Europa und internationales Recht

Flugverspätung: Flieger musste enteist werden

Ist das im Winter in Minneapolis immer notwendig, liegt kein "außergewöhnlicher Umstand" vor

Herr W hatte für den 5. Dezember 2021 einen Flug von Minneapolis in den USA über Amsterdam nach Düsseldorf gebucht. In Düsseldorf kam der Passagier mit einer Verspätung von fast vier Stunden an. Am Startflughafen war das Flugzeug vor dem Start enteist worden. Es startete verspätet, dadurch verpasste Herr W in Amsterdam seinen Anschlussflug.

Vom Flugunternehmen forderte er deshalb eine Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung (600 Euro für einen Langstreckenflug). Die stehe ihm wegen der Verspätung von über drei Stunden zu.

Die Fluggesellschaft sah das anders: Hier hätten "außergewöhnliche Umstände" vorgelegen, die sie von der Pflicht befreiten, die Passagiere zu entschädigen. Es habe eben bei der notwendigen Enteisung der Maschine Verzögerungen auf dem Flughafen gegeben.

Das Amtsgericht Düsseldorf entschied den Streit zu Gunsten des Fluggastes (37 C 119/22). Fluggesellschaften seien für die Sicherheit ihrer Maschinen verantwortlich und damit auch für die Enteisung im Winter. Organisationsfehler des Flughafens Minneapolis wären daher der Fluggesellschaft zuzurechnen. Ob die Verspätung tatsächlich auf langsame Abläufe an der Enteisungsanlage zurückzuführen sei, könne hier aber offen bleiben.

Auf "außergewöhnliche Umstände" könne sich die Airline schon deshalb nicht berufen, weil sie die Enteisungszeit im Flugplan nicht berücksichtigt habe. Dabei sei eine Enteisung — nach ihrem eigenen Vortrag — bei winterlichen Starts am Flughafen von Minneapolis immer erforderlich, weil es dort regelmäßig schneie. Das dauere 30 bis 90 Minuten und müsse mit den Passagieren an Bord direkt vor dem Start durchgeführt werden.

Wenn ein Vorgang vor dem Abflug regelmäßig und zwingend durchgeführt werden müsse und dies im Durchschnitt 60 Minuten dauere, müsse das Flugunternehmen diese Zeit im Flugplan einkalkulieren. Eine so verursachte Verspätung sei jedenfalls nicht als "außergewöhnlicher Umstand" anzusehen, für den die Airline nicht verantwortlich sei.

Außerplanmäßige Flugzeug-Inspektion erforderlich

Ist die Hälfte aller Maschinen betroffen, kann eine Airline Flugverspätungen nicht vermeiden

Im Oktober 2019 war ein Flug von Zürich nach Stuttgart mit Airbus A220 annulliert worden. Hintergrund: An diesem Tag war bei so einer Maschine der Fluggesellschaft das Triebwerk ausgefallen. Einige Wochen vorher hatte bereits die amerikanische Luftfahrtbehörde angeordnet, wegen technischer Probleme an den Triebwerken des Airbus A220 nach bestimmten Flugzyklen die Maschinen dieses Typs einer Inspektion zu unterziehen.

Passagiere, die den annullierten Flug nach Stuttgart gebucht hatten und mit einem Ersatzflug fast acht Stunden später dort landeten, verlangten vom Flugunternehmen eine Ausgleichszahlung gemäß der EU-Fluggastrechteverordnung.

Die Fluggesellschaft lehnte die Zahlung ab: Das für die Sicherheit wesentliche technische Problem habe eine Vielzahl ihrer Maschinen betroffen. Daher habe sie den Flug annullieren müssen. Für so einen Fall könne kein Flugunternehmen genügend Ersatzmaschinen vorhalten.

So sah es auch der Bundesgerichtshof: Er wies die Klage auf Ausgleichszahlung ab (X ZR 117/21). Die Flugannullierung sei auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen, die für die Fluggesellschaft nicht beherrschbar gewesen seien, so die Bundesrichter. Mit technischen Defekten einzelner Maschinen müssten Flugunternehmen immer rechnen, das gehöre zu ihrer normalen Tätigkeit.

Ein außergewöhnlicher und nicht beherrschbarer Umstand — der sie von der Pflicht befreie, die Passagiere zu entschädigen — könne aber vorliegen, wenn ein wesentlicher Teil der Flugzeugflotte betroffen sei. Und so liege der Fall hier. Am fraglichen Tag habe die Airline alle ihre Flugzeuge vom Typ Airbus A220 und damit rund die Hälfte ihrer Kurz- und Mittelstreckenmaschinen wegen des Triebwerkausfalls einer außerplanmäßigen Inspektion unterzogen.

Dies sei notwendig gewesen, um technische Defekte der Maschinen dieses Typs und damit ein hohes Risiko für Fluggäste auszuschließen. In so einem Fall müsse das Flugunternehmen Störungen des Flugbetriebs in Kauf nehmen: Sicherheit sei unter diesen Umständen wichtiger, als Verspätungen und Annullierungen von Flügen zu verhindern. Daher stehe den Passagieren keine Ausgleichszahlung zu.

Lockdown auf Gran Canaria

Pauschalurlauber können wegen Corona-Einschränkungen den Reisepreis mindern

Ein verbraucherfreundliches Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Thema Corona und Reisemangel: Für März 2020 hatten Eheleute eine zweiwöchige Pauschalreise auf die Kanarischen Inseln gebucht. Zwei Tage nach ihrer Ankunft ordneten die spanischen Behörden wegen der Corona-Pandemie eine Ausgangssperre an. Strände, Pools und andere Angebote der Ferienanlagen auf Gran Canaria wurden gesperrt.

Die Urlauber mussten einige Tage auf ihren Zimmern bleiben, wurden anschließend nach Deutschland zurückgeflogen. Vom Reiseunternehmen verlangten sie eine Minderung des Reisepreises um 70 Prozent. Der Reiseveranstalter wies die Forderung zurück: Der Urlaub sei an staatlichen Corona-Auflagen gescheitert, für so ein "allgemeines Lebensrisiko" müsse er nicht einstehen.

Das Landgericht München I reichte den Rechtsstreit an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter: Er sollte die EU-Pauschalreiserichtlinie auslegen und entscheiden, ob pandemiebedingte Schließungen einen Reisemangel darstellen. Wenn eine Pauschalreise durch staatliche Corona-Maßnahmen beeinträchtigt werde, könnten die Reisenden den Reisepreis mindern, erklärte der EuGH (C-396/21).

Das gelte, obwohl Reiseveranstalter für eine derartige "Störung" nicht verantwortlich seien. Reiseveranstalter müssten nämlich unabhängig von eigenem Verschulden für vertragswidrige, mangelhafte Reiseleistungen haften. Von der Haftung seien Reiseunternehmen nur befreit, wenn ein Reisemangel den Urlaubern selbst zuzurechnen sei.

Dass wegen der Pandemie auch am Wohnort der Urlauber und in vielen anderen Ländern Ausgangssperren und weitere Einschränkungen angeordnet wurden, spiele bei der Haftung keine Rolle. Eine Pandemie stelle trotzdem kein allgemeines Lebensrisiko dar, sondern einen außergewöhnlichen Umstand wie z.B. eine Naturkatastrophe oder unerwartete Kriegshandlungen am Urlaubsort.

Das Landgericht München I muss nun das "Leistungsspektrum" der Gran-Canaria-Reise prüfen und danach entscheiden, welche Preisminderung den beeinträchtigten bzw. ausgefallenen Reiseleistungen entspricht.

Verbotene Pflanzenschutzmittel

Der Schutz der Bienen darf nicht durch eine Notfallzulassung für Pestizide ausgehebelt werden

Die Pestizide Clothianidin und Thiamethoxam waren 1991 von der Europäischen Union (EU) als Pflanzenschutzmittel zugelassen worden. Doch 2018 wurden sie von der EU verboten, weil inzwischen klar geworden war, dass sie für Bienen eine große Gefahr darstellen. Die Wirkstoffe sollen für das Bienensterben (mit-)verantwortlich sein. Seit 2018 dürfen daher Pflanzen aus Saatgut, das mit diesen Wirkstoffen besprüht wurde, nur im Gewächshaus gezogen werden und keinesfalls ins Freiland gelangen.

Trotzdem genehmigte das belgische Landwirtschaftsministerium den Einsatz beider Stoffe und erklärte dies zur "Notfallzulassung": Gemüsebauern dürften sie vorbeugend bei Saatgut von Zuckerrüben, Kopfsalat, Chicorée und anderem Gemüse anwenden, das fürs Freiland bestimmt sei.

Dagegen klagten ein Imker und einige Naturschutzverbände. Der belgische Staatsrat legte das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vor, der in dieser Frage ein eindeutiges Stoppschild aufstellte (C-162/21): EU-Mitgliedstaaten dürften Pflanzenschutzmittel, die die EU ausdrücklich verboten habe, auch nicht per Notfallzulassung genehmigen.

Belgien verweise damit zwar auf eine Ausnahmevorschrift in der Pflanzenschutzmittelverordnung. Doch die Ausnahmeregel sei nur auf Wirkstoffe anwendbar, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich genannt seien. Ziel der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung sei es, die Gesundheit von Menschen und Tieren zu schützen. Diese Aufgabe habe Vorrang vor dem Ziel, die Pflanzenproduktion zu effektivieren.

Rollstuhlfahrer verpasst Anschlussflug

Beim Zwischenstopp durfte der Mann erst als Letzter von Bord: Airline muss Ersatztickets finanzieren

Ein Ehepaar hatte übers Internet einen Flug von Frankfurt nach St. Petersburg gebucht, mit einem Umsteigestopp in Budapest. Laut Flugplan sollte die Maschine nach St. Petersburg 45 Minuten nach der Landung in Budapest starten. Auf dem Budapester Flughafen musste der auf einen Rollstuhl angewiesene Ehemann jedoch warten, bis alle anderen Passagiere ausgestiegen waren. Erst dann durfte er von Bord — deshalb verpasste das Ehepaar den Anschlussflug.

Die Reisenden erstanden Tickets für einen anderen Weiterflug (227,27 Euro pro Person). Für diese Zusatzkosten verlangten sie Schadenersatz von der Fluggesellschaft. Zu Recht, wie das Landgericht Frankfurt entschied (2-24 S 173/21). Das Ehepaar habe zwar nicht eigens einen Rollstuhlbegleitservice gebucht. Dennoch hätte das Personal der Airline den Rollstuhlfahrer unterstützen müssen.

Laut EU-Fluggastrechteverordnung hätten Personen mit eingeschränkter Mobilität und ihre Begleitpersonen Vorrang bei der Beförderung. Diesen Vorrang müssten ihnen die Fluggesellschaften auch beim Aussteigen einräumen. Und habe ein Fluggast daran ein besonderes Interesse — wie im konkreten Fall wegen des Anschlussflugs —, müsse ihn das Airline-Personal privilegiert aussteigen lassen.

Bereits beim Boarding konnten die Flugbegleiter unschwer erkennen, dass der Passagier im Rollstuhl sitze. Er habe sogar um vorrangigen Ausstieg in Budapest gebeten, wie eine Flugbegleiterin als Zeugin bestätigt habe. Schon deshalb treffe die Eheleute kein Mitverschulden an den Zusatzkosten. Sie hätten auch die Umsteigezeit nicht zu knapp bemessen. 45 Minuten müssten in der Regel dafür genügen, auch wenn ein Rollstuhlfahrer mehr Zeit benötige als andere Passagiere.

Fluggesellschaft annullierte Flüge

Den Ticketpreis darf das Unternehmen nur an den Kunden, nicht ans Reisebüro zurückzahlen

Mit der Lufthansa wollte eine Frau im November 2020 in Urlaub fliegen. Vor der Buchung hatte sie sich im Reisebüro D beraten lassen. Dort zahlte sie schließlich auch: 1.176 Euro für Hin- und Rückflug. Doch aus der Reise wurde nichts. Fünf Tage vorher annullierte die Airline die Flüge. Damit war der Ärger aber noch nicht zu Ende: Über Monate bemühte sich die Kundin vergeblich darum, den Ticketpreis zurückzubekommen.

Schließlich schaltete sie einen Anwalt ein. Dem Anwalt teilte die Lufthansa per E-Mail vom 14. April 2021 mit, sie habe das Geld dem Reisebüro D überwiesen: Gemäß ihren Geschäftsbedingungen erfolgten Rückzahlungen an denjenigen, der die Tickets gezahlt habe. Beim Reisebüro war aber nichts mehr zu holen. Deshalb verklagte die Kundin die Fluggesellschaft auf Rückzahlung.

Zu Recht, wie das Amtsgericht Köln entschied (149 C 269/21). Auch wenn die Lufthansa ans Reisebüro D gezahlt habe, habe die Kundin immer noch Anspruch auf Erstattung. Was in den Geschäftsbedingungen (AGB) der Airline zur Rückzahlung stehe, ändere daran nichts, da die AGB der EU-Fluggastrechteverordnung widersprächen. Demnach müsse die Rückzahlung direkt an den Fluggast erfolgen, wenn ein Flug annulliert werde — unabhängig von Buchungsmodalitäten.

Das ergebe sich schon aus dem Zweck der Fluggastrechteverordnung, den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten. Der Fluggast zahle den Ticketpreis und sei daher "Anspruchsinhaber" in Bezug auf die Rückzahlung. An die Kundin habe die Fluggesellschaft aber unstreitig nichts gezahlt.

Das Reisebüro vermittle nur die Flüge und sei nicht berechtigt, die Rückzahlung des Flugpreises entgegenzunehmen. Es sei denn, es werde von einem Fluggast dazu bevollmächtigt. Das treffe hier jedoch nicht zu.

Statt in Berlin-Tegel in Schönefeld gelandet

Flug zu nahem Flughafen umgeleitet: Das begründet keinen Anspruch auf Ausgleichszahlung

Mit der Austrian Airlines war ein Passagier von Wien nach Berlin geflogen. Ursprüngliches Ziel war der Flughafen Berlin-Tegel, doch die Maschine landete mit einer Stunde Verspätung auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld. Die Fluggesellschaft bot den Passagieren weder an, sie zum Flughafen Tegel zu transportieren, noch übernahm sie die Fahrtkosten für die Weiterfahrt.

Der erboste Kunde verlangte 250 Euro Ausgleichszahlung. Dafür sah das Flugunternehmen allerdings keinen guten Grund: Erstens sei die Verspätung auf schlechtes Wetter beim Vor-Flug zurückzuführen, dafür sei sie nicht verantwortlich. Zweitens begründe die Umleitung zu einem nahen Flughafen keinen Anspruch auf eine pauschale Entschädigung, wie es bei einer Verspätung von über drei Stunden der Fall wäre.

Das mit dem Rechtsstreit befasste österreichische Gericht legte ihn dem Europäischen Gerichtshof vor, der der Fluggesellschaft im Prinzip Recht gab (C-826/19). Sie könne sich auf einen außergewöhnlichen Umstand beim vorangegangenen Flug berufen, sofern ein direkter Zusammenhang zwischen diesem Umstand (Wetterbedingungen beim Vor-Flug) und der verspäteten Ankunft des Fluges bestehe.

Im konkreten Fall komme es darauf aber nicht an: Denn: Passagiere hätten grundsätzlich keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung, wenn ihr Flug nur zu einem Ausweichflughafen umgeleitet werde, der in unmittelbarer Nähe des eigentlich vorgesehenen Zielflughafens liege. (So ein Anspruch komme allenfalls dann in Betracht, wenn die Fluggäste nach der Weiterfahrt vom Ausweichflughafen den ursprünglichen Zielflughafen mit einer Verspätung von über drei Stunden erreichten.)

Allerdings müsse die Airline bei so einer Umleitung den Fluggästen von sich aus anbieten, die Kosten der Beförderung zum gebuchten Zielflughafen zu übernehmen (oder zu anderen, mit ihnen vereinbarten nahen Zielorten). Da die Austrian Airlines dies versäumt habe, müsse sie dem Kunden die Kosten der Weiterfahrt in angemessener Höhe ersetzen.

Beim Aussteigen aus dem Flieger gestürzt

Die Fluggesellschaft haftet für den Unfall eines Fluggastes — außer, er hat selbst dazu beigetragen

In Österreich war eine Frau beim Aussteigen aus einem Flugzeug auf der regennassen mobilen Treppe gestürzt und hatte sich den Unterarm gebrochen. Sie hatte sich nicht am Handlauf festgehalten, weil sie rechts eine Handtasche und auf dem linken Arm ihren Sohn getragen hatte. Vor ihr war ihr Mann an derselben Stelle fast gestürzt.

Die Verletzte verlangte von der Fluggesellschaft ca. 4.700 Euro Schmerzensgeld und Schadenersatz für die Kosten einer Haushaltshilfe. Das Flugunternehmen zahlte nichts und vertrat den Standpunkt, die Passagierin hätte sich eben festhalten müssen. Schließlich habe sie doch, weil ihr Mann beinahe stürzte, gesehen, wie rutschig die Treppe war.

Ein österreichisches Bezirksgericht gab der Airline Recht: Sie habe keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Die Treppe habe keine Mängel gezeigt, sei auch nicht ölig oder schmierig gewesen, nur nass vom Nieselregen. Die Frau dagegen habe nichts getan, um einen Sturz zu verhindern.

Gegen das Urteil legte die Verletzte Berufung ein und das Berufungsgericht fragte beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) nach, wann eine Fluggesellschaft — gemäß dem Montrealer Übereinkommen zum Flugverkehr — von der Haftung befreit sei.

Wenn ein Fluggast auf einer Flugzeugtreppe stürze, hafte laut Montrealer Übereinkommen unabhängig von eigenem Verschulden das Flugunternehmen, betonte der EuGH (C-589/20). Eine teilweise Haftungsbefreiung für die Airline komme nur in Betracht, wenn sie nachweisen könne, dass der Passagier durch sein Verhalten den Unfall mit-ausgelöst habe.

Ob der Fluggesellschaft dieser Beweis im konkreten Fall gelungen sei, müsse das nationale Gericht entscheiden. Dass sich die Frau nicht festgehalten habe, könne natürlich zu der Verletzung beigetragen haben, so der EuGH. Allerdings müsse das österreichische Gericht auch berücksichtigen, dass die Frau für die Sicherheit eines Kleinkindes habe sorgen müssen.

Händler-Auskunft über Herstellergarantie vorgeschrieben?

Onlinehandel muss über die Garantie (nur) umfassend informieren, wenn er sie werbewirksam herausstellt

Eine deutsche Handelsfirma bot auf Amazon das Taschenmesser eines Schweizer Herstellers an. Die Angebotsseite im Internet schwieg sich über eine Garantie für das Messer aus. Erst in der Rubrik "Weitere technische Informationen" fand sich ein Link, über den interessierte Internetnutzer auf ein Informationsblatt des Produzenten zur Garantie zugreifen konnten.

Eine Konkurrentin zog vor Gericht: Die Garantieangaben der Handelsfirma seien unzureichend und damit unzulässig, so ihr Einwand. Doch der Bundesgerichtshof (BGH), der den Rechtsstreit entscheiden sollte, reichte ihn erst einmal an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiter.

Der BGH zweifelte nämlich daran, ob die EU-Verbraucherrechte-Richtlinie Händler überhaupt dazu verpflichtet, die Verbraucher über Herstellergarantien für die angebotenen Produkte zu informieren.

Ein Händler muss den Verbraucher über die Garantie des Herstellers nur dann umfassend informieren, wenn er sie zu einem zentralen Merkmal seines Angebots mache, erklärte der EuGH (C-179/21). Stelle ein Händler das Garantieversprechen des Produzenten als besonderes Verkaufsargument werbewirksam heraus, bestehe beim Verbraucher — mit Blick auf die Kaufentscheidung — ein besonderes Interesse an genauer Auskunft darüber.

Um diesem berechtigten Interesse Rechnung zu tragen, müsse der Händler Namen und Anschrift des Garantiegebers nennen. Außerdem müsse er die potenziellen Kunden über die Dauer, den räumlichen Geltungsbereich der Garantie und den Reparaturort bei Beschädigungen informieren sowie eventuelle Einschränkungen der Garantie erläutern.

Verbraucher können Online-Ticketkauf nicht widerrufen

Das gilt auch dann, wenn Eintrittskarten bei einer Ticketvermittlerin gekauft wurden

Während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 fielen alle Veranstaltungen aus, u.a. ein Konzert in Braunschweig. Verbraucher R hatte dafür Eintrittskarten im Internet erworben — allerdings nicht beim Veranstalter, sondern über die Internetplattform der "CTS Eventim", einer Ticketvermittlerin. Der Konzertveranstalter gab für die verhinderten Konzertbesucher Gutscheine aus.

Damit war Kunde R jedoch unzufrieden: Er zog vor das Amtsgericht Bremen und verlangte das Eintrittsgeld zurück. Doch die deutsche Regierung hatte die Gutscheinregelung vorgesehen, um die von der Pandemie gebeutelte Veranstaltungsbranche zu schützen. Trotzdem sah das Amtsgericht eine Möglichkeit, den Streit zu Gunsten des Verbrauchers zu entscheiden.

Er könnte "Bares" zurückbekommen, wenn er das Recht hätte, seinen Vertrag mit "CTS Eventim" gemäß der EU-Verbraucherschutzrichtlinie zu widerrufen, so das Amtsgericht. Verbraucher, die mit einem Unternehmer einen Fernabsatzvertrag (Versandhandel oder Onlinehandel) schließen, dürfen den Vertrag zwei Wochen lang ohne Angabe von Gründen widerrufen.

Das Amtsgericht bat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung, ob die EU-Verbraucherschutzrichtlinie auch gilt, wenn ein Verbraucher Tickets online bei einer Vermittlerin gekauft hat. Für die Veranstaltungsbranche gebe es eine Ausnahmeregelung, so die Antwort des EuGH: Für termingebundene Freizeitveranstaltungen gelte das Widerrufsrecht nicht (C-96/21).

Die Ausnahmeregelung solle die Veranstalter von Konzerten und Sportevents vor großem wirtschaftlichem Risiko durch das Widerrufsrecht bewahren. Sie müssten nämlich Plätze für Online-Ticketkäufer freihalten, die sie aber im Falle eines Widerrufs sehr wahrscheinlich nicht mehr anderweitig vergeben könnten.

Auch beim Onlinekauf der Eintrittskarten bei einer Vermittlerin sei das Widerrufsrecht ausgeschlossen, da (und sofern) das mit dem Widerrufsrecht verbundene finanzielle Risiko allein den Konzertveranstalter treffen würde. Herr R wird sich also mit dem Gutschein begnügen müssen.

Vitamin-Angaben auf Verpackungen

Kurzartikel

Wird ein Lebensmittel mit Vitaminen versetzt, reicht es aus, wenn auf der Verpackung darüber mit umgangssprachlichen Angaben wie "Vitamin C" oder "Vitamin B9" informiert wird. Wenn der Name des Vitamins angegeben sei, gewährleiste dies eine klare und leicht verständliche Information für die Verbraucher. Auf der Verpackung muss nicht unbedingt die genaue Vitaminverbindung stehen oder Folsäure statt "Vitamin B9".

Streit um Befristung eines Arbeitsvertrags

Elektronische Signatur ist nur wirksam, wenn die Bundesnetzagentur das genutzte System zertifiziert hat

Ein Mechatroniker arbeitet schon seit Sommer 2018 für eine Berliner Arbeitgeberin mit befristeten Arbeitsverhältnissen. Im Sommer 2019 wurde um ein Jahr verlängert bis 31.10.2020. Einen weiteren Arbeitsvertrag, befristet bis 30.11.2021, unterzeichneten die Parteien im September 2020 elektronisch.

Später zog der Arbeitnehmer vor Gericht und verlangte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis nicht am 30.11.2021 enden werde. Begründung: Befristete Arbeitsverhältnisse dürften nicht länger als zwei Jahre dauern, wenn es für die Befristung keinen sachlichen Grund gebe. Außerdem entspreche die elektronische Signatur unter dem befristeten Arbeitsvertrag vom September 2020 nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Das Arbeitsgericht Berlin gab dem Arbeitnehmer Recht (36 Ca 15296/20). Zum einen sei hier die zulässige Höchstdauer eines befristeten Arbeitsverhältnisses überschritten. Man habe direkt aufeinander folgend dasselbe Arbeitsverhältnis über zwei Jahre fortgesetzt. Zum anderen könne die Befristung eines Arbeitsverhältnisses nur "in Schriftform" erfolgen.

Das schließe zwar eine elektronische Vereinbarung nicht aus. Wenn die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform durch eine elektronische Unterschrift ersetzt werden solle, müsse das elektronische Dokument jedoch mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. Gemäß EU-Recht müsse eine qualifizierte Signatur die Identifizierung des Unterzeichners ermöglichen und so mit den Daten, d.h. dem Vertragsinhalt verbunden sein, dass man eine nachträgliche Änderung erkennen könne.

Ob ein elektronisches System ("Signaturerstellungseinheit") diesen Anforderungen entspreche, prüfe in allen EU-Mitgliedsstaaten eine öffentliche Stelle. In Deutschland müssten die Systeme von der Bundesnetzagentur zertifiziert sein. Im konkreten Fall habe die Arbeitgeberin das System "Tool e-Sign" verwendet, das von der Bundesnetzagentur nicht zertifiziert sei. Die vereinbarte Befristung des Arbeitsverhältnisses sei demnach nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und daher unwirksam. Infolgedessen bestehe das Arbeitsverhältnis unbefristet weiter.

Ausgleichszahlung auch für vorverlegten Flug

Wird der Start von der Airline um mehr als eine Stunde vorverlegt, gilt der Flug als annulliert

Ein österreichisches Gericht und das Landgericht Düsseldorf baten den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klarstellungen zu mehreren Rechtsstreitigkeiten. Laut EU-Fluggastrechteverordnung müssen Fluggesellschaften Passagiere entschädigen, wenn sie einen Flug annullieren oder wenn das Flugzeug mit mehr als drei Stunden Verspätung am Zielort landet.

Die zentrale Frage an den EuGH: Steht Fluggästen auch dann eine Ausgleichszahlung zu, wenn eine Maschine früher als vorgesehen startet? Die Antwort des EuGHs lautete "Ja": Ein Flug sei als annulliert anzusehen, wenn er von der ausführenden Fluggesellschaft um mehr als eine Stunde vorverlegt werde (C-146/20 u.a.).

Das zeitliche Verschieben nach vorne könne für die Passagiere nämlich genauso wie eine Flugverspätung zu erheblichen Unannehmlichkeiten führen. Wenn sie z.B. mit der Bahn zum Flughafen fahren wollten, müssten sie die Anfahrt um-organisieren, um den Flug zu erreichen. Biete die Bahn keine passende Alternative, könne ein Fluggast eventuell das Flugzeug gar nicht nehmen und müsse umbuchen.

Wenn es um den Heimflug von einer Reise gehe, würden Passagiere durch eine Vorverlegung dazu gezwungen, den Urlaub früher zu beenden. Das nehme ihnen die Möglichkeit, am letzten Tag frei über ihre Zeit zu verfügen. Daher stehe in so einem Fall den Passagieren eine Ausgleichszahlung zu. Von dieser Zahlungspflicht seien Fluggesellschaften nur befreit, wenn sie einen Flug nur geringfügig vorverlegten, d.h. um weniger als eine Stunde.

Sekt gibt’s nur mit Folienumkleidung

Winzer darf die Flaschen nicht "oben ohne" verkaufen: Verbot ist begründet

Gemäß EU-Recht muss bei Schaumweinen der Flaschenhals mit Folie umkleidet sein — nur für ganz kleine Fläschchen gilt diese Vorschrift nicht. Bei der weinrechtlichen Kontrolle eines Winzerbetriebs fand das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz 1.300 Flaschen Riesling Jahrgangssekt ohne die vorgeschriebenen Folien. Deshalb verhängte die zuständige Verwaltungsbehörde ein Verkaufsverbot.

Dagegen klagte der Winzer: Die Folie sei ein umweltschädliches Accessoire ohne technische Funktion. Er berief sich auf seine unternehmerische Freiheit, die laut EU-Recht geschützt und höherrangig sei als die EU-Verordnung zur "Schaumweinausstattung".

Die Verordnung begrenze die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, räumte das Verwaltungsgericht (VG) Trier ein: Dieser Eingriff in die Rechte des Winzers sei allerdings sachlich gerechtfertigt (8 K 421/21.TR).

Das einheitliche Aussehen der Sektflaschen schütze Verbraucher vor Verwechslungen, so das VG: Die Vorschrift gründe auf einer über 100 Jahre alten Tradition und ermögliche den Verbrauchern schnelle Orientierung. Sie könnten darauf vertrauen, dass Sekt nur mit Folienumkleidung angeboten werde und dass dieses Aussehen für Qualitätssekt stehe. Kunden könnten an einer unversehrten Folie auch erkennen, dass der Verschluss der Flasche nicht manipuliert oder beschädigt sei.

Zugleich schütze die Folie als Zeichen für Qualität die traditionellen Hersteller von Schaumweinen und trage zum fairen Wettbewerb unter den Winzern bei. Da die Ausstattung vorgeschrieben sei, hätten alle Sekt-Anbieter die gleichen Produktionskosten für die Folien und die gleichen Abgaben für die Abfallentsorgung zu tragen. Folien bewahrten zudem Naturkorken vor Feuchtigkeit und Schimmel.

Die EU-Kommission habe beim Erlass der Vorschrift durchaus den Umweltschutz beachtet. Sie habe aber versucht, gleichzeitig an die Tradition anzuknüpfen sowie Aspekte des Verbraucherschutzes und des fairen Wettbewerbs zu berücksichtigen. Im Übrigen sei der Begriff "Folie" in der Verordnung nicht genau definiert. Winzer könnten also auch umweltfreundliche, wiederverwendbare Folien einsetzen.

Flugverspätung wegen eines Lotsenstreiks

Da eine Airline Streikfolgen nicht verhindern kann, muss sie die Passagiere dafür nicht entschädigen

Drei deutsche Urlauber wollten von der griechischen Insel Kos nach Frankfurt am Main zurückfliegen. Der Start war um halb neun Uhr früh angesetzt, landen sollte die Maschine kurz vor Mittag. Doch das Flugzeug kam erst nachmittags in Kos an, startete dort um 18 Uhr 50 und landete in Frankfurt gegen 22 Uhr. Wegen der beträchtlichen Verspätung verlangten die Fluggäste von der Airline eine Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung.

Die Fluggesellschaft hielt dagegen: Der Verspätung lägen "außergewöhnliche Umstände" zugrunde, die sie nicht zu vertreten habe. Wegen eines Fluglotsenstreiks in Frankreich am Vortag habe die Maschine nicht rechtzeitig nach Kos fliegen können. Die Klage der Kunden auf Entschädigung scheiterte in allen Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof (X ZR 11/20).

Da es für die Airline unmöglich gewesen sei, die Verspätung abzuwenden, müsse sie die Passagiere dafür nicht entschädigen, entschieden die Bundesrichter. Wenn die vorgesehene Maschine infolge eines Fluglotsenstreiks nicht rechtzeitig zum Startflughafen fliegen könne, stelle das ein für die Fluggesellschaft "nicht beherrschbares Ereignis" dar — also einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der EU-Fluggastrechteverordnung, der eine Ausgleichspflicht ausschließe.

Der Streik habe zwar nicht direkt den Flug von Kos nach Frankfurt betroffen. Da er aber indirekt die verspätete Ankunft des Flugzeugs auf der Insel verursachte, habe das Flugunternehmen auch die daraus resultierende verspätete Landung in Frankfurt nicht verhindern können. Man könne von der Fluggesellschaft nicht verlangen, für solche Fälle an allen Flughäfen ein Ersatzflugzeug vorzuhalten. Das sei aus wirtschaftlichen Gründen unzumutbar.

Beamter nach Unfall dienstunfähig

Kein finanzieller Ausgleich für Urlaub, den der erkrankte Beamte Jahre früher nicht antreten konnte

Aufgrund eines Dienstunfalls war ein Beamter ab Januar 2017 dauerhaft erkrankt. Nach einem erfolglosen Versuch der Wiedereingliederung wurde er 2019 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Danach verlangte der Mann vom Dienstherrn finanziellen Ausgleich für Urlaub, den er 2017 und 2018 nicht hatte nehmen können.

Für das Jahr 2017 lehnte der Dienstherr den Ausgleich ab: Der Urlaubsanspruch sei verfallen, weil der Beamte den Urlaub krankheitsbedingt nicht in der vorgesehenen Frist antreten konnte.

Über diese Frist sei er vom Dienstherrn nicht informiert worden, konterte der Ruheständler, und berief sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH): Der Mindestjahresurlaub verfalle nur, wenn der Dienstherr den Beamten darauf hingewiesen habe, dass er Urlaub — oder bei längerer Krankheit dessen Übertragung auf das nächste Jahr — rechtzeitig beantragen müsse.

Die Klage des Ruheständlers scheiterte beim Verwaltungsgericht Trier (7 K 2761/20.TR). Beamte könnten Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub, die während einer längeren Krankheit entstehen, nicht unbegrenzt ansammeln. Urlaub gewähre der Dienstherr, damit sich die Beschäftigten erholen könnten: Mit großem zeitlichem Abstand entfalle dieser Zweck des Jahresurlaubs.

Grundsätzlich sollten Beamte im Urlaubsjahr Urlaub nehmen, bei längerer Krankheit könnten sie ihn auf das Folgejahr übertragen. Wenn sie krankheitsbedingt keinen Urlaub machen könnten, verfalle der Anspruch darauf (auch nach der Rechtsprechung des EuGHs!) 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres. Im konkreten Fall also mit Ablauf des März 2019.

Mit dem Anspruch auf Urlaub entfalle auch der Anspruch auf finanziellen Ausgleich für nicht angetretenen Urlaub. Dass der Beamte vom Dienstherrn über die Verfallsfrist nicht eigens informiert worden sei, spiele hier keine Rolle: Denn nicht die fehlende Information sei der Grund dafür, dass er keinen Urlaub genommen habe, sondern seine Dienstunfähigkeit.

Bundespolizei verursacht Flugverspätung

Lässt die Polizei Gepäck wieder ausladen, ist dafür nicht die Airline verantwortlich

Mit einer aus München kommenden Maschine wollte der Fluggast von Amsterdam nach München fliegen, und von München aus weiter nach Leipzig. Doch am 2. Mai 2019 landete das Flugzeug in Amsterdam mit einer Stunde Verspätung. Deshalb verpasste der Mann später in München den Weiterflug nach Leipzig. Fast vier Stunden später als geplant kam er schließlich — mit einem von der Airline angebotenen Ersatzflug — am Zielort Leipzig an.

Ein Fall für eine Ausgleichszahlung gemäß EU-Fluggastrechteverordnung, dachte der Passagier. Denn Fluggesellschaften müssen die betroffenen Fluggäste entschädigen, wenn ein Flug annulliert wird oder mit mehr als drei Stunden Verspätung ankommt.

Doch das Amtsgericht Köln wies die Klage auf Ausgleichszahlung ab (112 C 144/20). Dass schon der vorhergehende Flug verspätet in Amsterdam landete, sei auf eine polizeiliche Anordnung in München zurückzuführen: Dafür sei nicht die Airline verantwortlich.

In München sei der Bundespolizei bei der Abfertigung des Gepäcks ein Fehler unterlaufen. Deswegen hätten 38 bereits geladene Gepäckstücke kurz vor dem Abflug wieder aus dem Flugzeug ausgeladen werden müssen. Die so verursachte Verspätung habe die Fluggesellschaft nicht verhindern und anschließend auch nicht mehr wettmachen können, so das Amtsgericht. Das Unternehmen könne sich daher auf außergewöhnliche, von ihm nicht beherrschbare Umstände berufen.

Damit entfalle für die Airline die Pflicht, die Kunden für die Verspätung zu entschädigen. Fehler kämen zwar im Flugbetrieb immer mal vor. Aber ein Fehler von solcher Tragweite sei dennoch als außergewöhnlicher Umstand anzusehen — insbesondere deshalb, weil er auf polizeiliches Handeln zurückzuführen sei. Dabei sollte die Polizei doch für besondere Zuverlässigkeit stehen. Die Fluggesellschaft habe jedenfalls diesen Vorgang nicht beeinflussen können.

EuGH bremst Ryanair aus

Die Fluggesellschaft kann nicht per Vertragsklausel international irisches Recht durchsetzen

Dass die irische Billigfluglinie Ryanair im Zweifelsfall auf Verbraucherrechte pfeift, ist nichts Neues. Ein rechtliches Schlupfloch hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im November 2020 geschlossen: Bei Gerichtsverfahren in der Europäischen Union könne sich die Fluggesellschaft nicht auf die alleinige Zuständigkeit irischer Gerichte berufen — nur, weil sie es in ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen so festlege (C 519/19).

Im konkreten Fall ging es um Ausgleichszahlungen für einen annullierten Flug von Mailand nach Warschau. Einige betroffene Passagiere überließen es der Inkassogesellschaft DelayFix, ihre Rechte auf Ausgleichszahlung - gemäß EU-Fluggastrechteverordnung - gegen die Airline geltend zu machen. DelayFix erhob Klage vor einem polnischen Gericht, doch Ryanair bestritt dessen Zuständigkeit.

Die Fluggesellschaft verwies auf ihre Beförderungsbedingungen, in denen steht, dass über Streitigkeiten zwischen Ryanair und Fluggästen nur irische Gerichte entscheiden dürften. Mit dem Kauf des Flugscheins akzeptierten Fluggäste diese Klausel, daran sei auch DelayFix gebunden. Außerdem könne sich DelayFix nicht auf Verbraucherschutz-Richtlinien der EU berufen, da die Firma kein Verbraucher sei.

Das Warschauer Gericht fragte beim EuGH nach, ob das zutreffe. Die Antwort: Da ursprünglich ein Vertrag zwischen einer Fluggesellschaft und einem Fluggast, also einem Verbraucher, geschlossen worden sei, könne sich DelayFix sehr wohl auf die EU-Verbraucherschutzregeln berufen: Der Beförderungsvertrag und seine Klauseln müssten diesen Bestimmungen entsprechen.

Die Regelung, dass nur irische Gerichte bei Streitigkeiten entscheiden dürften, sei mit den EU-Verbraucherschutzregeln jedoch unvereinbar. Sie werde mit den Kunden nicht im Einzelnen ausgehandelt und bevorzuge einseitig die Airline zum Nachteil der Verbraucher.

Nach EU-Recht seien bei Direktflügen Startorte und Zielorte gleichermaßen als die Orte anzusehen, an denen die vertraglich vereinbarte Dienstleistung (= die Beförderung) erbracht werde. Grundsätzlich könne deshalb ein Passagier, der Rechte geltend machen möchte, den Gerichtsstand wählen: Er/Sie könne am Ort des Abflugs oder am Ort der Ankunft Klage erheben. Dabei sei es gleichgültig, ob Verbraucher selbst klagten oder damit eine Firma beauftragten.

Flug wegen schlechter Sicht annulliert

Hält der Pilot eine Landung für zu riskant, ist diese Einschätzung für die Airline verbindlich

Annulliert eine Fluggesellschaft einen Flug, steht den Passagieren gemäß EU-Fluggastrechteverordnung eine Ausgleichszahlung zu. Es sei denn, die Absage war für das Unternehmen unvermeidlich, weil sie durch einen außergewöhnlichen Umstand quasi erzwungen wurde. Um diesen Punkt ging es auch im folgenden Rechtsstreit.

An einem Wintertag sollte eine Maschine um 11.50 Uhr von O nach D starten. Von D kommend, konnte das Flugzeug jedoch in O schon nicht landen. Dort herrschte feuchter Dunst, auf dem Flugplatz konnte man höchstens 3.500 Meter weit sehen. Da der Pilot die Landung unter diesen Bedingungen für zu riskant hielt, forderte die Fluggesellschaft eine Landeerlaubnis auf dem nächsten Flughafen in S an. Die Maschine flog nach S, der Flug von O nach D wurde annulliert.

Das Amtsgericht Dortmund wies die Klage eines Passagiers ab, der diesen Flug gebucht hatte und von der Airline Ausgleichszahlung verlangte (425 C 1320/20). Aufgrund der meteorologischen Daten stehe fest, dass zum Zeitpunkt der geplanten Landung in O feuchter Dunst über dem Flughafen lag. Der Pilot habe durchgegeben, die Sicht sei fast so schlecht wie bei Nebel und eine Landung gefährlich. Aufgrund seiner Befugnisse als "Luftfahrzeugführer" sei diese Einschätzung für die Fluggesellschaft bindend.

Daher komme es auch im Rechtsstreit nicht mehr darauf an, ob die Wetterlage für eine Landung objektiv zu schlecht gewesen sei. Der Pilot sei für die Sicherheit seiner Passagiere verantwortlich. Dabei sei ihm ein Ermessensspielraum zuzugestehen, der vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbar sei. Also gehe das Gericht davon aus, dass die Flugannullierung auf einem außergewöhnlichen Umstand beruhte. Wetterumstände wie Nebel und feuchten Dunst könne eine Fluggesellschaft nicht beeinflussen.

Das Unternehmen habe den Flug erst annulliert, nachdem es ca. eine Stunde auf eine Besserung der Sichtverhältnisse gewartet habe. Da niemand wisse, wann sich Nebel oder Dunst auflösten, wäre es auch für die Passagiere unzumutbar gewesen, noch länger zu warten. Die Lage sei unkalkulierbar gewesen. Unter derart ungewissen Bedingungen habe die Fluggesellschaft auch keinen Bustransfer nach S organisieren müssen, der außerdem mindestens drei Stunden gedauert hätte.

Käse sehen sich zum Verwechseln ähnlich

Ist eine Ursprungsbezeichnung geschützt, bezieht sich der Schutz nicht nur auf den Produktnamen

Im französischen Jura-Massiv wird ein Käse hergestellt, dessen Bezeichnung "Morbier" seit 2000 geschützt ist. Geschützte Ursprungsbezeichnung bedeutet: Nur Produkte, die in einer bestimmten Region hergestellt werden, dürfen diesen Namen tragen. Auffällig am "Morbier" ist ein schwarzer Kohlestreifen, der den Käse optisch in zwei Hälften teilt.

Der Verband der Morbier-Produzenten verklagte eine Firma, die seit 1979 Morbier-Käse herstellt. Sie hat jedoch ihren Firmensitz nicht in dem Gebiet, dem die Bezeichnung "Morbier" vorbehalten ist, sondern in einer Nachbarregion. Deshalb nennt die Firma ihren Käse seit 2000 nicht mehr "Morbier".

Trotzdem könnten die Verbraucher ihren Käse immer noch mit Morbier-Käse verwechseln, kritisierte der Verband, denn der Konkurrenz-Käse trage den schwarzen Streifen und sehe damit genauso aus wie Morbier-Käse. Das verstoße gegen die "geschützte Ursprungsbezeichnung" und sei wettbewerbswidrig.

Französische Gerichte wiesen die Klage mit dem Argument ab, eine "geschützte Ursprungsbezeichnung" schütze nicht das Erscheinungsbild eines Produkts, sondern den Produktnamen. Doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) gab dem Verband der Morbier-Produzenten Recht: Auch eine ähnliche Optik könne Verbraucher in die Irre führen und so den Wettbewerb verzerren (C-490/19).

Nach dem Wortlaut der betreffenden EU-Normen seien die eingetragenen Produktnamen geschützt, räumte der EuGH ein. Doch die seien vom Produkt nicht zu trennen. Wenn zwei Produkte ähnlich aussähen, könnten Verbraucher sie auch dann verwechseln, wenn der geschützte Name auf dem Erzeugnis (oder der Verpackung) gar nicht auftauche. Das gelte jedenfalls dann, wenn es um ein besonders charakteristisches Merkmal des Produkts gehe — wie im konkreten Fall um den schwarzen Kohlestreifen.