Eine Witwe mit zwei erwachsenen Kindern hatte 2002 ein Testament verfasst. Darin setzte sie ihren Sohn als Alleinerben ein, ihre Tochter sollte nur den Pflichtteil erhalten. Dies solle keine Strafe oder Benachteiligung für die Tochter sein, schrieb die Mutter: Aber dieser Weg sei die einzige Möglichkeit, das sanierungsbedürftige Wohnhaus zu erhalten, das eine "Belastung" sei. Sie und ihr verstorbener Mann wollten unbedingt vermeiden, dass das Familienheim "verschleudert" werden müsse.
Nach dem Tod der Mutter im April 2020 beantragte und erhielt der Sohn deshalb einen Alleinerbschein. Den Wert des Wohnhauses ließ er von einem kommunalen Ausschuss ermitteln (710.000 Euro). Auf Basis dieses Werts vereinbarte er mit seiner Schwester die Höhe ihres Pflichtteils. Schon vorher hatte der Erbe jedoch Kontakt zu einem Immobilienmakler aufgenommen. Drei Wochen nach dem Vertrag mit der Schwester verkaufte er das Haus zum Preis von 819.000 Euro.
Als die Schwester davon erfuhr, warf sie ihm arglistige Täuschung vor und focht das Testament an: Die Mutter habe den Bruder nur als Alleinerben eingesetzt, weil sie irrtümlicherweise angenommen habe, so den Verbleib des Wohnhauses im Familienbesitz zu sichern. Da sich der Bruder daran aber nicht gehalten habe, stehe ihr — der Schwester — nun als Miterbin gemäß gesetzlicher Erbfolge die Hälfte des Kaufpreises zu.
Das Landgericht Wuppertal gab der Schwester Recht (2 O 317/21). Ein Testament könne angefochten werden, wenn ein Erblasser es aufgrund einer irrigen Annahme verfasst habe. Im konkreten Fall habe sich die Witwe bei der Erbeinsetzung von der Vorstellung leiten lassen, dass ihr Sohn als Alleinerbe das Haus im Familienbesitz halten würde. Sie wolle es nicht "verschleudert sehen", stehe da wortwörtlich.
Da sich diese Erwartung nicht erfüllt habe, habe die Tochter zu Recht das Testament angefochten: Es sei unwirksam. Mit dem Testament entfalle auch die Geschäftsgrundlage für den Pflichtteilsvertrag zwischen den Geschwistern. Der Sohn sei nicht Alleinerbe, vielmehr gelte nun die gesetzliche Erbfolge, d.h. die Geschwister erbten zu gleichen Teilen.
Vor Gericht habe der Mann auch zugegeben, dass er die Schwester belogen habe: Er habe von vornherein geplant, das Haus zu verkaufen, weil er die nötige Komplett-Sanierung nicht hätte finanzieren können. Bei der Pflichtteilsvereinbarung habe der Bruder die Schwester also tatsächlich arglistig getäuscht. Darauf komme es jetzt aber nicht mehr an, stellte das Landgericht fest, da die im Testament getroffene Regelung ohnehin unwirksam sei.