Gesundheitswesen

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Risiko in der Schwangerschaft

Für nicht zugelassene Medikamente muss die Krankenkasse nur in Notfällen zahlen

Eine schwangere Frau hat sich mit dem Zytomegalievirus angesteckt. Es ist für die Frau selbst nicht gefährlich. Wenn sich dagegen ein ungeborenes Kind damit infiziert, kann das unter Umständen sogar eine Fehlgeburt auslösen. Statistisch gesehen, ist das Risiko aber gering: Die meisten Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft mit dem Zytomegalievirus infizieren, kommen gesund zur Welt.

Die Schwangere beantragte bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für ein Medikament, das angeblich die Gefahr verringert, dass sich das ungeborene Kind ansteckt. Das Arzneimittel ist allerdings noch nicht vollständig erforscht und deshalb nicht zugelassen. Aus diesem Grund lehnte die gesetzliche Krankenversicherung die Kostenübernahme ab.

Zu Recht, entschied das Bundessozialgericht (B 1 KR 7/22 R). Nur in extremen Ausnahmefällen hätten die Versicherten Anspruch auf Medikamente, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ständen. Das sei nur der Fall, wenn sich eine versicherte Person in einer "notstandsähnlichen Situation" befinde. Nur in Notfällen müsse die Krankenkasse nicht zugelassene Arzneimittel finanzieren.

Das gelte auch für ungeborene Kinder. Schwangere Frauen könnten die Kostenübernahme nur verlangen, wenn dem ungeborenen Kind eine gefährliche Infektion drohe und eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen oder schweren Krankheitsverlauf bestehe. Doch das Risiko einer Fehlgeburt durch das Zytomegalievirus sei gering.

Wenn Chemotherapie nicht mehr hilft

Private Krankenversicherung muss dann u.U. eine alternative Therapie finanzieren

Bei einem Krebspatienten war die Krankheit so weit fortgeschritten, dass die Chemotherapie nichts mehr brachte: Es bildeten sich immer weitere Metastasen, die nicht operiert werden konnten. Deshalb entschied sich der Mann für eine alternative Behandlungsmethode: eine dentritische Zelltherapie.

Bei dieser Behandlung wird eine Immunreaktion gegen die entarteten Tumorzellen angestrebt. Um diese Reaktion zu erzielen, werden dem Krebspatienten dentritische Zellen entnommen, im Labor auf seinen Tumor ausgerichtet und ihm dann wieder eingesetzt, um gegen die Krebszellen anzukämpfen.

Im konkreten Fall übernahm die private Krankenversicherung nur die Hälfte der hohen Behandlungskosten. Nach dem Tod des Krebspatienten verklagte die Witwe das Versicherungsunternehmen auf Zahlung des vollständigen Betrags.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt gab ihr Recht (7 U 140/20). Die dentritische Zelltherapie sei eine alternative Behandlungsmethode, die auf einem wissenschaftlich fundierten Ansatz beruhe, so das OLG.

Daher verspreche diese Therapie einen gewissen Erfolg, auch wenn sie noch nicht lange erprobt und allgemein anerkannt sei. Heilung sei bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium zwar ausgeschlossen. Aber mit der Zelltherapie habe wenigstens die Aussicht bestanden, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und den Patienten zu stabilisieren. Daher müsse die Krankenversicherung die Behandlungskosten vollständig übernehmen.

Tödliche Schönheitsoperationen

Zwei Frauen starben nach dem Eingriff an Kreislaufversagen: Der Arzt muss ins Gefängnis

Ein Düsseldorfer Facharzt für Innere Medizin führte in seiner Praxis ambulant kosmetische Operationen durch: vor allem "Eigenfett-Transferbehandlungen", für die keine medizinische Notwendigkeit besteht. Dabei wird Körperfett abgesaugt und ein Teil der abgesaugten Fettzellen anderen Körperregionen (Brüste, Gesäß) wieder zugeführt.

2018 und 2019 starben zwei Frauen nach diesem Eingriff an Kreislaufversagen. Ausgelöst wurde das Kreislaufversagen durch die Entnahme einer großen Menge Gewebeflüssigkeit, zusätzlich durch Blutverlust und dadurch, dass Fettanteile in den Blutkreislauf gelangten und Gefäße verstopften.

Das Landgericht Düsseldorf hat den Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, weil er die Patientinnen über die Risiken der Behandlung ungenügend aufgeklärt hatte.

Hintergrund: Ohne wirksame Einwilligung des Patienten gilt eine Operation als Körperverletzung. Hat er ihr zugestimmt, wird jedoch über die Risiken nicht ausreichend aufgeklärt, ist die Einwilligung unwirksam und der Eingriff damit eine Körperverletzung.

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Angeklagten und bestätigte das Strafmaß (3 StR 162/22). Nach der Beweisaufnahme des Landgerichts stehe Folgendes fest: Der Arzt habe die Patientinnen nicht darüber informiert, dass bei der Eigenfett-Transferbehandlung die Gefahr lebensgefährlicher Komplikationen steige, je größer die entnommene und wieder zugeführte Gewebemenge sei. Das Risiko sinke wesentlich, wenn man das Absaugen und das Wieder-Zuführen des Fettgewebes auf mehrere Eingriffe verteile.

Hätten die verstorbenen Frauen gewusst, wie hoch das Risiko bei der vorgeschlagenen Vorgehensweise war, und hätten sie die genannte alternative Methode gekannt, hätten sie auf keinen Fall in den Eingriff eingewilligt und sich nicht auf diese Weise operieren lassen.

Das Gefängnis bleibt dem Mediziner also nicht erspart. Zusätzlich zur Freiheitsstrafe wurde ihm für vier Jahre verboten, chirurgische Eingriffe vorzunehmen oder dabei zu assistieren.

Kostenklausel im Behandlungsvertrag

Patientin sollte Honorarforderungen nicht an ihre private Krankenversicherung abtreten

Eine Patientin wurde zwei Mal an der Wirbelsäule operiert. Ihre Behandlungsverträge enthielten folgende Klausel: "Mit Ihrer Unterschrift versichern Sie, Forderungen aus der Behandlungsrechnung nicht an Ihre Krankenversicherung bzw. Beihilfestelle abzugeben und das berechnete Honorar selbst zu tragen, soweit Ihre Versicherung oder Beihilfestelle dies nicht oder nicht in vollem Umfang erstattet."

Der Chirurg stellte der Patientin einmal 13.742 Euro, einmal 13.200 Euro in Rechnung. Die Frau bezahlte beide Rechnungen und reichte sie bei ihrer privaten Krankenversicherung ein. Die Versicherung beanstandete zahlreiche Kostenpositionen, erstattete der Versicherungsnehmerin jedoch die bezahlten Beträge im von der Versicherungspolice gedeckten Umfang. Anschließend forderte sie vom Mediziner Teilbeträge zurück.

4.719,92 Euro müsse er zurückzahlen, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (7 U 143/21). Prinzipiell sei es so: Könne der Versicherungsnehmer gegen einen behandelnden Arzt Ersatzansprüche geltend machen, gingen die Ansprüche auf die Krankenversicherung über, soweit sie die Kosten erstattet habe. Ärzte dürften Patienten nicht generell verbieten, der Krankenversicherung solche Ansprüche abzutreten: Die einschlägige Vertragsklausel benachteilige Patienten unangemessen und sei unwirksam.

Zwar sei die Patientin im Behandlungsvertrag auf das mögliche Risiko hingewiesen worden, dass sie eventuell die Kosten selbst tragen müsse. Es werde auch empfohlen, vor der Behandlung die Kostenfragen mit der Versicherung abzuklären. Dennoch müssten Patienten mit so einem umfassenden Verbot nicht rechnen. Es sei überraschend, weil es sich nicht nur auf die ausdrücklich im Behandlungsvertrag aufgeführten Leistungen beziehe, sondern auf alle "Forderungen aus der Behandlungsrechnung".

Bei Operationen könnten aber Komplikationen auftreten und kurzfristig weitere Leistungen notwendig machen. Die Tragweite des Verbots sei für durchschnittlich informierte Patienten nicht zu durchschauen. Im Unterschied zum Arzt und zur Krankenversicherung verfügten sie nicht über die notwendige Sachkunde, um zu beurteilen, ob eine Leistung zulässig abgerechnet worden sei oder nicht.

Würde man die Vertragsklausel akzeptieren, müssten Patienten eventuell unberechtigte Forderungen zumindest vorläufig selbst begleichen oder sich dem Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Arzt aussetzen. Das sei unzumutbar — erst recht in Bezug auf Leistungen, die im Behandlungsvertrag nicht erfasst seien und deren Art und Umfang Patienten nicht annähernd absehen könnten.

15-Jährige verlangte Corona-Impfung

Wenn die Mutter der Tochter die Impfung verweigert, missbraucht sie ihr Sorgerecht

Das 15 Jahre alte Mädchen lebt schon seit Februar 2020 nicht mehr bei der Mutter, die das alleinige Sorgerecht hat. Die Tochter möchte nicht in den Haushalt der Mutter zurück und das war nicht der einzige Streitpunkt. Gegenüber Mitarbeitern des Jugendamts äußerte die Jugendliche mehrmals, sie wolle sich unbedingt gegen Corona impfen lassen. Doch die Mutter lehnte die Covid-19-Impfung strikt ab.

Im November 2021 leitete deshalb das Jugendamt beim Familiengericht Pirmasens ein Verfahren ein. Das Gericht entzog der Mutter antragsgemäß das Recht, über die Impfung zu entscheiden und übertrug es dem Jugendamt ("Ergänzungspflegschaft"). Gegen den Teilentzug des Sorgerechts legte die Frau erfolglos Beschwerde ein.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken erklärte die Maßnahme für gerechtfertigt (2 UF 37/22). Wenn das Wohl eines Kindes auf dem Spiel stehe und der sorgeberechtigte Elternteil nicht gewillt sei, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, müsse das Familiengericht dies tun. Dass die Mutter der Tochter die Impfung verweigere, richte sich gegen das Kindeswohl und sei als Missbrauch des Sorgerechts anzusehen.

Die 15-Jährige dürfe darüber selbst entscheiden. Ihr nachdrücklicher Wunsch, sich impfen zu lassen, sei aufgrund ihres Alters als "Akt der Selbstbestimmung" zu werten und zu beachten. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts sei die Minderjährige absolut in der Lage, die Tragweite dieser Entscheidung zu begreifen.

Dass die Jugendliche es ernst meine, wenn sie den Kontakt zur Mutter nachdrücklich ablehne, sei ebenfalls nicht zu bezweifeln. Da sich die Mutter dem Wunsch des Mädchens nach einer Impfung entschieden verschließe, sei eine konstruktive und dem Kindeswohl entsprechende Lösung nur durch den Teilentzug des Sorgerechts möglich.

Krebsverdacht: Falsche Diagnosemethode angewandt?

Patient bestreitet die Notwendigkeit der Gewebeentnahme und behauptet Aufklärungsdefizit

Ein Patient verlangte von seinem Urologen Schmerzensgeld, weil er ihn falsch behandelt und nicht richtig aufgeklärt habe. Nach ersten Anzeichen für einen Prostatakrebs hatte der Arzt eine Biopsie durchgeführt (d.h. er hatte Gewebe entnommen, dessen Untersuchung zeigt, ob ein Tumor vorliegt). Die Untersuchung bestätigte den Verdacht auf Krebs.

Der Eingriff löste beim Patienten Fieber und Schüttelfrost aus, der Urologe wies ihn für eine Woche in eine Klinik ein. Anschließend durchlief der Mann eine Strahlentherapie in Kombination mit einer Hormontherapie, die er auch nicht gut vertrug.

Dem Mediziner warf er vor, die Biopsie sei nicht angezeigt gewesen. Den Tumor hätte man vielmehr durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) bestätigen müssen. Über die Risiken der Biopsie und die Alternativen dazu sei er vor dem Eingriff nicht aufgeklärt worden.

Das Oberlandesgericht Dresden wies die Klage des Patienten ab (4 U 657/21). Schon das sachverständig beratene Landgericht habe geklärt, dass die Prostata-Biopsie eindeutig notwendig gewesen und gemäß dem Facharztstandard vorbereitet und durchgeführt worden sei. Nur mit einer Gewebeprobe könne man herausfinden, um welchen Typ Tumor es sich handle - nicht aber mit einer MRT-Untersuchung.

Aufklärungsdefizite seien dem Urologen ebenfalls nicht vorzuwerfen. Er habe mit dem Patienten über die MRT-Untersuchung gesprochen, sie jedoch zu Recht nicht als echte, also gleichwertige Alternative zur Biopsie dargestellt. Der Mediziner habe ausgesagt, dass er die Risiken, die er ausdrücklich anspreche, handschriftlich im Aufklärungsbogen eintrage. Das sei auch im konkreten Fall geschehen.

Der Aufklärungsbogen selbst enthalte ausreichende Erläuterungen zum Risiko bei einer Gewebeentnahme. Darüber hinaus hätten Mitarbeiter bestätigt, dass der Urologe bei jedem Aufklärungsgespräch die Gefahr von Nachblutungen und Infektionen erwähne. Wegen dieses Risikos werde grundsätzlich vor der Biopsie ein Antibiotikum verabreicht. Dieses Vorgehen sei nicht fehlerhaft, sondern entspreche dem medizinischen Standard.

Weisheitszähne unnötig entfernt?

Unzureichende Risikoaufklärung bleibt folgenlos, wenn die Patientin dem Eingriff auf jeden Fall zugestimmt hätte

Eine Lehrerin hatte Probleme mit den linken Weisheitszähnen. Ihre Zahnärztin empfahl, die Weisheitszähne auf beiden Seiten operativ entfernen zu lassen und überwies die Patientin an eine Kieferchirurgin. Auf der linken Seite verlief der Eingriff komplikationslos. Doch beim Entfernen der rechten Weisheitszähne wurde ein Nerv beschädigt.

Daraufhin forderte die Lehrerin von der Chirurgin Schmerzensgeld: Seit der zweiten Operation, die gar nicht notwendig gewesen wäre, sei ihre Zunge taub. Über das Risiko sei sie nicht aufgeklärt worden.

Das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg wies die Klage der Patientin ab (12 U 8/22). Eingriff und Nachsorge seien nach dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen gemäß medizinischem Standard ausgeführt worden. Dass dabei ein nahe an den Zähnen liegender Nerv verletzt werde, gehöre zu den Risiken so einer Operation. Und die — vielleicht nicht optimale — Risikoaufklärung der Medizinerin habe sich im konkreten Fall nicht ausgewirkt.

Grundsätzlich gelte: Patienten willigten in eine Operation nur dann wirksam ein, wenn sie jedenfalls in Grundzügen wüssten, was auf sie zukomme. Die Lehrerin sei im Aufklärungsbogen über vorübergehende Taubheit und Gefühlsstörungen als mögliche Folgen informiert worden, was das Risiko etwas beschönige: Schließlich könnten solche Folgen in seltenen Fällen auch dauerhaft auftreten und eine Sprechstörung sei gerade für eine Lehrerin sehr belastend.

Zu Recht habe jedoch die Chirurgin eingewandt, dass die Patientin der Entfernung der rechten Weisheitszähne auch zugestimmt hätte, wenn sie über das Risiko noch genauer informiert worden wäre. Die Patientin habe zwar auf der rechten Seite keine Schmerzen gehabt, so das OLG. Doch bereits die Hauszahnärztin habe ihr erläutert, dass das nur eine Frage der Zeit sei. Die Operation auf beiden Seiten durchzuführen, sei unbedingt ratsam, da sich muskuläres Ungleichgewicht einstelle, wenn man nur die linken Weisheitszähne entferne.

Wenn man mit dem zweiten Eingriff zu lange warte, erhöhten sich außerdem das Operationsrisiko und die Gefahr für benachbarte Zähne. Das habe die Patientin alles gewusst. Darüber hinaus werde im Aufklärungsbogen der Chirurgin sogar auf das Risiko eines Durchbruchs zur Nasenhöhle hingewiesen. Diese erhebliche Gefahr habe die Patientin nicht abgeschreckt.

Deshalb sei nicht anzunehmen, dass ein deutlicherer Hinweis auf das geringe Risiko einer dauerhaften Nervenschädigung die Patientin von der Zustimmung zur Operation abgehalten oder sie zumindest in einen Entscheidungskonflikt gestürzt hätte. Damit fehle ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nervenschädigung und den Schwächen des Aufklärungsbogens.

An chronischer Müdigkeit erkrankt

Fehlt dafür eine Standard-Therapie, muss die Krankenkasse ausnahmsweise ihre Leistungen erweitern

Ein 55 Jahre alter Mann leidet an zahlreichen Krankheiten und ist aufgrund seiner chronischen Müdigkeit ("Chronisches Fatigue-Syndrom" — CFS) pflegebedürftig. Bei seiner gesetzlichen Krankenkasse beantragte er die Kostenübernahme der Arzneimittel Biomo-Lipon und Dekristol (Vitamin D). Die Krankenkasse lehnte sie ab, weil für eine ärztliche Verordnung dieser Arzneimittel die medizinisch-wissenschaftlichen Voraussetzungen fehlten.

Daraufhin wandte der Versicherte ein, im System der gesetzlichen Krankenversicherung mit ihrem Standard-Leistungskatalog werde er mit seiner Grunderkrankung CFS nicht hinreichend versorgt. Allgemein anerkannte Therapien gebe es kaum. Liponsäure und Vitamin D würden aber immerhin gegen die Symptome eines CFS, also gegen den chronischen Erschöpfungszustand, helfen. Der Mann klagte gegen den ablehnenden Bescheid.

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen verpflichtete die Krankenkasse dazu, zumindest vorläufig die Kosten für die beiden Arzneimittel zu übernehmen (L 4 KR 373/22 B ER). Für ihre Wirksamkeit gebe es zwar keine eindeutigen, wissenschaftlich gesicherten Beweise, räumte das Gericht ein. Deshalb zählten sie nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Hier gehe es aber um einen Ausnahmefall.

Der zum Rechtsstreit befragte medizinische Sachverständige habe ausgeführt, dass im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung für das CFS keine Standard-Therapie zur Verfügung stehe, deren Wirkung wissenschaftlich belegt wäre. Die Ursachen des CFS seien unklar, infolgedessen existierten noch keine gezielten Therapien. Auch die medizinische Wissenschaft diskutiere lediglich, wie man gegen die Symptome vorgehen könne.

Daher müsse die Krankenkasse hier ausnahmsweise ihren Leistungskatalog erweitern, so die Schlussfolgerung des Gerichts, auch wenn nach ihren allgemein geltenden Maßstäben die Kostenübernahme für die betreffenden Arzneimittel ausgeschlossen sei.

Schlechte Note im Arztbewertungsportal

Kurzartikel

Verlangt ein Mediziner, der auf einem Arztbewertungsportal schlecht bewertet wurde, die Bewertung zu löschen, muss der Portalbetreiber dieser Forderung nicht nachkommen, wenn der Arzt wahrheitswidrig behauptet, dass er die betreffende Patientin nicht behandelt hat. Der Hostprovider hat seine Prüfpflichten erfüllt, wenn er eine Stellungnahme der Patientin eingeholt hat und diese ein Behandlungsverhältnis belegen konnte.

Aids durch verseuchtes Blutplasma

Aidskranker erhielt 1988 eine relativ niedrige Entschädigung: Vergleich mit dem Hersteller hat trotzdem Bestand

Ein Patient wurde durch die Behandlung mit Blutplasma mit Aids infiziert und forderte vom Hersteller Entschädigung. Die Verhandlungen mit der Versicherung des Herstellers endeten im April 1988 mit einem Vergleich: Der Infizierte bekam 75.000 DM, damit sollten alle seine Ansprüche wegen der Erkrankung abgegolten sein.

Da es mittlerweile viel höhere Abfindungen bei HIV-Infektionen durch Blutplasma gibt, wollte der Betroffene seinen Fall neu aufrollen lassen. Heute würden Abfindungen bis 450.000 DM gezahlt, so sein Argument: Verglichen damit, sei er 1988 mit einem "Discountvergleich" abgespeist worden.

Das Landgericht Heidelberg verkannte zwar nicht die Tragik, die der unverrückbare Vergleich für den Aidskranken bedeutet (2 O 168/94). Die Vereinbarung habe aber gerade den Streit über die Abfindung beenden sollen. Es verstieße gegen das Wesen eines Vergleichs, würde man jetzt erneut über die Höhe der Entschädigung streiten.

Operationsrisiko verharmlost?

Patientin ist nach einer Tumoroperation halbseitig gelähmt und verlangt Schadenersatz

Eine 1962 geborene Frau litt unter einem meist gutartigen Tumor der Hirnhaut (Meningeom). Die Geschwulst war schon relativ groß, deshalb empfahl der behandelnde Arzt, sie operativ entfernen zu lassen. Den Eingriff führte ein Chirurg im Krankenhaus durch. Danach war die Patientin dauerhaft halbseitig gelähmt. Von der Klinik und vom Operateur forderte sie Schadenersatz wegen unzureichender Risikoaufklärung vor dem Eingriff.

Im Aufklärungsbogen des Krankenhauses werden als mögliche Folgen einer "großen Tumoroperation" Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen, Sehstörungen, Verwirrtheit und viele andere, teils lebensgefährliche Komplikationen aufgezählt.

Deshalb wies das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz die Klage der Patientin ab: Die Gefahren würden im Aufklärungsbogen sehr klar gekennzeichnet. Allein die Tatsache, dass der Chirurg einige Risiken unterstrichen habe, die Formulierung "unter Umständen schwere und dauerhafte Ausfälle" jedoch nicht, belege keine Verharmlosung.

Mit diesem Urteil war der Bundesgerichtshof nicht einverstanden: Er verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (VI ZR 342/21). Die Patientin habe nicht nur gerügt, dass eine Formulierung im Aufklärungsbogen nicht unterstrichen gewesen sei. Vielmehr habe sie ausdrücklich eine Passage beanstandet, in der es heiße, nach dieser Operation komme es nur "selten" zu schweren, dauerhaften Störungen.

Dabei habe doch der medizinische Sachverständige im Prozess erläutert, dass nach dieser Operation 20 Prozent der Patienten schwere und 30 Prozent der Patienten leichte neurologische Defizite zeigten. Wenn im Aufklärungsbogen dennoch das Risiko schwerer bleibender Störungen als selten oder als Ausnahme charakterisiert werde, grenze das schon an Verharmlosung — zumal auch noch betont werde, sie bildeten sich im Laufe der Zeit meistens zurück.

Die Daten des Sachverständigen belegten, dass bei diesem Eingriff trotz sorgfältiger Diagnostik Komplikationen kaum zu vermeiden seien. Im konkreten Fall sei das Risiko sogar weit höher gewesen als der vom Experten genannte Durchschnittswert, weil der Tumor der Patientin stark durchblutet und mit dem Hirngewebe verzahnt war.

Mit den einschlägigen Hinweisen des Sachverständigen und dem zentralen Einwand der Patientin gegen den Aufklärungsbogen habe sich das OLG überhaupt nicht befasst. Das müsse die Vorinstanz nun nachholen. Auch der vom OLG als sehr treffend hervorgehobene Hinweis darauf, dass nach dem Eingriff schlaganfallähnliche Symptome auftreten könnten, sei im Aufklärungsgespräch durch den Verweis auf wahrscheinliche Rückbildung relativiert worden.

Unzumutbar viele Nachbehandlungen beim Zahnarzt?

Zahnersatz sitzt oft nicht "auf Anhieb": Das belegt keinen Behandlungsfehler

Ein Zahnarzt hatte mehrere Zähne einer Patientin mit Kronen versorgt. Die Kronen hätten von Anfang an nicht richtig gepasst, beanstandete die Frau nachträglich: Mit ca. 30 Terminen für die Nachbehandlung sei die Grenze des Zumutbaren überschritten.

Die Patientin verlangte vom Mediziner die Rückzahlung ihres Eigenanteils an den Behandlungskosten und Schmerzensgeld für die langwierige Prozedur. Das Landgericht Leipzig wies ihre Klage ab: Die Patientin habe keine Behandlungsfehler nachweisen können. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden bestätigte das Urteil (4 U 2562/21)

Die vom Gericht beauftragte medizinische Sachverständige habe zwar am Gipsmodell eine "nicht korrekte Einschleifsituation" bei zwei Zähnen festgestellt. Doch seien die Kronen zu diesem Zeitpunkt nur provisorisch eingegliedert gewesen. Der Zahnarzt habe sie problemlos noch nacharbeiten können. Ernsthafte Abweichungen vom ärztlichen Standard seien an den Modellen nicht zu erkennen, so das Fazit der Sachverständigen.

Bei einer zahnprothetischen Versorgung sei ein Behandlungsfehler des Arztes nicht schon dann anzunehmen, wenn der Zahnersatz nicht beim ersten Mal "sitze", betonte das OLG. Zahnersatz einzugliedern, sei ein "mehrstufiger Prozess". Dabei seien fast immer Anpassungsmaßnahmen nötig, bei denen die Patienten mitwirken müssten.

Die Patientin habe behauptet, sie habe zu 30 Nachbesserungsterminen antreten müssen. In den Behandlungsunterlagen dokumentiert seien aber für jeden Zahn maximal drei Termine, wobei es sich jeweils nur um minimale Polituren und das Einschleifen von Füllungen gehandelt habe. Um das zu widerlegen, hätte die Frau für die angebliche Menge von Nachbehandlungen schon einen handfesten Beweis erbringen müssen.

Bei Ärzten Fentanyl-Rezepte erschlichen

Süchtiger Rentner wegen Betrugs und Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt

Von 2016 bis 2019 suchte der heute 65 Jahre alte Rentner sieben verschiedene Münchener Ärzte auf und ließ sich Fentanyl-Pflaster verschreiben: Damit behandelt man starke chronische Schmerzen — die Pflaster sind als Betäubungsmittel eingestuft. Deshalb verschwieg der Mann, wenn er sich in einer neuen Praxis vorstellte, dass ihm bereits andere Ärzte Rezepte für Fentanyl ausgestellt hatten.

Einer Ärztin erzählte er gar, er arbeite auf einer Ölplattform und benötige deswegen einen größeren Vorrat an Pflastern. Auf Kosten seiner Krankenkasse besorgte sich der Mann in diversen Apotheken 980 Pflaster (Gesamtwert:20.777,40 Euro). Vor Gericht erklärte später eine sachkundige Zeugin, mit dieser Menge hätte sich der "Patient" acht Jahre lang berauschen können.

Das Amtsgericht München verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 19 Monaten auf Bewährung — wegen Betrugs, Erschleichens von Rezepten und Besitzes von Betäubungsmitteln (1125 Ls 362 Js 107777/2). Bei der Bemessung der Strafe habe sein umfassendes Geständnis für den Angeklagten gesprochen, so der Richter. Und zumindest anfangs habe er Rezepte gehamstert, um tatsächlich Schmerzen zu bekämpfen, die nach einer Operation vor sieben Jahren immer wiederkehrten.

Allerdings sei durch das "Ärztehopping" über die Jahre erheblicher wirtschaftlicher Schaden für die Krankenkasse entstanden. Darüber hinaus sei Fentanyl ein gefährliches Betäubungsmittel, von dem der Angeklagte durch falsche Angaben erhebliche Mengen "ergattert" habe. Trotzdem werde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Denn der Einfluss des Strafvollzugs sei hier nicht erforderlich, um den Täter von weiteren Straftaten abzuhalten: wegen seines Alters und weil er mittlerweile keine Betäubungsmittel mehr verwende.

Ärztliche Behandlungsfehler und Verjährungsfrist

Die Frist beginnt, sobald der Patient einen Rückschluss auf ärztliches Fehlverhalten ziehen kann

Nach einer Operation im Januar 2017 erlitt der Patient eine Blutvergiftung mit akutem Nierenversagen. Jahre später warf er den Klinikärzten vor, sie hätten weder auf seine extremen Schmerzen, noch auf den außerordentlich hohen CRP-Wert nach dem Eingriff rechtzeitig reagiert (CRP-Wert: ein Eiweißstoff im Blut, der eine Entzündung anzeigt). Zu spät habe deshalb die lebensrettende Notoperation stattgefunden.

Der Mann beantragte Ende 2020 Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Klinik. Das Landgericht Leipzig wies den Antrag ab, weil die Sache verjährt sei. Dass die Operation 2017 negativ endete, wisse der Patient seit über vier Jahren, die Verjährungsfrist für Arzthaftungssachen betrage drei Jahre. Mit dieser Entscheidung war das Oberlandesgericht (OLG) Dresden nicht einverstanden (4 W 251/22).

Bei Fragen der Arzthaftung beginne die Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn der Patient von den Umständen, die einen Anspruch begründen könnten, "Kenntnis erlange". Kenntnis bedeute nicht die triviale Tatsache, dass dem Patienten der negative Ausgang einer Behandlung, Schmerzen und Komplikationen nach einem Eingriff bekannt seien, betonte das OLG. Da müsse sich nicht gleich der Gedanke an ärztliches Fehlverhalten aufdrängen.

Vielmehr müsse es dem medizinischen Laien auch möglich sein, auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache des Misserfolgs zu schließen. Das sei erst der Fall, wenn er/sie Tatsachen erfahre, aus denen sich ergebe, dass der behandelnde Arzt vom medizinischen Standard abgewichen sei oder Maßnahmen unterlassen habe, die erforderlich gewesen wären, um Komplikationen zu vermeiden. Erst dann beginne die Verjährungsfrist.

Im konkreten Fall habe der Patient "Kenntnis erlangt" durch das medizinische Gutachten seiner Krankenversicherung vom August 2020. Darin habe ein Sachverständiger die ärztlichen Versäumnisse erläutert, die die postoperative Blutvergiftung verursachten. Wie ein medizinischer Laie ohne solche Hinweise den Rückschluss auf ärztliche Fehler ziehen sollte, sei nicht ersichtlich. Daher habe die Verjährungsfrist erst im August 2020 zu laufen begonnen, die Rechtssache sei nicht verjährt. Da die Klage gegen die Klinik zudem Aussicht auf Erfolg habe, stehe dem Antragsteller Prozesskostenhilfe zu.

Reklame für Fernbehandlungen

Sie ist nur für Behandlungen zulässig, bei denen kein persönlicher Kontakt zum Arzt notwendig ist

Eine private Krankenversicherung bot ihren Versicherten "digitale Arztbesuche" an — per App bei in der Schweiz ansässigen Ärzten. Dort sind Fernbehandlungen schon länger erlaubt. Auf ihrer Internetseite warb die Versicherung für dieses Angebot: "Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App".

Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs forderte, die Versicherung müsse die Reklame unterlassen: Das Heilmittelwerbegesetz verbiete zum Schutz der Patienten Werbung für Fernbehandlungen. Das Landgericht gab den Wettbewerbshütern Recht. Die Versicherung verfolgte ihr Anliegen weiter und berief sich auf eine Änderung des Heilmittelwerbegesetzes Ende 2019.

Demnach ist Reklame für Fernbehandlungen nicht mehr verboten, wenn für eine ärztliche Behandlung "nach allgemein anerkannten fachlichen Standards" kein persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient erforderlich ist. Trotzdem sei die Werbung im konkreten Fall unzulässig gewesen, entschied der Bundesgerichtshof (I ZR 146/20).

Der Arzt müsse den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch untersuchen — sei es durch Abklopfen oder Abhören, sei es mit technischen Mitteln wie z.B. einem Ultraschallgerät. In einer Videosprechstunde sei das unmöglich.

Mit Hilfe einer App könne man wohl jemanden krankschreiben oder Rezepte für bekannte Beschwerden ausstellen. Die Versicherung habe aber Reklame für eine umfassende ärztliche Behandlung per Fernbehandlung gemacht, inklusive der Diagnose von Krankheiten. Diagnostik und Therapieempfehlungen per Fernkommunikation ohne Untersuchung — das entspreche sicher nicht allgemein anerkannten fachlichen Standards.

Verspätete Risikoaufklärung kurz vor der OP

Kurzartikel

Auch wenn kein Behandlungsfehler vorliegt, haben Patienten nach einem missglückten Eingriff Anspruch auf Schmerzensgeld vom operierenden Arzt, wenn die erforderliche Risikoaufklärung erst kurz vor der Operation bei einer vorbereitenden Untersuchung stattfand. Das ist zu spät: Unter Zeitdruck können Patienten das Für und Wider nicht ruhig abwägen und sich frei entscheiden. Daher ist die Einwilligung in die Operation in so einem Fall unwirksam, der Eingriff als rechtswidrig anzusehen.

Risikoaufklärung vor der Augen-OP

Ist umstritten, wie sich der richtig informierte Patient entschieden hätte, muss ihn das Gericht dazu anhören

Ein Patient hatte sich einer Laser-Behandlung unterzogen, um seine Kurzsichtigkeit zu beheben. Der Augenarzt hatte ihn über die Risiken der LASIK-Behandlung aufgeklärt, bei der mit dem Laser Gewebe im Inneren der Augenhornhaut abgetragen wird. Bei dem Eingriff in Vollnarkose traten Probleme auf, weshalb der Arzt eine andere Laser-Technik wählte (Photoreaktive EXCIMER-Behandlung = PRK, bei der Hornhautschichten an der Oberfläche abgetragen werden).

Über die Risiken dieser zweiten Operationstechnik war der Patient allerdings nicht informiert worden. Er klagte anschließend über Sehstörungen und Augentrockenheit, die er auf den Eingriff zurückführte. Eine Korrektur-Operation verbesserte die Beschwerden nicht. Schließlich verlangte der Patient vom Augenarzt Schmerzensgeld, weil er seine Aufklärungspflicht verletzt habe.

Anspruch auf Entschädigung besteht in so einem Fall jedoch nur, wenn Patienten plausibel darlegen, dass sie sich bei korrekter Aufklärung gegen die Operation entschieden hätten oder zumindest in einen Entscheidungskonflikt geraten wären.

Im konkreten Fall sei dies dem Patienten schon in seinen Schriftsätzen nicht gelungen, fand das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg. Es wies die Klage ab, ohne den Kläger persönlich dazu anzuhören: Der Augenarzt könne sich auf eine "hypothetische Einwilligung" berufen — d.h. es sei davon auszugehen, dass der Patient dem Eingriff in jedem Fall zugestimmt hätte, so die Begründung des OLG.

Gegen das Urteil wehrte sich der Mann mit Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit ans OLG zurück (VI ZR 310/21). Wenn die äußeren Umstände der Aufklärung und der tatsächlichen Entscheidungssituation des Patienten so umstritten seien wie hier, dürfe ein Gericht über den Fall nicht entscheiden, ohne den Patienten dazu persönlich anzuhören.

Dem Kläger die Anhörung zu verweigern, verstoße gegen seinen Anspruch auf "rechtliches Gehör". Er müsse Gelegenheit bekommen zu erläutern, wie er sich bei ausreichender Aufklärung über das Operationsrisiko entschieden hätte. Nur so könne das Gericht seine Motive verstehen.

Offen geblieben sei auch die Frage, wie eine vollständige Aufklärung hier hätte aussehen sollen. Müssten Augenärzte prinzipiell über beide Techniken aufklären? Damit habe sich das OLG nicht befasst.

Fake-Attest aus dem Internet

Wer ein "Blanko-Formular" benutzt, um der Maskenpflicht zu entgehen, kann sich strafbar machen

Auch unter den Medizinern gibt es Leute, denen es in erster Linie auf Gewinn ankommt. Während der Pandemie blühte unter anderem das Geschäft mit Blanko-Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht. Wer keinen Mund-Nasenschutz tragen wollte, konnte sich im Internet Formulare herunterladen, überschrieben mit "Ärztliches Attest". Darin bescheinigte der ausstellende Arzt dem Verwender — der die eigenen Personalien eintragen musste —, dass es für ihn/sie aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, eine Maske zu tragen.

So ein Pseudo-Attest zeigte ein Mann der Polizei, die ihn bei einer Kontrolle auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Das brachte ihm eine Anzeige ein. Das Landgericht Hannover verurteilte den Maskenverweigerer wegen "Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses" zu einer Geldstrafe. "Blanko-Atteste" zu verwenden, könne strafbar sein, bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) Celle (2 Ss 58/22).

Die Formulare erweckten den Anschein, als könne der Angeklagte aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen — und als hätte ein Mediziner dies bei einer ärztlichen Untersuchung festgestellt. Da man die Formulare aber im Internet herunterladen könne, ohne den Arzt jemals gesehen zu haben, seien diese scheinbaren Atteste "unrichtig".

Dennoch verwies das OLG den Fall ans Landgericht zurück, weil ihm die Höhe der Geldstrafe nicht ausreichend begründet erschien. Vor allem aber sei zu prüfen, ob das Formular vom Arzt unterschrieben war (mit eingescannter Unterschrift). Ansonsten liege nämlich gar kein Gesundheitszeugnis im Sinne des Gesetzes vor.

Student verpasst Prüfung

Ein ärztliches Attest muss vom Mediziner eigenhändig unterschrieben sein

An einer Universität in Nordrhein-Westfalen studierte der junge Mann Wirtschaftswissenschaften. Zu einer Wiederholungsprüfung für den Bachelorabschluss trat er im Februar 2020 nicht an. Ob der Student nicht genug gepaukt hatte oder wirklich krank war, tut hier nichts zur Sache: Jedenfalls legte er, um seine Abwesenheit zu entschuldigen, ein ärztliches Attest vor, das der Prüfungsausschuss nicht gelten ließ.

Denn es war nicht vom Arzt persönlich, sondern von einer Medizinischen Fachangestellten in seinem Auftrag unterschrieben worden. Aus diesem Grund bewertete der Prüfungsausschuss die Bachelorprüfung als "nicht bestanden". Dagegen wehrte sich der Student vergeblich: Seine Klage scheiterte beim Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf (15 K 7677/20).

Mit diesem Attest könne er das Nichterscheinen bei der Prüfung nicht entschuldigen, entschied das VG. Wenn ein ärztliches Attest von einer dritten Person im Auftrag des Arztes unterzeichnet werde, sei es unwirksam. Aus ärztlichen Attesten müsse hervorgehen, dass der Arzt selbst die Verantwortung für dessen Inhalt übernehme. Ein Attest sei eine Wissenserklärung, die der Arzt grundsätzlich selbst abgeben müsse. Daher sei es nur mit eigenhändiger Unterschrift des Mediziners wirksam.

Operative Magenverkleinerung

Muss die Krankenkasse den Eingriff nur dann finanzieren, wenn alle anderen Therapien erfolglos waren?

Ein stark übergewichtiger, gesetzlich versicherter Mann ließ sich in einer Klinik den Magen operativ verkleinern. Klinikaufenthalt und Schlauchmagen-OP kosteten 7.204 Euro. Seine Krankenkasse, die AOK Bayern, hatte nach Rücksprache mit dem "Medizinischen Dienst der Krankenversicherung" (MDK) die Kostenübernahme verweigert.

Begründung: So einen Eingriff müsse sie nur finanzieren, wenn er die "ultima ratio" darstelle, d.h. wenn alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ohne Erfolg durchgeführt worden seien. Eine konservative Therapie gegen Fettleibigkeit sei im konkreten Fall aber nicht dokumentiert, also gar nicht erst versucht worden. Dass die Operation medizinisch notwendig gewesen sei, stehe daher nicht fest.

Die Klinik verklagte die Krankenkasse auf Zahlung und bekam vom Landessozialgericht (LSG) Recht. Doch das Bundessozialgericht befand, die bisherigen Feststellungen reichten nicht aus, um die Frage zu entscheiden, ob der Eingriff medizinisch notwendig war und der Klinik deshalb Vergütung zustehe (B 1 KR 19/21 R). Die Bundesrichter verwiesen den Rechtsstreit ans LSG zurück — mit folgendem Hinweis für die Entscheidung:

Bei Fettleibigkeit dürfe in der Tat eine operative Magenverkleinerung nur als "letztes Mittel" angewandt werden, wenn anders kein Fortschritt zu erzielen sei. Anders als die Krankenkasse meine, setze das jedoch nicht zwingend voraus, dass alle anderen Therapien vorher praktisch angewandt wurden und gescheitert seien. Es sei ausreichend, wenn feststehe, dass die voraussichtlichen Ergebnisse der Operation den zu erwartenden Resultaten anderer Behandlungsmöglichkeiten eindeutig überlegen seien.