Ausgewählte Urteile

Urteil des Tages

Wenn nachts die Hähne krähen

Wird die nachts zulässige Lautstärke überschritten, können Nachbarn Schallschutzmaßnahmen verlangen

Einmal mehr musste sich die Justiz mit dem bayerischen Dorfleben befassen: In einer ländlich geprägten Gegend fühlte sich ein Hauseigentümer durch die drei Hähne des Nachbarn gestört: Sie krähten nämlich besonders gerne in der Nacht. Davon wachten der Hauseigentümer und seine Frau regelmäßig auf. Deshalb erhob er Unterlassungsklage und ließ den Geräuschpegel messen. Resultat: Die Hähne erreichten einen beachtlichen Höchstpegel von bis zu 65 dB (A).

Gemäß TA Lärm ("Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm") ist von 22 Uhr bis 6 Uhr nur eine Lautstärke von 60 dB (A) zulässig. Diesen Grenzwert überschritt also das Krähen, was auch das Amtsgericht einräumte. Es wies dennoch die Klage des Hauseigentümers ab, weil in einem ländlich geprägten Gebiet das Halten von Nutztieren zur Selbstversorgung ortsüblich sei. Der Nachbar müssten daher die Beeinträchtigung hinnehmen.

Der Nachbar legte gegen das Urteil Berufung ein und setzte sich beim Landgericht Mosbach durch (5 S 47/22). Anders als das Amtsgericht verneinte das Landgericht eine "Duldungspflicht": Man könne auch in ländlichen Gebieten nicht jeglichen Lärmschutz mit dem pauschalen Hinweis aushebeln, dass Tierhaltung ortsüblich sei und dass das auch für Tierhaltung aus Liebhaberei gelte.

Die Gesundheit der Anwohner, die unter ständigen Schlafstörungen leide, sei höher zu bewerten als der Wunsch der Nachbarn, ihr Hobby Hühnerzucht ungestört auszuüben. Die Nachbarn müssten dafür sorgen, dass nachts das Krähen unter dem zulässigen Höchstwert bleibe. Die vom Sachverständigen geschätzten Kosten für eine Schallisolierungsmaßnahme (ca. 4.000 Euro) seien für die Hühnerzüchter wirtschaftlich zumutbar.

Oldtimer

Automatische Mietsteigerung

Änderung bei der Staffelmiete: Der neue, erhöhte Mietbetrag muss im Mietvertrag nicht angegeben sein

In einem Mietvertrag stand, die Grundmiete erhöhe sich nach fünf Jahren um 150 DM. So eine Vereinbarung über eine automatische Mietsteigerung (so genannte Staffelmiete) war früher nach herrschender Rechtsprechung unwirksam, wenn im Vertrag nicht zugleich der Gesamtbetrag der neuen, höheren Miete angegeben wurde.

1993 änderte der Gesetzgeber das Mietrecht: Von da an genügte es, wenn Vermieter den Betrag in den Vertrag schrieben, um den sich die monatliche Zahlung erhöht. So wie im konkreten Fall eben um 150 DM. Trotzdem war der Mieter der Auffassung, die neue Rechtslage könne für seinen Mietvertrag nicht gelten, weil er vor der Gesetzesänderung geschlossen worden sei. Er weigerte sich daher, die höhere Miete zu zahlen.

Das Landgericht Hamburg verurteilte ihn jedoch, die Staffelmietvereinbarung einzuhalten (316 S 151/94). Die frühere Rechtslage sei keineswegs eindeutig gewesen. Der Gesetzgeber habe gerade deswegen klargestellt, dass der Vermieter auch dann mehr verlangen könne, wenn im Vertrag nur der Erhöhungsbetrag stehe und nicht zugleich der neue Gesamtbetrag. Daher könnten sich Mieter mit alten Staffelmietverträgen nicht darauf berufen, sie hätten darauf vertraut, dass sich bei ihren Verträgen nichts ändern werde.

Recht kurios

Nachts in die Ostsee gepinkelt

Das stellt keine "Belästigung der Allgemeinheit" dar, findet das Amtsgericht Lübeck

Während der Travemünder (Segel-)Woche wird abends gern am Strand gefeiert, so auch im Sommer 2022. Herr S saß mit einigen Freunden nach Mitternacht noch am Strand, bis ihn ein natürliches Bedürfnis überkam. Im Schutz der Dunkelheit und etwa 20 Meter von den Freunden entfernt, fand er nichts dabei — und pinkelte in die Ostsee.

Doch Mitarbeiter des Ordnungsamtes Lübeck ertappten ihn auf frischer Tat und nahmen es sehr genau: Der Missetäter habe durch grob ungehöriges Handeln die Allgemeinheit belästigt, warfen sie ihm vor. Dafür sollte er 60 Euro Bußgeld berappen. Niemand habe sich am Strand beschwert, wandte der Mann ein: Außer den Ordnungskräften habe ihn kein Mensch beobachtet. Von Belästigung könne also gar keine Rede sein, er werde das Bußgeld nicht zahlen.

Das Amtsgericht Lübeck schlug sich auf die Seite des Wildpinklers (83a OWi 739 Js 4140/23). Da er sich diskret verhalten habe, habe er auch niemandes Schamgefühl verletzt: Eventuelle Strandspaziergänger hätten Herrn S nachts höchstens schemenhaft erkennen können. Unter freiem Himmel diesem natürlichen Bedürfnis nachzugehen, sei für sich genommen nicht "ungehörig".

Wenn Leute in Feld und Flur unterwegs seien — Feldarbeiter, Pilzsammler, Wanderer, Jäger, Radsportler, Badende etc. —, sei dies sogar üblich und allgemein akzeptiert. Schließlich habe der Mensch unter freiem Himmel "nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe" in der Ostsee.

Anders als z.B. an einem Waldrand könne sich der Mensch am Meer bei dieser Verrichtung weniger gut zurückziehen: So sei das halt an der Küste. Im Dämmerlicht der Uferbeleuchtung habe S aber nicht damit rechnen müssen, unvermittelt mit Taschenlampen ausgeleuchtet und angesprochen zu werden.

Auch die Wasserqualität werde durch das Pinkeln nicht nennenswert verschlechtert. Die Ostsee enthalte eine Wassermenge von 21.631 Kubikkilometern Brackwasser. Selbst im Wiederholungsfall oder bei mehreren Nachahmern würde die Allgemeinheit noch lange nicht durch üblen Geruch oder verschmutztes Wasser beeinträchtigt.

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