Recht kurios

"Die zwei Fratzen da drüben"

Diese Beleidigung der Gegenpartei in einer Gerichtsverhandlung kostet 200 Euro

Wer vor Gericht seine gute Kinderstube vergisst und sich daneben benimmt — im juristischen Fachjargon "Ungebühr" genannt —, dem droht ein "Ordnungsmittel", meist in Form einer Geldstrafe. 200 Euro kostete eine Beleidigung vor dem Amtsgericht Heidelberg: In dem Prozess ging es um eine Mietstreitigkeit (26 C 352/15).

Laut und ungestüm hatte sich der Kläger an den Richter gewandt und verkündet: "Ich möchte dem da drüben jetzt etwas an die Krawatte sagen". "Der da drüben" war sein Kontrahent. Als der Kläger wegen seiner Lautstärke vom Richter ermahnt und von seinem Anwalt gebeten wurde, "ruhig zu bleiben", bemerkte er leiser, aber keineswegs sachlicher: "Wenn ich die zwei Fratzen da drüben sehen muss …".

Vom Richter wegen dieser Ausdrucksweise zurechtgewiesen, wischte der Mann die Einwände vom Tisch: Immerhin dürfe man laut Presseberichten ja heutzutage auch zum türkischen Präsidenten "Arschloch" sagen. Der Richter sah das anders und verhängte gegen den Kläger 200 Euro Ordnungsgeld. So ein Verhalten störe den Ablauf des Verfahrens. Das gelte auch dann, wenn sich jemand nicht über das Gericht abschätzig äußere, sondern über die Gegenpartei oder andere Beteiligte.

Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe wies den Einspruch des Wüterichs ab: Der Amtsrichter habe ihm zu Recht eine Geldstrafe aufgebrummt (11 W 75/16). Grobe verbale Ausfälle und gezielte Provokationen störten die Sachlichkeit einer Gerichtsverhandlung. Eine "Fratze" sei laut Lexikon ein "abstoßend hässliches, deformiertes Gesicht", stellte das OLG fest. Wer die Gegenpartei so bezeichne, wolle diese absichtlich beleidigen.

Das sei keine drastische Äußerung, die dazu diene, die eigene Rechtsposition zu unterstreichen, sondern persönliche Diffamierung der Gegenpartei. Das zeige auch der anschließende Vergleich, dass man den türkischen Präsidenten "Arschloch" nennen dürfe. Auch das belege, dass der Kläger die Gegenpartei beleidigen wollte, in der festen Überzeugung, dazu berechtigt zu sein.

Die Ausrede, der Satz mit den "Fratzen" sei eigentlich nur als vertrauliche Mitteilung für den Anwalt gedacht und nicht für fremde Ohren bestimmt gewesen — also auch nicht absichtlich ehrverletzend —, ließ das OLG nicht gelten. Schließlich habe der Mann ja explizit angekündigt, "dem da drüben jetzt etwas an die Krawatte sagen" zu wollen.

Renn-Quad contra Lamborghini

Autoverkäufer wegen nächtlicher Verfolgungsjagd ohne Fahrerlaubnis fristlos entlassen

Ein auf Luxussportwagen spezialisiertes Autohaus entließ im März 2016 einen Autoverkäufer. Dagegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage. Vor dem Arbeitsgericht begründete der Arbeitgeber die fristlose Kündigung so:

In der Nacht vom 17. auf den 18. März sei der Angestellte von der Polizei aufgegriffen worden. Ohne gültigen Führerschein und angetrunken habe er sich an einem illegalen Autorennen durch die Innenstadt von Düsseldorf beteiligt.

Dabei sei der Mann mit einem (in Deutschland nicht zugelassenen) Renn-Quad gegen seinen eigenen Lamborghini angetreten, den eine andere Person gelenkt habe. Beide Fahrer hätten mit weit überhöhter Geschwindigkeit mehrere rote Ampeln missachtet. Bereits 2014 habe der Autoverkäufer mit einem Sportwagen betrunken einen Verkehrsunfall mit Totalschaden verursacht. Danach habe er seinen Führerschein abgeben müssen und sei abgemahnt worden. Nun sei es für den Arbeitgeber nicht länger zumutbar, den Mann zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht überraschte der Autoverkäufer mit einer spannenden Räubergeschichte: Mit seiner Lebensgefährtin habe er nach einer Party den Lamborghini aus einer Halle abgeholt. Sie habe den Wagen aus der Halle gefahren und den Motor im Standgas laufen lassen. Dann hätten sie beide noch die Toilette aufgesucht. Plötzlich habe der Motor des Lamborghini laut aufgeheult. Da habe offenbar jemand das Auto stehlen wollen. Völlig geschockt sei er in das Quad gesprungen, das da "so herumstand", und habe den Dieb verfolgt.

Von dieser Räuberpistole unbeeindruckt erklärte das Arbeitsgericht Düsseldorf die Kündigung für wirksam (15 Ca 1769/16). Selbst wenn die nicht ganz glaubwürdige Behauptung zutreffen sollte, ein unbekannter Dritter habe seinen Lamborghini stehlen wollen, rechtfertige dieser Umstand keine Verfolgungsjagd, bei der der Kfz-Halter betrunken mehrfach gegen die Straßenverkehrsordnung verstoße. Dieses krasse Fehlverhalten habe sich zwar in der Freizeit abgespielt und nicht im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit. Dennoch sei es ein gewichtiger Grund für eine Kündigung.

Das Vertrauen des Arbeitgebers in den Angestellten sei verständlicherweise schwer erschüttert: So ein Verhalten untergrabe das Ansehen des Autohauses. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass dem Autoverkäufer wegen eines ähnlichen Fehltritts im Straßenverkehr der Führerschein entzogen wurde und der Arbeitgeber ihn aus diesem Grund bereits abgemahnt habe. Jetzt habe der Mann "noch einen draufgesetzt" und den Fehltritt ohne Führerschein wiederholt.

Irreführender Wegweiser zum Gerichtssaal

Revision gegen ein Strafurteil mit falsch angegebener Nummer eines Sitzungssaals begründet

Das Landgericht Weiden hatte einen Geschäftsmann wegen Betrugs verurteilt. Sein Anwalt legte gegen das Urteil Revision ein und rügte Verfahrensfehler: Das Prinzip, dass Gerichtsverhandlungen öffentlich stattfinden müssten, sei verletzt worden. Von der Hauptverhandlung in Rosenheim habe man die Öffentlichkeit faktisch ausgeschlossen.

Die originelle Begründung: Gewöhnlich sei in Weiden verhandelt worden. Dann habe ein Aushang im Landgericht Weiden den Sitzungssaal 112 im Amtsgericht Rosenheim als nächsten Verhandlungsort angegeben. Die Verhandlung habe jedoch nicht dort, sondern im Sitzungssaal 021 im Anbau des Rosenheimer Amtsgerichts stattgefunden.

Das begründe nicht den Vorwurf, dass die Öffentlichkeit am Prozess nicht teilnehmen konnte, erklärte der Bundesgerichtshof und verwarf die Revision (1 StR 579/15). Alle Verfahrensbeteiligten hätten den richtigen Sitzungssaal ohne Probleme gefunden. Wegen der falschen Nummer auf dem Aushang hätten die Beteiligten und ein paar Zuschauer vielleicht zuerst im falschen Saal gesucht.

Wieso dieser Fehler aber den Verfahrensgrundsatz der öffentlichen Verhandlung beeinträchtigt haben könnte, sei nicht ersichtlich. Bei einem kleinen, überschaubaren Gerichtsgebäude liege das eher fern. Die Begründung der Revision enthalte dazu auch keine fundierten Ausführungen.

Dem Finanzamt Lottogewinn verheimlicht

Insolvente Steuerschuldner beantragen Steuererlass und verschweigen einen Millionengewinn

Gegen ein älteres Ehepaar, das einen kleinen Gewerbebetrieb geführt hatte, war 2011 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Allein dem Finanzamt schuldete es rund 45.000 Euro. Im dritten Jahr der so genannten "Wohlverhaltensphase" (siehe P.S.) wandten sich die Eheleute ans Finanzamt und beantragten wegen ihrer geringen Altersrente Steuererlass.

Das Insolvenzverfahren belaste sie wirtschaftlich und gesundheitlich schwer, so die Schuldner. Deshalb hätten sich ihre Kinder bereitgefunden, 40.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Der Betrag könne gemäß der Konkursquote auf die Gläubiger aufgeteilt werden. Das Finanzamt würde dabei 6.000 Euro abbekommen und solle dann bitte die Steuerforderungen für erledigt erklären.

Die Finanzbehörde nahm das Angebot an und erließ dem Ehepaar die restlichen Steuerschulden. Dann erfuhr sie allerdings, dass das Ehepaar kurz vorher ein Haus gekauft hatte: Es hatte im Juli 2014 eine Million Euro im Lotto gewonnen. Daraufhin nahm das Finanzamt den Steuererlass zurück: Den hätten die Schuldner durch falsche Angaben zu ihrer finanziellen Situation erschlichen.

Seltsamerweise glaubte sich das Ehepaar dennoch im Recht und forderte den Steuererlass gerichtlich ein. Die Klage scheiterte beim Finanzgericht und beim Bundesfinanzhof (V B 82/15). Bedingung für einen Schuldenerlass sei eine wirtschaftliche Notlage, so die Bundesrichter, ohne Notlage gebe es dafür keinen Grund. Im konkreten Fall hätten die Schuldner alle Schulden auf einen Schlag tilgen können.

Laut Insolvenzordnung müssten Schuldner, wenn sie erbten, den Gläubigern die Hälfte des Betrags zur Verfügung stellen. Das gelte auch bei einem Lottogewinn. In beiden Fällen wäre es unbillig, den Schuldner am Ende des Insolvenzverfahrens von den restlichen Schulden zu befreien, ohne dass er dieses Vermögen antasten müsste. Im konkreten Fall treffe das erst recht zu, weil die Schuldner ihren Lottogewinn verheimlicht und zudem ein schweres Gesundheitsrisiko aufgrund der "drückenden Schulden" erfunden hätten.

P.S. Die Wohlverhaltensphase beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dauert in der Regel sechs Jahre. Um ihre Schulden zu tilgen, müssen die Schuldner in dieser Zeit Einkommen, das oberhalb der Pfändungsgrenze liegt, an einen gerichtlich bestellten Treuhänder abführen, der das Geld an die Gläubiger verteilt. Wenn sie etwas erben oder geschenkt bekommen, müssen sie die Hälfte des Betrags dem Treuhänder übergeben. Mit der "Restschuldbefreiung" endet das Insolvenzverfahren.

Ex-Frau ausspionieren lassen

Auftraggeber ist mit der Leistung eines Detektivs unzufrieden und zahlt nicht

Ein Münchner beauftragte eine Detektei damit, seine geschiedene Ehefrau auszuspionieren. Er vermutete, dass sie viel mehr verdiente, als sie im Prozess um nachehelichen Unterhalt angegeben hatte. Deshalb sollte ein Detektiv herausfinden, welche Einkünfte die Ex-Frau in den Jahren 2009 bis 2013 beim Finanzamt deklariert hatte: Er benötige Daten zu ihrer Steuererklärung und Auskunft über eventuell nicht versteuerte Einkünfte, erklärte der Münchner dem Geschäftsführer der Detektei.

Angeblich prahlte nun der Geschäftsführer mit guten Kontakten zur Finanzbehörde. Sein Mitarbeiter könne zwar keine Kopie der Steuererklärung bekommen, aber eine "genaue Auflistung der angegebenen Zahlenwerte". Nur wegen dieses Versprechens habe er den Auftrag erteilt und schriftlich vereinbart, behauptete der Kunde später. Für den Auftrag verlangte die Detektei eine Grundgebühr von 500 Euro sofort und 3.000 Euro für den Fall, dass sie Informationen liefern konnte.

Was sie dem Auftraggeber nach wenigen Tagen mitteilte, war allerdings sehr dürftig: Die Nachforschungen hätten ergeben, dass die Ehefrau aktuell keiner Tätigkeit nachgehe. Genauere Aussagen darüber, ob das womöglich doch der Fall sein könnte und in welchem Umfang, könne man erst nach längerer Observierung treffen. Mit dieser vagen Auskunft könne er nichts anfangen, zürnte der unzufriedene Auftraggeber. Er weigerte sich, die Rechnung der Detektei über 3.000 Euro zu begleichen.

Nach einem Urteil des Amtsgerichts München ist er dazu jedoch verpflichtet (262 C 7033/15). Der Geschäftsführer der Detektei habe bestritten, dass vereinbart wurde, konkrete Steuerdaten oder gar die Steuererklärung auszukundschaften. Dem Vertrag sei das ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Firma habe sich verpflichtet, Ermittlungen durchzuführen, jedoch nicht dazu, ein bestimmtes Ergebnis zu liefern.

Die "Informationen" der Detektei seien zwar äußerst dünn und für das Vorhaben des Auftraggebers unbrauchbar, räumte das Amtsgericht ein. Das ändere aber nichts an der Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarung. Dass er mit dem Geschäftsführer mündlich etwas anderes verabredet habe als schriftlich fixiert worden sei, habe der Münchner nicht beweisen können. Daher gehe das Gericht davon aus, dass sich die Detektei nicht bereit erklärt habe, illegal Unterlagen des Finanzamts zu beschaffen.

Unfall im Stadttheater

Theaterbesucherin bleibt mit Stöckelschuhen in einer Schmutzfangmatte hängen und bricht sich den Fuß

Sind Schmutzfangmatten in öffentlichen Gebäuden notwendig und nützlich oder eine gemeingefährliche Stolperfalle? Letzterer Ansicht war eine Dame, die im Stadttheater von Marl beim Überschreiten so einer Matte verunglückte.

Sie trug Schuhe mit ca. fünf Zentimeter hohen Absätzen, als sie mit ihrem Mann eine Vorstellung besuchte. Mit den Stöckelschuhen blieb die Dame in der Gummilochmatte hinter dem Eingang hängen, stürzte und brach sich dabei das Sprunggelenk. Mehrere Monate war sie arbeitsunfähig und konnte keinen Sport treiben.

Für ihren Unfall machte die Verletzte die Stadt als Betreiberin des Theaters verantwortlich: Die Schmutzfangmatte im Eingangsbereich sei eine Gefahrenquelle für alle Besucherinnen mit Stöckelschuhen. Die Dame forderte von der Kommune 3.750 Euro Schadenersatz und 2.000 Euro Schmerzensgeld. Doch das Oberlandesgericht Hamm verneinte jeden Anspruch auf Entschädigung (11 U 127/15).

Im Eingangsbereich eines Theaters müssten Besucher mit so einer Schmutzfangmatte rechnen. Solche Matten lägen in vielen öffentlichen Gebäuden mit Publikumsverkehr aus, damit die Besucher auf nassem und verschmiertem Boden nicht stürzten. Um diese Funktion erfüllen zu können, hätten diese Matten Löcher oder Schlitze. Offenkundig könne man in den Löchern einer Gummilochmatte hängen bleiben.

Trotzdem — oder vielmehr: gerade deshalb — stelle die Matte keine Gefahrenquelle dar, welche die Kommune beseitigen müsste. Denn dieses Risiko sei für jeden Theaterbesucher klar erkennbar. Die Matte sei schwarz und hebe sich farblich vom Bodenbelag deutlich ab. Auch die Löcher seien bestens zu sehen.

Wer Stöckelschuhe trage, könne überall in Löchern oder Fugen im Boden stecken bleiben. Da sei Konzentration gefragt! So eine Matte müsse man mit schmalen Absätzen eben besonders vorsichtig überqueren. Wer aufpasse, könne sie aber problemlos und unfallfrei begehen.

Die zerrissenen Geldscheine

Bundesbank muss Banknoten ersetzen, die eine verwirrte Seniorin zerstört und im Kühlschrank versteckt hat

Eine mittlerweile 89 Jahre alte Frau hat Anfang 2014 ihr kleines Vermögen zerstört. Sie bewahrte 37 "500 Euro-Scheine" zu Hause auf, also 18.500 Euro. Aus Angst vor Einbrechern — so erklärte es die Seniorin später ihrer Enkelin — hatte sie eines Abends die Banknoten zerrissen, in einen Gefrierbeutel ge-steckt und im Eisfach des Kühlschranks ver-steckt.

Ihre Enkelin wurde daraufhin vom Amtsgericht zur Betreuerin der Oma bestellt. Die Enkelin forderte von der Bundesbank, die zerstörten Geldscheine umzutauschen bzw. zu ersetzen. Das lehnte die Bundesbank ab und verwies auf einen verbindlichen Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 19. April 2013 zur Stückelung bzw. zum "Umtausch und Einzug von Euro-Banknoten": Ersatz sei grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Inhaber von Banknoten diese vorsätzlich zerstört habe.

Das Verwaltungsgericht Frankfurt wies die Klage der Enkelin gegen die Deutsche Bundesbank ab. Doch der Verwaltungsgerichtshof Kassel kippte das Urteil und verpflichtete die Bundesbank dazu, die Geldscheine zu ersetzen (6 A 682/15). Zwar habe die Seniorin die Banknoten absichtlich zerrissen. Aber es bestehe Grund zu der Annahme, dass dies im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit geschah.

Dann handelte die Inhaberin der Banknoten im juristischen Sinne "gutgläubig" und nicht mit Vorsatz. Die "für einen geistig gesunden Menschen völlig ungewöhnlichen, im Detail nicht mehr aufklärbaren Tatumstände", aber auch die inzwischen erhobenen medizinischen Befunde sprächen dafür, dass die Seniorin schon damals krankheitsbedingt geistig verwirrt gewesen sei. Unter diesen Umständen davon sprechen, dass die Geldscheine orsätzlich zerstört wurden.

Der Gummibärchenkrieg

Arbeitnehmer lässt sich im Streit zu einer Tätlichkeit hinreißen, das rechtfertigt aber nicht immer eine Kündigung

"Wer wagt es, mit Gummibärchen zu schmeißen?" Diese Frage klingt nach Kindergarten, kam aber nach einem Streit zweier Arbeitnehmer in einer Gummibärchenfabrik auf. Was war passiert? Beim Verpacken von Gummibärchentüten in Kartons hatte Arbeitnehmer C den Leiharbeiter M zum wiederholten Mal ermahnt, ordentlich zu arbeiten. Daraufhin beschimpfte ihn M als "Arschloch". C ließ sich provozieren und bewarf ihn mit einem Sack Gummibärchen.

Mehrere Stunden danach ließ sich der attackierte M von einem Krankenwagen abholen. Vorher hatte er den Übeltäter bei der Geschäftsführerin der Fabrik angeschwärzt und behauptet, Kollege C hätte ihm einen 15 Kilo schweren Karton gegen den Kopf geschlagen. Deshalb kündigte das Unternehmen dem C fristlos wegen "Körperverletzung". Der wehrte sich und erhob Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht Neunkirchen ließ einen Zeugen zu Wort kommen, der in der gleichen Schicht gearbeitet hatte (1 Ca 1033/15).

Auch nach dessen Schilderungen hatte C zunächst die Arbeit von M kritisiert. M habe geantwortet: "Ist mir scheißegal wie ich arbeite, geh mir nicht auf den Sack, du Arschloch!" C sei so beleidigt gewesen, dass er einen Sack Gummibärchen auf M geworfen habe — aber nicht einmal mit Schwung. Er habe ihn an der Brust getroffen, von einem Schlag auf den Hinterkopf könne keine Rede sein.

M sei nicht verletzt gewesen und habe nicht über Schmerzen geklagt. Der Schichtführer habe ihn an einen anderen Arbeitsplatz geschickt. Später sei plötzlich ein Krankenwagen aufgetaucht und keiner habe gewusst, wieso. Leiharbeiter M sei total faul gewesen und habe sich "eigentlich mit jedem angelegt".

Das Arbeitsgericht inspizierte die Gummibärchenbeutel und kam zu dem Schluss, dass C den Kollegen damit — trotz des Gewichts von zehn Kilo — nicht ernsthaft verletzen wollte. Dafür sei der Plastiksack zu weich. Eine körperliche Attacke gegenüber Arbeitskollegen verletze zwar prinzipiell die arbeitsvertraglichen Pflichten und könne daher allemal eine Kündigung rechtfertigen.

Hier handle es sich aber letztlich um eine spontane Reaktion auf eine Beleidigung. Ansonsten habe C noch nie Kollegen verbal oder tätlich angegriffen. C habe zudem bei diesem Streit das Interesse der Arbeitgeberin vertreten, indem er den M zu korrekter Arbeit ermahnte. Wegen dieses Vorfalls fristlos zu kündigen, sei unverhältnismäßig. Eine Abmahnung hätte genügt.

Zu viel Glück im Spiel

Flugkapitän muss Preisgelder aus Pokerturnieren als gewerbliche Einkünfte versteuern

Hauptberuflich ist der Mann Flugkapitän. Wenn er nicht fliegt, spielt er am liebsten Karten — das scheint noch lukrativer zu sein als sein wohldotierter Job. Jedenfalls meldete sich 2009 die Steuerfahndung beim Finanzamt und teilte mit, der Flugkapitän nehme seit Jahren an Pokerturnieren teil und habe dabei insgesamt eine Million Dollar (!) Preisgelder eingeheimst.

Nach Ansicht der Steuerfahnder war der Mann als Berufskartenspieler einzustufen und die Preisgelder als gewerbliche Einkünfte. Die Höhe des Gewinns aus Pokerturnieren schätzten sie mithilfe einer Poker-Datenbank im Internet (The Hendon Mob Poker Database) für das Jahr 2008 auf 73.508 Euro. Diesen Betrag sollte er laut Einkommensteuerbescheid 2008 versteuern. Gegen diesen Bescheid klagte der Flugkapitän: Pokern sei sein Hobby, das betreibe er nicht, um Geld zu verdienen. Außerdem müssten Gewinne aus Glücksspielen sowieso nicht versteuert werden.

Mit dieser Argumentation hatte der Pokerspieler jedoch vor Gericht keinen Erfolg. Jede selbständige und nachhaltige Beschäftigung, mit der ein Steuerzahler "am wirtschaftlichen Verkehr teilnehme" und die mit der Absicht ausgeführt werde, Gewinn zu erzielen, sei als gewerblich einzustufen, so der Bundesfinanzhof (X R 43/12). Auf ein Glücksspiel wie zum Beispiel eine Lotterie treffe das in der Tat nicht zu. Doch Pokern sei kein reines Glücksspiel, sondern eine Mischung aus Zufall und Elementen von Geschicklichkeit.

Zumindest in den vom Flugkapitän praktizierten Varianten "Texas Hold’em" und "Omaha" komme es auf die Geschicklichkeit des Spielers an. Dabei profitiere er auch von der mathematischen Ausbildung für Piloten, die seine spielerischen Fähigkeiten erhöhe. Im Gegensatz zu einem Durchschnittsspieler könne er den Ausgang von Pokerspielen sehr wohl beeinflussen. Der Erfolg im Spiel, also die Preisgelder, hänge sogar überwiegend von seinem Geschick ab.

Auch die Art und Weise, wie sich der Pilot als Turnierpokerspieler betätige, spreche für gewerbliche Einkünfte. Sie sei nachhaltig und offenkundig einträglich. Als Teilnehmer eines Pokerturniers biete er den Veranstaltern an, seine Fähigkeiten öffentlich zu demonstrieren und diese stellten als Gegenleistung Preisgeld in Aussicht, dessen Höhe von der Platzierung abhänge. Darüber hinaus vermarkte der Pokerspieler seinen Erfolg, indem er Pokerspiele im Fernsehen kommentiere, als Autor eines Poker-Internetblogs und mit einer Poker-Schulungs-DVD.

Zweifellos spiele er nicht nur um des Geldes willen, dieser Betätigung liege sicher auch Spielleidenschaft zugrunde. Trotzdem sei sie als gewerblich anzusehen: Dafür reiche es laut Einkommensteuergesetz aus, wenn die "Gewinnerzielungsabsicht" zumindest einen Nebenzweck der Betätigung darstelle. Nach diesem Urteil des Bundesfinanzhofs wird der Pokerspieler wohl seine Preisgelder künftig mit dem Fiskus teilen müssen.

Hochzeitsredner als Künstler?

Bundesfinanzhof: Steuerermäßigung für darstellende Künstler hängt nicht von Eintrittsgeld ab

Wer Dienstleistungen anbietet, muss das Entgelt prinzipiell nach dem Regelsteuersatz versteuern. Zu den gesetzlich geregelten Ausnahmen gehören die Angebote von Theatern, Konzerten und Museen: Für ihre Einnahmen aus dem Eintrittsgeld gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz von sieben Prozent. Er gilt auch für die "Darbietungen ausübender Künstler", die Theatervorführungen und Konzerten vergleichbar sind. Kürzlich musste der Bundesfinanzhof (BFH) darüber entscheiden, ob Hochzeits- und Trauerredner zu diesem erlauchten Personenkreis zählen (V R 61/14).

Der Berufsredner im konkreten Fall hat evangelische Theologie studiert und hält Reden auf Hochzeiten, auf Geburtstagsfeiern und auf Beerdigungen. Für seine Umsätze machte er bei der Steuererklärung den ermäßigten Steuersatz geltend. Das akzeptierte die Finanzbehörde nicht und berechnete 19 Prozent.

Zu Recht, entschied das Finanzgericht Nürnberg: Reden zu halten, sei keine Kunst. Die Teilnehmer an einer Trauerfeier oder Hochzeitszeremonie zahlten dafür keinen Eintritt, weil es hier nicht um Kunstgenuss gehe. Vielmehr wollten sie ihre persönliche Verbundenheit mit einem Brautpaar oder mit Verstorbenen ausdrücken.

Gegen diese Entscheidung setzte sich der Steuerzahler zur Wehr: Er stimme die Reden individuell ab, das sei sehr wohl eine künstlerische Leistung. Bei Trauerreden würdige er das Leben der Verstorbenen, stelle seine bzw. ihre Persönlichkeit dar, untermalt mit Musik und begleitet von Lichteffekten. Er fungiere bei Hochzeiten gleichzeitig als "Event-Pfarrer" und "Zeremonienmeister"

Der BFH hat den Rechtsstreit noch nicht endgültig entschieden. Er stellte aber grundsätzlich fest: Entgegen dem Urteil des Finanzgerichts könne die Steuerermäßigung für ausübende Künstler nicht davon abhängen, ob die Zuhörer Eintrittsgeld zahlten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei der ermäßigte Steuersatz auch dann anzuwenden, wenn ein Künstler sein Entgelt — nicht von Zuschauern, sondern — von einem Veranstalter erhalte. Im Fall des Redners also vom Hochzeitspaar oder von den Angehörigen des Verstorbenen.

Ob der Berufsredner Anspruch auf die Steuerermäßigung habe, hänge daher ausschließlich davon ab, ob er als "ausübender Künstler" einzustufen sei und seine Reden schöpferisch frei gestalte. Mit dieser Frage habe sich das Finanzgericht gar nicht erst befasst, was nun nachzuholen sei: Stellten also die Reden des Steuerzahlers eine eigenschöpferische Leistung dar, in der besondere Gestaltungskraft zum Ausdruck komme? Dann sei er als Künstler anzusehen. Oder beschränkten sie sich darauf, schablonenartig das immer gleiche Redegerüst zu wiederholen? Dann gelte der Regelsteuersatz.

Die "Nacht der Nächte"

Gehört die Kostümparty eines Karnevalsvereins in der Karnevalswoche zum steuerbegünstigten Brauchtum?

Wenn ein gemeinnütziger Karnevalsverein in der Woche zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch eine Kostüm- und Tanzparty veranstaltet, ist das steuerrechtlich als "Zweckbetrieb zur Förderung des traditionellen Brauchtums" einzustufen. Für die damit erzielten Umsätze muss der Verein deshalb nur den ermäßigten Umsatzsteuersatz von sieben Prozent zahlen, entschied das Finanzgericht Köln (10 K 3553/13). Das gelte jedenfalls dann, wenn es sich um eine klassische Karnevalssitzung mit typischer Karnevalsmusik und Tanzdarbietungen handle.

Mit der Finanzbehörde hatte ein Karnevalsverein aus dem Bergischen Land gestritten, der seit Jahrzehnten am Karnevalssamstag die "Nacht der Nächte" organisiert. Das ist nach Auskunft des Vereins eine "große Kostümparty", die nicht nur Vereinsmitgliedern offensteht. 2009 nahmen etwa 1.200 kostümierte Karnevalisten teil. Neben Musikbeiträgen typischer Karnevalsinterpreten und Tanzdarbietungen ("Tanzmariechen") standen der Aufzug des Dreigestirns, Büttenreden und Ordensverleihungen auf dem Programm.

Für die Einnahmen aus der Party verlangte das Finanzamt vom Verein den vollen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent. Nach Ansicht der Behörde war die "Nacht der Nächte" nämlich keine "Pflege traditionellen Brauchtums". Da gehe es um eine normale Musik- und Tanzveranstaltung, bei der die allgemeine Unterhaltung der Besucher im Vordergrund stehe. Sie sei daher als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb anzusehen.

Wie nicht anders zu erwarten, schlug sich das Finanzgericht Köln (!) auf die Seite der Karnevalisten. Zumindest in der Karnevalswoche könne es nicht entscheidend darauf ankommen, ob bei einer Veranstaltung gesellige Elemente, Musik und Tanz oder aber typische Elemente einer Karnevalssitzung im Vordergrund ständen. Gesellige Veranstaltungen, die durch Kostüme der Teilnehmer, Karnevalsmusik, Karnevalstänze und ausgelassenes Feiern geprägt seien, gehörten jedenfalls zum Wesen der rheinischen Karnevalstradition und damit zum "traditionellen Brauchtum" im Sinn des Steuerrechts.

Laut seiner Satzung widme sich der Verein "der Erhaltung und Pflege heimatlichen Brauchtums, insbesondere der Förderung des Karnevals in seinem historischen Sinne". Und in seiner gewachsenen Form beinhalte Karneval stets auch Geselligkeit und Volksbelustigung. Trotzdem habe der Gesetzgeber den Karneval bewusst in den Katalog förderungswürdigen Brauchtums einbezogen. Dann könne man aber einem Karnevalsverein nicht die — an die Gemeinnützigkeit anknüpfende — Steuervergünstigung mit dem Argument verwehren, seine Veranstaltung sei "zu gesellig".

P.S. Das oberste deutsche Finanzgericht, der Bundesfinanzhof, hat dieses Urteil völlig humorlos aufgehoben und den Karnevalsverein dazu verurteilt, den normalen Umsatzsteuersatz zu zahlen (Urteil vom 30.11.2016 — V R 53/15).

Hoffnung aufs Erbe enttäuscht

Verwandte sieht sich um das Erbe einer Seniorin betrogen und klagt für Kaffeeklatsch Arbeitslohn ein

Als die Tante ein Testament verfasste und ihren Neffen und dessen Ehefrau als Erben ihres Vermögens einsetzte, war die Welt noch in Ordnung. Erbtanten muss man hegen und pflegen, dachte sich die Verwandtschaft. Die Frau des Neffen besuchte die Seniorin regelmäßig zum Kaffeeklatsch, brachte zum Geburtstag selbstgebackenen Käsekuchen mit, begleitete sie zum Einkaufen und zum Arzt.

Die Idylle endete jäh, als die beiden Damen wegen einer Bankvollmacht in Streit gerieten. Wütend zerriss die Tante das Testament. Nun sah sich die treusorgende Verwandte um den Lohn für ihre Liebesmüh gebracht. Sie zog vor das Arbeitsgericht: 7.000 Euro Arbeitslohn veranschlagte sie für ihre Begleitdienste und den Kaffeeklatsch bei der Tante, die sie schließlich nur wegen des Testaments besucht habe. Für ihre Bemühungen berechne sie einen Stundensatz von 20 Euro.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ließ die Frau abblitzen (5 Sa 451/12). Besuche zu vergüten, sei im Familienkreis nicht üblich. Eine Einladung zu Weihnachten, das Backen eines Käsekuchens und Gespräche am Kaffeetisch: Da gehe es nicht um klassische Dienstleistungen, für die jemand ein Entgelt verlangen könnte, so das LAG. Im Übrigen seien weder der zeitliche Umfang der Tätigkeit, noch eine konkrete Vergütung vereinbart worden.

Gegenleistung für die Hilfsdienste habe zwar die in Aussicht gestellte Erbschaft sein sollen. Wer einer anderen Person helfe, weil er erwarte, sie zu beerben, könne aber keinen Lohn verlangen, wenn diese Erwartung fehlschlage. Weder nach rechtlichen, noch nach moralischen Maßstäben seien Gefälligkeiten unter Verwandten "entlohnungspflichtig".

Drohnenflug im Garten

Hauseigentümer darf des Nachbars Garten nicht mit Kameradrohne ausspähen

An einem schönen Sommertag hatte es sich die Lebensgefährtin des Potsdamer Hausbesitzers A auf einer Sonnenliege im Garten gemütlich gemacht. Das Paar legte Wert auf seine Privatsphäre und hatte den Garten mit einer hohen Hecke umgeben, um jeden Einblick von draußen abzuwehren. Doch da hatte das Paar die Rechnung ohne den Wirt bzw. ohne den Nachbarn B gemacht.

Beim Lesen hörte die Frau plötzlich ein Motorengeräusch, blickte auf und sah in ca. sieben Metern Höhe eine Flugdrohne über ihrer Liege kreisen. Sie zog sich an und lief vor das Haus, wo B mit zwei anderen Nachbarn sprach. Gleichzeitig steuerte B mit einer Fernbedienung die Flugdrohne. Freimütig — ja, richtig stolz auf sein Spielzeug — bestätigte er auf Nachfrage, dass die Drohne ihm gehöre und mit einer Kamera ausgestattet sei, die "Bilder in Echtzeit übertragen" könne.

Erbost zog Herr A vor Gericht, um weitere Attacken auf seine Privatsphäre abzuwehren. Das Amtsgericht Potsdam verurteilte B dazu, das Grundstück von A nicht mehr mit "funkgesteuerten Flugobjekten" zu überfliegen (37 C 454/13). Sollte er dagegen verstoßen und nochmals Aufnahmen vom Grundstück oder von Personen anfertigen, werde man ihm zur Strafe Ordnungsgeld aufbrummen, drohte das Gericht. Dabei gehe es nicht um ein Flugverbot.

Es gebe genügend Flächen, auf denen Herr B seinem Hobby nachgehen könne, ohne andere Menschen zu stören. Aber wenn ein Grundstück — wie hier — erkennbar sorgfältig gegen fremde Blicke abgeschirmt sei, habe das Recht auf Privatsphäre Vorrang vor dem unbeschränkten Ausüben eines Hobbys. Ein Garten sei typischerweise ein Rückzugsort, in dem die Bewohner unter sich sein und sich entspannen wollten. Hier jemanden zu beobachten, verstoße in grober Weise gegen das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen.

Ein Grundstück mit einer Kamera zu filmen, sei nicht zu vergleichen mit einem harmlosen Hobby wie z.B. Drachensteigen. Dazu komme das seit langer Zeit gestörte Verhältnis zwischen den Nachbarn. Da liege der Gedanke nahe, der Drohnenflug über dem Garten sei nicht zufällig gewesen, sondern sollte A ärgern oder sogar gezielt die Privatsphäre ausspähen. Das erinnere doch sehr an "Mobbing".

Sitzstreik im Chefbüro

Der ungewöhnliche "Arbeitskampf" einer Postangestellten zieht Kündigung nach sich

Die 44 Jahre alte Frau arbeitete seit 22 Jahren bei der Deutschen Post. Anfang 2014 war sie zur Leiterin eines Zustellstützpunktes aufgestiegen — doch das war auch schon der Anfang vom Ende ihrer Karriere. Denn nach der Beförderung verlangte die Postangestellte von den Vorgesetzten immer wieder vehement einen Vertrag als außertarifliche Angestellte (AT-Vertrag), sprich: mehr Geld.

Komme nicht in Frage, lautete die Standard-Antwort des Chefs, denn sie werde bereits gemäß der höchsten Entgeltgruppe bezahlt. Irgendwann weigerte er sich, das Thema nochmals zu erörtern. Daraufhin trat die Frau als Betriebsleiterin zurück. Ein "letztes Klärungsgespräch" im Dienstzimmer des Chefs wurde anberaumt. Wieder machte er ihr klar, dass ihr kein AT-Vertrag zustehe. Nun verkündete die Angestellte, sie gehe erst, wenn ihre Bedingungen erfüllt würden.

Hinweise des Chefs auf das Hausrecht halfen nichts. Dann ging er, die Frau blieb sitzen. Nach einer Stunde kamen mehrere Führungskräfte und boten an, einen Betriebsrat einzuschalten. Doch die Angestellte forderte weiterhin einen AT-Vertrag, vorher gehe sie nicht. Nicht einmal Drohungen mit möglicher Kündigung und/oder strafrechtlichen Konsequenzen konnten die hartnäckige Dame zum Aufgeben bewegen. Schließlich holte der Chef die Polizei, die sie vom Betriebsgelände "begleitete".

Auf Hausverbot und Freistellung von der Arbeit reagierte die Angestellte am Tag darauf mit einer wütenden E-Mail, die sie an viele Mitarbeiter der Niederlassung schickte: Ohne ihren Sitzstreik zu erwähnen, schilderte sie sich als Opfer und schrieb: "Wer solche Vorgesetzten hat, benötigt keine Feinde mehr".

So ein Verhalten rechtfertige allemal eine Kündigung, urteilte das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (3 Sa 354/14). Nach 22 Jahren Arbeit ohne jede Beanstandung müsse die Arbeitgeberin zwar die Kündigungsfrist einhalten. Mehr aber auch nicht. Die Postangestellte habe das Hausrecht ignoriert und das Dienstzimmer des Niederlassungsleiters blockiert. So ein massiver Pflichtverstoß zerstöre das Vertrauen zwischen den Parteien. Einen Hausfriedensbruch könne kein Arbeitgeber tolerieren.

Erst mittels staatlicher Gewalt habe die Frau den Sitzstreik beendet. Ihr ungewöhnliches Vorgehen sei rational nicht zu erklären. Dennoch könne von einem entschuldbaren "Handeln im Affekt" keine Rede sein. Denn am nächsten Tag habe die Arbeitnehmerin per E-Mail ihre Vorgesetzten beleidigt, so den Konflikt bewusst weiter zugespitzt und den Betriebsfrieden gestört. Dabei habe sich der Niederlassungsleiter ernsthaft um Deeskalation bemüht. Doch der Frau fehle jede Einsicht: Sie sehe sich als Opfer, weil sie keinen AT-Vertrag bekam.

"Eine Tüte à 7 Stück entspricht bis zu 21 Orgasmen"

Landgericht Düsseldorf verbietet Kondomreklame als Irreführung jugendlicher Kunden

Natürlich sollte es ein witziger Werbegag sein. Ein Kondomhersteller versprach dem glücklichen Käufer auf der Verpackung der Kondome sexuelle Erfüllung: "Eine Tüte à sieben Stück entspricht bis zu 21 Orgasmen". Ein Konkurrent fand das überhaupt nicht komisch und verklagte den Hersteller ganz humorlos wegen irreführender Reklame: Laut den gültigen Prüfbestimmungen für Kondome (DIN Norm EN ISO 4074) dürften sie nur einmal verwendet werden.

Das sei möglicherweise einem großen Teil der angesprochenen Verbraucher bekannt, vermutete das Landgericht Düsseldorf, aber nicht unbedingt jugendlichen Käufern (14c O 124/15). Bei Jugendlichen bestehe in der Regel großer Aufklärungsbedarf in Bezug auf die richtige Anwendung von Kondomen. Vieldeutige Aussagen könnten da zu Irrtümern und Fehlinterpretationen führen.

Man könne sich nicht darauf verlassen, dass jeder Verbraucher den Werbespruch als Gag durchschaue. Einerseits werde auf der Rückseite der Kondomverpackung ausgiebig geblödelt: Da fänden sich Angaben zum Kalorienverbrauch und in einer Fußnote am Ende der Tabelle der Hinweis "Kann Spuren von Feenstaub enthalten". Andererseits stehe da aber auch, dass die Hälfte des Gewinns aus dem Kondomverkauf an gemeinnützige Projekte abgeführt werde.

Da der Hersteller ernstzunehmende Angaben und Scherze kombiniere, werde den Käufern möglicherweise nicht auf Anhieb klar, dass das sensible Thema der multiplen Orgasmen nur humorvoll gemeint sei. Jedenfalls sei nicht auszuschließen, dass sich manche darüber täuschten, dass sie Kondome tatsächlich nur einmal verwenden dürften. Daher sei die Reklame unzulässig.

Glatteis-Unfall eines Geschäftsmannes

Unternehmensberater verlangt von einem Berliner Hotel 1,8 Millionen Euro für entgangenen Gewinn

Clever oder unverschämt? Ein Unternehmensberater, der auf einer eisigen Stelle vor dem Garageneingang eines Berliner Hotels stürzte und sich ein Bein brach, wollte jedenfalls aus seinem Unfall eine Menge Kapital schlagen.

Zunächst verlangte er 10.000 Euro Schmerzensgeld vom Hotel, weil es seine Pflicht verletzt habe, den Bürgersteig zu räumen und zu streuen. Im Prozess um Schmerzensgeld erweiterte der Geschäftsmann seine Forderungen: Er habe wegen des Sturzes einen wichtigen Geschäftstermin verpasst, dadurch sei ihm ein Gewinn von rund 1,8 Millionen Euro entgangen.

Das Landgericht Berlin bewahrte den Hotelier vor dem Ruin und wies die Klage ab (10 O 211/14). Das Hotel sei nach den Vorschriften des Berliner Straßenreinigungsgesetzes nur eingeschränkt zum Räumen verpflichtet. Gehwege müssten nicht in voller Breite von Schnee befreit bzw. bei Glätte nicht in voller Breite mit abstumpfenden Mitteln gestreut werden. Es genüge, in der Mitte des Bürgersteigs einen ca. 1,5 Meter breiten Gehstreifen zu räumen und zu streuen. So könnten zwei Fußgänger vorsichtig aneinander vorbei kommen.

Fußgänger könnten nicht damit rechnen, dass auch die Ränder von Gehwegen eisfrei seien. Hier sollten gerade die Schnee- und Eismengen aufgehäuft werden. Die Unfallstelle sei auch nicht so stark frequentiert, dass man hier für Fußgänger einen breiteren Weg freiräumen müsste. Sie liege nicht etwa vor dem Haupteingang des Hotels, sondern am Eingang zur Tiefgarage. Wenn der Verunglückte dem Hotel vorwerfe, keine Taumittel eingesetzt zu haben, gehe das ohnehin fehl: Das sei verboten.

Dass der Unternehmensberater genau in dem Bereich gestürzt sei, für den das Hotel verantwortlich sei, stehe nicht fest. Nur dann müsste der Hotelier für die Unfallfolgen haften. Das habe das Gericht aber auch anhand der Zeugenaussagen — des Geschäftspartners, des Rettungssanitäters, von Hotelangestellten — nicht klären können. Auf die genauen Wetterverhältnisse zum Zeitpunkt des Unfalls und darauf, ob angesichts von Nieselregen und/oder Blitzeis das Streuen des Gehwegs überhaupt sinnvoll gewesen wäre, komme es daher nicht mehr an.

Betuchte Rentnerin soll Steuern nachzahlen

Rechtswidrige Forderung des Finanzamts, weil es Steuerbescheide erließ, ohne die Rechtslage zu prüfen

Bis 2007 wohnte die Seniorin in Nordrhein-Westfalen, dann zog sie nach Rheinland-Pfalz um. Die wohlhabende Frau hatte 1993 ihrem Sohn das gesamte Vermögen übertragen und bezog dafür von ihm jährlich 90.000 Euro Rente. Das Finanzamt in Nordrhein-Westfalen hatte diese Rente nur mit 17 Prozent (Ertragsanteil) besteuert. Nach dem Umzug übernahm das Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler einfach diesen Steuersatz, ohne die Rechtslage erneut zu prüfen.

Erst 2012 erfuhr der zuständige Finanzbeamte durch eine Kontrollmitteilung des Finanzamts Düsseldorf, dass die Rente vom Sohn der Steuerpflichtigen stammte. Daraufhin änderte er nachträglich die Steuerbescheide für die Jahre 2007, 2008, 2009 und 2010. Denn der Finanzbeamte war der Meinung, diese Art von Rente hätte in voller Höhe besteuert werden müssen. Nun forderte er von der Seniorin 140.000 Euro Nachzahlung für vier Jahre.

Dagegen wehrte sich die Rentnerin und setzte sich beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz durch (5 K 1154/13). Welcher Steuersatz hier richtig sei, könne offen bleiben, so das Gericht, darauf komme es nicht an. Wenn das Finanzamt die Steuerbescheide erlasse, ohne die Rechtslage zu prüfen, dürfe die Behörde nicht nachträglich die — bereits bestandskräftigen — Bescheide mit der Begründung wieder aufheben, die Rechtslage sei anders als gedacht!

Unter diesen Umständen dürfe sich das Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler nicht auf Unkenntnis der Rechtslage berufen, um eine Nachforderung zu rechtfertigen. Der Sachbearbeiter hätte vielmehr von vornherein die Unterlagen vom Finanzamt in Nordrhein-Westfalen anfordern müssen, insbesondere den Vertrag zwischen der Steuerpflichtigen und ihrem Sohn.

Selbst wenn der Vertrag dort archiviert oder sogar mit den Altakten vernichtet worden wäre, sei "Unkenntnis der Rechtslage" keine zulässige Ausrede. Sollten archivierte Unterlagen nicht mehr aufzutreiben sein, müsse sich das Finanzamt an die Steuerzahlerin wenden und den Vertrag anfordern. Die Rentnerin treffe jedenfalls keine Schuld: Sie habe in ihrer Einkommensteuererklärung die Rente immer in gleicher Weise angegeben.

Püppi Langstrumpf

Zähes Ringen um Reklame für ein Karnevalskostüm, das einer literarischen Figur ähnelt

Im Januar 2010 warb die Supermarktkette Penny im Internet, in Zeitungsanzeigen und Verkaufsprospekten für ein Angebot an Karnevalskostümen. Darunter ein Outfit, wie es Millionen Fans von Pippi Langstrumpf kennen, der bekannten Figur aus einem Kinderbuch der schwedischen Autorin Astrid Lindgren: rote Haare mit abstehenden Zöpfen, Ringelstrümpfe in unterschiedlichen Farben.

Über 15.000 Stück verkaufte das Handelsunternehmen von diesem Kostüm für Kinder und Erwachsene, das in der Reklame den Namen "Püppi" trug. Das war einer schwedischen GmbH ein Dorn im Auge, welche die Urheberrechte an Astrid Lindgrens Werken innehat. Sie verklagte das Handelsunternehmen auf 50.000 Euro Schadenersatz, weil sich die Abbildungen des Kostüms klar an die literarische Figur anlehnten und diese unerlaubt kommerziell ausnutzten.

Der Bundesgerichtshof mochte hier jedoch keine Nachahmung erkennen und wies die Klage ab (I ZR 149/14). Die Reklame stelle schon deshalb keine unlautere geschäftliche Handlung dar, weil das Kostüm die Romanfigur keineswegs 1:1 abbilde. Im Gegenteil: Zwischen den Merkmalen, welche die literarische Figur Pippi Langstrumpf ausmachten, und dem Aussehen des Kostüms beständen nur geringe Übereinstimmungen.

Von Pippi Langstrumpfs "Outfit" sei nur eine rote Perücke mit Zöpfen übrig. "Püppi" trage zwar auch Ringelsocken, aber kein gelbes Kleid mit gepunkteter Hose darunter oder zu große schwarze Schuhe. Ganz zu schweigen von den Sommersprossen des starken Mädchens und charakterlichen Merkmalen, die bei einem Kostüm natürlich ohnehin fehlten.

Das Kostüm sei nicht als unzulässige Kopie zu werten, die eine Romanfigur kommerziell ausbeute. Dass die einschlägige Reklame die Wertschätzung für Pippi Langstrumpf beeinträchtigt haben könnte, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

"Graffiti-Tag" ist wie eine Unterschrift

So eine "Signatur" kann den Verdacht gegen einen Sprayer untermauern

Im November 2011 waren in der Nähe von Potsdam Regionalzüge der Deutschen Bahn AG mit Graffiti besprüht worden. Um die bunten Zeichnungen zu entfernen, mussten die Züge sogar abgeschleppt werden. Denn die Sprühfarbe war in die Türschlösser eingedrungen, man konnte die Führerstände nicht mehr öffnen. Laut Deutsche Bahn AG belief sich der Schaden auf rund 3.300 Euro. Sie erstattete Anzeige wegen Sachbeschädigung und die Staatsanwaltschaft Potsdam erhob Anklage gegen einige stadtbekannte Sprayer.

Doch das Amtsgericht lehnte es ab, ein Verfahren zu eröffnen: Es fehle an Beweisen, eine Verurteilung sei unwahrscheinlich. Gegen diese Entscheidung legte der Staatsanwalt Beschwerde ein und bekam vom Landgericht Potsdam überwiegend Recht (24 Qs 110/14). Fast alle beteiligten Sprayer hätten ihre Werke auf dem Zug mit einem "Tag" "signiert", so das Landgericht. Das genüge, um den Verdacht auf eine Straftat zu untermauern.

Ein "Tag" sei das Signaturkürzel eines Graffiti-Sprayers, er stelle quasi sein Pseudonym dar. In der Graffiti-Szene gelte die Regel, dass jeder Sprayer einen Tag-Schriftzug verwende — und zwar nur seinen eigenen. Er könne daher individuell zugeordnet werden wie eine Unterschrift.

Zum Beleg zitierte das Landgericht die Szene. Im Graffiti-Jargon: "Tags … werden ständig wiederholt … Sie dienen dazu, ein Territorium zu markieren und anderen … zu signalisieren: Hier war ich" (graffitiportal.com). Den "Tag" eines anderen Sprühers zu verwenden, sei verpönt und "bringe großen Ärger".

Lasse sich also ein "Tag", bekannt aus früheren Verfahren, einem bestimmten Sprayer zuordnen, so spreche das dafür, dass er auch diesmal die Zeichnungen angebracht, also die Züge beschädigt habe. Das gelte jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass andere Sprayer den gleichen Tag verwendeten.

Und das sei wegen der Gepflogenheiten in Graffiti-Kreisen sehr unwahrscheinlich, so das Landgericht. Angesichts ihrer Bedeutung als individuelle Signatur, die "Tags" für Sprayer hätten, sei deren Beweiswert mit dem einer individuellen Unterschrift vergleichbar.

Tagesmutter statt Puffmutter

Verwaltungsgericht erlaubt Kindertagespflege in einem ehemaligen Bordell

Eine Bordellbesitzerin wollte sich in Zukunft statt um Freier lieber um Kinder kümmern und als Tagesmutter arbeiten. Dafür braucht man vom Jugendamt eine "Kindertagespflegeerlaubnis". Die Frau beantragte sie nach etlichen Vorbereitungskursen. Ob man die Erlaubnis bekommt, hängt von mehreren Dingen ab: von der Persönlichkeit und Kompetenz, aber auch davon, ob man über geeignete Räume verfügt.

Der Ex-Prostituierten gehörte das ehemalige Bordell-Gebäude, in dem sie früher gearbeitet hatte. Dort hatte sie Räume zur Kindertagesstätte umgebaut. An ihrer persönlichen Eignung für die Kinderbetreuung hatte das Jugendamt keinen Zweifel. Als aber die dubiose Vergangenheit des Gebäudes ans Licht kam, lehnte die Behörde den Antrag ab.

Begründung: Das Etablissement sei im "Freiermilieu" regional bekannt. Auch wenn das Bordell längst geschlossen sei, werde im Internet immer noch für das "Eros-Center" geworben. Also bestehe die Gefahr, dass Männer klingelten, die davon noch nichts wüssten. Und dass sie womöglich aufdringlich würden und die Tagesmutter oder die Kinder belästigten. Auf keinen Fall dürften Kinder mit diesem "Gewerbe" konfrontiert werden.

Das Verwaltungsgericht Minden teilte diese Bedenken nicht (6 K 2411/15). Die Ausstattung (z.B. ein Raum zum Toben, altersgerechtes Spielzeug, Wickelmöglichkeiten und Schlafraum) genüge uneingeschränkt den Anforderungen an eine Kindertagesstätte. Dass der Bordellbetrieb geschlossen sei, spreche sich bei den Freiern trotz einiger — noch nicht gelöschter — Interneteinträge herum.

Die Annahme des Jugendamts, auf dem Gelände könnten dennoch Prostituierte oder Freier auftauchen, sei lebensfremd. Prostituierte auf Arbeitssuche und interessierte Freier kämen bei einem Bordell nicht spontan und "auf gut Glück" vorbei, sondern vereinbarten vorher telefonisch Termine. Die früheren Kontaktnummern existierten aber nicht mehr. Sollte jemand die aktuelle Nummer wählen, könne die Tagesmutter erklären, dass hier kein Bordell mehr existiere.

Wenn sich doch einmal ein Freier auf der Suche nach sexuellen Dienstleistungen dorthin verirren sollte, sei es sehr unwahrscheinlich, dass er angesichts von Tagespflege-Kindern aufdringlich werden würde. Der Einwand des Jugendamts, ein Hinweisschild "Kindertagesstätte" könnte zudem Pädophile anziehen, sei erst recht absurd: Dann wären alle ausgeschilderten Kindergärten und Kindertagesstätten in Gefahr.

Dem Karrierewechsel der ehemaligen Bordellbesitzerin steht somit nichts mehr im Weg.