Rechtspflege

Zahnarzt wegen Betrugs und Steuerhinterziehung angeklagt

Der Angeklagte muss es hinnehmen, wenn Medien darüber sachlich berichten

Gegen einen Kölner Zahnarzt lief ein Strafverfahren vor dem Landgericht Köln. Er war wegen Steuerhinterziehung und Nötigung angeklagt und hatte sich an einem Betrug mit Millionenschaden beteiligt. Am ersten Verhandlungstag wurde die Anklageschrift verlesen. Eine Zeitung berichtete darüber, nannte den Vornamen des Zahnarztes sowie den Anfangsbuchstaben des Nachnamens und dass er in Köln-Mitte praktizierte.

Mit diesen Angaben konnten Leser den Angeklagten, der zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt wurde, eindeutig identifizieren. Dagegen wehrte er sich und forderte, solche Mitteilungen zu unterlassen. Anders als das Landgericht Köln fand der Bundesgerichtshof die Berichterstattung der Zeitung völlig in Ordnung (VI ZR 95/21).

Die Zeitung habe zwar das Fehlverhalten des Zahnarztes öffentlich bekannt gemacht und damit seinem Ansehen geschadet. Dieser Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht sei aber gerechtfertigt, so die Bundesrichter: Denn das Interesse der Presse an Berichterstattung wiege hier schwerer als das Interesse des Mediziners, nicht identifiziert zu werden.

An Straftaten von Bedeutung bestehe nun einmal in der Öffentlichkeit großes Interesse. Wer einer schweren Straftat angeklagt sei, müsse es grundsätzlich hinnehmen, wenn Medien über die Vorwürfe berichteten. Außerdem habe sich der Zeitungsartikel darauf beschränkt, die in der öffentlichen Hauptverhandlung verlesene Anklage wahrheitsgemäß wiederzugeben. Darin liege keinerlei Vorverurteilung.

Anders als der Angeklagte meine, habe es ihm der Zeitungsreporter auch nicht ermöglichen müssen, selbst zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Das würde sogar die Sachaufklärung im Strafverfahren erschweren, da das Gericht dann die Aussagen des Angeklagten im Gerichtssaal und außerhalb des Verfahrens berücksichtigen müsste.

Bürger muss staatliche Bescheide verstehen können

Überflüssiger Rechtsstreit um Grundstücke in Brandenburg

Ein Bürger hatte Grundstücke in den neuen Bundesländern geerbt. Da im Grundbuch aber sogenannte Bodenreformvermerke eingetragen waren, erhob das Land Brandenburg Anspruch auf den Grund. Aus den Schreiben des zuständigen Grundstücks- und Vermögensamts wurde der Betroffene nicht schlau. Es hieß dort, dass er nur "zuteilungsfähig" sei, wenn er zu bestimmten Zeiten in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft hauptberuflich erwerbstätig gewesen sei.

Der Mann antwortete, er habe 30 Jahre im Sägewerk gearbeitet und seine Unterlagen wegen der Berechnung seiner Rente derzeit aus der Hand gegeben. Er wurde vom Land verklagt, der Übertragung des Eigentums auf das Land Brandenburg zuzustimmen. Da er diesem Verlangen vor einem Urteil freiwillig nachkam, musste das Gericht nur noch über die Verfahrenskosten entscheiden.

Diese brummte das Oberlandesgericht Brandenburg dem Land auf (8 W 4/95). Wenn der Staat vom Bürger etwas wolle, so müsse er sein Verlangen so erläutern, dass es der Bürger verstehen, nachvollziehen und sich entsprechend verhalten könne. Hätte das Bundesland dies getan, hätte es den Rechtsstreit leicht vermeiden können.

Warum dem Bürger die Grundstücke nicht zugeteilt werden konnten, habe das Land nicht nachvollziehbar dargelegt. Da der Betroffene somit keinen Anlass zu der gegen ihn gerichteten Klage gegeben habe, müsse er die Prozesskosten nicht tragen.

Polizeibeamter als Zeuge geeignet?

Amtsgericht muss nicht über die "Zuverlässigkeit" von Zeugen verhandeln

Ein Autofahrer wurde vom Amtsgericht zu einer Geldbuße von 150 DM verurteilt, weil er zu schnell gefahren war. Dagegen legte er Rechtsbeschwerde ein mit der Begründung, dass das Gericht die Feststellung zur Geschwindigkeitsüberschreitung nicht auf die Zeugenaussage des "zuverlässigen" Polizeibeamten hätte stützen dürfen. Da dieser Umstand ("Zuverlässigkeit") nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, habe er keine Gelegenheit erhalten, dazu Stellung zu nehmen. Damit sei der Grundsatz der Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzt worden.

Das Bayerische Oberste Landesgericht wies die Rechtsbeschwerde zurück (2 ObOWi 210/94). Eine Zeugenaussage als "zuverlässig" einzustufen, stelle eine Wertung des Gerichts dar - im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung. Deshalb könne der in Frage stehende Umstand, ohne in die Hauptverhandlung eingeführt worden zu sein, im Urteil bewertet werden.

Ärztliche Behandlungsfehler und Verjährungsfrist

Die Frist beginnt, sobald der Patient einen Rückschluss auf ärztliches Fehlverhalten ziehen kann

Nach einer Operation im Januar 2017 erlitt der Patient eine Blutvergiftung mit akutem Nierenversagen. Jahre später warf er den Klinikärzten vor, sie hätten weder auf seine extremen Schmerzen, noch auf den außerordentlich hohen CRP-Wert nach dem Eingriff rechtzeitig reagiert (CRP-Wert: ein Eiweißstoff im Blut, der eine Entzündung anzeigt). Zu spät habe deshalb die lebensrettende Notoperation stattgefunden.

Der Mann beantragte Ende 2020 Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Klinik. Das Landgericht Leipzig wies den Antrag ab, weil die Sache verjährt sei. Dass die Operation 2017 negativ endete, wisse der Patient seit über vier Jahren, die Verjährungsfrist für Arzthaftungssachen betrage drei Jahre. Mit dieser Entscheidung war das Oberlandesgericht (OLG) Dresden nicht einverstanden (4 W 251/22).

Bei Fragen der Arzthaftung beginne die Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn der Patient von den Umständen, die einen Anspruch begründen könnten, "Kenntnis erlange". Kenntnis bedeute nicht die triviale Tatsache, dass dem Patienten der negative Ausgang einer Behandlung, Schmerzen und Komplikationen nach einem Eingriff bekannt seien, betonte das OLG. Da müsse sich nicht gleich der Gedanke an ärztliches Fehlverhalten aufdrängen.

Vielmehr müsse es dem medizinischen Laien auch möglich sein, auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache des Misserfolgs zu schließen. Das sei erst der Fall, wenn er/sie Tatsachen erfahre, aus denen sich ergebe, dass der behandelnde Arzt vom medizinischen Standard abgewichen sei oder Maßnahmen unterlassen habe, die erforderlich gewesen wären, um Komplikationen zu vermeiden. Erst dann beginne die Verjährungsfrist.

Im konkreten Fall habe der Patient "Kenntnis erlangt" durch das medizinische Gutachten seiner Krankenversicherung vom August 2020. Darin habe ein Sachverständiger die ärztlichen Versäumnisse erläutert, die die postoperative Blutvergiftung verursachten. Wie ein medizinischer Laie ohne solche Hinweise den Rückschluss auf ärztliche Fehler ziehen sollte, sei nicht ersichtlich. Daher habe die Verjährungsfrist erst im August 2020 zu laufen begonnen, die Rechtssache sei nicht verjährt. Da die Klage gegen die Klinik zudem Aussicht auf Erfolg habe, stehe dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu.

Sittenwidrige Schenkung?

90-Jähriger schenkt der Lebensgefährtin Grundstücke, bereut dies und beruft sich auf Geschäftsunfähigkeit

Ein 90-Jähriger, der mehrere Mietshäuser besaß, bekam 2018 eine Lungenentzündung und wurde in eine Klinik eingeliefert. Einige Jahre zuvor hatte er eine Frau kennengelernt, die seine Häuser verwaltete und sich auch um ihn persönlich kümmerte. In der Klinik erteilte ihr der Senior eine Vorsorgevollmacht. Diese Vollmacht widerrief er mit Hilfe seiner Tochter, als er auf die Intensivstation verlegt wurde.

Dieses Hin und Her setzte sich fort: Einige Tage später teilte der Mann einem Notar mit, er wolle seine Lebensgefährtin als Tochter annehmen. Im Beisein des Notars schenkte er ihr — per vorweggenommener Erbfolge — zwei seiner Grundstücke. Als die Schenkung bereits ins Grundbuch eingetragen war, widerrief der Senior die Schenkung und alle Erklärungen, die er in der Klinik zu Gunsten der Lebensgefährtin abgegeben hatte.

Er sei krankheitsbedingt geschäftsunfähig gewesen, behauptete er. Außerdem habe ihn die Partnerin unter Druck gesetzt und gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht unterschreibe. Die Schenkung sei daher als sittenwidrig anzusehen. Sein Antrag, ihm die Grundstücke wieder zu übertragen, scheiterte beim Oberlandesgericht (OLG) Köln. Mit dieser Entscheidung war jedoch der Bundesgerichtshof nicht einverstanden: Er hob sie auf und verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (X ZR 3/20).

Der alte Herr habe konkrete Anhaltspunkte dafür benannt, dass er bei der Schenkung nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen sein könnte: Befunde der Klinik und ein Attest zu kognitiven Einschränkungen lägen vor. Das OLG hätte dies prüfen lassen müssen, anstatt den Antrag des Klägers auf ein Sachverständigengutachten abzuweisen. Wenn es Indizien für Geschäftsunfähigkeit gebe, dürfe ein Gericht — ohne eigene Sachkunde! — nicht einfach die Geschäftsfähigkeit bejahen.

Ein krankheitsbedingter Zustand von Willensschwäche oder leichter Beeinflussbarkeit könne für die Beurteilung der Frage, ob eine Schenkung sittenwidrig sei oder nicht, ausschlaggebend sein. Außerdem habe das OLG die Motive der beschenkten Partnerin nicht in seine Überlegungen einbezogen.

Wenn es fraglich sei, ob der Schenker sich bei der Schenkung frei entscheiden konnte, müsse geklärt werden, ob hier jemand diese Lage eigensüchtig ausgenützt habe. Auch wenn die Fähigkeit des Seniors zur Willensbildung nur ein wenig eingeschränkt gewesen sein sollte, könne dies für Sittenwidrigkeit sprechen.

Risikoaufklärung vor der Augen-OP

Ist umstritten, wie sich der richtig informierte Patient entschieden hätte, muss ihn das Gericht dazu anhören

Ein Patient hatte sich einer Laser-Behandlung unterzogen, um seine Kurzsichtigkeit zu beheben. Der Augenarzt hatte ihn über die Risiken der LASIK-Behandlung aufgeklärt, bei der mit dem Laser Gewebe im Inneren der Augenhornhaut abgetragen wird. Bei dem Eingriff in Vollnarkose traten Probleme auf, weshalb der Arzt eine andere Laser-Technik wählte (Photoreaktive EXCIMER-Behandlung = PRK, bei der Hornhautschichten an der Oberfläche abgetragen werden).

Über die Risiken dieser zweiten Operationstechnik war der Patient allerdings nicht informiert worden. Er klagte anschließend über Sehstörungen und Augentrockenheit, die er auf den Eingriff zurückführte. Eine Korrektur-Operation verbesserte die Beschwerden nicht. Schließlich verlangte der Patient vom Augenarzt Schmerzensgeld, weil er seine Aufklärungspflicht verletzt habe.

Anspruch auf Entschädigung besteht in so einem Fall jedoch nur, wenn Patienten plausibel darlegen, dass sie sich bei korrekter Aufklärung gegen die Operation entschieden hätten oder zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten wären.

Im konkreten Fall sei dies dem Patienten schon in seinen Schriftsätzen nicht gelungen, fand das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg. Es wies die Klage ab, ohne den Kläger persönlich dazu anzuhören: Der Augenarzt könne sich auf eine "hypothetische Einwilligung" berufen — d.h. es sei davon auszugehen, dass der Patient dem Eingriff in jedem Fall zugestimmt hätte, so die Begründung des OLG.

Gegen das Urteil wehrte sich der Mann mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (VI ZR 310/21). Wenn die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Patienten so umstritten seien wie hier, dürfe ein Gericht über den Fall nicht entscheiden, ohne den Patienten dazu persönlich anzuhören.

Dem Kläger die Anhörung zu verweigern, verstoße gegen seinen Anspruch auf "rechtliches Gehör". Er müsse Gelegenheit bekommen zu erläutern, wie er sich bei ausreichender Aufklärung über das Operationsrisiko entschieden hätte. Nur so könne das Gericht seine Motive verstehen.

Offen geblieben sei auch die Frage, wie eine vollständige Aufklärung hier hätte aussehen sollen. Müssten Augenärzte prinzipiell über beide Techniken aufklären? Damit habe sich das OLG nicht befasst.

Lackschaden vor dem Verfassungsgerichtshof

Amtsgericht überging den Vortrag eines Unfallgeschädigten zu den Reparaturkosten

Dass ein Lackschaden vor Verfassungsrichtern verhandelt wird, passiert auch nicht alle Tage. Diese "Ehre" wurde dem Lackschaden zuteil, weil sich das Wuppertaler Amtsgericht einen krassen Fehler geleistet hatte.

Ein Unfallgeschädigter stritt mit der Kfz-Versicherung des Unfallverursachers über die Höhe der Reparaturkosten. Weil sie nur einen Teil des Schadens reguliert hatte, klagte der Autofahrer vor dem Amtsgericht. Dabei ging es u.a. um zusätzliche Kosten, die dadurch entstanden waren, dass seine Werkstatt das Auto in eine externe Lackiererei gebracht hatte, die auf Lackschäden diffiziler Art spezialisiert ist.

Die Werkstatt hatte den Posten unter dem Titel "pauschale Verbringungskosten" abgerechnet. Diese Kosten könne der Unfallgeschädigte nicht ersetzt verlangen, wenn das Fahrzeug nicht tatsächlich zu einer Lackiererei gebracht und dort bearbeitet worden sei, erklärte der Amtsrichter dem erstaunten Autofahrer. Der war deshalb sehr verwundert, weil er explizit darauf hingewiesen hatte, dass der Wagen in einer externen Lackiererei neu lackiert worden war.

Gegen das klageabweisende Urteil erhob der Unfallgeschädigte Verfassungsbeschwerde: Das Amtsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es seinen Vortrag zu den Reparaturkosten schlicht ignoriert habe. Der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen gab dem Autofahrer Recht (VerfGH 104/21).

Rechtliches Gehör bedeute auch: Richter müssten alle relevanten Punkte berücksichtigen, die die Parteien zur verhandelten Sache vortragen. Im konkreten Fall habe das Amtsgericht einen Vortrag des Unfallgeschädigten zur Höhe seines Schadenersatzanspruchs schlicht übergangen oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Das Urteil könne daher keinen Bestand haben, das Gericht müsse sich mit dem Fall erneut befassen.

Umstrittene Vorsorgevollmacht

Hat ein Vater mehrere erwachsene Kinder bevollmächtigt, kann nicht eines dem anderen die Vollmacht entziehen

Mit einer Vorsorgevollmacht überträgt der Vollmachtgeber dem Bevollmächtigten die Befugnis, an seiner Stelle Entscheidungen über das Vermögen oder über ärztliche Maßnahmen zu treffen — für den Fall, dass der Vollmachtgeber dazu nicht mehr in der Lage ist. Im konkreten Fall erteilte ein älterer Herr drei leiblichen Kindern und seinem Stiefsohn eine notariell beglaubigte Vorsorgevollmacht: Alle vier sollten im Fall des Falles auch allein im Namen ihres Vaters Entscheidungen treffen können ("Einzelvertretungsvollmacht").

Mehrere Personen zu bevollmächtigen, kann durchaus von Vorteil sein — wenn sie vernünftig kooperieren. So tragen mehrere Vertraute die Verantwortung und können sich die Aufgaben aufteilen. Doch im konkreten Fall funktionierte die Arbeitsteilung nicht: Sohn R stritt ständig mit dem Stiefsohn und widerrief schließlich sogar dessen Vorsorgevollmacht. Der Stiefsohn weigerte sich, die Vollmachtsurkunde herauszugeben.

Zu Recht, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (10 W 8/21). Wenn es mehrere Bevollmächtigte gebe, könne nicht einer den anderen abberufen und ihm die Vollmacht entziehen. Das würde dem Willen des Vollmachtgebers zuwiderlaufen, mehreren Personen eine "Einzelvertretungsmacht" einzuräumen. Jeder Bevollmächtigte könnte sich so die Position des ausschließlich Bevollmächtigten verschaffen — sogar dauerhaft, wenn der Vollmachtgeber geschäftsunfähig sei.

Genau das habe der Vater im konkreten Fall offenkundig nicht gewollt. Eventuell habe er mit der Vollmacht für mehrere Kinder auch den möglichen Missbrauch der Vollmacht durch einen einzigen Bevollmächtigten verhindern wollen.

Drei Jahre, nachdem Sohn R die Vollmacht des Stiefbruders widerrief, habe R einen Widerruf vorgelegt, den angeblich der Vater selbst formuliert habe. Das Schreiben sei zwar vom Vater unterzeichnet, trotzdem sei die Widerrufserklärung unwirksam. Denn zu diesem Zeitpunkt habe der Vater bereits an fortgeschrittener Demenz gelitten. Er sei nicht mehr in der Lage gewesen, selbständig zu entscheiden und rechtlich wirksame Erklärungen abzugeben.

Schadenersatz für folgenreichen Katzenbiss

Die Tierhalterhaftpflichtversicherung stellt den Fall vor Gericht anders dar als die Tierhalterin

Herr B hatte eine Bekannte besucht und in ihrem Haus übernachtet. Als er am Morgen mit der Hand unter die Schlafcouch griff, um sie zusammenzuschieben, wurde er von der Katze der Hausbesitzerin gebissen. Vor Gericht schilderte der Mann später, dass das Tier noch an seiner Hand hing, als er sie hochgehoben habe. Weil sich die Bisswunde stark entzündete, musste Herr B in einer Unfallklinik sechs Mal operiert werden.

Die Tierhalterhaftpflichtversicherung der Frau zahlte ihm freiwillig 1.000 Euro Schadenersatz. Als der Mann mehr Geld verlangte, bestritt die Versicherung jedoch plötzlich ihre Zahlungspflicht: Er sei Miteigentümer und Mithalter der Katze, also stehe ihm schon deshalb kein Schadenersatz zu. Außerdem seien Katzen nicht bissig, B müsse das Tier provoziert und in die Enge getrieben haben.

Dieser Ansicht war auch das Landgericht. Es wies die Klage des Verletzten auf weiteren Schadenersatz ab, obwohl die Tierhalterin dessen Version des Geschehens bestätigte: Die Couch mit dem Fuß einzuschieben, sei dem Freund nicht gelungen. Daraufhin habe er mit der Hand nach unten gegriffen und sie sofort schreiend wieder herausgezogen. Die Katze, die im Übrigen ihr allein gehöre, habe "noch drangehangen".

Herr B wehrte sich gegen das Urteil des Landgerichts und hatte beim Bundesgerichtshof Erfolg (VI ZR 1321/20). Zu Unrecht habe das Landgericht die Haftung der Tierhalterin mit dem Argument verneint, dass nicht feststehe, wie sich der Vorfall im Einzelnen ereignet habe. Darauf komme es hier gar nicht an, betonten die Bundesrichter.

Die Tierhalterin hafte für die Bissfolgen, weil ihre Katze aufgrund des für Tiere typischen, unberechenbaren Verhaltens den Besucher verletzt habe. Daher müsse die Tierhalterhaftpflichtversicherung den Verletzten entschädigen.

Dass die Versicherung dessen Aussagen bestreite, dürfe nicht berücksichtigt werden. Da ihre (interessierte) Stellungnahme den Erklärungen der versicherten Tierhalterin widerspreche, sei sie "unbeachtlich". Die Frau habe glaubwürdig versichert, dass sie die Katze alleine halte und dass sich der Vorfall so zugetragen habe wie von Herrn B geschildert. Das Landgericht hätte deshalb von dessen Darstellung des Geschehens ausgehen müssen.

Verfassungsbeschwerde eines Hilfeempfängers erfolgreich

Amtsgericht durfte dem Hartz-IV-Empfänger juristische Beratungshilfe nicht verweigern

Das Jobcenter lehnte den Antrag eines Hartz-IV-Empfängers auf Nachzahlung eines Betrags ab. Der Sachbearbeiter hatte ein Betriebskostenguthaben aus dem Jahr 2019 für den Zeitraum Juni bis November 2020 leistungsmindernd berücksichtigt: Das war nicht korrekt, meinte der Hilfeempfänger, und wollte den Fehler korrigiert wissen. Beim Jobcenter blitzte er ab, daraufhin wandte er sich ans Amtsgericht.

Beim Amtsgericht beantragte er Beratungshilfe, um die Leistungsbescheide des Jobcenters auf ihre Richtigkeit zu überprüfen: Es sei seiner Meinung nach nicht richtig, ein Betriebskostenguthaben über sechs Monate hinweg anzurechnen.

Doch der Amtsrichter rüffelte ihn nur: Der Antrag auf juristische Beratung sei mutwillig. Der Hilfeempfänger habe sich bisher nicht schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter darum bemüht, den Sachverhalt selbst aufzuklären.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts legte der Mann erfolgreich Verfassungsbeschwerde ein. Das Amtsgericht hätte dem Hilfeempfänger die Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen die Bescheide des Jobcenters nicht verweigern dürfen, erklärte das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 1370/21). Der Mann habe keine besonderen Rechtskenntnisse und der strittige Sachverhalt werfe schwierige Fragen auf. Das gelte jedenfalls für die von ihm angezweifelte Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf seinen Leistungsanspruch und das über sechs Monate.

Sie sei tatsächlich mit höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vereinbar. Der Antrag auf Beratungshilfe sei daher überhaupt nicht "mutwillig". Der Antragsteller habe konkret aufgezeigt, welchen Punkt der Leistungsbescheide er anzweifle. Wenn man ihm daraufhin empfehle, erst einmal ausgerechnet beim Jobcenter vorzusprechen, das den angegriffenen Bescheid erlassen habe, verweigere man es dem Antragsteller, sein Recht geltend zu machen.

Bürgschaft per Fax ist unwirksam

Formvorschriften sollen vor übereiltem Handeln schützen

Eine Bürgschaft unter Privatpersonen muss laut Gesetz schriftlich erteilt werden. Dem Oberlandesgericht Düsseldorf stellte sich die Frage, ob dafür die Übermittlung der Urkunde per Telefax genügt und beantwortete sie mit "Nein" (18 U 105/93).

"Schriftlich" sei die Bürgschaft nur erteilt, wenn sie eigenhändig unterschrieben sei. Ein Telefax enthalte aber keine eigenhändige Unterschrift: Es sei eine Fernkopie, bei der die Unterschrift lediglich vom Original übernommen werde. Zudem werde die Bürgschaftsurkunde dem Empfänger auf diese Weise nicht übergeben, sondern verbleibe beim Absender.

Auch der Sinn der Vorschrift gebiete keine andere Entscheidung: Die Bürgschaft müsse schriftlich erteilt werden, damit sich der Bürge das finanzielle Risiko gründlich überlege und es nicht übereilt eingehe. Es sei also sinnvoll, dass eine Bürgschaftserklärung nur dann wirksam sei, wenn sie tatsächlich "aus der Hand gegeben" werde.

Arbeitnehmerin zu oft krank

Wann ist eine so begründete Kündigung "sozial gerechtfertigt"?

Einer Arbeitnehmerin wurde aufgrund einer Vielzahl kurzer Fehlzeiten im April 2020 gekündigt. Begründung: Der Arbeitsplatz entspreche schon seit Jahren den arbeitsmedizinischen Empfehlungen. Trotz aller Bemühungen darum, ihn den gesundheitlichen Problemen der Arbeitnehmerin anzupassen, seien die Ausfallzeiten nicht zurückgegangen.

Zudem habe die Frau auf die schriftliche Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement nicht reagiert, die ihr im Januar 2020 per Einwurfeinschreiben zugesandt wurde. (Dabei werden Ursachen der Fehlzeiten und Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung gemeinsam mit dem Arbeitnehmer und dem Betriebsarzt geprüft.)

Die Angestellte bestritt, dieses Schreiben erhalten zu haben und klagte auf Weiterbeschäftigung. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg gab ihr Recht: Die Kündigung sei unverhältnismäßig (4 Sa 68/20). Die Gesundheitsprognose für die Arbeitnehmerin sei zwar so negativ, dass es die betrieblichen Interessen durchaus erheblich beeinträchtigen könnte, sie weiterhin zu beschäftigen. In so einem Fall könne eine krankheitsbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein.

Dennoch sei die Kündigung hier unverhältnismäßig. Die Arbeitgeberin hätte ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen müssen, um festzustellen, ob eine Kündigung zu vermeiden sei. Dass die Firma dieses Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet habe, stehe aber nicht fest. Denn die Arbeitgeberin habe neben dem Einlieferungsbeleg für das Einwurfeinschreiben nur den Sendungsstatus vorgelegt, aber keinen Auslieferungsbeleg.

Damit sei nicht bewiesen, dass der Arbeitnehmerin das Einladungsschreiben zugestellt wurde. Denn aus dem Sendungsstatus gehe der Name des Zustellers nicht hervor, es fehle dessen Unterschrift. Nur im Auslieferungsbeleg beurkunde der Postzusteller mit seiner Unterschrift, dass er die Sendung eingeworfen habe.

Dass die Arbeitnehmerin vorwerfbar das Eingliederungsmanagement boykottiert habe, stehe also nicht fest. Es sei nicht auszuschließen, dass sie daran teilgenommen hätte und die Beteiligten Möglichkeiten für eine leidensgerechte Arbeit hätten finden können.

Nur eine "Bewährungsstrafe" bei Alkoholdelikt?

Trotz tödlicher Unfallfolgen ist bei "günstiger Täterprognose" Bewährung möglich

Bei einer nächtlichen Fahrt mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,43 Promille hatte ein Autofahrer zwei ihm entgegenkommende, unter Alkohol und Haschisch stehende kanadische Soldaten erfasst und getötet, einen dritten verletzt. Bei so schweren Folgen eines Verkehrsdelikts liegt es für das Gericht eher nahe, die Strafe nicht zur Bewährung auszusetzen.

Dennoch muss der Strafrichter auch bei solchen Taten die besonderen Umstände des Einzelfalls beachten, urteilte der Bundesgerichtshof (4 StR 4/94). Manchmal sei trotz erheblicher Schuld eine Bewährungsstrafe angebracht. Das gelte vor allem dann, wenn schon die Verurteilung dem Angeklagten zur Warnung diene und deshalb zu erwarten sei, dass er nicht mehr straffällig werde (d.h. bei einer günstigen Täterprognose).

Im vorliegenden Fall leide der Angeklagte unter der Tat besonders stark, sehe sich als "Mörder". Seine Freundin habe sich nach dem Unfall von ihm getrennt. Die Tat stelle offensichtlich ein einmaliges Versagen dar und sei zudem von einem der berauschten Soldaten mitverursacht worden.

Eine Bewährungsstrafe werde in so einem Fall auch bei der Bevölkerung nicht auf Unverständnis stoßen, die von den Medien über die besonderen Umstände dieses Falles informiert worden sei. Daher könne man von einer Vollstreckung der Freiheitsstrafe absehen, ohne dadurch das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts zu erschüttern.

Rechtsstreit mit der Unfallversicherung

Landgericht durfte das vom Versicherungsnehmer beantragte Sachverständigengutachten nicht ablehnen

Ein 68 Jahre alter Mann zog sich 2016 bei einem Unfall in seiner Wohnung einen Oberschenkelhalsbruch zu. Von seiner privaten Unfallversicherung verlangte er eine Rente von 750 Euro monatlich: So war es vertraglich vereinbart für den Fall, dass unfallbedingt ein Invaliditätsgrad von mindestens 50 Prozent bestand. Da er das Bein infolge des häuslichen Unglücks nicht mehr richtig bewegen könne, sei diese Bedingung erfüllt, meinte der Versicherungsnehmer.

Die Versicherung ließ sich mit der Prüfung des Falles Zeit, gab ein orthopädisches und ein unfallchirurgisches Fachgutachten in Auftrag. 2019 lehnte sie die Zahlung von Invaliditätsrente ab. Begründung: Das gebrochene Bein sei schon vor dem Unfall nur eingeschränkt funktionstüchtig gewesen ("Vorinvalidität"). Wenn man dies berücksichtige, bleibe als Unfallfolge allenfalls ein Invaliditätsgrad von ca. 20 Prozent übrig.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Zahlungsklage des Versicherungsnehmers ab, ohne ein von ihm beantragtes Sachverständigengutachten einzuholen. Die zwei vom Versicherer vorgelegten Gutachten belegten nach Ansicht des Gerichts, dass die Voraussetzungen für eine Invaliditätsrente nicht vorlagen.

Diese Entscheidung wurde vom Oberlandesgericht Nürnberg hart kritisiert: Den Beweisantrag des Klägers zu übergehen, verletze dessen Anspruch auf rechtliches Gehör und sei ein gravierender Rechtsfehler (8 U 1139/21). Wenn ein konkreter Invaliditätsgrad ermittelt werden müsse, sei ein medizinisches Gutachten ein unumgängliches Beweismittel. Von so einem Beweis abzusehen, sei auch dann nicht gerechtfertigt, wenn die vom Kläger behauptete Tatsache unwahrscheinlich erscheine.

Das Landgericht hätte ein Sachverständigengutachten insbesondere nicht mit der Begründung für überflüssig erklären dürfen, dass das Gegenteil bereits durch die Privatgutachten feststehe, die die Prozessgegnerin in Auftrag gegeben habe. Eine sachgerechte Beweiswürdigung könne und dürfe grundsätzlich erst dann erfolgen, wenn alle nötigen Beweismittel ausgeschöpft seien. Falsch sei auch der Vorwurf, der Versicherungsnehmer habe keine plausiblen Anhaltspunkte für Fehler in den Privatgutachten vorgebracht.

Privatgutachten seien kein Sachverständigenbeweis, sondern der fachlich fundierte Vortrag einer Prozesspartei. Wenn der Kläger ihre Richtigkeit bestreite, müsse das Gericht ein gerichtliches Sachverständigengutachten einholen. Die entscheidenden medizinischen Fragen könne das Gericht mangels eigener Sachkunde ohnehin nur mithilfe von Sachverständigen klären. Der Versicherungsnehmer habe versichert, das Bein sei nicht vorgeschädigt gewesen, es habe also keine Vorinvalidität vorgelegen. Genauere Erläuterungen könne man von einem medizinischen Laien nicht verlangen.

Hilfeempfänger für überlangen Prozess entschädigt

Das Jobcenter darf den Betrag nicht auf das Arbeitslosengeld II anrechnen

Die Frau kümmert sich um ihren pflegebedürftigen Mann, beide Partner sind arbeitslos und beziehen Arbeitslosengeld II. Beim Sozialgericht Hildesheim kämpfte das Ehepaar sehr lange um einen höheren Zuschuss für Unterkunft und Heizung — der Prozess zog sich 21 Monate hin.

Für die überlange Verfahrensdauer erhielten die Hilfeempfänger am Ende eine Entschädigung. Doch die Freude über die niedrige vierstellige Summe währte nicht lange. Denn das Jobcenter kürzte das Arbeitslosengeld II um diesen Betrag.

Wieder zog das Ehepaar vor Gericht und hatte nach erneut langem Tauziehen schließlich beim Bundessozialgericht Erfolg mit seiner Klage (B 14 AS 15/20 R). Die Entschädigung dürfe bei der Berechnung des Arbeitslosengelds II nicht als Einkommen berücksichtigt werden, erklärten die Bundesrichter.

Besondere Leistungen des Staates aufgrund "öffentlich-rechtlicher Vorschriften" würden auf Sozialleistungen nur dann angerechnet, wenn beide Leistungen demselben Zweck dienten. Das treffe hier aber nicht zu. Arbeitslosengeld II sichere den Lebensunterhalt der arbeitslosen Personen. Dagegen sei die Entschädigung ein Ausgleich für die Unannehmlichkeiten eines allzu langen Gerichtsverfahrens.

Strafzettel wegen Falschparkens

Verfahrenskosten darf die kommunale Behörde erst nach einer Anhörung der Kfz-Halterin verlangen

Im März 2021 steckte eine Politesse einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer eines Firmenfahrzeugs: Der Fahrer hatte falsch geparkt. Gezahlt wurde das Verwarnungsgeld nicht. Zwei Mal, im April und im Juni, schickte die Kommune der Kfz-Halterin einen so genannten Anhörungsbogen: Die Firma müsse den Namen des Falschparkers angeben, andernfalls werde man ihr die Kosten des Verfahrens auferlegen.

Auf die Schreiben reagierte die Firma nicht. Daraufhin erhielt sie von der Stadt einen Kostenbescheid, gegen den die Kfz-Halterin Klage erhob. Ihr Argument: So ein Kostenbescheid setze laut § 25a Straßenverkehrsgesetz voraus, dass die Verkehrsbehörde den Falschparker trotz "angemessenem Aufwand" nicht ermitteln konnte. Zur Täterermittlung gehöre auch eine Anhörung des Kfz-Halters, die jedoch nicht stattgefunden habe.

Der Einwand sei berechtigt und der Kostenbescheid rechtswidrig, entschied das Amtsgericht Straubing (9 OWi 441/21). Es sei unbillig, der Kfz-Halterin die Verfahrenskosten aufzubrummen, wenn sie keine Chance gehabt habe, den Verkehrssünder rechtzeitig zu benennen. Dass sie diese Möglichkeit nicht hatte, sei jedenfalls nicht auszuschließen, so das Amtsgericht.

Dass die Firma schon vor dem ersten Schreiben der Straßenverkehrsbehörde über die Verwarnung Bescheid wusste, stehe nicht fest. Der Fahrer könne den Strafzettel vergessen oder übersehen haben. Vielleicht habe er auch nicht gewusst, welchen Ansprechpartner in der Firma er informieren sollte. Unternehmensfahrzeuge würden in der Regel von mehreren Personen genutzt. In der Firma sei vielleicht nicht immer bekannt, wer damit unterwegs gewesen sei.

Außerdem habe die Behörde den Anhörungsbogen nicht rechtzeitig geschickt (= innerhalb von zwei Wochen nach der Verwarnung), sondern erst nach drei Wochen. Eventuell könne sich der/die Zuständige in der Firma nach so langer Zeit nicht mehr erinnern, wer gefahren sei. Alles in allem habe sich die Behörde hier bei der Täterermittlung nicht genug bemüht. Vorschnell habe man einen Kostenbescheid erlassen, anstatt die Kfz-Halterin anzuhören und auf Auskunft zu bestehen.

Gefängnisbesuch bei nichtehelicher Lebensgemeinschaft

Eine schematische Regelung nach dem Familienstand kann gegen das Elternrecht verstoßen

Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg sind Besuche bei Strafgefangenen grundsätzlich zuzulassen, soweit dies möglich ist, ohne die Ordnung in der Anstalt zu beeinträchtigen.

Anlass dieser Entscheidung war folgender Sachverhalt: Die Hausordnung eines Gefängnisses sah für verheiratete Gefangene eine monatliche Besuchszeit von vier Mal 45 Minuten vor. Alle anderen Gefangenen durften nur drei Mal 45 Minuten besucht werden. Der Antrag eines unverheirateten Gefangenen auf Bewilligung einer zusätzlichen Besuchseinheit im Monat wurde von der Anstaltsleitung abgelehnt.

Dieser Beschluss verstößt gegen das Grundgesetz, entschied das Oberlandesgericht Bamberg (Ws 632/94). Bei besonderen Fällen dürfe die Anstaltsleitung nicht schematisch vorgehen und sich nur am Familienstand als Kriterium orientieren. Im konkreten Fall lebe der Gefangene in nichtehelicher Lebensgemeinschaft und habe mit seiner Partnerin ein Kind. Auch für Strafgefangene gelte das grundgesetzlich garantierte Elternrecht.

Der Staat müsse die nachteiligen Wirkungen der Gefängnisstrafe auf die Familie möglichst begrenzen. Konkret bedeute das, dass die Anstaltsleitung die Beziehungen des Gefangenen zu seinem Kind fördern müsse. Es sei nicht ersichtlich, warum ein weiterer Besuch im Monat die Ordnung der Anstalt nennenswert beeinträchtigen könnte. Nur dann wäre die Ablehnung gerechtfertigt.

Masken-Attest "von der Stange"

Amtsgericht erspart einem Maskenverweigerer die Strafe für den Gebrauch eines "unrichtigen Gesundheitszeugnisses"

"Wer, um eine Behörde … über seinen … Gesundheitszustand zu täuschen", ein unrichtiges Gesundheitszeugnis benutzt, muss mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe rechnen (§ 279 Strafgesetzbuch). Da immer mehr gefälschte Impfpässe im Umlauf sind, dürfte dieser Straftatbestand vom Gesetzgeber wohl bald ergänzt und erweitert werden.

Im konkreten Fall ging es um ein Attest "vom Fließband", das einen Mann von der Maskenpflicht befreite. Ihm ersparte das Amtsgericht München eine Strafe.

Von Polizeibeamten am Ostbahnhof auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht, hatte der Angestellte erklärt, er könne keinen Mund-Nasen-Schutz tragen, weil er unter Hausausschlägen und Allergien leide, die zu Atemnot führten. Deswegen habe er bei einer Arztpraxis ein Attest per E-Mail bestellt …

Die Praxis warb auf ihrer Webseite damit, solche Atteste seien bei ihr für 17 Euro zu bekommen. Eine ärztliche Untersuchung sei dafür nicht erforderlich. Offenkundig stellte die Arztpraxis ohne jeden Patientenkontakt ca. 4.700 Atteste aus und verschickte sie mit der Post. Davon soll der Arzt selbst — trotz der Internetreklame? — nichts gewusst haben. Angeblich war da eine Assistentin ganz selbständig am Werk.

Das Amtsgericht München zeigte sich verständnisvoll: Der Angestellte habe nicht annehmen müssen, dass sich kein Arzt mit seinen Krankheitssymptomen befasst (824 Cs 234 Js 109736/21). Der vorsätzliche Gebrauch eines falschen Attests sei ihm daher nicht eindeutig nachzuweisen. Um ein selbst ausgefülltes "Blanko-Attest" handle es sich hier jedenfalls nicht: Immerhin habe der Mann der Arztpraxis per E-Mail seine Beschwerden geschildert und ein Attest mit geändertem Wortlaut erhalten.

Die Staatsanwaltschaft fand die Argumentation lebensfremd und legte gegen das Urteil Berufung ein.

Kinderspiel oder Lärmbelästigung?

Die Anwesenheit von Kindern beweist nicht, dass Ruhestörungen nur von ihnen ausgehen

Nachbarn hatten sich immer wieder bei der Vermieterin über die Wohngemeinschaft im Mietshaus beschwert. Sie schilderten, dass in der Wohnung ständig Remmidemmi herrsche: Türenschlagen, Schreien und Poltern, Herumrücken von Möbeln — und das manchmal sogar bis Mitternacht. Eine Mutter mit zwei Kindern und ein Paar lebten in der betreffenden Wohnung in Köln. Schließlich kündigte die Vermieterin der Wohngemeinschaft fristlos wegen permanenter Ruhestörung.

Ihre Räumungsklage scheiterte jedoch zunächst. Was genau in der Wohnung passiert sei, habe die Vermieterin nicht dargelegt, kritisierte das Landgericht Köln. Da aber Kinder in den Räumen wohnten, müsse man zu Gunsten der Mieter von der Annahme ausgehen, dass diese öfter spielten. Kinderlärm sei von den Nachbarn als unvermeidlich hinzunehmen. Die Vermieterin legte gegen das Urteil Revision ein.

Beim Bundesgerichtshof erreichte sie zumindest einen Teilerfolg (VIII ZR 134/20). Das Landgericht hätte nicht einfach von zu akzeptierendem Kinderlärm ausgehen dürfen, beanstandeten die Bundesrichter: Das stehe überhaupt nicht fest.

Die Vermieterin habe ihre Klage ausreichend begründet, indem sie den Lärm genau beschrieben habe (Zeitpunkte, Art, Intensität, Dauer und Häufigkeit). Diese Beschreibung habe sie mit einem detaillierten Lärmprotokoll untermauert, das über eine längere Zeit hinweg angefertigt worden sei.

Das müsse für ein Gericht Grund genug sein, die Nachbarn als Zeugen zu befragen. Die Klage abzuweisen, ohne dem nachzugehen, verletze den Anspruch der Vermieterin auf rechtliches Gehör. Konkreter als mit einer Beschreibung und einem Lärmprotokoll könne sie nicht darstellen, "was genau" in der Wohnung passiert sei — schließlich habe sie in die vermieteten Räume keinen Einblick. Die Vermieterin müsse in der Klagebegründung nicht die konkrete Person des Ruhestörers benennen. Das Landgericht müsse sich mit dem Rechtsstreit noch einmal befassen.

Sinnvolles 100 Jahre altes Gewohnheitsrecht?

Amtsrichter kann Rechtsanwalt zum Tragen der Robe zwingen

Die für Zivilstreitigkeiten zuständigen Richter des Amtsgerichts Braunschweig bestanden nach dem Bezug des neuen Gerichtsgebäudes darauf, dass Rechtsanwälte in Amtstracht zu erscheinen hätten. Dies ist ungewöhnlich, weil das Tragen der Robe sonst nur bei den höheren Gerichten - vom Landgericht aufwärts - obligatorisch ist.

Deswegen beantragten Rechtsanwälte, einen Amtsrichter wegen Befangenheit abzulehnen: Er hatte sie von einer Verhandlung ausgeschlossen, weil sie nicht in Robe erschienen waren. Mit dem Antrag hatten sie jedoch beim Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig keinen Erfolg (1 W 12/95). Seit 100 Jahren müssten Anwälte in Robe auftreten und das sei gut so, fand das OLG.

Dabei handle es sich um ein Gewohnheitsrecht, das nach wie vor seinen Sinn habe. Es sei eine alte Erkenntnis, dass die Klarheit der Form die Qualität der Arbeit fördere und den Umgang der Menschen erleichtern könne. Die Richter am Amtsgericht dürften auf der Amtstracht bestehen, auch wenn sie an Amtsgerichten sonst nicht üblich sei. Eine Ablehnung wegen Befangenheit komme nicht in Frage.