Gewerkschaftsmitglied H arbeitet als Verkäufer in einem Einzelhandelsunternehmen. 2015 und 2016 wurde sein Betrieb an mehreren Tagen bestreikt. Ver.di, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, hatte während eines Tarifstreits mit dem Arbeitgeberverband dazu aufgerufen. Vor Streikbeginn versuchte der Arbeitgeber, die Mitarbeiter mit einem Lockangebot vom Streik abzuhalten.
Am "schwarzen Brett" des Betriebs hing sein Angebot aus: Arbeitnehmern, die sich nicht am Streik beteiligten, sondern zur Arbeit kamen, versprach das Unternehmen eine Prämie. Zuerst sagte der Arbeitgeber pro Streiktag eine Prämie von 200 Euro brutto zu, in einem zweiten betrieblichen Aushang eine Prämie von 100 Euro brutto.
Verkäufer H war dem Streikaufruf von Ver.di gefolgt und hatte an mehreren Tagen die Arbeit niedergelegt. Er verdient im Monat 1.480 Euro brutto. Nach dem Streik zog er vor Gericht und pochte auf den Grundsatz der Gleichbehandlung. H verlangte vom Arbeitgeber, ihm ebenfalls Prämien zu zahlen, insgesamt 1.200 Euro brutto.
Die Forderung wurde von allen Instanzen bis hin zum Bundesarbeitsgericht (BAG) abgeschmettert (1 AZR 287/17). Wenn der Arbeitgeber den arbeitswilligen Beschäftigten eine Prämie zahle, behandle er sie zwar anders als die streikenden Arbeitnehmer, räumte das BAG ein. Das sei aber im Arbeitskampf gerechtfertigt.
Mit der freiwilligen Sonderleistung habe der Arbeitgeber der Störung des betrieblichen Ablaufs durch den Streik entgegenwirken wollen. Im Arbeitskampf gelte für beide Seiten die freie Wahl der Kampfmittel. Daher sei auch das Angebot einer Prämie für Streikbrecher grundsätzlich zulässig. Die Prämie sei nicht unangemessen, auch wenn sie den Tagesverdienst Streikender bei weitem überstieg.