Betreuung, Heim und Pflege

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Sozialhilfeträger fordert Unterhalt für Seniorin

Ihr Sohn verdient nur mäßig, hat aber gespart: Wie hoch ist das Schonvermögen?

Die 1926 geborene Mutter des Elektrikers lebt in einem Altenpflegeheim. Ihr Einkommen (Witwenrente, eine italienische Rente, Pflegeversicherung) reicht nicht aus, um die Heimkosten zu decken. Der Träger der Sozialversicherung sprang ab 2008 ein und finanzierte den fehlenden Betrag. 2011 forderte er vom Sohn der Seniorin 17.000 Euro Elternunterhalt. Seine in Italien lebenden Schwestern haben keine eigenen Einkünfte. Doch auch der Sohn verdient als Elektriker nur mäßig und erklärte sich für zahlungsunfähig.

Nach Abzug von Freibeträgen (für Versicherung, Fahrtkosten) verfügt er über 1.065 Euro im Monat. Dazu kommt der Wohnwert seiner Eigentumswohnung (340 Euro) in Fürth. Damit liegt sein Einkommen (1.405 Euro) unter dem Selbstbehalt von 1.500 Euro. Trotzdem verlor der Elektriker den Prozess gegen den Sozialhilfeträger zunächst — weil er so sparsam war. Nicht von seinem Einkommen, wohl aber von seinem Vermögen könne er Unterhalt für die Mutter abzweigen, entschied das Amtsgericht. Denn der Mann besaß ein Sparbuch, Lebensversicherungen und einen Grundstücksanteil in Italien.

Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg rechnete anders (9 UF 1747/11). Wer den Eltern zu Unterhalt verpflichtet sei, müsse dafür nicht seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährden. Zum eigenen Unterhalt gehöre auch eine abhängig vom Einkommen zu bemessende Altersvorsorge. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürften Kinder — zusätzlich zu den Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung — bis zu fünf Prozent ihres Bruttoeinkommens für private Altersvorsorge aufwenden.

Den Betrag, den Berufstätige mit dieser Quote im Laufe ihres Erwerbslebens ansparen könnten, dürften sie daher als so genanntes Schonvermögen behalten. Diese obere Grenze (rund 100.000 Euro) werde im konkreten Fall nicht einmal dann erreicht, wenn man den kleinen Anteil am Hausgrundstück in Italien berücksichtige, erklärte das OLG.

Die vom Sohn bewohnte Eigentumswohnung sei auf das Vermögen, das für die Altersvorsorge gedacht sei, nicht anzurechnen. Denn ohne den Wohnvorteil könnte der Elektriker im Alter (mit dann noch geringeren Einkünften) seinen eigenen Unterhalt nicht mehr bestreiten, geschweige denn den gewohnten Lebensstandard beibehalten.

Ehefrau lebt im Pflegeheim

Ehemann will sich von ihr getrennt haben und so die Pflegekosten auf die Sozialhilfe abwälzen

Die Ehefrau leidet an Alzheimer und lebt schon seit 2007 in einem Pflegeheim. Ihr Ehemann — und gerichtlich bestellter Betreuer — forderte vom Sozialhilfeträger, die Pflegekosten zu übernehmen, soweit die Pflegeversicherung sie nicht abdeckte (1.800 Euro monatlich). Die Behörde lehnte dies ab: Das Ehepaar sei nicht hilfebedürftig. Doch der Ehemann war der Ansicht, seine Pension und sein Vermögen müssten hier "außen vor bleiben". Denn er lebe schon lange von seiner Frau getrennt.

Im Namen der Ehefrau verklagte der Betreuer den Sozialhilfeträger auf Übernahme der Pflegekosten, scheiterte jedoch beim Landessozialgericht Hessen (L 7 SO 194/09). Sozialhilfe für Heimbewohner werde nur geleistet, wenn es für den Pflegebedürftigen und seinen Ehe- oder Lebenspartner unzumutbar sei, die Pflegekosten zu tragen, so das Gericht. Nur wenn der Ehe- oder Lebenspartner vom Pflegebedürftigen getrennt lebe, bleibe sein Einkommen und Vermögen unberücksichtigt.

Allein der Aufenthalt eines Partners im Pflegeheim belege nicht, dass die Partner getrennt lebten. Während der letzten Jahre und auch während des Prozesses habe der Ehemann keinerlei Willen zur Trennung erkennen lassen. Erst am Ende des Verfahrens habe er behauptet, sich von seiner Frau trennen und die Verantwortungsgemeinschaft aufgeben zu wollen — weil anders die Kostenübernahme durch die Sozialhilfe nicht zu erreichen war. Darüber hinaus habe der Ehemann und Betreuer nicht nachweisen können, dass das Vermögen allein ihm und nicht auch seiner Ehefrau gehörte.

Seniorin kann ihre Medikamente nicht mehr selbst einnehmen

Die private Krankenversicherung muss die Zusatzkosten für den Pflegedienst nicht übernehmen

Die 90 Jahre alte Frau lebte in einem Wohnstift, betreut, aber in ihrer eigenen Wohnung. Sie war auf den Rollstuhl angewiesen und pflegebedürftig (Pflegestufe 1). Gegen diverse Krankheiten musste sie Medikamente nehmen, was sie alleine nicht mehr bewältigte. Der Pflegedienst des Wohnstiftes kümmerte sich drei Mal täglich darum und berechnete jedes Mal neun Euro: Da kamen im Monat schon mal 800 Euro zusammen.

Deshalb wandte sich die privat krankenversicherte Seniorin an ihren Versicherer, der sich jedoch weigerte, die Kosten zu übernehmen. Vergeblich pochte die Versicherungsnehmerin darauf, dass gesetzlich Krankenversicherte Anspruch auf häusliche Krankenpflege hätten und dies bei Alleinstehenden die Einnahme von Arzneimitteln einschließe.

Zwischen dem System der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung bestünden strukturelle Unterschiede, so das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein (16 U 43/11). Wer sich privat versichere, sei eben anders versichert als die Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse. Nach dem Versicherungsvertrag der Seniorin seien bei einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung die Ausgaben für Medikamente zu erstatten.

Das gelte nur für die Medikamente selbst und nicht für die Kosten, die mit ihrer Einnahme verbunden seien. Diese gehörten nicht zu den vereinbarten Leistungen. Es entspreche dem allgemeinen Sprachverständnis, dass Arzneimittel vom Arzt verschrieben, in der Apotheke gekauft und vom Versicherungsnehmer selbständig eingenommen werden.

Tochter zahlte fürs Pflegeheim des Vaters ...

... einen kleinen Beitrag: Zumutbare Belastung ist nicht von der Steuer absetzbar

Ende 2005 erlitt der Vater der Steuerzahlerin einen Schlaganfall und wurde pflegebedürftig. Er musste in ein Altenpflegeheim ziehen. Unterkunft und Pflege kosteten 2006 37.000 Euro. Der Rentner bezog 24.000 Rente im Jahr. Seiner gehbehinderten Frau zahlte er 15.000 Euro Unterhalt, die übrigen 9.000 Euro erhielt das Pflegeheim. Die Pflegeversicherung des alten Herrn übernahm 22.000 Euro Pflegekosten, den Restbetrag von 6.000 Euro finanzierte das Sozialamt.

Da die Tochter des Pflegebedürftigen nicht übermäßig gut verdiente, forderte das Sozialamt von ihr nur einen Teil der Summe als Beitrag zu den Pflegekosten (1.316 Euro). Diese Ausgabe für den Unterhalt des Vaters wollte die Frau bei der Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung geltend machen.

Das wurde vom Finanzamt abgelehnt. Zu Recht, wie der Bundesfinanzhof (BFH) entschied (VI R 14/10). Finanzierten Steuerpflichtige die durch Krankheit notwendig gewordene Unterbringung eines Angehörigen in einem Heim, sei das zwar im Prinzip steuerlich zu berücksichtigen, betonte der BFH.

Ein Steuerabzug setze aber eine außergewöhnliche finanzielle Belastung voraus. Eine Belastung sei nicht "außergewöhnlich", sondern zumutbar, wenn sie sechs Prozent des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht überschreite. Im konkreten Fall liege der von der Tochter gezahlte Betrag unterhalb dieser Grenze.

Altenpflegerin schikanierte Heimbewohner

Erfolglos ficht sie den Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber an

Die 60-jährige Pflegerin M arbeitete in einem Altenheim. 2008 erfuhr die Pflegedienstleiterin von Mitarbeitern, dass Frau M ihre Schützlinge schikanierte: Sie füttere Hilfebedürftige gewaltsam, sei beim Zähneputzen und anderen Pflegehandlungen äußerst grob. Zudem beleidige sie ständig die Patienten ("blöde Kuh", "nun stirb doch endlich").

Die Pflegedienstleiterin hörte sich weiter beim Personal um. Da alle die Vorwürfe bestätigten, bat sie Frau M zu einem Gespräch mit dem Personalleiter. Der fragte die Altenpflegerin, ob sie die ihr im Nachtdienst anvertrauten Pflegebedürftigen misshandle. Frau M stritt die Vorwürfe ab. Doch der Personalchef erklärte, der Heimträger werde ihr fristlos kündigen. Als Alternative könne er ihr nur anbieten, freiwillig den Arbeitsvertrag aufzulösen.

Frau M unterzeichnete einen Aufhebungsvertrag, den sie nach ein paar Tagen anfocht: Der Personalchef habe mit fristloser Kündigung gedroht, habe sie also widerrechtlich unter Druck gesetzt. Da man sie quasi gezwungen habe, den Vertrag zu akzeptieren, sei er unwirksam und das Arbeitsverhältnis bestehe fort. Beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein kam die Arbeitnehmerin mit dieser Argumentation nicht durch (2 Sa 223/09).

Hier könne keine Rede davon sein, dass die Pflegerin vom Arbeitgeber durch Drohungen zur Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag genötigt worden sei. Im Interesse der Heimbewohner habe der Chef die Konsequenz einer fristlosen Kündigung erwägen müssen, sie sei angesichts der begründeten Vorwürfe absolut gerechtfertigt gewesen.

In so einem Fall handle es sich nicht um eine widerrechtliche Drohung, wenn der Personalleiter die Arbeitnehmerin auf die Option einer fristlosen Kündigung hinweise. Das stelle vielmehr eine sachliche Information über naheliegende Folgen ihres eklatanten Fehlverhaltens dar.

Schizophrener will nicht in die Psychiatrie

Darf der Betreuer gegen den Willen des Betreuten ärztliche Behandlung veranlassen?

Im Herbst 2005 wurde ein 42-jähriger Mann nach einer gewaltsamen Attacke auf seinen Sohn in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Ärzte diagnostizierten eine paranoide Schizophrenie mit ausgeprägten Denkstörungen und empfahlen eine medikamentöse antipsychotische Therapie. Für den Patienten wurde vom Amtsgericht ein Rechtsanwalt als Betreuer bestellt.

Seither beschäftigt der Fall die Gerichte: Der Betreuer wollte den Kranken in die Psychiatrie einweisen lassen. Das wurde vom Amtsgericht genehmigt, der Betreute legte dagegen Beschwerde ein. Da ihm jede Einsicht in seine Krankheit fehlte, verweigerte er die vorgeschlagene Therapie. Schließlich stellte der Bundesgerichtshof klar, nach welchen Grundsätzen hier zu verfahren ist, und verwies anschließend den Fall an die Vorinstanz zurück (XII ZB 236/05).

Mit einer wichtigen Korrektur: Eine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betreuten sei nicht unbedingt unzulässig, wie die Vorinstanz ausgeführt habe. Das gelte vor allem dann, wenn der Betreute nicht mehr einsichts- und steuerungsfähig sei. Allerdings sei die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme streng zu prüfen, denn Freiheitsentzug, verbunden mit einer Zwangsbehandlung, sei ein schwerwiegender Eingriff in die Freiheit der Person.

Grundsätzlich gelte: Drohe kein gravierender Schaden für den psychisch Kranken, dürfe er selbst entscheiden, ob er das Durchleben der Krankheit einer (aus seiner Sicht unzumutbaren) Behandlung in einer psychiatrischen Klinik vorziehe. Der therapeutische Nutzen der Behandlung mit Medikamenten sei gegen die Gesundheitsschäden abzuwiegen, die ohne Behandlung entstehen könnten.

Neue Regelung zur Personenpflegschaft nötig

Gerichtsgebühr darf sich nicht unbegrenzt am Vermögen orientieren

Der alte Herr war steinreich. Als er schließlich gebrechlich wurde und Hilfe benötigte, erwies sich dieser glückliche Umstand zum ersten Mal als Nachteil. Denn allein für den Gerichtsbeschluss über eine Dauerpflegschaft - es ging um die medizinische Versorgung und die Aufenthaltsbestimmung des Seniors - berechnete das Amtsgericht Gerichtsgebühren von 24.950 DM jährlich (über die Dauer von drei Jahren).

Das Amtsgericht hielt sich dabei an die gesetzliche Gebührenordnung, nach der Gerichtsgebühren gestaffelt nach dem Vermögen der Betroffenen zu ermitteln sind. Und der alte Herr verfügte über ein Vermögen von 25 Millionen Mark. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Gebührenregelung der Kostenordnung für verfassungswidrig (1 BvR 1484/99).

Gehe es allein um die Pflege der Person, dürfe das Vermögen nicht unbegrenzt bei der Gebührenberechnung zu Grunde gelegt werden. Denn der Umfang der staatlichen Leistung sei bei der Betreuung in persönlichen und medizinischen Angelegenheiten immer der gleiche, egal, wie hoch das Vermögen sei. Der Gesetzgeber müsse deshalb eine neue Regelung finden. In der Zwischenzeit sei das Vermögen zu schätzen, mehr als 500.000 Euro Vermögen dürfe man aber nicht veranschlagen.

Sei dauerhafte Betreuung in Vermögensdingen nötig, sei die Gebührenfrage anders zu beurteilen. Denn mit dem Vermögen des Betreuten steige auch der Aufwand des Gerichts für die Kontrolle des Vermögens. Auch das erhöhte Haftungsrisiko des Staates rechtfertige eine am Vermögen orientierte Staffelung der Gebühren.

Abbruch der künstlichen Ernährung bei einer unheilbar Kranken

Auch ohne schriftliche Patientenverfügung kann man den mutmaßlichen Willen des Patienten feststellen

Die alte Frau lag seit Jahren bewusstlos in ihrem Pflegeheimbett. Ernährt wurde sie künstlich über eine Magensonde, es bestand keine Aussicht mehr auf Besserung. Oft hatte sie zu ihrem Mann und zu ihren Freunden gesagt, so wolle sie niemals enden - hilflos allem ausgeliefert. Als menschenunwürdigen Zustand hatte sie dies bezeichnet und so sah es auch ihr Mann.

Als ihr Betreuer, Arzt von Beruf, beantragte er beim Vormundschaftsgericht, die künstliche Ernährung abzubrechen und seine Frau sterben zu lassen. Das Gericht lehnte jedoch ab: Dass der frühere Wille der Frau weiter bestehe, in dieser Lage alle lebenserhaltenden Maßnahmen zu beenden, könne man nicht einfach voraussetzen. Und eine schriftliche Verfügung dieses Inhalts gebe es nicht. Das Landgericht Waldshut-Tiengen hielt das nicht für zwingend notwendig und erteilte die Genehmigung (1 T 161/05).

Wenn man, so wie hier, durch Gespräche mit Ehemann, Freunden, Ärzten und Pflegepersonal feststellen könne, wie die Patientin über diese Frage gedacht habe, benötige man nicht ungedingt eine Patientenverfügung. Angesichts ihrer zahlreichen Bekundungen, in einer so aussichtslosen Situation lieber in Frieden sterben zu wollen, dürfe man davon ausgehen, dass es sich dabei nicht um eine momentane Stimmung gehandelt habe. Als Frau eines Arztes habe sie sich mit diesem Problem oft und ernsthaft beschäftigt.

Ihr Leiden sei irreversibel und führe absolut sicher zum Tod. Die Frau könne kein natürliches Anzeichen von Lebenswillen mehr von sich geben und nicht mehr kommunizieren. Daher sei ihrem mutmaßlichen Willen zu entsprechen und die künstliche Ernährung zu beenden.

Tochter vererbt Ferienwohnung an Altenheim

Vermächtnis ist unwirksam, wenn die Mutter dort noch wohnt

Die Tochter hatte es für eine gute Regelung gehalten: Im Falle ihres Ablebens sollte das Altenheim, in dem ihre Mutter lebte, ihre Ferienwohnung erben, schrieb sie in das Testament. Schließlich waren sie beide immer sehr zufrieden gewesen damit, wie die alte Dame untergebracht war und versorgt wurde. Die Mutter sollte bis zum Tod die Wohnung benutzen dürfen und dafür alle anfallenden Kosten übernehmen.

Als die Tochter tatsächlich vor ihrer Mutter starb - sie kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben -, nahm der Heimträger das Erbe an. Doch das Vormundschaftsgericht verweigerte seine Zustimmung: Das Testament sei in diesem Punkt unwirksam, denn nach dem Heimgesetz dürften Bewohner eines Altenheims und deren Angehörige dem Heim (außer dem vereinbarten Entgelt) nichts zukommen lassen oder vererben - zumindest nicht, solange der Bewohner noch am Leben sei.

Das Oberlandesgericht München bestätigte, dass diese Vorschrift auch für Angehörige von Heimbewohnern gilt (33 Wx 119/06). Sie solle verhindern, dass die Arg- und Hilflosigkeit alter Menschen finanziell ausgenutzt und Druck auf die Bewohner ausgeübt werde, was ihr Testament angehe. Auch sollten nicht aufgrund von Zusatzleistungen einige Senioren besser behandelt werden als andere. Das Verbot werde nur dann aufgehoben, wenn das Heim nachweislich nichts von dem Testament wusste und der Bewohner bereits verstorben sei.

Behinderten-Pflegeheim darf in Wohngebiet gebaut werden

Lebensäußerungen behinderter Menschen sind keine Lärmbelästigung

Als die Hauseigentümer von den Plänen erfuhren, war die Aufregung groß: Die Gemeinde wollte ein Behinderten-Pflegeheim bauen, direkt in ihrem Wohnviertel! Sofort stürzten sich einige in wilde Spekulationen über das Ausmaß der Störung, die von diesem Heim ausgehen könnte. Mit dem Argument, eine solche Einrichtung gehöre nicht in ein allgemeines Wohngebiet, klagten sie gegen die Baugenehmigung, um das Projekt zu Fall zu bringen.

Ohne Erfolg: Ein Pflegeheim für betreutes Wohnen behinderter Menschen sei in einem allgemeinen Wohngebiet keineswegs fehl am Platz, entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (8 S 2551/05). Lebensäußerungen behinderter Menschen stellten keine Lärmbelästigung dar, sondern seien ebenso als normal hinzunehmen wie Kinderspiele. Es sei kein höherer Geräuschpegel zu erwarten als bei Familienwohnungen. Hinzu komme, dass es in einem solchen Heim sieben Tage in der Woche geregelte Tagesabläufe gebe, inklusive Mittagsruhe und früher Bettgehzeit.

Versteckte Kamera im Pflegeheim

Sohn einer Heimbewohnerin wollte Pflegemängel dokumentieren: Kündigung

Der Sohn (und zugleich Betreuer) der 94-jährigen Bewohnerin eines Pflegeheims hatte das Gefühl, dass seine Mutter im Heim nicht richtig gepflegt wurde und zu wenig Flüssigkeit bekam. Um dies zu kontrollieren, stellte er im Dezember 2004 im Zimmer seiner Mutter einen Tannenbaum auf und versteckte darin eine Kamera. Die heimlich gedrehten Aufnahmen strahlte der Fernsehsender RTL im Januar 2005 aus - in einer Sendung über Skandale in deutschen Pflegeheimen. Auch ein Gespräch mit der Heimleitung hatte der Mann heimlich gefilmt und RTL zur Verfügung gestellt. "Wegen der Pflegemängel" kürzte er das Entgelt für das Heim.

Deswegen erteilte man ihm Hausverbot und kündigte den Heimvertrag der Mutter: Aufnahmen mit versteckter Kamera und deren Ausstrahlung im Fernsehen verletzten die Persönlichkeitsrechte des Pflegepersonals und schädigten den Ruf des Heims, hielt die Heimleitung dem Mann vor. Er habe das Entgelt zu Unrecht gekürzt, denn seine Vorwürfe träfen nicht zu. Seine Mutter werde "ordnungsgemäß betreut".

In der chronisch unterbesetzten Station sei die Wundversorgung schlecht, widersprach der Betreuer. Da die Heimleitung ihn immer nur abgewimmelt habe, habe er eben zu drastischen Mitteln greifen müssen. Die Räumungsklage des Heims scheiterte beim Landgericht München I (28 O 8172/05). Erst im Laufe des Prozesses habe die Heimleitung dokumentiert, dass sie rund um die Uhr Getränke ausgebe, so das Landgericht. Das Misstrauen des Betreuers sei also nicht grundlos. Trinkpausen von über 13 Stunden hätten eine Kürzung des Entgelts wegen Pflegenotstands gerechtfertigt.

Deshalb sei die Kündigung - trotz des Zahlungsrückstands von mittlerweile fast 20.000 Euro - unwirksam. Der Betreuer müsse den Zahlungsrückstand ausgleichen und erhalte in Zukunft ein kontrolliertes Besuchsrecht. Auf diese Weise könne die alte Frau im Heim bleiben. Sie könne für den Streit nichts, ein Umzug mit 96 Jahren wäre außerdem eine ungeheure Zumutung. Die Heimleitung müsse auf andere Weise versuchen, gegen die (ihrer Ansicht nach haltlosen und geschäftsschädigenden) Vorwürfe des Angehörigen vorzugehen.

Bruder als Betreuer entlassen

Lebenserhaltende Maßnahmen für die Schwester abgebrochen ...

Ein Betreuungsverfahren erregte letztes Jahr in Bayern großes Aufsehen: Wegen eines frühkindlichen Hirnschadens lebt eine taubstumme Frau schon seit 1949 im Pflegeheim. Im Sommer 2006 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der 74-Jährigen, sie erblindete und war halbseitig gelähmt. Schließlich verweigerte sie die Nahrungsaufnahme. Ihr Bruder, der vom Vormundschaftsgericht als Betreuer eingesetzt worden war, stimmte zunächst der Ernährung durch eine Magensonde zu.

Nach einem Gespräch mit dem Arzt ließ er die künstliche Ernährung einstellen: Der Mediziner hatte ihm erklärt, das Leiden seiner Schwester sei unumkehrbar tödlich, lebensverlängernde Maßnahmen nicht mehr indiziert. Als der Vormundschaftsrichter davon erfuhr, entließ er den Bruder als Betreuer, weil er für den Abbruch der Behandlung keine gerichtliche Genehmigung eingeholt hatte. Der Vormundschaftsrichter bestellte eine Anwältin als Berufsbetreuerin und ordnete an, die Sondenernährung fortzusetzen. In der regionalen Presse warf man dem Bruder und dem Arzt sogar versuchte Tötung vor.

Der Bruder ließ sich davon nicht beeindrucken und wehrte sich gegen die Entlassung. Das Landgericht Traunstein fand sein Verhalten korrekt und setzte ihn wieder in sein Betreueramt ein: Er dürfe der ärztlichen Einschätzung uneingeschränkt vertrauen. Vergeblich protestierte die Anwältin gegen diese Entscheidung ein, das Oberlandesgericht München hatte dagegen keine Einwände (33 Wx 6/07).

Wenn der Arzt die weitere Behandlung für "medizinisch nicht indiziert" halte, stelle es keinen Pflichtverstoß des Betreuers dar, über den Abbruch der Sondenernährung ohne Erlaubnis des Vormundschaftsgerichts zu entscheiden. Er dürfe sich auf die Aussage des Arztes verlassen und (unter Berufung auf den mutmaßlichen Willen der Schwester) weitere lebenserhaltende Maßnahmen ablehnen. Eine Entlassung allein aus diesem Grund sei nicht gerechtfertigt. Nun sei das weitere Vorgehen anhand eines aktuellen ärztlichen Gutachtens zu überprüfen.

Oma kann Pflegeheim nicht mehr zahlen

Enkel - Erbe des Vermögens - muss dem Sozialhilfeträger Heimkosten erstatten

Ein älteres Ehepaar übertrug 1994 sein Hausgrundstück in Oberbayern auf den Sohn. Die Eltern ließen sich ein lebenslanges Wohnrecht garantieren. 1995 starb der Vater, ein Jahr später verkaufte der Sohn das Grundstück für 700.000 Mark. Seine Mutter war damit einverstanden, dass in Folge dessen ihr Wohnrecht am Haus erlosch. Sie zog in ein Pflegeheim. Als ab Mai 1999 ihre Rente und die Leistungen der Pflegekasse nicht mehr für die Heimkosten reichten, sprang der örtliche Sozialhilfeträger ein.

Anfang 2000 starb ihr Sohn, der Enkel erbte das Vermögen. Als kurz darauf die alte Dame ebenfalls das Zeitliche segnete, forderte der Sozialhilfeträger vom Enkel 25.000 Euro. Zu Recht, entschied das Landgericht München I (9 O 122/04). Als Erbe seines Vaters müsse er die Pflegekosten erstatten, die der Sozialhilfeträger für die Großmutter übernommen habe. Denn die Großmutter habe ihren Sohn, seinen Vater, beschenkt, indem sie ihm das Eigentum am Grundstück übertrug und das Wohnrecht löschen ließ. Es wäre ihr gutes Recht gewesen, diese Geschenke vom Sohn zurückzufordern, als sie später ihren Unterhalt nicht mehr bestreiten konnte. Daher könne der Sozialhilfeträger vom Erben Ersatz für die gezahlte Sozialhilfe verlangen.

Altenpflegerin will Nachtschicht im Sieben-Tage-Rhythmus

Familiäre Belange werden berücksichtigt - so weit wie möglich

Vor ihrer Schwangerschaft hatte die Altenpflegerin im Sieben-Tage-Rhythmus Nachtdienst geschoben. Als sie nach dem Erziehungsurlaub zurückkehrte, wollte sie gerne wieder im gleichen Rhythmus arbeiten. So hätte sie sich mit ihrem Mann - der ebenfalls als Pfleger nachts im Sieben-Tage-Rhythmus Rufbereitschaft hat - bei der Kinderbetreuung abwechseln können. Doch ihr Arbeitgeber, eine karitative Stiftung, hatte nur einen Arbeitsplatz in einem Heim frei, in dem die Nachtwachen im Zwei-Tage-Rhythmus organisiert sind.

Vergeblich versuchte die Altenpflegerin, eine andere Einteilung der Arbeitszeit zu erstreiten. Zwar betonte das Bundesarbeitsgericht, der Arbeitgeber müsse auf die familiären Belange des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen (6 AZR 567/03). Dies könne aber nicht auf Kosten anderer Arbeitnehmer gehen. Kein Kollege und keine Kollegin, die im Sieben-Tage-Rhythmus Nachtdienst leisteten, habe mit der jungen Mutter tauschen und in den Zwei-Tage-Rhythmus wechseln wollen. Da also die Interessen der Kollegen dem Wunsch der Arbeitnehmerin widersprächen, habe der Arbeitgeber ihre Arbeitszeit anders festlegen dürfen.

Leibliche Mutter oder Stiefmutter als Betreuerin?

Maßgebend ist immer das Wohl des Betreuten

Der Sohn lag im Wachkoma. Die Stiefmutter kümmerte sich in ihrer Wohnung um den Pflegefall. Das passte der leiblichen Mutter nicht, weil sie sich mit der Stiefmutter nicht verstand. Sie wollte den Sohn in einem Heim unterbringen und ihn dort täglich besuchen. So beantragte es die Mutter beim Vormundschaftsgericht, das sie zur Betreuerin des Sohnes erklären sollte. Der zuständige Richter machte sich an Ort und Stelle ein Bild von den Verhältnissen. Dann räumte er der Stiefmutter den Vorrang vor der leiblichen Mutter ein und bestellte die Stiefmutter zur Betreuerin.

Das Bayerische Oberste Landesgericht billigte die Entscheidung (3Z BR 30/04). Für den pflegebedürftigen Mann sei es auf jeden Fall besser, wenn er in der vertrauten Umgebung weiter rund um die Uhr individuell betreut werde. So viel Zuwendung bekomme er in einem Heim nicht, wo sich wenige Pflegekräfte auf viele Patienten aufteilen müssten. Wenn die leibliche Mutter das nicht einsehe, sei sie als Betreuerin ihres Sohnes fehl am Platz.

Die Richter legten den Frauen ans Herz, doch im Interesse des Kranken die gegenseitigen Aversionen hintanzustellen. Besuche sollten reibungslos verlaufen und nicht, wie im Krankenhaus, jedes Mal in Streitereien ausarten. Eine positive und harmonische Atmosphäre wäre für den Kranken wünschenswert und könnte vielleicht sogar zur Rückkehr in ein selbstbestimmtes Leben beitragen.

Altenpfleger als Erben eingesetzt

Das ist im Heimgesetz verboten - Verwandte gehen trotzdem leer aus

Eine verwitwete und kinderlose Rentnerin lebte in einem Pflegeheim. Vorübergehend war sie auf der Kurzzeitpflegestation untergebracht, zu deren Leiter sie ein enges Vertrauensverhältnis entwickelte. Er kümmerte sich um die privaten Angelegenheiten der Frau auch noch, nachdem sie auf eine andere Station verlegt worden war. Da sie ihre Brüder nicht mochte, setzte die alte Frau schließlich den Pfleger per notariellem Testament als Alleinerben ein und erteilte ihm eine Vollmacht über ihr Konto. Ersatzerbe sollte der Träger des Heims werden, eine Stiftung, wenn die Erbeinsetzung des Altenpflegers für unwirksam erklärt werden sollte.

Denn die Rentnerin wusste sehr wohl, dass es Mitarbeitern von Pflegeheimen untersagt ist, sich von Heimbewohnern Geld oder geldwerte Leistungen geben oder versprechen zu lassen. An den Altenpfleger schrieb sie: "Meine zwei Drecks-Brüder waren da, der eine fragte gleich wo ich mein Sparbuch habe; mit diesen werden Sie noch Schwierigkeiten haben; die wollen bloß mein Geld." "... Sie müssen das Sparbuch nehmen, das geht die einen Dreck an, bekommen von mir nichts, hoffentlich läuft alles glatt." Nach ihrem Tod übergab der Altenpfleger das Sparbuch (mit einem Guthaben von 65.000 Mark) dem Nachlassgericht und beantragte einen Erbschein.

Doch das Bayerische Oberste Landesgericht winkte ab (1Z BR 40/04). Als die Erblasserin ihr Testament verfasste, sei der Pfleger zwar für sie organisatorisch nicht mehr zuständig gewesen. Dennoch dürfe er laut Heimgesetz nichts erben, weil er gewusst habe, dass die Erblasserin ihn als Erben eingesetzt hatte. Die Frau habe im Einvernehmen mit ihm gehandelt, was aus den Briefen hervorgehe. Außerdem hätten andere Pfleger als Zeugen bestätigt, dass er mit ihnen über eine Erbschaft gesprochen und der Rentnerin "einen Notar besorgt" habe. Daher sei nicht auszuschließen, dass er der Heimbewohnerin eine "finanziell motivierte Vorzugsbehandlung" habe angedeihen lassen. Eben dies solle das Heimgesetz verhindern.

Der Altenpfleger bekam also nichts. Allerdings gingen auch die Brüder der Verstorbenen leer aus, die als gesetzliche Erben ebenfalls einen Erbschein beantragt hatten: Das Guthaben wurde dem Heimträger als Ersatzerben zugesprochen, dessen Leitung über den Inhalt des Testament nichts wusste.

Streit um Heimvertragsklausel

Kosten für Unterkunft und Verpflegung müssen nicht getrennt angegeben werden

Ein Verbraucherschutzverband verlangte vom Träger eines Pflegeheims, in den Heimverträgen für pflegeversicherte Heimbewohner das Entgelt für Unterkunft und Verpflegung nicht mehr in einem einheitlichen Betrag anzugeben. So seien die Kosten nicht transparent und die Bewerber um einen Heimplatz könnten die Leistungen und Entgelte der Heime nicht gut vergleichen.

Das sei zwar ein wichtiger Gesichtspunkt, betonte der Bundesgerichtshof (III ZR 411/04). Ohne Änderung des Pflegeversicherungsrechts sei das aber nicht machbar. Denn nach dessen Bestimmungen könnten Heime nicht verpflichtet werden, die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung aufzugliedern. Verträge mit Leistungsempfängern der Pflegeversicherung würden nämlich nicht individuell ausgehandelt, sondern mit den Krankenversicherungen als Träger der Pflegeversicherung. Und diese Vereinbarungen wiesen einheitliche Beträge für Unterkunft und Verpflegung aus, die für Heime und für Pflegebedürftige verbindlich seien.

Was darf ein Betreuer für Bankbesuche berechnen?

"Berufsbetreuer müssen effizient und kostengünstig vorgehen"

Eine Berufsbetreuerin rechnete ihre Aufwendungen ab. Für eine betreute Frau hatte sie unter anderem die Finanzangelegenheiten zu regeln. Im Laufe eines halben Jahres war sie für die Betreute zwanzig Mal zur Bank gefahren, um den Kontostand zu prüfen, Auszüge mitzunehmen, Überweisungen zu tätigen und das Taschengeld der Frau abzuheben. Im Schnitt berechnete die Betreuerin für diese Fahrten zur Bank 40 Minuten. Doch da spielte die Staatskasse nicht mit. Das sei zuviel, hielt man ihr vor, sie müsse auf Online-Banking (oder andere billigere Verfahren) umsteigen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht gab der Staatskasse Recht (3Z BR 163/04). Zu vergüten sei der Einsatz der Betreuerin nur, soweit er erforderlich sei, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Ein Berufsbetreuer müsse seine Tätigkeit professionell ausführen, d.h. effizient handeln und kostengünstig. Bankgeschäfte vor Ort seien zeitaufwändig und teuer (Fahrtspesen, Vergütung). Allerdings sei zu berücksichtigen, dass die Betreuerin öfter kleine Summen Bargeld benötige. Denn sie dürfe der Betreuten nur kleine Beträge aushändigen, weil diese nicht in der Lage sei, Geld einzuteilen. Von nun an müsse die Betreuerin "zeitgemäße Kommunikationsmittel benützen" und sich um eine billigere Form der Kontoführung und Kontoüberwachung bemühen.

Extra-Sozialhilfe für Unterhosen und Socken?

Justizmarathon einer Heimbewohnerin für ein paar Euro mehr

Es ging um sechs Unterhosen und vier Paar Socken, die eine geistig behinderte Heimbewohnerin benötigte. Sie kosteten 34,77 Euro, dafür wollte der Träger der Sozialhilfe nicht aufkommen. Wäsche müsse sie vom "Taschengeld" bezahlen, das ihr als bedürftiger Heimbewohnerin zustehe, lautete der amtliche Bescheid. Die 24-jährige Frau gab sich damit nicht zufrieden und beschäftigte drei Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihrem Anliegen.

Für die Anschaffung von geringwertigen Gegenständen gebe es keine zusätzlichen Leistungen von der Sozialhilfe, urteilte das Bundesverwaltungsgericht (5 C 42/03). Mit dem Taschengeld müssten Heimbewohner die "persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens" abdecken (Aufwendungen für Körperpflege, für Kleidung, Wäsche und Hausrat von geringem Wert).

Die Bundesverwaltungsrichter sahen allerdings noch Aufklärungsbedarf. Sie schickten die Akten deshalb an das Oberverwaltungsgericht zurück, das zu Gunsten der Heimbewohnerin entschieden hatte. Es soll überprüfen, ob das Taschengeld (Mindestbarbetrag in Höhe von 30 Prozent des Sozialhilfe-Regelsatzes) wirklich ausreicht, um (neben den einmaligen Leistungen der Sozialhilfe und der Versorgung im Heim) den Lebensunterhalt der Heimbewohner sicherzustellen.

Einmal mehr: Sturz im Pflegeheim

Grundsatzurteil des BGH zu den Pflichten des Pflegepersonals

Die Fälle häufen sich, in denen nach Unfällen von Heimbewohnern Krankenversicherungen die Heime verklagen und eine Fixierung der Pflegebedürftigen fordern. Im konkreten Fall war es die AOK, die sich nach dem Oberschenkelhalsbruch einer Versicherungsnehmerin im Sommer 2001 am Heimträger schadlos halten wollte. Die 1912 geborene Rentnerin lebt seit 1997 im Pflegewohnheim und hatte sich schon früher bei Stürzen verletzt. Sie ist hochgradig sehbehindert und zeitweise verwirrt, kann auch nicht mehr gut gehen (Pflegestufe III).

Die AOK war der Ansicht, der Unfall sei auf eine Pflichtverletzung des Pflegepersonals zurückzuführen, weil man die sturzgefährdete Seniorin nicht im Bett fixiert bzw. die Bettgitter hochgefahren hatte. Auch Hüftschutzhosen hätten die Gefahr eines Knochenbruchs beim Sturz gemindert. Wegen dieser Versäumnisse müsse der Heimträger die Kosten der Heilbehandlung ersetzen. Dem widersprach nun der Bundesgerichtshof (III ZR 399/04).

Selbstverständlich verpflichteten Heimverträge das Pflegepersonal, die Gesundheit der ihm anvertrauten Pflegebedürftigen zu schützen. Allerdings könne es nur um Maßnahmen gehen, die notwendig und mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar seien und die zugleich die Würde und Selbständigkeit der Heimbewohner wahrten.

Im konkreten Fall sei der Unfallhergang nicht mehr zu rekonstruieren. Allein aus der Tatsache, dass die Frau im Pflegeheim gestürzt sei, könne man jedenfalls nicht auf eine Pflichtverletzung des Personals schließen. Auch frühere Stürze seien kein Anlass, die Bewohnerin dauerhaft im Bett zu fixieren oder ständig die Bettgitter hochzufahren und so jede Lebensregung zu ersticken. Die AOK habe außerdem nicht belegen können, in welchem Umfang das Tragen von Hüftschutzhosen die Gefahr eines Oberschenkelhalsbruchs bei einem Sturz mindere.