Auftraggeberin und Dachdecker haben krass gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen
Eine Solarfirma, spezialisiert auf die Montage von Photovoltaikanlagen, hatte eine Lagerhalle angemietet. Die Firma beauftragte einen Dachdecker, mit dem sie schon öfter zusammengearbeitet hatte, auf dem Hallendach eine Solarstromanlage zu montieren. Die Absicherungsmaßnahmen am Dach wollte die Solarfirma vorher selbst durchführen.
Als jedoch die Dachdecker-Mannschaft eintraf — ein Vorarbeiter mit vier unerfahrenen Leiharbeitern —, war keine Absturzsicherung vorhanden. Der Vorarbeiter beschwerte sich zwar bei der Auftraggeberin darüber, nichtsdestotrotz begann er in Absprache mit seinem Chef mit der Montage. Es kam, wie es kommen musste: Ein Leiharbeiter trat aus Versehen auf ein nicht abgesichertes Lichtband (Glasflächen) auf dem Dach.
Der Mann brach durch das Glas und stürzte knapp zehn Meter tief auf den Betonboden der Halle. Die Berufsgenossenschaft Bau zahlte für die Heilbehandlung des Schwerverletzten rund 167.000 Euro. Der Haftpflichtversicherer der Solarfirma ersetzte 77.700 Euro. Die Berufsgenossenschaft forderte von der Solarfirma, vom Dachdecker und dessen Vorarbeiter den Differenzbetrag: Sie hätten den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht, weil sie sämtliche Unfallverhütungsvorschriften ignorierten.
Das Oberlandesgericht Hamm gab der Berufsgenossenschaft Recht (I-9 U 75/15). Deren Experten und Sachverständige von der Gewerbeaufsicht hätten festgestellt, dass zu Beginn der Arbeiten alle Sicherungsmaßnahmen fehlten, die zum Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren erforderlich seien: Fangnetze an den Dachrändern, Sicherheitsgurte, Sicherungsnetze im Bereich der Lichtbänder. An keiner Stelle seien die Bauarbeiter gegen Unfälle durch Stolpern oder Ausgleiten etc. gesichert gewesen.
Dass Auftraggeberin und Vorarbeiter die Leiharbeiter davor warnten, die Lichtbänder zu betreten, entlaste sie nicht: Warnungen könnten zwingend notwendige Unfallverhütungsmaßnahmen nicht ersetzen. So verlagere man nur die Verantwortung für die Arbeitssicherheit auf die Arbeiter. Das sei prinzipiell unzulässig und hier erst recht. Denn der Verletzte sei kein ausgebildeter Dachdecker und zum ersten Mal auf einem Dach gewesen. Ein Fehltritt aus Versehen könne bei der Arbeit jederzeit passieren, ohne ein Mitverschulden des Arbeitnehmers zu begründen.
Unter diesen Umständen hätten der Vorarbeiter nicht mit den Dacharbeiten beginnen dürfen. Die Solarfirma habe leichtfertig beschlossen, die Sicherungsmaßnahmen erst danach und parallel zu den Arbeiten durchzuführen. Ihr Verhalten erscheine besonders verwerflich, weil sie als Auftraggeberin großes Interesse daran hatte, die Arbeiten zügig voranzubringen. Diesem Interesse habe das Unternehmen offenkundig die Sicherheit der Arbeiter untergeordnet.