte festgestellt, dass die Prothesen an Höhe verloren und schlecht einwuchsen. Später nahm der Hersteller die Cadisc-Modelle vom Markt. Auch bei Frau S mussten die implantierten Prothesen wieder entnommen werden.

Für diese Tortur verlangte die Patientin Schmerzensgeld von der Klinik und vom Operateur. Sie warf ihnen vor, dass sie unzureichend über die Risiken dieser neuen Behandlungsmethode aufgeklärt worden sei. Doch das Oberlandesgericht Oldenburg wies den Vorwurf zurück (5 U 70/19). Hier gehe es nicht um eine Behandlung, mit der medizinisches "Neuland" betreten wurde — und die deswegen mit unbekannten Risiken behaftet gewesen sei.

Wenn ein Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard sei, müsse der behandelnde Arzt den Patienten darüber klar informieren. Doch bei den Bandscheibenprothesen seien sich alle Sachverständigen und Experten einig: Die Cadisc-Prothese sei etwas anders gebaut, unterscheide sich aber von etablierten Prothesen im "Risikoprofil" nicht. Probleme (beim Einwachsen, den Höhenverlust etc.) gebe es auch bei herkömmlichen Prothesen, sie würden heutzutage kritisch beurteilt.

Unbekannte Risiken durch eine "Neulandmethode" drohten also nicht, also hätten die Mediziner darauf auch nicht aufklären müssen. Es sei auch kein Behandlungsfehler gewesen, Cadisc-Prothesen einzusetzen. Ärzte dürften sich grundsätzlich auf CE-zertifizierte, zugelassene Medizinprodukte verlassen.

Für Defizite im Zulassungsverfahren der Medizinprodukte hafteten nicht die Mediziner. Ihnen fehle die Sachkunde, das Material zu beurteilen: Das komme im Medizinstudium nicht vor. Wenn ein Patient geltend mache, ihm sei durch ein CE-zertifiziertes Produkt Schaden entstanden, müsse er sich an die Zulassungsstellen wenden.

Hupen half nichts!

Mercedes fuhr trotz der Warnung rückwärts aus der Garage heraus und gegen einen Peugeot

Ein Peugeot-Fahrer war in einer verkehrsberuhigten Straße unterwegs, als er bemerkte, dass auf der rechten Straßenseite ein Mercedes dabei war, rückwärts aus der Garage herauszurollen. Der Peugeot-Fahrer hupte, um auf sich aufmerksam zu machen. Doch der Mercedes-Fahrer überhörte die Warnung und fuhr rückwärts auf die Straße. Die Fahrzeuge stießen zusammen.

Der Mercedesfahrer behauptete, der Peugeot sei mit überhöhter Geschwindigkeit in seinen bereits stehenden Mercedes E 320 CDI hineingefahren. Er forderte Schadenersatz für die Reparatur und die Sachverständigenkosten (3.928 Euro). Das Landgericht Saarbrücken sprach ihm nur 20 Prozent des geforderten Betrags zu, weil er den Unfall überwiegend selbst verschuldet habe (13 S 60/22).

Laut Unfallgutachten sei der Mercedes bei der Kollision in Bewegung gewesen, stellte das Landgericht fest. Das spreche dafür, dass der Rückwärtsfahrende sich nicht aufmerksam genug nach hinten umgesehen habe. Beim Rückwärtsfahren und beim Ausfahren aus einem Grundstück müssten Autofahrer besonders vorsichtig vorgehen. Gegen diese Sorgfaltspflichten habe der Mercedes-Fahrer verstoßen.

Der Peugeot 206 sei dagegen fast mit Schrittgeschwindigkeit gefahren (ca. 10 km/h), wie im verkehrsberuhigten Bereich vorgeschrieben. Allerdings hätte sich der Peugeot-Fahrer nicht darauf verlassen dürfen, dass der Mercedes seine Rückwärtsfahrt unterbrechen würde.

Diese leichte Fahrlässigkeit begründe eine Mithaftung von 20 Prozent: Der Peugeot-Fahrer habe vorsorglich gehupt, weil er erkannt habe, dass eine Kollision drohte. Angesichts dessen hätte es nahegelegen, nur sehr langsam und jederzeit bremsbereit weiterzufahren. Und den Mercedes weiter zu beobachten, um sofort anhalten zu können. Das habe der Peugeot-Fahrer versäumt.