Ein Arbeitnehmer darf nicht wegen einer berechtigten Dienstaufsichtsbeschwerde entlassen werden
Straßenbahnfahrer S, beschäftigt bei einem kommunalen Verkehrsbetrieb, hatte im Sommer 2017 einen Arbeitsunfall erlitten. Danach war er lange krank. Mittlerweile ist er als schwerbehindert anerkannt, kann seinen Beruf nicht mehr ausüben. Im Dezember 2018 verlangte S von der Arbeitgeberin 200 Euro für Überstunden, die er 2017 geleistet hatte, aber noch nicht bezahlt wurden.
Anfang März 2019 wurde die Zahlung angekündigt, doch das Geld kam wieder nicht. Am 18. März rief Herr S erneut in der Personalabteilung an. Eine Mitarbeiterin sagte ihm, die Sache müsse sie erst mit einem anderen Mitarbeiter abklären. "Jemand müsste doch auch eine Entscheidung treffen, wenn der andere Mitarbeiter sterbe
", erwiderte S verärgert und kündigte Dienstaufsichtsbeschwerde an für den Fall, dass er wieder keine Rückmeldung bekomme.
Am Abend reichte S bei der Arbeitgeberin eine Beschwerde gegen zwei leitende Mitarbeiter der Personalabteilung ein: Sie seien verpflichtet, ihm das Entgelt für die Überstunden auszuzahlen, würden die Bezüge aber veruntreuen, so das Fazit der Beschwerde. Im April 2019 bezahlte Arbeitgeberin die Überstunden und kündigte zugleich das Arbeitsverhältnis fristlos.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf erklärte die Kündigung für unwirksam (8 Sa 483/19). Arbeitnehmer S habe sich zu Recht über seine Vorgesetzten beschwert. Man habe ihm den Betrag von 200 Euro, der ihm zweifelsfrei zustand, lange vorenthalten. Dass S nicht die Justiz bemühte, sondern das Mittel einer internen Dienstaufsichtsbeschwerde an den Vorstand wählte, sei nicht zu beanstanden.
Es sei ihm auch nicht ernsthaft vorzuwerfen, dass er die Vorgesetzten wider besseres Wissen einer Straftat bezichtigt habe. In der Beschwerde drücke er nur seine Unzufriedenheit damit aus, dass man ihn so lange habe warten lassen. Das "Untreue" zu nennen, sei rechtlich unzutreffend — und auch für die Arbeitgeberin sei es erkennbar gewesen, dass S damit nicht die Straftat "Untreue" im juristischen Sinn gemeint habe.
Die harsche Kritik rechtfertige angesichts der Umstände keine Kündigung. S habe mit seinem schrägen Hinweis auf den Tod des anderen Mitarbeiters deutlich machen wollen, dass eine Entscheidung auch ohne diesen Mitarbeiter möglich sein müsse.
Wegen der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit des Straßenbahnfahrers wurde vereinbart, das Arbeitsverhältnis zum 30.9.2019 zu beenden. Da das LAG die Kündigung gekippt hatte, sprang für S eine Abfindung von der Arbeitgeberin heraus.