Familie & Gesundheit

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Wieviel Lärm ist "(un-)nötig"?

Streit um Geschrei, Trampeln und Türenknallen in einer Wohnanlage

Seit die Familie mit zwei Kindern in die Eigentumswohnungsanlage eingezogen war - in eine Wohnung über zwei Etagen im zweiten Stock und im Spitzboden des Gebäudes -, gab es Zoff mit den Mietern der darunter liegenden Wohnung. Sie beschwerten sich über Geschrei, laute Musik, Springen auf der Treppe, Möbelrücken und Türenknallen.

Ein Tauziehen vor Gerichten folgte, das vor allem die Schwierigkeit dokumentiert, hinzunehmenden "normalen" Kinderlärm und unzumutbare Lärmbelästigung sauber zu trennen. Einerseits erklärte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Hausordnung der Eigentümergemeinschaft für unwirksam: Das Gebot, in Ruhezeiten "jedes unnötige und störende Geräusch zu vermeiden", sei zu unbestimmt (3 Wx 233/08).

Andererseits ist die gerichtliche Anweisung, Geräusche seien zu unterlassen, wenn dadurch "den anderen Wohnungseigentümern über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst", auch nicht sonderlich präzise. Dazu bedürfe es "wiederholter Vorgänge" von einigem Gewicht und Dauer, ergänzten die Richter, um sofort hinzuzufügen: Im Einzelnen seien unzulässige "Lärmimmissionen" nicht "näher präzisierbar".

Daher müsse wohl der Streit darüber, was wesentlich sei, notfalls mehrfach neu aufgerollt werden. Immerhin stellten die Richter aber klar: Die von den Mietern der unteren Wohnung protokollierten, extremen Geräusche beeinträchtigten die Nachbarn "wesentlich".

Dazu zähle in erster Linie das langanhaltende Trampeln auf der Treppe und das häufige intensive Schreien der Mutter, das auch als Maßnahme der Kindererziehung nicht zu rechtfertigen sei. Wenn Möbel "ohne funktionale Notwendigkeit" in hoher Frequenz und Lautstärke zu allen Tages- und Nachtzeiten bewegt würden, stelle "Möbelrücken" keine "adäquate Wohnnutzung" mehr dar. Das sei zu unterlassen, ansonsten werde Ordnungsgeld fällig.

Neue Ehefrau muss notfalls arbeiten

Unterhaltsansprüche aus erster und zweiter Ehe sind gleich zu behandeln

Nach 30 Jahren Ehe hatte sich ein Chemieingenieur 2003 scheiden lassen, um eine andere Frau zu heiraten. Seine Ex-Frau arbeitet seither als Putzfrau, zusätzlich zahlte er ihr 290 Euro Unterhalt. Da er nun seine zweite Ehefrau und zwei Kinder ernähren müsse, könne er diese Summe nicht mehr aufbringen, argumentierte der Mann. Er forderte von der Justiz, den Unterhalt für die Ex-Frau zu streichen.

Dieser Antrag wurde vom Bundesgerichtshof abgeschmettert (XII ZR 65/09). Bei der Berechnung der Unterhaltsansprüche müsse für die erste und die zweite Ehefrau der gleiche Maßstab gelten, so die Bundesrichter. Wenn die Ex-Frau Geld verdiene, müsse notfalls auch die neue Ehepartnerin arbeiten gehen. Bis jetzt sei sie nicht erwerbstätig.

Einerseits sei die Rollenverteilung innerhalb einer Ehe Sache des Paares. Offenbar habe sich die zweite Ehefrau wegen der Kinder für eine Hausfrauen-Ehe entschieden. Andererseits müsse sie sich dann jedoch den Betrag, den sie selbst verdienen könnte, auf ihren Unterhaltsanspruch anrechnen lassen. Man könne nicht einseitig die geschiedene Frau dazu verpflichten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Dem Ingenieur selbst und beiden Ehefrauen stehe je ein Drittel vom Einkommen zu. Von den Beträgen für beide Ehefrauen werde jeweils die Summe abgezogen, welche die unterhaltsberechtigten Partnerinnen dazu verdienten bzw. dazu verdienen könnten.

Vater will sich weiterbilden

Das rechtfertigt es nicht, die Zahlung von Kindesunterhalt einzustellen

Der Mann arbeitete ohne Berufsausbildung als Berufskraftfahrer. Zwischendurch war er wegen einer Krankheit arbeitsunfähig und bezog Arbeitslosengeld II. Als wieder einmal ein Job berufsbedingt gekündigt wurde, beantragte der Vater eines minderjährigen, nichtehelichen Kindes, ihn als leistungsunfähig einzustufen und den Kindesunterhalt zu streichen.

Denn nun beabsichtige er eine Fortbildung als Berufskraftfahrer. Theoriephase und Praxisphase, Hausaufgaben und Nacharbeiten - da sei er zwei Jahre lang zwölf Stunden und mehr am Tag gefordert. Daneben könne er nicht auch noch arbeiten und Geld verdienen, meinte der Vater.

Doch das Oberlandesgericht (OLG) Saarbrücken befreite den Mann nicht von seinen Unterhaltsverpflichtungen (9 WF 53/09). Er müsse sich intensiv um eine Erwerbstätigkeit bemühen, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspreche, so das OLG. Andernfalls könne sich der Unterhaltspflichtige nicht auf Zahlungsunfähigkeit berufen. Das Interesse des Kindes an Unterhalt sei vorrangig, sein Interesse an Fortbildung habe dahinter zurückzustehen.

Zudem sei kein vernünftiger Grund für die Weiterbildung erkennbar. Der Vater habe auch bisher nur ungelernte Tätigkeiten ausgeübt. Unter anderem habe er schon längere Zeit als Berufskraftfahrer gearbeitet - ohne Ausbildung. Warum diese jetzt notwendig sein sollte, sei nicht nachvollziehbar. Er müsse den Beginn der Fortbildung verschieben und sich um einen Arbeitsplatz kümmern.

Termin beim Masseur versäumt

Patientin muss belegen, dass sie nicht kommen konnte - oder zahlen

Der Patientin waren vom Arzt zehn Massagen verschrieben worden. Neun Termine nahm sie in einer Massagepraxis wahr. Zum letzten der vereinbarten Termine erschien die Frau nicht. Als anschließend der Inhaber der Massagepraxis zehn Termine berechnete, weigerte sich die Patientin zu zahlen und verlangte eine Rechnung über neun Behandlungen. Der Inhaber der Praxis forderte den vollen Betrag: Schließlich habe die Patientin den Termin versäumt.

Daran sei sie schuldlos, konterte die Frau. Sie habe am Sonntag, einen Tag vor dem Termin, einen Migräneanfall gehabt und das Bett hüten müssen. Sofort habe sie versucht abzusagen. Doch in der Praxis sei nur der Anrufbeantworter "dran" gewesen. Und als sie am Montag kurz vor dem Termin anrief, habe der Masseur erklärt, nun sei es zu spät, den Termin zu verlegen. Dabei sei die Zeit für ihn doch nicht verloren, er hätte in der Praxis auch andere Arbeiten erledigen können.

Das Amtsgericht München entschied den Streit zu Gunsten des Masseurs (163 C 33450/08). Hier handle es sich um einen Dienstvertrag: Wer Dienste vereinbare, müsse sie auch in Anspruch nehmen oder die Vergütung bezahlen. Das wäre der Patientin nur erspart geblieben, wenn sie belegt hätte, dass sie tatsächlich nicht kommen konnte. Zum Beispiel durch ein ärztliches Attest. Ihr Wort allein genüge dafür nicht.

Frau wird Vater ...

... "im Sinne des Gesetzes" - nach einer Geschlechtsumwandlung

Ein Fall, der selbst in der heutigen Zeit der Patchwork-Familien ungewöhnlich ist: Ein 1969 geborener transsexueller Mann namens Bernd ließ 1997 operativ sein Geschlecht umwandeln und nannte sich fortan Brigitte (die Namen sind geändert). Vor der Geschlechtsumwandlung hatte Bernd in einer Samenbank ein Spermadepot anlegen lassen.

Als Brigitte lebte er/sie später mit einer jungen Frau in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft. Partnerin Irene unterzog sich mit Hilfe des Spermas aus der Samenbank einer künstlichen Befruchtung und brachte Anfang 2007 den Sohn Jonas zur Welt. Einige Monate später schlossen Brigitte und Irene eine Lebenspartnerschaft. Brigitte erkannte offiziell vor dem Jugendamt die Vaterschaft für den Sohn Jonas an.

Da kam nun allerdings der Standesbeamte ein wenig ins Schleudern. Dass das Vaterschaftsanerkenntnis einer Frau wirksam sein könnte, bezweifelte er. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch kann es nur von einem Mann abgegeben werden. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschied, dass Brigitte rechtlich als Vater des Kindes Jonas anzusehen ist und stützte sich dabei auf das Transsexuellengesetz (16 Wx 94/09).

Laut Gesetz solle durch das neue Geschlecht das Verhältnis eines Transsexuellen zu seinen Kindern unberührt bleiben, so das OLG. Damit seien alle leiblichen Kinder gemeint, auch solche, die erst später zur Welt kommen. Die Kenntnis der Herkunft sei ein wichtiger Anknüpfungspunkt für ein Kind, um den familiären Zusammenhang zu verstehen und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Der Vater sei mit dem früheren Vornamen "Bernd" in die Geburtsurkunde aufzunehmen, um Dritten keinen Anlass zu Spekulationen zu geben.

Kein "Rollfiets" für behindertes Kind

Gesetzliche Krankenkasse ist nicht zur Kostenübernahme verpflichtet

Ein Rollfiets ist ein Fahrrad, an das - an Stelle des Vorderrads - ein Rollstuhl gekoppelt wird, um eine gehbehinderte Person zu befördern. Die Eltern eines schwerstbehinderten, gehunfähigen Kindes hatten die gesetzliche Krankenkasse vergeblich darum gebeten, so eine Rollstuhl-Fahrrad-Kombination zu finanzieren.

Auch beim Sozialgericht Detmold erlitten sie eine Niederlage (S 5 KR 323/07). Radfahren gehöre nicht zu den Grundbedürfnissen, welche die gesetzliche Krankenkasse erfüllen müsse. Auch wenn ein gewisser körperlicher und geistiger Freiraum zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen gehöre: Die Krankenkasse könne nur einen "Basisausgleich" leisten.

Sie sei zuständig für Hilfsmittel wie Rollstühle. Damit könnten sich Behinderte in der Wohnung bewegen und diese für kurze Spaziergänge an der frischen Luft verlassen. Es sei aber nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenkasse, behinderten Menschen die - letztlich unbegrenzten - Bewegungsmöglichkeiten eines Gesunden zu verschaffen.

Radfahren gehöre zur individuellen, von persönlichen Interessen geprägten Lebensgestaltung. Für das Zusammenleben in der Familie sei es nicht zwingend notwendig. Bei der Freizeitgestaltung mit der Familie sei die Art und Weise der Fortbewegung nicht das wesentliche Kriterium. Auch wenn Kinder Radfahren vielleicht spannender fänden als Spazierengehen: Gemeinsame Aktivitäten mit Eltern und Geschwistern seien auch ohne Fahrrad möglich. (Die Eltern haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.)

Medikament "XY akut"

Dieser Zusatz im Namen eines Arzneimittels verspricht schnelle Besserung

Ein Verband gegen unlauteren Wettbewerb beanstandete die Werbung eines Pharmaherstellers für ein Medikament gegen Sodbrennen und "saures Aufstoßen". Das Mittel wird vom Unternehmen unter dem Namen "XY akut" verkauft. Das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel wirke erst einen Tag nach der Einnahme, stellte der Verband fest, also mit erheblichem Zeitabstand. Daher täusche der Namenszusatz "akut" die Verbraucher.

Der Verband zog vor Gericht und beantragte, den Zusatz "akut" zu verbieten. Der Pharmahersteller erklärte die Kritik für unsinnig: Schon eine Stunde nach der Einnahme des Mittels besserten sich die Beschwerden der Patienten, spätestens jedoch nach eineinhalb bis drei Stunden. Doch dem Landgericht München I war das nicht schnell genug: Das Arzneimittel dürfe nicht länger die Bezeichnung "akut" als Namensbestandteil führen, entschied das Landgericht (7 O 17092/09).

Die von der Reklame angesprochenen Patienten erwarteten angesichts des Namenszusatzes "akut" schnelle Abhilfe bei Sodbrennen. "Schnell" wirke ein Medikament aber nur, wenn es die Beschwerden nach 20 Minuten oder spätestens nach einer Stunde lindere. Wenn eine Besserung frühestens nach einer Stunde oder eher noch später eintrete, dann widerspreche dies den Erwartungen, welche die Werbung bei den Kunden wecke. Das führe die Verbraucher in die Irre.

Kein Betreuungsunterhalt für MS-Kranke

Die Mutter eines nichtehelich geborenen Sechsjährigen muss das Existenzminimum selbst verdienen

Die 1968 geborene Frau studierte Archäologie und arbeitete nur kurzfristig für einige Projekte des Landesamtes für Archäologie. Von 1995 bis zum Frühjahr 2006 lebte sie mit einem Mann zusammen, der ihren Lebensunterhalt finanzierte. Im August 2000 bekam sie von ihm einen Sohn, der ab August 2006 in die Schule ging. Vom Vater verlangte sie ab Mai 2006 unbefristeten Betreuungsunterhalt von 908 Euro monatlich.

Ihre Klage wurde abgewiesen. Das Kind gehe mittlerweile in die Schule: Deshalb sei es für die Mutter nach einer Übergangszeit von einem halben Jahr zumutbar, einen Vollzeitjob zu suchen, entschied der Bundesgerichtshof (XII ZR 50/08). Als Unterhaltsbedarf sei das Existenzminimum anzusetzen (derzeit: 770 Euro pro Monat). Diesen Mindestbedarf könne und müsse die Frau selbst verdienen.

Nur in den ersten drei Lebensjahren eines nichtehelich geborenen Kindes stehe dem betreuenden Elternteil voller Betreuungsunterhalt zu. Anschließend müsse er/sie zumindest halbtags arbeiten - es sei denn, das Kind benötige ganz besondere Betreuung. Das treffe hier jedoch nicht zu. Die Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes könne ihren Lebensstandard nicht vom höheren Einkommen des Lebenspartners ableiten, auch dann nicht, wenn sie lange mit ihm zusammenlebte.

Auch dass die Frau wegen ihrer Krankheit (Multiple Sklerose, eine Muskelkrankheit) möglicherweise erwerbsunfähig sei, ändere an dieser Entscheidung nichts. Denn Unterhalt aus Krankheitsgründen sei nur beim nachehelichen Unterhalt vorgesehen, nicht beim Betreuungsunterhalt für nichtehelich geborene Kinder. Und nur darum gehe es hier.

Adoption von Erwachsenen ...

... wird abgelehnt, wenn finanzielle Motive im Vordergrund stehen

Ein vermögender, kinderloser Witwer unterhielt freundschaftliche Beziehungen zur Familie des Neffen seiner verstorbenen Frau. Er war Patenonkel eines der drei Kinder. Als sich Anfang 2008 der Neffe von seiner Frau trennte, bot der alte Herr der 35-Jährigen an, sie zu adoptieren, wenn sie ihn künftig pflegen würde. So wären sie und die Kinder trotz der bevorstehenden Scheidung finanziell abgesichert. Im Sommer beantragte er offiziell die Adoption.

Doch das Oberlandesgericht München wies den Antrag ab (31 Wx 22/09). Die Adoption eines Erwachsenen sei nur gerechtfertigt, wenn zwischen den Beteiligten ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis bestehe: ein enges emotionales Band und die auf Dauer angelegte Bereitschaft, sich wechselseitig beizustehen. Wirtschaftliche Motive dürften nicht im Vordergrund stehen. So sei es jedoch im konkreten Fall, wie alle Äußerungen zeigten.

Der Kontakt zwischen der Frau und dem alten Herrn sei gut, gehe aber nicht hinaus über das, was unter Verwandten so üblich sei: Telefonate und gelegentliche Besuche. Sie habe eingeräumt, dass sie sich vielleicht gegen die Adoption entschieden hätte, wenn sie jetzt nicht wegen der Trennung von ihrem Mann in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage wäre.

Ihre leiblichen Eltern seien ohnehin von der Idee nicht gerade begeistert. Sie hätten vielmehr die "Kröte geschluckt" in der Hoffnung auf finanzielle Absicherung der Tochter. Auch deren Ehemann, Neffe des alten Herrn, habe die Adoption mit dem Hinweis befürwortet, dass "man Sechs Richtige im Lotto" nicht ausschlagen dürfe. Das Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit sei von allen Beteiligten als Hauptmotiv für die Adoption angesehen und genannt worden.

Landeskinderschutzgesetz verfassungsgemäß

Rheinland-Pfalz darf Eltern dazu anhalten, ihre Kinder zur Früherkennungsuntersuchung zu bringen

Der Vater eines Babys zog vor Gericht, weil er das "Einladungs- und Erinnerungsverfahren" im rheinland-pfälzischen Landeskinderschutzgesetz für einen verfassungswidrigen Eingriff in den Datenschutz und in sein elterliches Erziehungsrecht hielt.

Die Regelung sieht so aus: Um Eltern dazu zu bewegen, ihre Kinder zur Früherkennungsuntersuchung zu bringen, werden sie erst zur Teilnahme aufgefordert. Falls sie dies verweigern, wird das dem Gesundheitsamt gemeldet, das sich mit ihnen in Verbindung setzt. Im dritten Schritt überprüft das Jugendamt, ob ein Hilfebedarf vorliegt.

Dieser Eingriff in das Elternrecht sei notwendig und verhältnismäßig, entschied der Rheinland-Pfälzische Verwaltungsgerichtshof (VGH B 45/08). Zunächst einmal dienten die Untersuchungen der Gesundheitsvorsorge, die sowieso im Interesse der Kinder liege. Aber auch aktuelle Fälle von Kindesmisshandlung lägen der Regelung zugrunde. Das Verfahren solle helfen, kleine Kinder vor Misshandlung und Vernachlässigung zu schützen.

Das Wohlergehen der Kinder sei nach der Landesverfassung ein überragend wichtiges Gut, das den Staat zu Vorsorge verpflichte. Solange Kinder klein und unselbständig seien, könnten sie sich nicht selbst helfen, wenn ihre Eltern mit der Erziehungsaufgabe nicht zurecht kämen.

Insbesondere Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsniveau und Einkommen sowie Kinder mit Migrationshintergrund erschienen nur sporadisch zur Früherkennungsuntersuchung. Das Einladungsverfahren solle die Eltern zur Teilnahme motivieren und darüber hinaus Fälle aufdecken, in denen Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe angesagt seien. Aufklärungsbroschüren und Bonussysteme der Krankenkassen allein hätten nicht den angestrebten Effekt gebracht.

Tochter zog für ein halbes Jahr zum Vater

Während dieses Zeitraums hat die sorgeberechtigte Mutter keinen Anspruch auf Kindergeld

Die 1988 geborene Tochter geschiedener Eltern lebte eigentlich bei der sorgeberechtigten Mutter. Nach einigen Streitigkeiten zog sie im August 2003 zu ihrem Vater, kehrte allerdings im Januar 2004 wieder zur Mutter zurück. Bald darauf kam Post von der Familienkasse (das ist die für das Kindergeld zuständige Behörde): Sie hob den Kindergeld-Bewilligungsbescheid für den Zeitraum von September 2003 bis Januar 2004 auf.

Einspruch und Klage der Mutter gegen diese Entscheidung blieben erfolglos, auch der Bundesfinanzhof (BFH) bestätigte sie (III R 2/07). Anspruch auf Kindergeld habe derjenige Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebe - der es versorge und betreue. Wenn ein Kind getrennt lebender Eltern aus eigenem Antrieb vom Haushalt der Mutter in den Haushalt des Vaters umziehe, gehe der Anspruch auf Kindergeld auf den Vater über, auch wenn er nicht das Sorgerecht innehabe.

Das gelte zumindest dann, wenn der Aufenthalt des Kindes bei ihm nicht nur vorübergehend sei. Von einem "nicht nur vorübergehenden Aufenthalt" könne man ausgehen, wenn das Kind über drei Monate beim anderen Elternteil lebe und eine Rückkehr in den Haushalt des sorgeberechtigten Elternteils nicht von vornherein feststehe.

Sohn will den Vater nicht sehen

Der fordert Zwangsmittel gegen die Ex-Frau, um den Kontakt durchzusetzen

Der 1998 geborene Junge, nennen wir ihn Felix, lebte seit der Trennung der Eltern bei der sorgeberechtigten Mutter. Die Ehe wurde 2001 geschieden. Kurz vorher war der Ehemann zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil er seine Frau verprügelt hatte. Trotzdem einigte man sich auf eine Regelung für Treffen zwischen Vater und Sohn.

Weihnachten 2006 brach der regelmäßige Kontakt ab. Denn Felix weigerte sich, den Vater zu besuchen. Nur mit Mühe war er dazu zu überreden, ihn im Mai 2007 noch einmal zu treffen - im Beisein einer Mitarbeiterin des Jugendamts. Dafür machte der Vater seine Ex-Frau verantwortlich und verlangte vom Familiengericht, ihr ein Zwangsgeld anzudrohen, weil sie sein Umgangsrecht boykottiere.

Das komme nicht in Frage, so das Oberlandesgericht Düsseldorf, denn es sei keineswegs die Mutter, an der regelmäßige Kontakte zwischen Vater und Sohn scheiterten (6 UF 191/08). Der mittlerweile elf Jahre alte Junge lehne die Umgangsregelung vehement ab. Vor Gericht und beim Jugendamt habe Felix nachdrücklich erklärt, er wolle den Vater nicht mehr sehen. Das sei angesichts der anhaltenden familiären Konflikte verständlich.

Die Mutter habe sich in der Vergangenheit immer kooperativ gezeigt und das Kind keineswegs einseitig negativ beeinflusst, im Gegenteil. Sie habe ihn zum Beispiel im Frühjahr 2007 dazu gebracht, den Vater im Jugendamt zu treffen. Danach habe die Sachverständige des Jugendamts berichtet, Felix habe auf den Kontakt mit Panikattacken und Atemnot reagiert und gesagt, er wolle den "Vater nie wieder sehen und nie wieder von ihm hören". Derzeit sei nicht absehbar, wie diese Weigerung von der Mutter durch erzieherische Maßnahmen abgebaut werden könnte.

Krankenkasse will kein digitales Hörgerät finanzieren

Ein fast tauber Versicherter hat Anspruch auf Ausgleich seiner Behinderung

Digitale Hörgeräte sind den analogen Hörgeräten weit überlegen, allerdings auch viel teurer. Immer wieder kommt es daher zu Rechtsstreitigkeiten mit den gesetzlichen Krankenkassen, die sich weigern, die Kosten zu übernehmen - und Versicherte mit Hörschäden auf feste Höchstbeträge verweisen, mit denen nur analoge Hörgeräte zu finanzieren sind.

Das Bundessozialgericht erklärte diese Praxis jetzt in einem Grundsatzurteil für unzulässig (B 3 KR 20/08 R). Im konkreten Fall ging es um ein digitales Hörgerät für einen fast tauben Versicherten. Es kostete etwas über 4.000 Euro, die Krankenkasse hatte aber nur 987 Euro gezahlt.

Gesetzliche Krankenkassen dürften die Kostenübernahme nicht mit Festbeträgen begrenzen, so die Richter, die objektiv nicht genügten, um die Behinderung auszugleichen. Sie müssten die Versicherten mit Hörgeräten versorgen, die nach dem Stand der Medizintechnik die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubten und auch im Alltag erhebliche Vorteile böten. Bei nahezu tauben Personen - ca. 125.000 Betroffene gebe es - reiche ein analoges Hörgerät nicht aus, um ihren Hörverlust von fast 100 Prozent zu kompensieren.

Wegen ärztlicher Kunstfehler seit der Geburt behindert

Ärzte müssen auch für eine Eingliederungsmaßnahme des jetzt 17-Jährigen zahlen

Als der Junge 1990 zur Welt kam, unterlief den behandelnden Ärzten ein fataler Fehler. Deshalb ist der Junge seit seiner Geburt schwer behindert. Lange kämpften seine Eltern mit den verantwortlichen Medizinern um Schadenersatz und schlossen schließlich einen Vergleich: Mit einer Million Mark von der ärztlichen Haftpflichtversicherung sollten alle Ansprüche abgegolten sein.

Als der Junge 17 Jahre alt war, finanzierte die Bundesagentur für Arbeit eine Eingliederungsmaßnahme, um ihm selbständige Arbeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu ermöglichen. Dafür verlangte die Bundesagentur von den Ärzten trotz des Vergleichs Kostenersatz in Höhe von 50.000 Euro. Zu Recht, wie das Landgericht Osnabrück entschied (2 O 1097/09).

Müssten Ärzte einem Kind wegen eines Fehlers bei der Geburt Schadenersatz zahlen, gehörten dazu auch Kosten, die später durch Maßnahmen zur Eingliederung in eine Behinderten-Werkstatt entstünden. Der "Abfindungsvergleich" mit den Medizinern schließe den Anspruch der Bundesagentur für Arbeit nicht aus.

Denn schon bei der Geburt sei absehbar gewesen, dass später einmal Kosten für eine Eingliederungsmaßnahme anfallen könnten. Die Ersatzansprüche des Jungen gegen die Ärzte seien bereits damals, also 1990, auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen. (P.S.: Die Mediziner haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Es ist auch deshalb von Bedeutung, weil derzeit bei mehreren Gerichten vergleichbare Fälle verhandelt werden.)

10-Jährige stürzt von einer Tellerschaukel

Vater einer Freundin hatte sie am Rand eines Abhangs am Baum befestigt

Mit seiner Frau, der zehnjährigen Tochter und zwei gleichaltrigen Freundinnen ging ein Vater in einen Wald am Stadtrand. Dort wollte er die Mädchen - nicht zum ersten Mal - schaukeln lassen. Am breiten Ast eines Baumes, der oben an einem Abhang stand, befestigte der Mann eine Tellerschaukel. Von drei Startpunkten aus ließ er die Kinder "einsteigen". Nur, wenn sie vom obersten Punkt aus starteten, bestand der Vater darauf, dass sie eine Seilsicherung benutzten.

Der Abhang war nach Sturmschäden gerodet worden. Äste, Stämme und Baumstümpfe standen bzw. lagen durcheinander. Als seine Frau früher nach Hause wollte, begleitete der Mann sie kurz, um ihr den Weg zu zeigen. Während seiner Abwesenheit fiel eines der Mädchen von der Schaukel und verletzte sich schwer: Es brach sich beide Arme, erlitt Prellungen und eine Gehirnerschütterung.

Das Oberlandesgericht Hamm verurteilte den Mann dazu, an das Kind 10.000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen (9 U 144/08). In dieser Lage stelle eine Schaukel eine einzige Gefahrenquelle für Kinder dar, erklärten die Richter. Über dem abfallenden Gelände sei die Sturzhöhe größer als normal und zudem habe man es gerodet. Dass bei einem Sturz keine weiche Landung zu erwarten war, sondern hohe Verletzungsgefahr bestand, sei offenkundig gewesen.

Hier eine Schaukel anzubringen, sei schon für sich genommen leichtsinnig und unverantwortlich. Die Risiken waren für den Vater nicht beherrschbar: Er hätte nicht rechtzeitig eingreifen können, wenn ein Sturz drohte. Und damit nicht genug, habe er die Mädchen auch noch unbeaufsichtigt schaukeln lassen. Dass Zehnjährige keine Bedenken hätten, wenn eine erwachsene Autoritätsperson das Risiko als gering einschätze, sei verständlich. Dem Mädchen sei kein Mitverschulden anzulasten.

Vögel als Hausrat?

Ehefrau verlangt bei der Scheidung, ihr die Tiere als Alleineigentum zuzuweisen

Ein Ehepaar pflegte gemeinsam ein Hobby: Beide liebten Vögel. 40 Papageien und Wellensittiche hielten sie; erst in mehreren Volieren, später in einem Anbau am Einfamilienhaus. Dann ging die Ehe in die Brüche. Die Ehefrau zog in eine kleine Wohnung, in der sie die Vögel nicht artgerecht hätte unterbringen können. Deshalb gab sie die Vögel in ein Tierheim.

Im Scheidungsverfahren beantragte die Frau, die gemeinsamen Haushaltsgegenstände aufzuteilen. Die Papageien und Wellensittiche sollte ihr das Gericht als Alleineigentum zuweisen, forderte sie. Ob Vögel überhaupt zum Hausrat gehörten oder nach anderen Grundsätzen zu verteilen wären, sei schon fraglich, so das Oberlandesgericht Celle (15 WF 44/09).

Doch das könne offen bleiben. Denn die gewünschte Zuweisung sei jedenfalls schon deshalb abzulehnen, weil die Ehefrau die Tiere gar nicht wirklich haben wolle. Dafür sei ihre Wohnung zu klein. Sie wolle nur sicherstellen, dass die Vögel im Tierheim blieben und nicht von ihrem Mann zurückgeholt würden. Der Sinn der "Zuweisung als Alleineigentum" läge also allein darin, den Ex-Partner von den Vögeln fernzuhalten.

Das widerspreche jedoch dem Zweck der Hausratsteilung im Scheidungsverfahren. Die Hausratsteilung solle es dem Partner, der auf bestimmte Sachen - wie etwa ein Auto - mehr angewiesen sei, ermöglichen, sie gemäß seinen Bedürfnissen zu benutzen. Der Zweck der Hausratsteilung liege nicht darin, den anderen Ehegatten von der Nutzung bestimmter Gegenstände auszuschließen.

Betreuung von Scheidungskindern

Das "Wechselmodell" setzt Kooperationsbereitschaft der Eltern voraus

Ein Mainzer Ehepaar trennte sich im Herbst 2008, das Scheidungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Um die zwei kleinen Kinder kümmerte sich das Paar abwechselnd nach festem Rhythmus, jeweils drei bis vier Tage lang. Nach ein paar Monaten beantragte die Mutter beim Familiengericht, ein anderes Umgangsmodell festzulegen.

Begründung: Die Kinder bräuchten einen festen Lebensmittelpunkt, sie seien durch den ständigen Wechsel stark belastet und zeigten Verhaltensauffälligkeiten. Dagegen bestand der Vater darauf, das Wechselmodell beizubehalten: Verlegte man den Schwerpunkt des Aufenthalts zur Mutter, wäre es für ihn nicht mehr möglich, zu den Kindern in gleicher Weise Kontakt zu halten. Das sei für die Kinder wichtig.

Das Oberlandesgericht Koblenz sprach mit allen Beteiligten, gab ein psychologisches Gutachten in Auftrag und beendete schließlich die abwechselnde Kinderbetreuung (11 UF 251/09). Die Kinder könnten den Vater künftig jeden Donnerstagnachmittag bis Freitagmorgen besuchen, alle zwei Wochen von Donnerstagnachmittag bis Montagmorgen und jeweils die halben Schulferien.

Die bisherige Umgangsregelung fortzusetzen, widerspräche dem Wohl der Kinder. Ihnen fehle ein Lebensmittelpunkt und Stabilität im Alltag. Das hohe Konfliktpotenzial zwischen den Eltern verunsichere die Kinder und schließe eine reibungslose Kommunikation über ihre Belange aus. Die Mutter wolle deshalb das Wechselmodell beenden - und gegen den Widerstand eines Elternteils könne es nicht funktionieren.

Regelmäßiger Wechsel belaste alle Beteiligten (viele Fahrten, häufiges Packen usw.) und erfordere ein hohes Maß an Kooperation, Kommunikation und Kompromissbereitschaft bei Eltern und Kindern. Wenn das nicht vorhanden sei, entspreche ein fester Lebensmittelpunkt dem Kindeswohl besser. Die Kinder könnten den Vater trotzdem regelmäßig und häufig sehen.

Nach 16 Jahren die Vaterschaft angefochten

Bei begründeten Zweifeln von Anfang an ist die Frist dafür längst abgelaufen

1991 hatte sich ein unverheiratetes Paar getrennt. Erst danach erfuhr Herr T, dass die Frau ein Kind erwartete. Ihm war klar, dass sie noch andere Freunde hatte. Nach der Trennung zog die Frau sofort bei ihrem neuen Lebensgefährten ein. Dennoch anerkannte Herr T die Vaterschaft.

Da die Frau nach der Geburt einer Tochter 1992 an Multipler Sklerose erkrankte und nicht für das Kind sorgen konnte, wuchs es in einer Pflegefamilie auf. Der "offizielle" Vater hielt zum Kind und zu den Pflegeeltern Kontakt. 2007 vertraute ihm die Pflegemutter an, was er eigentlich immer schon vermutet hatte: Dass er nicht der Vater des Mädchens war. Vergeblich versuchte Herr T daraufhin, die Vaterschaft anzufechten.

Die Frist für diesen Schritt sei schon längst abgelaufen, erklärte das Oberlandesgericht Saarbrücken (9 WF 47/09). Den Schritt hätte Herr T vor vielen Jahren tun müssen, denn eine Vaterschaft sei innerhalb von zwei Jahren anzufechten. Die Zwei-Jahres-Frist beginne zu laufen, sobald der vermeintliche Vater von den Umständen erfährt, die gegen seine Vaterschaft sprechen.

Wenn er wisse, dass die "Kindesmutter in der Empfängniszeit mit anderen Männern Geschlechtsverkehr" hatte, bestehe logischerweise die Möglichkeit, dass das Kind von einem anderen Mann abstammt. Ob Herr T diesen Schluss damals schon gezogen habe, spiele dann keine Rolle mehr - er hätte ihn jedenfalls ziehen können.

Schließlich habe er selbst vorgetragen, stets Zweifel im Hinblick auf seine Vaterschaft gehabt zu haben, weil auch der neue Lebensgefährte der Vater des Kindes hätte sein können. Diese Bedenken hätten Herrn T schon zum Zeitpunkt der Geburt gequält. Daher habe die Anfechtungsfrist mit der Geburt der Tochter zu laufen begonnen.

Scheidung nach 25 Ehejahren

Bei ehebedingten Nachteilen wird der Unterhalt für die Ehefrau nicht befristet

1980 hatte das Paar geheiratet. Kurz darauf brachte die Ehefrau einen Jungen zur Welt und brach deshalb ihre Ausbildung zur Bankkauffrau ab. 1984 wurde der zweite Sohn geboren, 1991 der dritte. Zwischendurch hatte die Frau als Tagesmutter gearbeitet, was sie aufgab, als das älteste Kind an Krebs erkrankte. 1996 nahm sie eine stundenweise, bis heute ausgeübte Tätigkeit auf.

2002 trennten sich die Eheleute, die Ehe wurde 2005 geschieden. In einem Vergleich verpflichtete sich der Ehemann erst, nachehelichen Unterhalt zu zahlen. Später wollte er dies ändern lassen: Seine Ehefrau sei verpflichtet, eine volle Arbeitsstelle zu suchen. Dann würde sie auch nicht mehr verdienen, konterte die Ex-Frau, denn ihre jetzige Tätigkeit werde gut bezahlt.

Das Kammergericht in Berlin entschied den Streit zu ihren Gunsten (13 UF 65/08). Den Anspruch der Ehefrau auf Unterhalt zeitlich oder der Höhe nach zu begrenzen, komme nicht in Frage, so die Richter. Denn die Frau habe für die Ehe Nachteile in Kauf genommen, die nun nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Sie habe ihre berufliche Ausbildung nach der Geburt des ersten Kindes aufgegeben und sich anschließend fast nur um die Kinder gekümmert.

Infolge der Rollenverteilung in der Ehe habe die Frau keine Möglichkeit gehabt, sich selbst eine gesicherte wirtschaftliche Zukunft aufzubauen. Theoretisch hätte sie erst 1999 mit 40 Jahren wieder eine Berufsausbildung beginnen können, als der jüngste Sohn in die Schule kam. Das wäre allerdings wegen ihrer recht gut bezahlten stundenweisen Tätigkeit finanziell wenig sinnvoll und neben der Führung des Haushalts praktisch schwierig gewesen.

Blinde Versicherte bekommt "Einkaufsfuchs"

Gesetzliche Krankenkasse muss die Kosten übernehmen

Eine verheiratete, blinde Frau besaß bereits einen Blindenlangstock und ein Blindenvorlesegerät. Ihre Augenärztin verordnete ihr darüber hinaus einen "Einkaufsfuchs". Das ist ein Barcode-Lesegerät mit digitaler Sprachausgabe, das es Blinden bzw. Sehbehinderten ermöglicht, selbständig einzukaufen.

Die gesetzliche Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme ab. Begründung: Der Einkaufsfuchs helfe der Versicherten nur in besonderen Lebenssituationen. Daher stünden die Kosten des Geräts von ca. 2.500 Euro nicht in angemessenem Verhältnis zum Nutzen. Krankenkassen müssten das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten und könnten nicht dazu verpflichtet werden, blinde Versicherte mit diesem Hilfsmittel zu versorgen.

Dem widersprach das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (L 4 KR 17/08). Den eigenen Haushalt zu versorgen, gehöre zu den menschlichen Grundbedürfnissen, das Einkaufen inklusive. Ein Gerät, das es Blinden ermögliche, weitgehend selbständig einzukaufen, zähle daher zu den Hilfsmitteln, welche die gesetzliche Krankenkasse finanzieren müsse. Der Einkaufsfuchs unterstütze die Blinde nicht in Ausnahmesituationen, sondern dabei, ein Grundbedürfnis zu erfüllen.