Rechtspflege

Handyklingeln im Gerichtssaal

Richterin verhängt wegen der Störung durch läutendes Mobiltelefon sofort Ordnungsgeld

Es ist ja wirklich nervtötend: im Kino, im Restaurant, eigentlich überall klingelt es. Wenigstens im Gerichtssaal wollte eine Richterin ihre Ruhe haben und griff durch. "Vor Betreten des Saals sind Handys abzuschalten! Bei Zuwiderhandlung droht Ordnungsgeld!" - so stand es schwarz auf weiß auf dem Aushang vor dem Gerichtssaal. Dennoch begann in einer Aktentasche ein Mobiltelefon zu läuten, als in einem Zivilprozess gerade die Sach- und Rechtslage erläutert wurde.

Die Richterin machte kurzen Prozess: Sie verhängte auf der Stelle gegen die Handy-Sünderin - die Beklagte in dem Verfahren - ein Ordnungsgeld von 100 Euro. Und das, ohne die Frau zu Wort kommen zu lassen. Beim Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg hatte die Ordnungsmaßnahme keinen Bestand (3 W 41/03).

Die bestrafte Handy-Besitzerin habe keine Gelegenheit bekommen, sich für die Störung zu entschuldigen, tadelte das OLG. Das Klingeln beruhe sicher auf einem Versehen, wie dies häufiger vorkomme. Es sei nicht einmal ganz klar, ob die Beklagte dafür überhaupt verantwortlich war. Niemand dürfe ohne Anhörung zu Ordnungsgeld verdonnert werden. Das gelte auch dann, wenn das Handyverbot per Aushang angekündigt worden sei. Nicht jeder Prozessbeteiligte nehme diese Mitteilungen zur Kenntnis.

Per Zeitungsannonce Unfallzeugen gesucht

Prozessgegner muss die Kosten unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen

Mehrere Passanten hatten den Zusammenstoß zweier Autos beobachtet. Die Unfallbeteiligten versäumten es aber, die Personalien der Unfallzeugen festzustellen. Als dann im Prozess um Schadenersatz der Kläger zwei Zeugen benannte, von denen der Beklagte glaubte, sie seien gar nicht am Unfallort gewesen, war guter Rat teuer. Er gab eine Zeitungsanzeige auf, um die richtigen Unfallzeugen zu finden. Obwohl sich keiner meldete, entschied das Gericht zu seinen Gunsten. Nun musste die Gegenpartei für die Reparatur seines Autos zahlen, die Zeitungsannonce wollte sie jedoch nicht finanzieren.

Der Beklagte sei in Beweisnot gewesen, erklärte das Landgericht Mönchengladbach (5 T 517/03). Die zwei Zeugen der Gegenpartei habe er verdächtigt, den Unfall gar nicht gesehen zu haben. Also habe er versucht, "echte" Zeugen aufzutreiben - im Glauben, anders habe er vor Gericht keine Chance, sich gegen die (seiner Meinung nach ungerechtfertigte) Forderung der Gegenpartei zu wehren. Die Kosten des Inserats (129 Euro) seien angesichts der Schadenersatzforderung des Klägers (2.733 Euro) durchaus angemessen gewesen und daher auch "erstattungsfähig".

Drogensüchtige Mutter im Knast ...

... kann für ihr Kind keinen Unterhalt zahlen

Eine drogensüchtige junge Frau dealte mit kleinen Mengen Drogen, um sich Geld für ihren eigenen Konsum zu beschaffen. Das brachte sie ins Gefängnis. Trotzdem forderte der Ex-Mann von ihr Unterhalt für das gemeinsame Kind.

Das Oberlandesgericht Koblenz ließ ihn abblitzen (13 WF 1049/03). Im Gefängnis könne die unterhaltspflichtige Mutter keiner normalen Erwerbstätigkeit nachgehen, über andere Einkünfte oder Vermögen verfüge sie nicht. Das geringe Arbeitsentgelt für die in der Haftanstalt gebotenen Beschäftigungen (140 Euro monatlich) sei Überbrückungsgeld für später: Es werde zum größten Teil angespart, um den Lebensunterhalt der Häftlinge in den ersten Wochen nach der Entlassung aus dem Gefängnis zu sichern. Über dieses Geld könne die Frau bis zur Entlassung nicht verfügen. Sie bekomme davon nur geringes Taschengeld für Körperpflege, Postgebühren etc.

Nur in einem (Ausnahme-)Fall dürfte sich die Mutter nicht darauf berufen, wegen der Haft zahlungsunfähig zu sein: wenn sie eine Straftat begangen hätte, um sich ihrer Unterhaltspflicht zu entziehen und/oder dem Kind direkt zu schaden. Die Verstöße der Frau gegen das Betäubungsmittelgesetz hätten mit dem Kind aber nichts zu tun.

Mietvertrag per Fax

Kündigung wegen "fehlender Schriftform" möglich?

Im Sommer 2001 mietete ein Geschäftsmann Ladenräume, der Mietvertrag war auf zwei Jahre befristet. Vermieter und Mieter trafen sich beim Vertragsschluss nicht. Jeder unterschrieb nur sein eigenes Exemplar des Mietvertrags und faxte es an den Vertragspartner. Die Einzelheiten des Vertrags hatten sie vorher telefonisch besprochen und dabei auch vereinbart, bei Gelegenheit das jeweils andere Vertragsexemplar zu unterzeichnen.

Schon Ende 2001 überlegte es sich der Mieter anders und kündigte (zum 30. Juni 2002). An die vereinbarte Laufzeit des Vertrags sei er nicht gebunden, meinte er. Denn der sei unwirksam, weil man sich nicht an die gesetzlich vorgeschriebene Form gehalten habe. Der Vermieter wies die Kündigung zurück und klagte weitere Miete ein. Beim Oberlandesgericht Düsseldorf bekam er Recht (10 U 102/03). Richtig sei, so räumten die Richter ein, dass mit dem Austausch von Faxschreiben die "Form nicht gewahrt" werde. Jede Vertragsurkunde müsse von allen Beteiligten unterschrieben sein.

Darauf könne der Mieter im konkreten Fall aber keine vorzeitige Kündigung stützen. Denn er habe am Telefon mit dem Vermieter ausgemacht, den Vertrag per Fax zu schließen und die wechselseitige Unterschrift später nachzuholen. Also dürfe er sich nicht nachträglich auf "Formmangel" berufen. Er müsse sich an die mündliche Abmachung halten und so behandeln lassen, als wäre ein wirksamer, bis Sommer 2003 befristeter Mietvertrag zu Stande gekommen.

Unterschriften-"Künstler"

Unterschrift in vielen Varianten: planmäßige Fälschung

Bei seinen Unterschriften bewies der Mann viel Fantasie. Bewusst gestaltete er sie auf höchst unterschiedliche Art und Weise - kein Krakel unter einem Vertrag glich dem anderen. Kam es dann darauf an, leugnete er die Echtheit der Unterschrift. Mit diesem Dreh hatte ein fintenreicher Geschäftsmann eine ganze Weile Erfolg - auch vor Gericht. Ein abgezockter Geschäftspartner scheiterte zunächst an dem Trick mit der Unterschrift, als er seine Forderungen einklagte.

Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil der Vorinstanz auf (XI ZR 380/00). Begründung: Wenn jemand seine Unterschriften bewusst so unterschiedlich gestalte, dass selbst ein Schriftsachverständiger nicht mehr zwischen echt oder gefälscht unterscheiden könne, wolle der seinen Kontrahenten bei Rechtsstreitigkeiten die Beweisführung unmöglich machen (juristisch: "Beweisvereitelung"). Oft schon habe man dem unseriösen Geschäftemacher Urkundenfälschung vorgeworfen, ohne ihm das Handwerk legen zu können. Wer Unterschriften so vielfältig leiste, dass er jederzeit behaupten könne, sie seien unecht, sei ein planmäßig vorgehender Fälscher und Betrüger.

Die Vorinstanz müsse in der Sache erneut entscheiden und diesen Umstand zu Gunsten des unterlegenen Klägers berücksichtigen.

Laster war zu hoch

Höhenleiteinrichtung beschädigt - zum Beweiswert von Zeugenaussagen

Ein Lkw-Fahrer hatte nicht aufgepasst: Weil der Aufbau seines Fahrzeugs für eine Durchfahrt zu hoch war, beschädigte er eine Höhenleiteinrichtung. Hinter ihm fahrende Personen beobachteten von weitem, wie der Laster nach einem lauten Knall anhielt. Dennoch suchte der Fahrer das Weite, nachdem er Teile eines zerbrochenen Verkehrszeichens von der Fahrbahn geräumt hatte, und meldete den Unfall nicht. Zwei Wochen später machte ihn die Polizei ausfindig, die wegen Unfallflucht ermittelte. Später forderte die Kommune vom Arbeitgeber des Fahrers - als Halter des Fahrzeugs - Schadenersatz.

Der Brummi-Fahrer stritt alles ab und bezichtigte den Hauptzeugen, einen anderen Lkw-Fahrer, der Lüge: Er sei weit hinter ihm gewesen und könne überhaupt nichts gesehen haben. Doch beim Oberlandesgericht (OLG) Celle halfen keine Ausflüchte (14 U 112/03). Im Prinzip seien Aussagen von Zeugen, die erst durch einen "Knall" auf einen (bereits geschehenen) Unfall aufmerksam würden, mit Vorsicht zu genießen, räumte das OLG ein. Denn diese könnten nur aus der Situation nach dem Unfall Rückschlüsse auf den Unfallhergang ziehen. Der Beweiswert solcher Zeugenaussagen sei daher beschränkt.

Doch hier liege der Fall anders. Der nachfolgende Fahrer habe das Aufprallgeräusch gehört und gesehen, wie sich unmittelbar danach die Höheneinrichtung "richtig schön weggedreht" habe und "auf die Seite gefallen" sei. Es gebe keinen Zweifel an der Aussage dieses Zeugen, der den Parteien völlig unbeteiligt gegenüberstehe. Dass der verdächtigte Lkw-Fahrer die Bruchstücke des Verkehrszeichens von der Straße geräumt habe, beweise im Übrigen zur Genüge, dass er den Unfall verursacht und bemerkt habe. Der Halter des Fahrzeugs müsse daher für den Schaden geradestehen.

Arbeitsunfähigkeit simuliert

Anwalt beantragt Krankentagegeld - und arbeitet gleichzeitig in der Kanzlei

Der Bandscheibenvorfall im März 2002 war natürlich nicht simuliert. Doch danach versuchte ein Rechtsanwalt, mit immer neuen Attesten die Zeit der Arbeitsunfähigkeit so lange hinauszuzögern wie nur irgend möglich, um Leistungen von seiner Krankentagegeldversicherung zu kassieren. Im Juni schickte ihn der Versicherer schließlich zu einem seiner Vertragsärzte. Der teilte nach gründlicher Untersuchung mit, der Versicherungsnehmer sei keineswegs völlig arbeitsunfähig. Vergeblich forderte daraufhin der Versicherer vom Rechtsanwalt, diese Aussage mit einem Gegengutachten zu entkräften.

Danach zahlte das Unternehmen kein Krankentagegeld mehr und beauftragte einen Detektiv, dem Versicherungsnehmer auf den Zahn zu fühlen. Er meldete sich in der Kanzlei an und wurde dort vom Anwalt juristisch beraten. Mehrfach rief der Detektiv (als vorgeblicher Mandant) dort an, jedes Mal war der Rechtsanwalt anwesend. Als die Versicherung davon erfuhr, kündigte sie den Vertrag fristlos. Die Klage des Anwalts gegen die Kündigung blieb ohne Erfolg.

Wer dem Versicherer Arbeitsunfähigkeit melde und gleichzeitig seinen Beruf ausübe, wolle sich unrechtmäßig Versicherungsleistungen erschleichen, erklärte das Landgericht Karlsruhe (9 S 63/03). Die Detektei habe mehrere Stichproben gemacht und einmal auf telefonische Nachfrage in der Kanzlei sogar die Auskunft erhalten, dass der Anwalt auf Grund seines vollen Terminkalenders in der fraglichen Woche keine weiteren Termine wahrnehmen könne. Also sei der Versicherungsnehmer nicht etwa "zufällig mal" in der Kanzlei gewesen. Vielmehr sei er seiner beruflichen Tätigkeit im normalen Umfang nachgegangen. Angesichts einer solchen Vertragsverletzung sei eine fristlose Kündigung gerechtfertigt.

Prozesskostenhilfe abgelehnt

"Sie könnten doch ohne Weiteres arbeiten gehen ..."

Ein Mann beantragte bei Gericht Prozesskostenhilfe, um einen Rechtsstreit auszufechten. Dies wurde mit origineller Begründung abgelehnt: Es sei nicht einzusehen, warum der Antragsteller diese Kosten nicht selbst aufbringen könne. Er sei jung und arbeitsfähig - er könne also ohne Weiteres Geld verdienen. Dass er eine Meldeaufforderung des Arbeitsamts ignoriert habe, deute auf Arbeitsunwilligkeit.

Beim Landgericht Düsseldorf hatte der Arbeitslose mit seiner Beschwerde gegen diesen Bescheid Erfolg (22 T 45/03). Er wurde aufgehoben. Es sei nicht festzustellen, so das Landgericht, dass sich der Antragsteller gezielt arbeitslos gemacht habe, um Prozesskostenhilfe zu erschleichen. Die Behauptung, der Mann könnte unschwer eine zumutbare Arbeit finden, wenn er nur wollte, sei angesichts der Lage auf dem Arbeitsmarkt abwegig. Arbeitsunwilligkeit könne man auch mit der Meldeaufforderung nicht belegen: Mit solchen Schreiben würden Arbeitslose auch zu ärztlichen oder psychologischen Untersuchungen, zur Berufsberatung oder zu anderen Zwecken ins Arbeitsamt bestellt. Daher dürfe man dem Mann die Prozesskostenhilfe nicht verweigern.

Mieter im Urlaub

Wann gilt unter diesen Umständen ein Kündigungsschreiben als "zugestellt"?

Ein Mieter gewerblicher Räume war mit seiner Ehefrau verreist. Zu Hause wartete unangenehme Post auf ihn: Die Vermieterin hatte das Mietverhältnis per Telefax gekündigt und am Tag drauf das Original des Schreibens in seinen Briefkasten geworfen. Der Mieter berief sich später darauf, ihm sei bisher nicht vertragsgemäß (per eingeschriebenem Brief) gekündigt worden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Räumungsklage der Vermieterin zu beurteilen (XII ZR 214/00). Einschreibebriefe stellten sicher, dass der Vertragspartner die Kündigung bekomme. Wie er sie erhalte, sei jedoch zweitrangig, betonte der BGH. Wenn das Schreiben schon im Briefkasten liege, sei es gleichgültig, dass es nicht als eingeschriebener Brief geschickt wurde. Auch die Sendung eines Faxschreibens sei zulässig.

Eine Willenserklärung gelte als "dem Empfänger zugegangen", sobald er die Möglichkeit habe, ihren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Dass der Mieter abwesend war, als das Fax bei ihm ausgedruckt wurde und das Originalschreiben in seinem Briefkasten landete, spiele keine Rolle: Wer krankheitsbedingt abwesend sei oder Urlaub mache, müsse dafür sorgen, dass wichtige Post trotzdem bei ihm ankomme. Wenn ein Urlauber von einer Kündigung zu spät erfahre, gehe das zu seinen Lasten. Daher sei die Kündigung des Mietvertrags wirksam: Sie sei dem Gewerbemieter zugegangen, auch wenn er in der Ferne weilte.

Streit um "Nebenjob"

Versicherungsangestellte will gleichzeitig als Rechtsanwältin arbeiten

Eine Volljuristin arbeitete jahrelang - als Kundenbetreuerin in der Abteilung Haftpflichtschäden - für eine Versicherungsgesellschaft. Ihre Arbeitgeberin genehmigte ihr, nebenberuflich als Rechtsanwältin tätig zu werden. Dabei behielt sich die Versicherungsgesellschaft aber vor, die Erlaubnis zurückzuziehen, sollte sich die Nebentätigkeit nachteilig auf die Arbeitsleistung auswirken.

Als die Versicherungsangestellte ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragte, gab es Schwierigkeiten. Denn die Rechtsanwaltskammer verlangte die Vorlage einer "Freistellungserklärung": Wenn die anwaltliche Tätigkeit dies erfordere, müsste die Rechtsanwältin in spe jederzeit ihre Arbeitsstelle bei der Versicherung verlassen können, meinte die Anwaltskammer. Als die Versicherungsangestellte mit diesem Anliegen bei ihrer Arbeitgeberin vorsprach, bekam sie eine Abfuhr.

Zu Recht, entschied das Landesarbeitsgericht Hessen auf Klage der Juristin (13/12 Sa 1476/02). Zwar seien Nebentätigkeiten grundsätzlich zulässig. Denn der Arbeitnehmer müsse dem Arbeitgeber während der Arbeitszeit seine Dienste leisten, aber nicht seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Was er mit der übrigen Zeit anfange, stehe ihm frei.

Nebentätigkeiten dürften Arbeitnehmer jedoch nicht von der Arbeit abhalten. Deshalb fänden sie üblicherweise vor oder nach der Haupttätigkeit statt. Im vorliegenden Fall verlange die Angestellte eine Vertragsänderung, die ihre Haupttätigkeit zum Nebenjob degradieren würde. Denn die Juristin müsste für die Versicherung nur noch arbeiten, sofern dies ihre anwaltlichen Pflichten nicht störe. Und ihre Arbeitgeberin hätte in Sachen Arbeitszeit und Arbeitsumfang nichts mehr zu sagen. Das gehe zu weit.

Blinder kämpft um Schöffenamt

Im Strafprozess muss sich der Schöffe "ein Bild machen"

Nach mehrjähriger ehrenamtlicher Richtertätigkeit am Verwaltungs- und Sozialgericht wurde ein blinder Mann zum Hilfsschöffen am Landgericht gewählt. Als das Gericht von seiner Behinderung erfuhr, strich es ihn jedoch wieder von der Schöffenliste. Er sei leider für Strafverfahren ungeeignet, teilte ihm das Gericht mit, weil er die Vorgänge in der Hauptverhandlung nicht sehen könne. Vergeblich legte der Blinde Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung ein und rügte, er werde als Behinderter benachteiligt.

Das Bundesverfassungsgericht billigte den ablehnenden Bescheid des Landgerichts (2 BvR 577/01). Die Entscheidung sei sachlich begründet und notwendig, verletze daher seine Grundrechte nicht. Denn die Behinderung des Laienrichters mache ihn für Strafverfahren tatsächlich ungeeignet. Ein Schöffe müsse sich im Strafverfahren einen optischen Eindruck von den Verfahrensbeteiligten machen, von ihrer Mimik und Gestik, von ihren Reaktionen aufeinander und auf Fragen usw. usw. Diese Fähigkeit sei durch technische Hilfsmittel nicht auszugleichen. Wenn die Kollegen dem blinden Schöffen ihre Eindrücke mitteilten, wären diese schon nicht mehr unmittelbar. Daher müsse sich die Tätigkeit des blinden Laienrichters auf andere Gerichtszweige beschränken.

Mit der Staatsanwältin auf Du

Richter lehnt sich selbst als befangen ab ...

Wenn eine Partei vor Gericht begründete Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters hat, kann sie ihn wegen Befangenheit ablehnen. Das ist gang und gäbe. Äußerst selten dagegen dieser Fall: Ein Richter lehnte sich selbst als befangen ab. Begründung: Er sei mit der Staatsanwältin im betreffenden Rechtsstreit zu gut befreundet.

Das Landgericht Leipzig billigte seine Entscheidung (15 O 1999/04). Allerdings komme es hier nicht darauf an, wie sich der Richter selbst einschätze. Wesentlich sei, ob bei den Parteien des Rechtsstreits wegen seiner persönlichen Beziehung zur Staatsanwältin Zweifel daran aufkommen könnten, dass er den Streit unvoreingenommen beurteilen werde.

Solche Sorgen seien im konkreten Fall durchaus nicht abwegig. Denn Richter und Staatsanwältin seien seit vielen Jahren eng befreundet. Es handle sich nicht um gelegentliche private Kontakte - also das übliche kollegiale Verhältnis -, sondern um eine besonders enge Duz-Freundschaft. Dieser Umstand könnte Zweifel an der Objektivität des Richters auslösen.

Spanier landet drei Monate in Abschiebehaft

Abschiebehaft ist nur kurzfristig zulässig, um die Abschiebung zu sichern

Immer wieder war der Spanier - zwar in Deutschland geboren, aber mit spanischem Pass - ausgewiesen worden, seit 1997 15 Mal. Jedes Mal war er kurz darauf wieder eingereist. Zuletzt ordnete das Amtsgericht im Februar 2005 Abschiebehaft an.

Diesmal wollten die Behörden wohl "Nägel mit Köpfen" machen: Die Ausländerbehörde wandte sich an das spanische Generalkonsulat, um für den Mann eine Anlaufstelle bei seinem in Spanien lebenden Vater zu organisieren - damit er nicht gleich wieder illegal einreiste.

Das dauerte volle drei Monate, während der Mann in Abschiebehaft saß. Darüber beschwerte er sich: Abschiebehaft diene nur dazu, jemanden vor der Abschiebung am Weglaufen zu hindern. Man dürfe ihn nicht unbegrenzt gefangen halten. So sah es auch das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 2106/05).

Man habe die Freiheit des Mannes in rechtswidriger Weise eingeschränkt. Abschiebehaft sei dazu da, die Abschiebung zu sichern. Alle anderen Motive fänden im Aufenthaltsgesetz keine Stütze, auch nicht das Motiv, weitere illegale Einreisen zu verhindern. Freizeitsentzug müsse zu jedem Zeitpunkt von einer gesetzlichen Ermächtigung gedeckt sein.

Rüffel für bayerische Justizbehörden

Sie verzögerten ein psychiatrisches Gutachten: Untersuchungshäftling ist freizulassen

Dass bei dem Verhafteten etwas nicht stimmte, war schon nach der ersten Vernehmung klar. Im Sommer 2006 hatte er vor der Wohnungstüre einer ihm bekannten Familie einen Kanister Benzin ausgegossen und angezündet, angeblich, um einen gegen ihn verhängten "Vodoo-Zauber" zu entkräften. Die Anklage lautete auf schwere Brandstiftung und versuchten Mord.

Trotz der offenkundigen Wahnvorstellungen des Attentäters zögerten die Beamten, einen Sachverständigen einzuschalten, um seine Schuldfähigkeit zu prüfen. Man wolle erst einmal fertig ermitteln, hieß es bei der Kriminalpolizei. Das Oberlandesgericht verlängerte im Januar und Mai 2007 die Untersuchungshaft. Erst im März wurde ein Psychiater mit einem Gutachten beauftragt, das aber noch nicht fertig war, als im Mai 2007 die Anklageschrift vorgelegt wurde. Der Anwalt des Inhaftierten erhob Verfassungsbeschwerde: "Sechs Monate U-Haft müssten genügen".

So sah es auch das Bundesverfassungsgericht: Die bayerischen Gerichte und Justizbehörden seien für die unglaubliche Verzögerung (über fünf Monate!) verantwortlich (2 BvR 971/07). Man müsse den Haftbefehl unverzüglich aufheben und den Mann aus der U-Haft entlassen. Wenn schon bei der ersten Vernehmung nicht zu übersehen sei, dass ein psychologisches Gutachten nötig werde, müsse man es sofort in Auftrag geben. Da brauche es keine weiteren Indizien durch kriminaltechnische Ermittlungen. Hätte man den Psychiater sofort beauftragt, hätte man die Ermittlungen bereits im November 2006 abschließen und die Anklageschrift erstellen können.

Verkehrssünder kommt mit "blauem Auge" davon

Zwei Ordnungswidrigkeiten auf derselben Fahrt dürfen nur in einem Verfahren geahndet werden!

Der Polizeistreife fiel abends ein Autofahrer auf, der verbotenerweise am Steuer ein Mobiltelefon benutzte. Die Beamten hielten den Mann an und nahmen seine Personalien auf. Dabei bemerkten sie, dass der Verkehrssünder Alkohol getrunken hatte. Er musste "ins Röhrchen blasen" - die Atemalkoholkonzentration lag bei 0,47 mg/l. Der (bereits einschlägig vorbestrafte) Autofahrer wurde vom Amtsgericht wegen Trunkenheit im Verkehr zu einem Fahrverbot von drei Monaten und einer Geldbuße von 500 Euro verdonnert.

Sein Protest - man habe ihn doch bereits rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 40 Euro verurteilt, weil er telefoniert habe - verhallte beim Amtsgericht ungehört. Doch das Oberlandesgericht Saarbrücken entschied, dieselbe Tat dürfe nicht doppelt als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden (Ss (B) 2/2006 (3/06)). Das zweite Urteil sei daher aufzuheben.

Die zuständige Verwaltungsbehörde habe nicht gründlich genug geprüft, welche Bußgeldvergehen sich der Mann geleistet habe. Deshalb seien sach- und rechtswidrig zwei Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen ihn eingeleitet worden - anstatt einen beide Ordnungswidrigkeiten zusammenfassenden Bußgeldbescheid zu erlassen. Der Autofahrer habe jedoch beide Verkehrsverstöße zeitgleich (als "Tateinheit") begangen. Dieselbe Tat dürfe nicht mehrfach sanktioniert werden ("Doppelverfolgung").

Keine Ferien mit dem Vater?

Geht es um eine Umgangsregelung, ist ein dreijähriges Kind vom Gericht persönlich anzuhören

Nach der Trennung eines unverheirateten Paares zog der Mann in die Schweiz. Der Kontakt mit dem dreijährigen Kind des Paares gestaltete sich daher sehr schwierig, denn der Junge blieb bei der Mutter - 550 km vom Wohnort des Vaters entfernt. Am Wohnort der Mutter mietete der Vater sogar eine kleine Wohnung, um dort mit dem Kind am Wochenende zusammen zu sein.

Mit der vom Amtsgericht getroffenen Umgangsregelung war der Vater ganz und gar nicht einverstanden. Denn danach sollten gemeinsame Ferien und Übernachtungen beim Vater bis zur Einschulung des Kindes ausgeschlossen sein. Dazu sei der Junge noch zu klein, hieß es. So sah es auch das Oberlandesgericht (OLG): Wahrscheinlich wäre das Kind damit überfordert.

Erst beim Bundesverfassungsgericht fand der Vater Verständnis für sein Anliegen (1 BvR 156/07). Seine Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen der unteren Instanzen sei berechtigt, so das oberste Gericht, denn sie schränkten das Elternrecht des Vaters unzulässig ein. Angesichts der Entfernung der Wohnorte erschwere man dem Vater den Kontakt in unverhältnismäßiger Weise, wenn man gemeinsame Ferien mit dem Kind und Übernachtungen des Kindes bei ihm ausschließe.

An jedem (Umgangs-)Wochenende müsse der Vater eine weite Fahrt in Kauf nehmen; dieser ungeheure Aufwand spreche doch umgekehrt sehr für eine Ferienregelung. Dürfte er das Kind während des Urlaubs in die Schweiz mitnehmen, würde dies die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes zum Vater festigen und außerdem die familiäre Situation entspannen.

Dass dies den Jungen überfordern würde, habe das OLG einfach mal so "vermutet" - ohne das Kind persönlich anzuhören. So gehe es nicht. Um eine Entscheidung im Interesse des Kindes zu treffen, müsse man auch bei einem erst dreijährigen Kind dessen Willen ermitteln; so gut das bei einem Kleinkind eben möglich sei. Die Richter müssten sich einen unmittelbaren Eindruck von ihm verschaffen; eventuell auch ein Sachverständigengutachten einholen.

Mit Prozesskostenhilfe Geld vom Ehemann erstritten

Damit muss die Ehefrau nun vorrangig die Prozesskosten bezahlen ...

Die mittellose Ehefrau hatte während des Scheidungsverfahrens Prozesskostenhilfe (PKH) für den Streit um Unterhalt und Zugewinnausgleich beantragt. Die PKH wurde bewilligt, war allerdings in Raten von 30 Euro monatlich abzustottern. Nachdem das Familiengericht der Frau einen Anspruch auf Zugewinnausgleich in Höhe von rund 40.000 Euro zugesprochen hatte, verlangte es von der Frau, die Gerichtskosten statt in Raten sofort zu begleichen.

Unmöglich, wandte die Frau ein, sie habe das Geld auf der Stelle in eine Eigentumswohnung gesteckt. Doch der Bundesgerichtshof entschied, sie müsse das erlangte Vermögen vorrangig für die Prozesskosten einsetzen (XII ZA 11/07). Der Kauf einer Wohnung ändere daran nichts. Bis zum Ablauf von vier Jahren nach Abschluss eines Gerichtsverfahrens müsse der Empfänger von PKH damit rechnen, dass die Erstattung der Gerichtskosten angeordnet werde.

Diesem staatlichen Anspruch könne sich die Frau nicht dadurch entziehen, dass sie das Geld für etwas anderes ausgebe. Unberücksichtigt bleibe nur Vermögen, dessen Verwertung der bedürftigen Prozesspartei (gemäß den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs) nicht zugemutet werden könne. Das würde zum Beispiel für ein bereits vorhandenes Hausgrundstück gelten, das vom PKH-Empfänger allein oder zusammen mit Angehörigen bewohnt werde.

Scheinehe eingegangen ...

... und Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren beantragt

Eine deutsche Frau heiratete 2003 einen türkischen Staatsangehörigen, um ihm den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu ermöglichen. Sie ging also nur zum Schein eine Ehe ein (das nennt man Scheinehe). Dieser Verstoß gegen das Ausländergesetz ("Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt") brachte ihr ein Strafverfahren ein. Später wollte sich die Frau scheiden lassen und beantragte Prozesskostenhilfe für das Scheidungsverfahren.

Das Oberlandesgericht Rostock winkte ab (11 WF 59/07). Angeblich habe die Frau während der Ehe vom Einkommen des Ehemannes gelebt und ansonsten für die Heirat kein Entgelt erhalten. Damit sei aber nicht hinreichend belegt, dass sie außerstande gewesen sei, für einen Scheidungsprozess Rücklagen zu bilden. Wer rechtswidrig eine Scheinehe eingehe, müsse auch wissen, dass die Aufhebung der Ehe mit Kosten verbunden sei.

Prozesskostenhilfe sei dafür da, mittellose Personen zu unterstützen, die unerwartet in die Situation gerieten, ihr Recht verfolgen oder verteidigen zu müssen. Für unvorhersehbare Fälle könne man nicht vorsorgen. Dagegen sei der Scheidungsprozess für die Antragstellerin keineswegs unerwartet gekommen, im Gegenteil: Die Frau habe sich zielstrebig selbst in die Lage gebracht, einen Prozess führen zu müssen. Sie müsse daher den rechtsmissbräuchlich erworbenen Status der Ehe auf eigene Kosten und nicht auf Kosten der Allgemeinheit wieder loswerden.

Finanzgericht lädt Steuerberater als Zeugen

200 Euro Ordnungsgeld für Nichterscheinen vor Gericht

Bei einem Finanzstrafverfahren sollte ein Steuerberater als Zeuge aussagen. Der Steuerberater teilte dem Finanzgericht mit, er könne wegen anderer Verpflichtungen nicht kommen. Der Verhandlungstermin wurde jedoch aufrechterhalten - und der Steuerberater glänzte durch Abwesenheit. Das Gericht brummte ihm dafür 200 Euro Ordnungsgeld auf.

Dagegen legte der Mann Beschwerde ein und behauptete, er sei "ohnehin wegen einer Krankheit nicht reisefähig" gewesen. Damit kam er beim Bundesfinanzhof allerdings nicht durch (I B 55/07). Entschuldigungsgründe, die nicht im Vorfeld des Termins, sondern nachträglich vorgetragen werden, müssten unberücksichtigt bleiben, so die Finanzrichter.

Auch die Höhe der Geldstrafe gehe in Ordnung. Die Pflicht, als Zeuge auszusagen, gehe anderen privaten oder beruflichen Pflichten vor. Ein Steuerberater müsse in besonderem Maße seine Verpflichtungen in Finanzverfahren erfüllen.

Vater brachte Kind zu spät zur Mutter zurück

Amtsgericht droht dem Umgangsberechtigten Zwangsgeld an ...

Schon als das Amtsgericht die Umgangsregelung festlegte, hatte der Mitarbeiter des Jugendamts gewarnt: Die geschiedenen Eltern hätten sich derart zerstritten, dass kaum noch ein vernünftiges Gespräch möglich sei. Die Treffen zwischen Vater und Kind und die Rückgabe des Kindes danach würden sich voraussichtlich schwierig gestalten. Der Amtsrichter mahnte den Vater eigens, das Kind pünktlich zurückzubringen.

Nachdem der Vater das Kind zweimal zu spät "abgeliefert" hatte, beantragte die Mutter, ihn mit Zwangsgeld zu bestrafen. Er könne nichts dafür, konterte der Vater. Das Kind weigere sich jedes Mal hartnäckig, zur Mutter zurückzukehren. Nur deswegen sei er unpünktlich gewesen. Der Amtsrichter glaubte kein Wort und drohte dem Vater ein Zwangsgeld (bis zur Höhe von 25.000 Euro!) an, für den Fall, dass er sich künftig noch einmal einen "Fehltritt" erlauben sollte. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe hob diesen Beschluss auf und verwies die Sache zurück (20 WF 5/07).

Der Amtsrichter habe das Zwangsgeld angedroht, ohne zuvor Eltern und Kind anzuhören, kritisierte das OLG. Vor allem müsse geklärt werden, warum sich das Kind weigere, pünktlich zur Mutter zurückzukehren. Zwar müssten sich alle Beteiligten an die vom Gericht getroffene Umgangsregelung halten. Aber bei deren Durchsetzung sei vor allem auf das Interesse des Kindes Rücksicht zu nehmen. Wenn eine Umgangsregelung auch abzuändern wäre, komme es nicht in Frage, sie mit Zwang durchzusetzen.