Gesundheitswesen

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Zusammenbruch beim Triathlon

Sportler will sich partout nicht behandeln lassen und wirft den Sanitätern danach unterlassene Hilfeleistung vor

2017 hatte sich ein Lehrer zu einem "Jedermann-Triathlon" angemeldet. Dabei mussten die Teilnehmer 750 Meter schwimmen, 20,4 km radfahren und fünf km laufen. Vorher mussten alle bei der Anmeldung unterschreiben, dass ihr Trainingszustand diesen Anforderungen entspricht und dass sie über die Gefahren durch Überanstrengung Bescheid wissen. Auch der Lehrer gab diese Erklärung ab und überschätzte seine Leistungsfähigkeit.

Seit zwei Jahren hatte er keinen Wettkampf mehr absolviert. Zudem litt der Mann an Bronchialasthma und hatte gerade erst eine Erkältung hinter sich gebracht. Am Tag des Triathlon-Wettkampfs herrschten mehr als 30 Grad Celsius. Unterwegs wirkte der Hobbysportler bereits erschöpft. Beim Laufen torkelte er auf der Zielgeraden und erreichte das Ziel nur mit Müh und Not. Dort legte sich der Pädagoge ausgepowert auf den Boden.

Sofort eilten Sanitäter herbei, denen er jedoch erklärte, er brauche keine Behandlung. Als sie ihn mit der Trage ins Sanitätszelt bringen wollten, kletterte der "Patient wider Willen" von der Trage. Im Zelt legten ihm die Sanitäter eine Infusion. Sie mussten die Maßnahme aber abbrechen, weil der Mann um sich schlug und randalierte. Schließlich verschlechterte sich sein Zustand so, dass er nicht mehr ansprechbar war — nun riefen die Sanitäter einen Notarzt. In einer Klinik wurden Unterzucker und akutes Nierenversagen diagnostiziert.

Als sich der Lehrer von seinem Kollaps erholt hatte, verklagte er den Veranstalter des Triathlons und den Sanitätsdienst auf Schmerzensgeld: Die verzögerte Behandlung sei als unterlassene Hilfeleistung zu bewerten, meinte er. Das Landgericht Dresden war allerdings anderer Ansicht und wies die Klage ab (10 O 2201/20). Grundsätzlich müssten Patienten einer medizinischen Behandlung vorher zustimmen, betonte das Landgericht.

Und der Triathlet habe im Sanitätszelt mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, man solle ihn in Ruhe lassen und nicht behandeln. Dann könne er nicht nachträglich den Rettungskräften vorwerfen, er sei zu spät behandelt worden. Sie hätten vorschriftsmäßig gehandelt, indem sie seinen Willen respektierten. Selbst wenn der Lehrer möglicherweise schon im Delirium gewesen sei, sei das für die Sanitäter nicht klar erkennbar gewesen.

Auf die Sanitäter habe er keineswegs "verwirrt" gewirkt. Sie seien daher nicht von einem Ausnahmefall ausgegangen: Nur wenn ein Patient offenkundig nicht in der Lage sei, eine eigene Entscheidung zu treffen, dürften Mediziner und Rettungskräfte dessen Willen ignorieren. Schließlich sei nicht nur unterlassene Hilfeleistung, sondern auch eine aufgezwungene Behandlung gegen den Willen des Patienten als Körperverletzung strafbar.

Zeitarbeiter nach der Krankmeldung entlassen

Arbeitgeber zweifelt die AU-Bescheinigung an und verweigert die Entgeltfortzahlung

14 Monate war Arbeitnehmer B bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Am 2.5.2022 meldete er sich für vier Tage krank. Darauf reagierte die Arbeitgeberin noch am selben Tag mit Kündigung zum Monatsende. Das Schreiben ging dem Arbeitnehmer am nächsten Tag zu. Bis zum 31.Mai legte der entlassene Zeitarbeiter mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seines Hausarztes mit unterschiedlichen Diagnosen vor.

Kündigung und Krankschreibung seien hier doch sehr auffällig zusammengetroffen, fand die Firma. Sie bezweifelte die AU-Bescheinigungen des Mediziners und verweigerte B die Entgeltfortzahlung für den Monat Mai. Der Zeitarbeiter klagte sie ein und bekam vom Arbeitsgericht Hildesheim Recht. Gegen das Urteil legte die Arbeitgeberin erfolglos Berufung ein.

Es wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen bestätigt (8 Sa 859/22). Ernste Zweifel an einer ärztlichen AU-Bescheinigung seien angebracht, wenn sich ein Arbeitnehmer nach einer Kündigung sozusagen "postwendend" krank melde. Das gelte vor allem dann, betonte das LAG, wenn mehrere AU-Bescheinigungen lückenlos die gesamte Dauer der Kündigungsfrist abdeckten.

Anders sei der Sachverhalt aber zu bewerten, wenn sich ein Arbeitnehmer — wie B im konkreten Fall — erst krank melde und danach entlassen werde. Damit stehe keineswegs fest, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Krankheit des Arbeitnehmers bestehe. Der "Beweiswert" der AU-Bescheinigung sei hier nicht erschüttert. Daher sei es nicht gerechtfertigt, dem Mann die Entgeltfortzahlung vorzuenthalten. (Die Zeitarbeitsfirma hat gegen das Urteil Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.)

Kosten einer Fettabsaugung sind steuerlich absetzbar

Das gilt aber nur, wenn eine krankhafte physische Störung behandelt wurde

Frau X leidet seit langem an einer krankhaften Störung der Fettverteilung ("Lipödem"), bei der sich das Fett vor allem an Beinen, Hüfte und Gesäß der Betroffenen übermäßig vermehrt. Da konservative Behandlungsmethoden erfolglos blieben, ließ sich die Patientin schließlich auf Anraten ihres Arztes Fett absaugen ("Liposuktion"). Ihre Krankenkasse lehnte es ab, die Kosten des Eingriffs zu übernehmen: Dafür liege keine Empfehlung des "Gemeinsamen Bundesausschusses der Krankenkassen" vor.

Als Frau X die Behandlungskosten bei ihrer Einkommensteuererklärung als außergewöhnlichen Aufwand geltend machte, winkte auch das Finanzamt ab: Die Liposuktion sei erstens eine wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethode. Zweitens fehle ein Gutachten des Medizinischen Dienstes zur medizinischen Notwendigkeit des Eingriffs. So eine Bescheinigung hätte vor Beginn der Behandlung ausgestellt werden müssen.

Die Klage der Patientin gegen den Steuerbescheid hatte beim Bundesfinanzhof Erfolg (VI R 39/20). Das oberste deutsche Finanzgericht bescheinigte dem Finanzamt, medizinisch nicht auf der Höhe der Zeit zu sein: Unter Medizinern bestehe schon seit 2016 Einigkeit, dass das Fettabsaugen bei einem Lipödem wirksam und zweckmäßig sei. Darüber gebe es keine nennenswerten Debatten mehr.

Dass der "Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen" das Fettabsaugen noch nicht in das Leistungsverzeichnis der von den Krankenkassen zu finanzierenden Behandlungsmethoden aufgenommen habe, spiele bei der Einkommensteuer keine Rolle. Denn die bei Frau X durchgeführte Liposuktion habe nachweislich nicht kosmetischen Zwecken gedient, sondern sei medizinisch notwendig gewesen.

Daher seien die Behandlungskosten als außergewöhnliche Belastung der Steuerzahlerin steuermindernd zu berücksichtigen. Dafür müsse Frau X weder ein amtsärztliches Gutachten, noch eine ärztliche Bescheinigung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung vorlegen.

Anspruch auf nicht zugelassenes Medikament?

Auch und gerade bei todkranken Versicherten geht die Sicherheit der Arzneimittel vor

Ein 19-jähriger Patient leidet an Duchenne-Muskeldystrophie, einer seltenen, genetisch bedingten Erkrankung, an der die Betroffenen meist schon im frühen Erwachsenenalter sterben. Der Patient ist seit 2015 gehunfähig. Bei seiner Krankenkasse hatte er die Kostenübernahme für das Medikament "Translarna" beantragt. Doch dieses Arzneimittel ist nur für gehfähige Patienten zugelassen.

Mit dieser Begründung lehnte die Krankenkasse die Kostenübernahme ab: Zwei Anträge des Herstellers, die Zulassung für das Medikament auf "nicht mehr gehfähige Dystrophie-Patienten" zu erweitern, seien aufgrund negativer Bewertungen von der Europäischen Arzneimittel-Agentur 2019 abgewiesen worden. Daher habe der Versicherte keinen Anspruch auf Kostenübernahme für dieses Arzneimittel.

Das Bundessozialgericht gab der Krankenkasse Recht (B 1 KR 35/21 R). Wenn sich Versicherte wegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung in einer Notlage befänden, werde in der Regel großzügig entschieden. Häufig bekämen sie sogar Medikamente, deren Wirksamkeit medizinisch noch nicht 100-prozentig belegt sei — sofern wenigstens eine geringe Aussicht auf Heilung oder positiven Einfluss auf die Krankheit bestehe.

Davon könne man aber nicht ausgehen, wenn die Arzneimittelbehörde die Unterlagen eines Pharmaunternehmens im Zulassungsverfahren geprüft und negativ bewertet habe. Dabei spiele es keine Rolle, ob die negative Beurteilung auf einer aussagekräftigen medizinischen Studienlage beruhe oder ob der medizinische Nutzen des Medikaments wegen methodischer Probleme bei der Auswahl der Herstellerdaten nicht bestätigt worden sei.

Auch und gerade bei so schweren Erkrankungen müsse die Arzneimittelbehörde die Patienten vor unkalkulierbaren Risiken schützen. Aufgrund ihrer fachlichen Expertise gewährleiste das Zulassungsverfahren eine wissenschaftlich einwandfreie und unabhängige Prüfung, inklusive Ausnahmeregeln für Härtefälle. Auf Arzneimittel ohne Zulassung hätten gesetzlich Krankenversicherte daher grundsätzlich keinen Anspruch.

Vom "Stellvertreter" statt vom "Wahlarzt" behandelt

Dass der Chefarzt verhindert war, stand von vornherein fest: Klinik-Wahlleistungsvereinbarung wirksam?

Ein Patient musste wegen einer dringenden Herzkatheteruntersuchung ins Krankenhaus. Bei der Aufnahme schloss er mit der Klinik eine Wahlleistungsvereinbarung. Demnach hätte ihn der Chefarzt der Fachabteilung untersuchen sollen. Doch die Verwaltungsmitarbeiterin an der Rezeption teilte dem Patienten sofort mit, der Chefarzt sei verhindert und könne die Behandlung nicht persönlich durchführen.

Zusätzlich zur Wahlleistungsvereinbarung unterschrieb der Mann eine Patientenerklärung und versicherte darin, er sei über alle Optionen informiert worden: Er könne sich für das gleiche Honorar von einem Stellvertreter des Chefarztes oder vom diensthabenden Arzt ohne Zuzahlung untersuchen lassen oder die Behandlung verschieben, bis der Wahlarzt zur Verfügung stehe. Er könne auch die Wahlleistungsvereinbarung auflösen und sich in einer anderen Klinik behandeln lassen.

Der Patient ließ sich vom Stellvertreter untersuchen und wurde nach zwei Tagen aus der Klinik entlassen. Doch die Rechnung über 3.143 Euro bezahlte er nicht. Die Wahlleistungsvereinbarung sei unwirksam, erklärte der Mann: Denn das höhere Honorar für die "Wahlleistung Arzt" setze voraus, dass der Arzt seiner Wahl die Untersuchung auch tatsächlich durchführe. Als er die Wahlleistungsvereinbarung bei der Aufnahme in die Klinik unterschrieben habe, sei aber bereits klar gewesen, dass der Chefarzt ihn nicht behandeln könne.

Das Landgericht Heidelberg entschied den Streit ums Honorar zu Gunsten der Klinik (4 S 3/22). Wenn von Anfang an feststehe, dass der Wahlarzt verhindert sei, werde dadurch die Wahlleistungsvereinbarung nicht automatisch unwirksam, so das Landgericht.

Der Chefarzt könne seine Aufgabe wirksam auf einen Stellvertreter übertragen — wenn absehbar sei, dass er wegen eines Urlaubs, einer Krankheit etc. einen Patienten nicht selbst behandeln könne. Die Klinik müsse dann allerdings mit dem Patienten zusätzlich zur Wahlleistungsvereinbarung eine Stellvertretervereinbarung treffen.

Im konkreten Fall sei alles vorschriftsmäßig abgelaufen: Der Patient sei vor Vertragsschluss darüber informiert worden, dass der Wahlarzt verhindert sei und dass Stellvertreter X die wahlärztlichen Leistungen zu den vereinbarten Bedingungen übernehme, wenn der Patient einverstanden sei. Diesem Vorschlag habe er zugestimmt. Vorher sei der Patient über alle anderen Möglichkeiten unterrichtet worden. Nur eine davon — die Herzkatheteruntersuchung zu verschieben — sei für ihn aus medizinischen Gründen nicht in Frage gekommen.

Kein Recht auf ein Zweitgutachten

Versicherter verlangt von der Krankenkasse mehr Hilfe für einen Arzthaftungsprozess

Krankenkassen sollen ihre Versicherten unterstützen, wenn diese wegen ärztlicher Behandlungsfehler Ansprüche geltend machen wollen. Allerdings nicht unbegrenzt, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (L 16 KR 432/22). Im konkreten Fall wollte ein 57 Jahre alter Mann den Operateur auf Schmerzensgeld verklagen, der ihn aufgrund einer Vorhautverengung beschnitten hatte.

Mit diesem Anliegen wandte sich der Patient an die Krankenkasse: Seit dem Eingriff leide er an Impotenz und Schmerzen, was zudem Depressionen ausgelöst habe. Der Mann führte die Probleme auf einen Behandlungsfehler zurück. Außerdem sei er nicht richtig über die Operation aufgeklärt worden. Ihm gehe es aber nicht nur um Geld, sondern um ein schmerzfreies, funktionsfähiges Geschlechtsteil — notfalls müsse ihm ein anderer Mediziner auf Kosten des Operateurs eine Ersatzvorhaut transplantieren.

Seine Krankenkasse beauftragte den Medizinischen Dienst mit einem Gutachten zu eventuellen Behandlungsfehlern. Doch das Ergebnis gefiel dem Versicherten ganz und gar nicht: Eine Beschneidung sei nicht geeignet, Beschwerden wie Impotenz zu verursachen, erklärte der Medizinische Dienst. Nun forderte der Versicherte ein weiteres Gutachten, außerdem müsse man seine Frau als Zeugin vernehmen. Als die Krankenkasse dies ablehnte, zog der Mann vor Gericht.

Doch das LSG urteilte, auf mehr Unterstützung habe er keinen Anspruch. Die gesetzliche Krankenversicherung habe mit dem Gutachten ihre Hilfspflicht erfüllt. Krankenkassen sollten Versicherten die Beweisführung in Arzthaftungsprozessen erleichtern, indem sie Auskunft geben über die von Medizinern gestellten Diagnosen und über die angewandte Therapie, indem sie ärztliche Unterlagen anfordern und Gutachten beim Medizinischen Dienst beauftragten.

Wenn ein Versicherter mit dem Resultat so eines Gutachtens unzufrieden sei, müsse die Krankenkasse deswegen jedoch nicht weitere Gutachten einholen oder selbst Ermittlungen für den Prozess beginnen und Zeugen vernehmen.

Werbung für Meditonsin versprach zu viel

Kurzartikel

Die NRW-Verbraucherzentrale setzte das Verbot einiger Werbeaussagen durch, mit denen der Anbieter des homöopathischen Mittels Meditonsin im Internet geworben hatte. Das betraf die Aussage, Meditonsin reduziere die "Intensität der typischen Erkältungssymptome" "rasch und zuverlässig" sowie ähnliche Behauptungen. Dies sei irreführend, so das Landgericht Dortmund. Solche Aussagen erweckten den falschen Eindruck, erkältete Patienten könnten mit Gewissheit Besserung erwarten, wenn sie das Mittel einnehmen.

"Der einzige Tierarzt, der mit dem Endoskop operiert"

Auch für Tiermediziner gilt das ärztliche Werbeverbot

Ein Hamburger Tierarzt wurde in der Presse in einem ganzseitigen Bildbericht mit seinem Namen und seiner Adresse vorgestellt als "der einzige Tierarzt der Welt, der Hunde und Katzen mit dem Endoskop operiert" (einem Instrument zur Besichtigung des Körperinneren). Damit handelte er sich ein Urteil ein, das ihm die Mitarbeit an solchen Publikationen untersagte.

Das sei Reklame gewesen, stellte das Oberlandesgericht Hamburg fest und warf dem Tierarzt unlauteren Wettbewerb vor (3 U 54/94). Andere Tierärzte, die sich in gebotener Weise bei der Werbung zurückhielten, würden in ihrem beruflichen Fortkommen gehindert, wenn man derartige Artikel zuließe. Das Standesrecht verbiete daher zu Recht jegliche Werbung. Auch wenn das Wettbewerbsrecht in diesem Punkt etwas liberalisiert worden sei: Das Verhalten des Tiermediziners sei zu missbilligen. Hier gehe es nicht um einen Bagatellfall, vielmehr seien die Interessen der Allgemeinheit ernsthaft betroffen.

Strittige Alternativtherapien

Die private Krankenversicherung übernahm eineinhalb Jahre die Behandlungskosten: Vertrauensschutz?

Nach einem Herzinfarkt litt eine Patientin dauerhaft unter Herzproblemen, Blockierungen der Wirbelsäule, heftigen Kopfschmerzen und anderen Beschwerden. Sie vertraute auf einen Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren, der bei ihr alternative, wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Therapien anwandte (Photonentherapie, Ozontherapie). Mit geringen Abzügen erstattete die private Krankenversicherung der Frau eineinhalb Jahre lang die Behandlungskosten.

Dann forderte das Unternehmen ausführliche Befunde und kündigte schriftlich an, den Leistungsanspruch der Versicherungsnehmerin genau zu prüfen. Dabei kam die Versicherung zu dem Ergebnis, die Leistungen seien größtenteils nicht als medizinisch notwendig einzustufen. Die letzte Rechnung belaufe sich auf 9.542 Euro, davon würden nur 1.679 Euro erstattet. Die Zahlungsklage der Patientin führte beim Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe nur zu einem Teilerfolg (12 U 194/22).

Nach den Versicherungsbedingungen sei das Unternehmen nicht verpflichtet, die Kosten zu übernehmen, bestätigte das OLG: Die Wirksamkeit der betreffenden Therapien sei nicht erwiesen, als medizinisch notwendig seien sie nicht anzusehen. Grundsätzlich gelte: Der Versicherer könne seine Leistungspflicht bei jeder Behandlung neu prüfen, auch dann, wenn der Krankheitszustand des/der Versicherten unverändert sei. Mit der Kostenübernahme lege er sich nicht für die Zukunft fest.

Trotzdem müsse der Versicherer hier ausnahmsweise einen Teil der Kosten übernehmen (4.234 Euro). Würden Behandlungskosten über einen längeren Zeitraum vorbehaltlos erstattet, werde der Versicherungsnehmer darauf vertrauen, dass dies so bleibe. Das begründe allerdings, wie ausgeführt, noch keine Leistungspflicht. Im konkreten Fall habe jedoch das Vertrauen der Versicherten auf die Kostenübernahme ihre Entscheidung zu Gunsten der fraglichen Behandlung stark beeinflusst und das sei für den Versicherer erkennbar gewesen.

Daher sei es gerechtfertigt, dem Versicherer einen Teil der Kosten aufzuerlegen. Krankheit und Behandlungsmethoden seien im fraglichen Zeitraum gleichgeblieben. Bevor der Versicherer der Versicherten eine genaue Prüfung ankündigte, habe er die Kosten eineinhalb Jahre lang ohne Vorbehalte erstattet. Dass er dabei regelmäßig kleine Abzüge vornahm, habe die Frau nur so verstehen können, dass die Rechnungen geprüft und im Umfang der Kostenübernahme gebilligt worden seien.

Untaugliche Bandscheibenprothesen eingesetzt

Für Probleme mit zugelassenen Medizinprodukten haften nicht die Mediziner

Die konservativen Therapien seien "ausgereizt", hatte der Orthopäde der Patientin S erläutert, die er wegen Rückenproblemen behandelte: Nun müsse man operieren und Bandscheibenprothesen einsetzen. Sie folgte seinem Rat. Die Eingriffe wurden in einer Fachklinik durchgeführt. Der Chirurg verwendete dabei keine herkömmlichen Prothesen mit Titanplatten, sondern ein neues Modell, das vollständig aus Kunststoff bestand (Cadisc).

Es war wohl unzureichend klinisch erprobt, trotzdem CE-zertifiziert und für den europäischen Markt zugelassen worden. Kurz nach der Markteinführung hatte der Hersteller die ersten Chargen zurückgerufen: Man hatte festgestellt, dass die Prothesen an Höhe verloren und schlecht einwuchsen. Später nahm der Hersteller die Cadisc-Modelle vom Markt. Auch bei Frau S mussten die implantierten Prothesen wieder entnommen werden.

Für diese Tortur verlangte die Patientin Schmerzensgeld von der Klinik und vom Operateur. Sie warf ihnen vor, dass sie unzureichend über die Risiken dieser neuen Behandlungsmethode aufgeklärt worden sei. Doch das Oberlandesgericht Oldenburg wies den Vorwurf zurück (5 U 70/19). Hier gehe es nicht um eine Behandlung, mit der medizinisches "Neuland" betreten wurde — und die deswegen mit unbekannten Risiken behaftet gewesen sei.

Wenn ein Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard sei, müsse der behandelnde Arzt den Patienten darüber klar informieren. Doch bei den Bandscheibenprothesen seien sich alle Sachverständigen und Experten einig: Die Cadisc-Prothese sei etwas anders gebaut, unterscheide sich aber von etablierten Prothesen im "Risikoprofil" nicht. Probleme (beim Einwachsen, den Höhenverlust etc.) gebe es auch bei herkömmlichen Prothesen, sie würden heutzutage kritisch beurteilt.

Unbekannte Risiken durch eine "Neulandmethode" drohten also nicht, also hätten die Mediziner darauf auch nicht aufklären müssen. Es sei auch kein Behandlungsfehler gewesen, Cadisc-Prothesen einzusetzen. Ärzte dürften sich grundsätzlich auf CE-zertifizierte, zugelassene Medizinprodukte verlassen.

Für Defizite im Zulassungsverfahren der Medizinprodukte hafteten nicht die Mediziner. Ihnen fehle die Sachkunde, das Material zu beurteilen: Das komme im Medizinstudium nicht vor. Wenn ein Patient geltend mache, ihm sei durch ein CE-zertifiziertes Produkt Schaden entstanden, müsse er sich an die Zulassungsstellen wenden.

Kind nach Frühgeburt erblindet

Trotz des besonderen Risikos bei Frühgeborenen empfahl die Klinik einen zu späten Kontrolltermin

Bei Frühgeborenen besteht ein sehr hohes Risiko, dass sich die Netzhaut in den Augen ablöst. Das ist schon lange bekannt. Ein bereits in der 25. Schwangerschaftswoche geborener Junge war im Krankenhaus regelmäßig auch vom Augenarzt untersucht worden. Drei Monate nach der Geburt durften die Eltern das Kind mit nach Hause nehmen. Bei der Entlassung wurde ihnen geraten, die Augen des Jungen nach weiteren drei Monaten kontrollieren zu lassen.

Doch schon nach ca. fünf Wochen war das rechte Auge nicht mehr zu retten: Die Netzhautablösung war so fortgeschritten, dass das Kind auf dem rechten Auge vollständig erblindet ist und auf dem linken Auge hochgradig sehbehindert. Im Namen ihres Jungen verklagten die Eltern das Krankenhaus auf Zahlung von Schmerzensgeld: Es sei ein Behandlungsfehler gewesen, eine so späte Kontrolluntersuchung zu empfehlen.

So beurteilte auch das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg den Fall und sprach dem Kind 130.000 Euro Schmerzensgeld zu (5 U 45/22). Der medizinische Sachverständige habe erläutert, dass die ärztliche Nachkontrolle der Netzhaut deutlich früher hätte stattfinden müssen. Dann hätte man die Augen weiter behandeln können — so hätte z.B. eine Laserbehandlung zu einem früheren Zeitpunkt noch erfolgreich sein können.

Deshalb müsse das Krankenhaus für den Schaden haften, der durch die falsche Empfehlung entstanden sei. Das Schmerzensgeld setzte das OLG sogar deutlich höher an als gefordert und begründete das so: Das Kind werde lebenslang von Hilfen abhängig sein. Darüber hinaus schulde das Krankenhaus dem Jungen auch Ersatz für materielle Schäden, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeglichen würden.

Nikotin als erhöhtes Risiko für die Heilung

Dieser Hinweis des Zahnarztes stellt klar, dass die Behandlung auch misslingen kann

Dem Patienten sollten Zahnprothesen eingesetzt werden. Vor dem Eingriff sprach der Zahnarzt mit dem Raucher darüber und betonte besonders, dass die Prothese in der Regel schlechter einheile, wenn Patienten Alkohol und Nikotin konsumierten. Als der Heilungsprozess dann tatsächlich fehlschlug, klagte der Patient auf Schmerzensgeld.

Begründung: Dass der Eingriff grundsätzlich misslingen könne, habe ihm der Mediziner nicht klargemacht. Er habe ihn nur auf seinen Lebenswandel angesprochen, also sei die Risikoaufklärung unzulänglich gewesen. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle konnte im konkreten Fall jedoch kein Aufklärungsdefizit erkennen (I U 52/22).

Chirurgische Eingriffe seien nicht immer erfolgreich, so das OLG: Möglicherweise wüssten nicht alle Patienten darüber Bescheid. Im konkreten Fall habe der Zahnarzt diese Information jedoch nicht "unterschlagen", im Gegenteil: Im Zusammenhang mit dem Lebenswandel des Patienten sei das Misserfolgs-Risiko sehr wohl Thema gewesen.

Der Zahnarzt habe mit ihm erörtert, inwiefern seine Gewohnheiten wie Rauchen und Alkoholkonsum den Erfolg der Behandlung verzögern oder gar gefährden könnten. Das Risiko eines Misserfolgs bestehe grundsätzlich immer, werde durch die Lebensführung im Einzelfall nur deutlich erhöht. Nach diesem Hinweis habe der Patient von der Möglichkeit eines Fehlschlags ausgehen müssen, auch wenn er mit dem Rauchen aufgehört hätte.

Magenspiegelung ohne Schmerzmittel

Ärzte dürfen eine fehlerhafte Therapie auch auf Wunsch des Patienten nicht anwenden

Wegen häufiger Verdauungsprobleme wurde bei einem 14-Jährigen eine Magen- und Darmspiegelung vorgenommen. Beim Vorgespräch mit dem Anästhesisten äußerte die Mutter des Patienten den Wunsch, dem Jungen vor dem Eingriff ein Schmerzmittel zu verabreichen. Einige Wochen später forderte die Frau im Namen des Minderjährigen vom Ärzteteam 30.000 Euro Schmerzensgeld.

Begründung: Entgegen der Absprache habe ihr Sohn während der Untersuchungen kein Schmerzmittel erhalten, die Sedierung sei unzureichend gewesen. Der Junge habe Schmerzen erlitten und fürchte sich nun schrecklich vor endoskopischen Untersuchungen. Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden wies die Zahlungsklage ab (4 U 1258/22). Laut Sachverständigengutachten habe der Eingriff medizinischem Standard entsprochen.

Nur im Ausnahmefall werde zusätzlich zur Sedierung, die für sich genommen schon riskant sei, Schmerzmittel gegeben. Bei dem Jungen sei das nicht notwendig. Ob ein Behandlungsfehler vorliege oder nicht, richte sich nach dem medizinischen Standard — und nicht nach Vereinbarungen mit Patienten oder Erziehungsberechtigten. Daher könne es offenbleiben, ob der Anästhesist tatsächlich so eine Absprache getroffen habe - was er bestreite.

Auch ein unbedingter Wunsch des Patienten bzw. der Erziehungsberechtigten würde nämlich den Anästhesisten nicht dazu verpflichten, Schmerzmittel zu verabreichen, wenn dies aus medizinischer Sicht bei dieser Untersuchung nicht geboten oder sogar schädlich sei. Ärzte dürften keine medizinisch fehlerhafte Therapie anwenden, auch wenn Patienten dies ausdrücklich forderten. Dies zu unterlassen, könne also keinen Behandlungsfehler darstellen.

Nichts von dem, was die Mutter vorgetragen habe, begründe einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Nach der ärztlichen Dokumentation habe der Junge tief geschlafen. Auch die gemessenen Werte sprächen dafür, dass die Sedierung bei dem Eingriff gestimmt habe. Die behaupteten Schmerzen dabei seien eine folgenlose Bagatelle gewesen. Dass der Junge weitere Eingriffe fürchte, sei ebenfalls "normal". In dem geschilderten Ausmaß seien Unwohlsein und Angst vor ärztlichen Untersuchungen alltagstypische Erscheinungen, die in der Bevölkerung weit verbreitet seien.

Fitnessstudio ist nicht steuerlich absetzbar

Mitglieder zahlen ihre Beiträge auch für nicht ärztlich verordnete Leistungen des Studios

Wegen ihrer Rückenprobleme hatte der Hausarzt einer Patientin 2018 Wassergymnastik verordnet. Einschlägige Kurse bot das Fitnessstudio an, in dem die Frau Mitglied war. Bei ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2018 wollte sie die Mitgliedsbeiträge für das Studio als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

Doch das Finanzamt lehnte es ab, die Beiträge vom zu versteuernden Einkommen abzuziehen. Dagegen wehrte sich die Steuerzahlerin, scheiterte aber mit ihrer Klage beim Finanzgericht Niedersachsen (9 K 17/21). Als "außergewöhnliche Belastung" würden nur Heilbehandlungskosten anerkannt, die der/die Steuerpflichtige "zwangsläufig" tragen müsse, so das Finanzgericht.

Mit den Mitgliedsbeiträgen fürs Fitnessstudio bezahlten die Mitglieder jedoch auch Leistungen des Studios, die mit den ärztlich verordneten Kursen überhaupt nicht zusammenhängen: z.B. die Sauna oder die Nutzung des Schwimmbades für nicht ärztlich verordnete Aqua-Fitnesskurse. Solche Leistungen würden nicht nur von kranken, sondern auch von gesunden Personen in Anspruch genommen.

Unerheblich sei, ob die Steuerzahlerin die Sauna tatsächlich nutze oder nicht: Jedenfalls seien ihre Aufwendungen für das Fitnessstudio nicht (oder zumindest nicht vollständig) als zwangsläufige Heilbehandlungskosten einzustufen. Daher stellten sie auch keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Einkommensteuergesetzes dar.

Zu wenig Bedenkzeit vor der Nasenoperation?

Die Zustimmung des Patienten kann auch wirksam sein, wenn er sie sofort nach dem Aufklärungsgespräch erklärt

Nach einer missglückten Nasenoperation, bei der eine Hirnblutung aufgetreten war, verlangte ein Bremer Schadenersatz von der Klinik. Sein Vorwurf: Man habe ihm zu wenig Zeit gelassen, die Entscheidung zu überdenken. Daher sei seine Zustimmung zu dem Eingriff unwirksam gewesen.

Tatsächlich hatte der Patient das Einwilligungsformular drei Tage vor dem Eingriff unterschrieben — allerdings direkt nach dem Aufklärungsgespräch über die Operationsrisiken.

Nach den geltenden Regeln muss die Risikoaufklärung vor einer Operation so früh erfolgen, dass der Patient "wohlüberlegt" entscheiden kann. Dieser Grundsatz sei hier verletzt worden, fand das Oberlandesgericht (OLG) Bremen: Dem Patienten stehe wegen der fehlenden Bedenkzeit nach dem Aufklärungsgespräch Schadenersatz zu. Dem widersprach jedoch der Bundesgerichtshof (VI ZR 375/21).

Hier könne sogar offenbleiben, ob der Patient eventuell beim Gespräch vom HNO-Arzt zu einer schnellen Entscheidung gedrängt worden sei, so die Bundesrichter. Das spiele keine Rolle, weil der Mann drei Tage später wie vereinbart in der Klinik erschienen sei. Also habe er genügend Zeit gehabt, seine Entscheidung zu überdenken. Danach habe er stillschweigend nochmals in die Operation eingewilligt, indem er sich in der Klinik aufnehmen ließ.

Patienten müssten rechtzeitig vor einem Eingriff vom behandelnden Arzt über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt werden. Das bedeute aber nicht, dass man unbedingt einen Mindestabstand zwischen dem Aufklärungsgespräch und der Zustimmungserklärung des Patienten einhalten müsse. Vorausgesetzt, die Risikoaufklärung sei korrekt erfolgt, sei es grundsätzlich die Sache des Patienten, wie schnell er sich pro oder contra entscheide.

Der Rechtsstreit wurde ans OLG zurückverwiesen. Es soll nun klären, ob möglicherweise ein Behandlungsfehler vorlag. Damit hatte sich das OLG nicht befasst. Aus seiner Sicht war das folgerichtig, weil es den Anspruch des Patienten auf Schadenersatz bereits wegen der fehlenden Bedenkzeit bejaht hatte.

Risiko in der Schwangerschaft

Für nicht zugelassene Medikamente muss die Krankenkasse nur in Notfällen zahlen

Eine schwangere Frau hat sich mit dem Zytomegalievirus angesteckt. Es ist für die Frau selbst nicht gefährlich. Wenn sich dagegen ein ungeborenes Kind damit infiziert, kann das unter Umständen sogar eine Fehlgeburt auslösen. Statistisch gesehen, ist das Risiko aber gering: Die meisten Kinder, deren Mütter sich während der Schwangerschaft mit dem Zytomegalievirus infizieren, kommen gesund zur Welt.

Die Schwangere beantragte bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für ein Medikament, das angeblich die Gefahr verringert, dass sich das ungeborene Kind ansteckt. Das Arzneimittel ist allerdings noch nicht vollständig erforscht und deshalb nicht zugelassen. Aus diesem Grund lehnte die gesetzliche Krankenversicherung die Kostenübernahme ab.

Zu Recht, entschied das Bundessozialgericht (B 1 KR 7/22 R). Nur in extremen Ausnahmefällen hätten die Versicherten Anspruch auf Medikamente, die nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ständen. Das sei nur der Fall, wenn sich eine versicherte Person in einer "notstandsähnlichen Situation" befinde. Nur in Notfällen müsse die Krankenkasse nicht zugelassene Arzneimittel finanzieren.

Das gelte auch für ungeborene Kinder. Schwangere Frauen könnten die Kostenübernahme nur verlangen, wenn dem ungeborenen Kind eine gefährliche Infektion drohe und eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen tödlichen oder schweren Krankheitsverlauf bestehe. Doch das Risiko einer Fehlgeburt durch das Zytomegalievirus sei gering.

Wenn Chemotherapie nicht mehr hilft

Private Krankenversicherung muss dann u.U. eine alternative Therapie finanzieren

Bei einem Krebspatienten war die Krankheit so weit fortgeschritten, dass die Chemotherapie nichts mehr brachte: Es bildeten sich immer weitere Metastasen, die nicht operiert werden konnten. Deshalb entschied sich der Mann für eine alternative Behandlungsmethode: eine dentritische Zelltherapie.

Bei dieser Behandlung wird eine Immunreaktion gegen die entarteten Tumorzellen angestrebt. Um diese Reaktion zu erzielen, werden dem Krebspatienten dentritische Zellen entnommen, im Labor auf seinen Tumor ausgerichtet und ihm dann wieder eingesetzt, um gegen die Krebszellen anzukämpfen.

Im konkreten Fall übernahm die private Krankenversicherung nur die Hälfte der hohen Behandlungskosten. Nach dem Tod des Krebspatienten verklagte die Witwe das Versicherungsunternehmen auf Zahlung des vollständigen Betrags.

Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt gab ihr Recht (7 U 140/20). Die dentritische Zelltherapie sei eine alternative Behandlungsmethode, die auf einem wissenschaftlich fundierten Ansatz beruhe, so das OLG.

Daher verspreche diese Therapie einen gewissen Erfolg, auch wenn sie noch nicht lange erprobt und allgemein anerkannt sei. Heilung sei bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium zwar ausgeschlossen. Aber mit der Zelltherapie habe wenigstens die Aussicht bestanden, das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen und den Patienten zu stabilisieren. Daher müsse die Krankenversicherung die Behandlungskosten vollständig übernehmen.

Tödliche Schönheitsoperationen

Zwei Frauen starben nach dem Eingriff an Kreislaufversagen: Der Arzt muss ins Gefängnis

Ein Düsseldorfer Facharzt für Innere Medizin führte in seiner Praxis ambulant kosmetische Operationen durch: vor allem "Eigenfett-Transferbehandlungen", für die keine medizinische Notwendigkeit besteht. Dabei wird Körperfett abgesaugt und ein Teil der abgesaugten Fettzellen anderen Körperregionen (Brüste, Gesäß) wieder zugeführt.

2018 und 2019 starben zwei Frauen nach diesem Eingriff an Kreislaufversagen. Ausgelöst wurde das Kreislaufversagen durch die Entnahme einer großen Menge Gewebeflüssigkeit, zusätzlich durch Blutverlust und dadurch, dass Fettanteile in den Blutkreislauf gelangten und Gefäße verstopften.

Das Landgericht Düsseldorf hat den Arzt wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, weil er die Patientinnen über die Risiken der Behandlung ungenügend aufgeklärt hatte.

Hintergrund: Ohne wirksame Einwilligung des Patienten gilt eine Operation als Körperverletzung. Hat er ihr zugestimmt, wird jedoch über die Risiken nicht ausreichend aufgeklärt, ist die Einwilligung unwirksam und der Eingriff damit eine Körperverletzung.

Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Angeklagten und bestätigte das Strafmaß (3 StR 162/22). Nach der Beweisaufnahme des Landgerichts stehe Folgendes fest: Der Arzt habe die Patientinnen nicht darüber informiert, dass bei der Eigenfett-Transferbehandlung die Gefahr lebensgefährlicher Komplikationen steige, je größer die entnommene und wieder zugeführte Gewebemenge sei. Das Risiko sinke wesentlich, wenn man das Absaugen und das Wieder-Zuführen des Fettgewebes auf mehrere Eingriffe verteile.

Hätten die verstorbenen Frauen gewusst, wie hoch das Risiko bei der vorgeschlagenen Vorgehensweise war, und hätten sie die genannte alternative Methode gekannt, hätten sie auf keinen Fall in den Eingriff eingewilligt und sich nicht auf diese Weise operieren lassen.

Das Gefängnis bleibt dem Mediziner also nicht erspart. Zusätzlich zur Freiheitsstrafe wurde ihm für vier Jahre verboten, chirurgische Eingriffe vorzunehmen oder dabei zu assistieren.

Kostenklausel im Behandlungsvertrag

Patientin sollte Honorarforderungen nicht an ihre private Krankenversicherung abtreten

Eine Patientin wurde zwei Mal an der Wirbelsäule operiert. Ihre Behandlungsverträge enthielten folgende Klausel: "Mit Ihrer Unterschrift versichern Sie, Forderungen aus der Behandlungsrechnung nicht an Ihre Krankenversicherung bzw. Beihilfestelle abzugeben und das berechnete Honorar selbst zu tragen, soweit Ihre Versicherung oder Beihilfestelle dies nicht oder nicht in vollem Umfang erstattet."

Der Chirurg stellte der Patientin einmal 13.742 Euro, einmal 13.200 Euro in Rechnung. Die Frau bezahlte beide Rechnungen und reichte sie bei ihrer privaten Krankenversicherung ein. Die Versicherung beanstandete zahlreiche Kostenpositionen, erstattete der Versicherungsnehmerin jedoch die bezahlten Beträge im von der Versicherungspolice gedeckten Umfang. Anschließend forderte sie vom Mediziner Teilbeträge zurück.

4.719,92 Euro müsse er zurückzahlen, entschied das Oberlandesgericht Karlsruhe (7 U 143/21). Prinzipiell sei es so: Könne der Versicherungsnehmer gegen einen behandelnden Arzt Ersatzansprüche geltend machen, gingen die Ansprüche auf die Krankenversicherung über, soweit sie die Kosten erstattet habe. Ärzte dürften Patienten nicht generell verbieten, der Krankenversicherung solche Ansprüche abzutreten: Die einschlägige Vertragsklausel benachteilige Patienten unangemessen und sei unwirksam.

Zwar sei die Patientin im Behandlungsvertrag auf das mögliche Risiko hingewiesen worden, dass sie eventuell die Kosten selbst tragen müsse. Es werde auch empfohlen, vor der Behandlung die Kostenfragen mit der Versicherung abzuklären. Dennoch müssten Patienten mit so einem umfassenden Verbot nicht rechnen. Es sei überraschend, weil es sich nicht nur auf die ausdrücklich im Behandlungsvertrag aufgeführten Leistungen beziehe, sondern auf alle "Forderungen aus der Behandlungsrechnung".

Bei Operationen könnten aber Komplikationen auftreten und kurzfristig weitere Leistungen notwendig machen. Die Tragweite des Verbots sei für durchschnittlich informierte Patienten nicht zu durchschauen. Im Unterschied zum Arzt und zur Krankenversicherung verfügten sie nicht über die notwendige Sachkunde, um zu beurteilen, ob eine Leistung zulässig abgerechnet worden sei oder nicht.

Würde man die Vertragsklausel akzeptieren, müssten Patienten eventuell unberechtigte Forderungen zumindest vorläufig selbst begleichen oder sich dem Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Arzt aussetzen. Das sei unzumutbar — erst recht in Bezug auf Leistungen, die im Behandlungsvertrag nicht erfasst seien und deren Art und Umfang Patienten nicht annähernd absehen könnten.

15-Jährige verlangte Corona-Impfung

Wenn die Mutter der Tochter die Impfung verweigert, missbraucht sie ihr Sorgerecht

Das 15 Jahre alte Mädchen lebt schon seit Februar 2020 nicht mehr bei der Mutter, die das alleinige Sorgerecht hat. Die Tochter möchte nicht in den Haushalt der Mutter zurück und das war nicht der einzige Streitpunkt. Gegenüber Mitarbeitern des Jugendamts äußerte die Jugendliche mehrmals, sie wolle sich unbedingt gegen Corona impfen lassen. Doch die Mutter lehnte die Covid-19-Impfung strikt ab.

Im November 2021 leitete deshalb das Jugendamt beim Familiengericht Pirmasens ein Verfahren ein. Das Gericht entzog der Mutter antragsgemäß das Recht, über die Impfung zu entscheiden und übertrug es dem Jugendamt ("Ergänzungspflegschaft"). Gegen den Teilentzug des Sorgerechts legte die Frau erfolglos Beschwerde ein.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken erklärte die Maßnahme für gerechtfertigt (2 UF 37/22). Wenn das Wohl eines Kindes auf dem Spiel stehe und der sorgeberechtigte Elternteil nicht gewillt sei, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, müsse das Familiengericht dies tun. Dass die Mutter der Tochter die Impfung verweigere, richte sich gegen das Kindeswohl und sei als Missbrauch des Sorgerechts anzusehen.

Die 15-Jährige dürfe darüber selbst entscheiden. Ihr nachdrücklicher Wunsch, sich impfen zu lassen, sei aufgrund ihres Alters als "Akt der Selbstbestimmung" zu werten und zu beachten. Nach dem persönlichen Eindruck des Gerichts sei die Minderjährige absolut in der Lage, die Tragweite dieser Entscheidung zu begreifen.

Dass die Jugendliche es ernst meine, wenn sie den Kontakt zur Mutter nachdrücklich ablehne, sei ebenfalls nicht zu bezweifeln. Da sich die Mutter dem Wunsch des Mädchens nach einer Impfung entschieden verschließe, sei eine konstruktive und dem Kindeswohl entsprechende Lösung nur durch den Teilentzug des Sorgerechts möglich.